Wissenschaftskommunikation der Zukunft

Bericht von der 4. Konferenz der Zentralbibliothek Forschungszentrum Jülich im November 2007

von Ulrike Eich

Vom 6. bis 8. November 2007 fand die vierte "Jülicher Konferenz" statt. Das Besondere und Gemeinsame dieser Tagungen besteht darin, dass sie Bibliothekare, Verleger und vor allem Wissenschaftler miteinander ins Gespräch bringen wollen. Die Wissenschaftler dominierten dieses Mal eindeutig, auch Verlage waren mit eigenen Ausstellungen und Vorträgen präsent, bei Bibliothekaren scheint das Interesse geringer gewesen zu sein. Dies liegt vielleicht auch daran, dass der Tagungsband schon zur Konferenz vorliegt. Der Wert der Konferenz liegt aber gerade in den Diskussionen. Und mancher Redner/manche Rednerin hat im Vortrag mehr gesagt und deutlicher gesprochen als im gedruckten Text. Das gilt auch für den Festvortrag von Ernst Pöppel "Wissen und wie es kommuniziert werden kann". Der Redner hat den Inhalt und die Aussage seinen Beitrags in neuer Form als eine fast interaktive Vorlesung für ein mehrheitlich fachfremdes Publikum präsentiert. Ein weiteres Highlight, das nicht im Konferenzband steht, war sicher das Grußwort des Nobelpreisträgers Peter Grünberg. Er meinte recht lapidar, ohne seine und Albert Fert's Entdeckung gäbe es das Thema und den Gegenstand der Tagung gar nicht. Andererseits nutzt er mit der Selbstverständlichkeit der Naturwissenschaftler das Internet und seine Dienste, zum Beispiel das Wörterbuch leo.org., das vermutlich in kaum einem Bibliothekskatalog oder -portal verzeichnet ist.

Ich möchte hier die Eindrücke wiedergeben, die ich aus den sehr aktiven Diskussionsbeiträgen der Wissenschaftler, überwiegend Naturwissenschaftler und Ingenieure, gewonnen habe.

Die Konferenz war in die Themenblöcke EScience, Wissenschaftsindikatoren, Web 2.0, Primärdaten-Management gegliedert.

  • EScience

    Dazu gaben Anne-Katharina Weilenmann (Schweizerische Nationalbibliothek Bern) eine theoretische Einführung und Katrin Weller (Universität Düsseldorf, Institut für Sprache und Information) einen Bericht über Ansätze zur Strukturierung und Ordnung der wissenschaftlichen Kommunikation im Netz. Die Reaktionen der Wissenschaftler waren eher verhalten, die Benennung "EScience" ist alles andere als vertraut und gebräuchlich, thematisiert und problematisiert wird er wohl eher von "Informationsmanagern", weniger von denen, die EScience praktizieren. Einen wichtigen Einblick in originär wissenschaftliche Verfahren bot der Vortrag von Thomas Lippert über den jüngst für das Forschungszentrum beschafften größten zivil genutzten Rechner der Welt und dessen Einbindung in das HPC (High Performance Computing)-Netz in Europa. Obwohl - zumindest für Laien - die Rechnerleistung inzwischen gigantisch ist (167 Millionen Rechenoperationen pro Sekunde), können bei weitem nicht alle Anfragen zur Nutzung des Systems bedient werden. Zugelassen werden nur die besten Vorhaben, die über europaweite Ausschreibungen ermittelt und im peer review-Verfahren ausgewählt werden. Dieses Bewertungsprinzip ist nach wie vor unangefochten und alternativlos. Eine Art Unterthema zu EScience bildete der Vortragsblock zu "Wissenschaftskommunikation in Lehre und Forschung". Elena Semenova (Helmholtz-Zentrum für Kulturtechnik, HU Berlin) berichtete über die Entwicklung einer Ontologie der Wissenschaftsdisziplinen, Peter Haber (Universität Bern, Historisches Seminar) beschrieb Instrumente und Verfahren, um die wissenschaftliche Kommunikation und das wissenschaftliche Arbeiten von Historikern zu unterstützen und zu verbessern. Gerade dieser Beitrag machte die Unterschiede in der Arbeitsweise von Geistes- und Naturwissenschaftlern deutlich, die wahrscheinlich doch jeweils eigene Instrumente und Plattformen brauchen. Während Naturwissenschaftler seit jeher im Team arbeiten und kontinuierlich kommunizieren, müssten Geisteswissenschaftler eigentlich erst einmal zu Art, Form und Bedeutung ihrer disziplinspezifischen Kommunikation befragt werden. Sonja Hierl (Hochschule für Wirtschaft und Technik, Chur) informierte über die Vermittlung von Informations- und Kommunikationskompetenz im Rahmen des Lehrangebots.

