Demographischer Wandel: Bibliotheken und Fachstellen bieten Ideen und Konzepte

55. Fachkonferenz der staatlichen Bibliotheksfachstellen in Neustadt a.d. Weinstraße

von Jürgen Seefeldt

Vom 17. bis 19. September 2007 fand in Neustadt a.d. Weinstraße auf Einladung des Landesbibliothekszentrums Rheinland-Pfalz die 55. "Fachkonferenz der Bibliotheksfachstellen in Deutschland" statt. Unter dem Thema "Den Wandel gestalten - Öffentliche Bibliotheken und demographische Entwicklung" traf sich ein breitgefächertes Publikum von mehr als 180 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Lokal- und Landespolitik, Bibliotheken und Fachstellen. Der erste Tagungstag war für alle Fachleute geöffnet. Sie erfuhren Neues und Informatives über Trends und Initiativen, wie sich Bibliotheken den Anforderungen der Bevölkerungsentwicklung stellen und den Wandel aktiv mitgestalten sollten. In seiner Begrüßung freute sich Günter Pflaum in seiner Funktion als Vorsitzender der staatlichen Fachkonferenz über das rege Interesse der Politik und der Fachleute am Kongress.

Fotos: Klaus Dahm, München

Die rheinland-pfälzische Bildungs-Staatssekretärin Vera Reiß betonte den Stellenwert der Bibliotheken als Bildungspartner für Kindergarten, Schule und Elternhaus.

Günter Pflaum, Vorsitzender der Fachkonferenz

Die rheinland-pfälzische Bildungs-Staatssekretärin Vera Reiß betonte in ihrer Eröffnungsrede den größer werdenden Stellenwert der Bibliotheken als Bildungspartner für Kindergarten, Schule und Elternhaus. Gerade bei der Sprach- und Leseförderung sowie bei der Vermittlung von Informationskompetenz seien die Bibliotheken wegen ihrer hohen Nutzerzahlen unverzichtbare Einrichtungen geworden. Demographischer Wandel sei keine Naturkatastrophe, der Gesellschaft und Politik hilflos ausgeliefert seien. Es müsse jedoch gelingen, durch vorausschauende Planung und zügig handelnde Politik kluge und nachhaltige Zukunftsentscheidungen zu treffen. "Höhere Investitionen", so Reiß, "sind vor allem für die Qualifikation und Ausbildung der Kinder, für die Förderung und Integration von Migratenkindern und ihren Eltern sowie für die Unterstützung des Lebenslangen Lernens zu tätigen." Mit dem Programm "Zukunftschance Kinder - Bildung von Anfang an" und den verschiedenen Förderprojekten rund um Ganztagsschule und Kindergarten habe die Landesregierung in Rheinland-Pfalz wichtige Weichen gestellt. Zu den Vorzeigeprojekten gehöre jetzt schon die Einrichtung von sog. "Leseecken" in über 300 Ganztagsschulen, die als Keimzellen von Schulbibliotheken eine wichtige Funktion als Lern- und Leseorte im schulischen Leben zu spielen beginnen.

Auf welche Anforderungen Kommunen und Staat und insbesondere die Bibliotheken angesichts der älter werdenden Gesellschaft reagieren müssten, beschrieb Heinz Kolz, Geschäftsführer der staatlich unterstützten "Zukunftsinitiative Rheinland-Pfalz" (ZIRP). Bibliotheken als elementare Standorte der Kultur- und Bildungsinfrastruktur stehen seiner Meinung nach mit im Zentrum der Bemühungen, mit guten Konzepten den Wandel aktiv begleiten zu können. Wenn auch die klassische Alterspyramide inzwischen zum Döner mutiert sei, wie Kolz die Bevölkerungssituation in Deutschland kolportierte, sei diese Entwicklung für Bibliotheken kein Grund, alles anders zu machen. Anpassungen ihres Dienstleistungsprofils aber seien wichtig: "Als Impulsgeber und Orte der Generationenbegegnung sind sie prädestiniert, wichtige Beiträge zu mehr Lebensqualität zu leisten. In den Fragen der Bildung und des Lebenslangen Lernens können sie als ,Jungbrunnen im Alter' eine gewichtige Rolle spielen." Kolz ermunterte die Zuhörerschaft, eine gedankliche Zeitreise ins Jahr 2030 vorzunehmen und dabei in schriftlicher Form die Meilensteine der künftigen Bibliotheksentwicklung visionär vorwegzunehmen - die Ergebnisse der spontanen Zeitreiseimpressionen sollen demnächst offengelegt werden.

Birgit Dankert, Hamburg, stellte sich der Frage, inwieweit Bibliotheken als Problemlöser für die Kulturgesellschaft der Zukunft gelten und Antworten finden können, die der Gesellschaft einen echten Mehrwert bringen. Ihre vielfältigen Gedankenanstöße gingen von den bibliothekarischen Sozialutopien der 1970er und 1980er Jahre aus, die damals um das Thema "Chancengleichheit für alle in einer menschlichen Stadt" kreisten. Bibliotheken, die sich im Zuge des Wandels neu positionieren, so ihr Credo, haben gute Chancen, den digitalen Informationstransfer zu einem ihrer kulturellen Angebote zu machen. Wer den aktuellen Leitantrag der SPD unter dem Motto "Kultur ist unsere Zukunft" richtig verstehe, wonach eine "demokratische Zukunft" ohne "Erinnerungskultur" nicht vorstellbar sei, der müsse auch erkennen, dass Bibliotheken darin einen wichtigen kulturellen Stützpfeiler darstellen werden.