  • Web 2.0

    Im Themenbereich Web 2.0 waren Beispiele aus der Praxis angekündigt, geboten wurde überwiegend Theorie. Susanne von Itter (European Association of Development Research and Training Institutes, Bonn) berichtete über die Informationsstrukturen zwischen Einrichtungen der Entwicklungsforschung und -zusammenarbeit. Nachfragen kamen vor Wissenschaftlern, wie diese Institutionen mit dem Problem umgehen, dass ihre wesentlichen Partner in der sog. "Dritten Welt" noch nicht einmal die Infrastruktur zur Verfügung haben, um an Informationen heranzukommen. Steffen Leich-Nienhaus (Daimler, Stuttgart) beschrieb theoretische Ansätze zur Gestaltung und Nutzung von Informationssystemen in weltweit tätigen Unternehmen. Aus den Bibliotheken, die das Web 2.0 sofort für sich erkannt haben, berichtete Christian Hänger (Universitätsbibliothek Mannheim) über "Collaborative tagging" als neue(n) Service von Hochschulbibliotheken". Gemeint ist, die Nutzer an der inhaltlichen Erschließung von Medien zu beteiligen. Man sollte vielleicht fragen, ob das noch als "Service" zu bezeichnen ist. Die Bibliotheken sind natürlich besonders herausgefordert, das Problem der Informationsflut zu bewältigen. Andererseits scheint gerade hier die Möglichkeit der Kooperation noch nicht hinreichend ausgeschöpft, solange in vielen Verbünden und Bibliotheken parallel erschlossen und damit ein unnötiger Mehraufwand getrieben wird. Das "collaborative tagging" wird in Mannheim im Rahmen eines DFG-Projektes erprobt, in dem zunächst die Ergebnisse von Erschließungsleistungen in intellektueller, automatischer und tagging-Form gegenübergestellt und bewertet werden sollen.

  • Primärdaten-Management

    Im Primärdaten-Management sind es vor allem die Wissenschaftler selbst, welche Lösungen suchen und Systeme aufbauen. Eine wichtige Rolle spielt aber auch die TIB Hannover als Kompetenzzentrum und zentrale Fachbibliothek. Die Anforderungen der Wissenschaftler sind auch hier eindeutig und einhellig: Langzeitarchivierung, Qualitätskontrolle (auch der Dokumentation), eindeutige Zuordnung Primärdaten - Publikation, Zitierfähigkeit. Relevant und maßgebend sind das Ergebnis einer Untersuchung und die Publikation. Die Möglichkeit der Nachnutzung der erhobenen Daten, die im Bibliotheksbereich häufiger gestellt wurde, spielt - wenn überhaupt - eher für Sozialwissenschaftler eine Rolle.

  • Wissenschaftsindikatoren und bibliometrische Analysen

    Der letzte Themenblock galt den Wissenschaftsindikatoren und bibliometrischen Analysen. Bezeichnenderweise war hier kein Wissenschaftler als Vortragender aktiv. Aber auch die erfahrenen Informationsexperten wiesen eher auf die Grenzen als die Möglichkeiten bibliometrischer Analysen hin. Wolfgang Glänzel (Katholische Universität Leuven) erinnerte daran, dass die Bibliometrie ihren Ursprung in den Naturwissenschaften hat und an deren Publikationskultur gebunden ist. Er betonte, dass die bibliometrischen Daten sich nicht zur Bewertung von Individuen eignen, sondern die kleinste bewertbare Einheit bestenfalls die Forschergruppe sei. Selbst Jim Pringle als Vertreter von Thomson Scientific betont die methodischen Fragen und Implikationen, gleichzeitig arbeitet der Konzern aber daran, die Akzeptanz zu seinen Diensten zu erhöhen und widmet sich der Frage, wie Namens- und Körperschaftsformen zu standardisieren sind und bedient sich dabei der Professionalität von Bibliothekaren. Den Wissenschaftlern im Auditorium gelang es, im Beitrag von Show-Ling Lee-Müller (Forschungszentrum Jülich) zum "Einsatz bibliometrischer Analysen in EU-Projekt zur Technologiefrüherkennung SMART" die Bedeutung von peer review herauszuarbeiten: Es wurde deutlich, dass die wesentlichen Beiträge zur Erstellung eines Kompetenzatlas' aus den Expertenbefragungen kamen, die durch bibliometrische Analysen abgerundet wurden. Vorsichtig in seinem Urteil war Henning Möller (Forschungszentrum Karlsruhe, Stabsabteilung Planung, Außenbeziehungen und Erfolgskontrolle) in seinen Ausführungen zum "Controlling in der Helmholtz-Forschung". Diese werde seit einigen Jahren von forschungspolitischen Vorgaben und internationalen Evaluierungen bestimmt, deren Ergebnisse und Veränderungen noch nicht abschließend zu benennen seien. Möller hat sich intensiv mit Methoden, Verfahren, Resultaten und Nachwirkungen von statistischen Analysen befasst und betonte, dass peer review-Verfahren unersetzbar, bestenfalls zu ergänzen seien.

    Nicht mehr überraschend waren zwei wesentliche Aussagen oder Ergebnisse der abschließenden Podiumsdiskussion: die Experten aus Wissenschaft, Bibliothek und Verlag waren sich darin einig, dass die Bibliotheken sich den Wissenschaftlern (wieder) annähern müssen, und sie prognostizieren einen Niedergang der Spezialbibliotheken, weil deren Dienste schon großenteils ortsunabhängig verfügbar seien.

    Die Tagung in Jülich bietet Bibliothekaren die Möglichkeit, in einer sachlichen, konstruktiven und anregenden Atmosphäre viel Neues über die Erwartungen und Anforderungen der Wissenschaftler (vor allem aus Naturwissenschaft und Technik) zu erfahren.


    Zur Autorin

    Ulrike Eich
    Hochschulbibliothek
    RWTH Aachen University