Eine Veränderung des Bibliotheksprofils forderte auch Richard Stang von der Stuttgarter Hochschule der Medien. Seine Vision: Bibliotheken als "Learning Center", wie es jüngst einige angelsächsische Länder vorgemacht haben. In Deutschland werde es darum gehen, eine neue Bildungsinfrastruktur zu etablieren, die durch eine stringente Vernetzung von traditionellen primären und sekundären Bildungs- und Kultureinrichtungen gekennzeichnet sei. Bibliotheken werden dabei eine zentrale Rolle als Wissens- und Informationsdienstleister, ebenso als Lernort für unterschiedliche Zielgruppen einnehmen. "Bildungsarbeit," so Stang, "dürfe nicht einzig auf die berufliche Qualifizierung eingeengt werden. Wichtig sei es, den Zugang zu Bildung für alle zu ermöglichen, mit dem ein Lebenslanges Lernen in Form eines selbstgesteuerten Lernens einherginge. Bibliotheken böten dabei mit ihren Räumen, Techniken und Medien eine gute Chance zur Profilierung. Zusammen mit kompetenten Verbündeten sollten weitere strategische Partnerschaften eingegangen werden, ohne die die Bildungsarbeit der Bibliothek nicht adäquat erfüllt werden könne.

Gudrun Kulzer von der Stadtbibliothek Straubing zeigte einige Beispiele ihrer seit 2003 erfolgreichen Bibliotheksarbeit mit und für Senioren auf. Männer und Frauen der "Generation 50plus" haben sich seitdem zu einem festen Kreis zusammengeschlossen und praktizieren eine kreative, sich gegenseitig und miteinander immer wieder anregende Fortbildungs- und Veranstaltungsarbeit. Neue Benutzergruppen konnten erschlossen werden, die bisher nur schwer ansprechbar waren. Mit EDV- und Internet-Schnupperkursen, Freizeit- und Fortbildungsveranstaltungen, Lesungen und Vorlesetagen innerhalb und außerhalb der Bibliothek konnte die Bibliothek ihre Zielgruppenarbeit quantitativ und qualitativ verbessern, was sich auch an der steigenden Nutzung bemerkbar machte.


Viele Bibliothekarinnen und Bibliothekaren sowie politische Entscheidungsträger besuchten die Fachkonferenz.

Henner Grube von der Einkaufszentrale für Bibliotheken in Reutlingen wagte mit seinem Referat über die moderne Bibliothekseinrichtung einen Blick in die ferne Zukunft. Was er allerdings fürs Jahr 2025 beschrieb, war eher eine Bibliothek, wie sie eigentlich im Jahr 2007 überall aussehen müsste, damit sie auch noch in zwanzig Jahren als modern und zeitgemäß wirken kann: Die Bibliothek nicht primär als Raum für Medien, sondern vor allem als Raum für Menschen gehöre so ausgestattet und eingerichtet, dass sie eine gastliche Atmosphäre, hohe Aufenthaltsqualität, guten Einrichtungskomfort und eine optimale Flexibilität der Räume erfülle. Sein zukünftiges Erfolgsmodell: Die "Hybrid-Mediathek" in einer lebendigen Mischung aus geselligem Marktplatz für Kommunikation und Medienpräsentation, in dem sich Lernräume, Ruhezonen, eine "Lounge für Erwachsene" sowie Buch- und Medienkabinette im Wechsel von "Offenheit und Verdichtung" durchdacht inszeniert anschließen.

Zurück in die gelebte Realität brachte Birgit Lotz, Stadtbücherei Frankfurt am Main, die Teilnehmer mit ihrem Vortrag über die "Bibliothek als Lern- und Integrationsort für Migranten". Ihr Praxisbericht über die "Internationale Bibliothek" der Statteilbibliothek im Gallus-Viertel zeigte auf, dass Bibliotheken für ausländische Mitbürger eine hohe Akzeptanz erreichen können. Angeregt durch einen Aufenthalt in der Queen Public Library New York entwickelte Lotz ein innovatives Serviceprogramm für erwachsene Migranten mit dem Schwerpunkt "Deutsch lernen" und "Alphabetisierung für Einwanderer in deutscher Sprache". Mit konsequenter Kundenorientierung, kontinuierlicher Kontaktarbeit und Kooperation, interessanten Buch- und Medienangeboten und einem multikulturell zusammengesetzten Personal mit hoher sozialer und kommunikativer Kompetenz könne es gelingen, so Lotz, dass sich Bibliotheken als Lern- und Kommunikationsorte für Migranten etablieren, gerade auch, weil sie einfacher als andere Bildungseinrichtungen vorhandene Schwellenängste abbauen können.

Die "älter, bunter und weniger" werdende Gesellschaft - so ein treffendes Schlagwort des Bremer Sozialwissenschaftlers Meinhard Motzko - ist auch für die Bibliotheksarbeit zu einer echten Herausforderung geworden. Der demographische Wandel wird für die nächsten Jahre ohne Zweifel ein Schwerpunktthema bleiben. Die Fachkonferenz der staatlichen Bibliotheksfachstellen hat mit ihrem gelungenen Fachkongress in Neustadt zahlreiche Anstöße gegeben. Alle Beiträge werden demnächst in einem Band veröffentlicht werden, der über das LBZ, Büchereistelle Neustadt, erhältlich ist.


Zum Autor

Jürgen Seefeldt ist Standortleiter der

Büchereistelle Koblenz
Landesbibliothekszentrum Rheinland-Pfalz
Bahnhofplatz 14
D-56068 Koblenz
E-Mail: seefeldt@lbz-rlp.de