Buchmesse 2007: Von der Alphabetisierungskampagne
bis zur Mitmach-Redaktion fürs Universallexikon


von Vera Münch

Eine Alphabetisierungskampagne mit Schwerpunkt auf Deutschlands Fußballstadien. Katalanischer Kulturprotektionismus neben südafrikanischer Hoffnung auf mehr Redefreiheit und einer arabischen Übersetzungsoffensive für zweieinhalbtausend Bücher. Ein Web 2.0-Wohnzimmer für Podcast- und Blog-Interessierte. Publikumsverlage, die anfangen, erste Erfahrungen mit interaktiven Inhalten im weltweiten Netz zu sammeln, in dem Wissenschaftsverlage bereits tausende teils "lebende" eBooks und Fachzeitschriften anbieten. Buchmesse-Zeit in Frankfurt. 7.500 Aussteller aus 108 Ländern präsentierten rund 392.000 Titel - und verzeichneten am Ende der Messe das beste Lizenzgeschäft aller Zeiten. Das Buch hat Zukunft. Gedruckt, digital - und kombiniert. Auch wenn der Großteil der Verlagsbranche von tragfähigen Geschäftsmodellen für die digitale Zukunft noch weit entfernt ist.

"Geschäftig wie nie, intellektuell ansprechend, lebendig und fröhlich", resümierte Buchmesse-Direktor Jürgen Boos am Ende der Frankfurter Buchmesse 2007 zufrieden. Die Messe, von den Veranstaltern in diesem Jahr erstmals zur "Inhaltemesse" erklärt, war wieder einmal ein erfolgreicher Treffpunkt für Geschäftsabschlüsse rund um die Literatur, ein Kulturfestival und eine politische Bühne. Mit dem Kunstbegriff Inhaltemesse lassen sich nach Ansicht der Messemacher zwei wesentliche Aspekte der Buchbranche und ihrer Leitmesse zum Ausdruck bringen: "Die Digitalisierung der Branche und die politische Rolle der Buchmesse." Das Buch sei in Zeiten des digitalen Publizierens nur einer von vielen Trägern von Inhalten, und der Inhalt der Ware, mit der die Verlagsbranche handle, sei nicht nur ein kulturelles, sondern auch ein politische Gut. Darum ginge es auf der Frankfurter Buchmesse: Trends zu zeigen und Themen zu besetzten, die Brisanz und wirtschaftliche Relevanz besitzen.

Zukunft Bildung und Digitalisierung als Themenschwerpunkte

Mit den Themenschwerpunkten "Zukunft Bildung" und "Digitalisierung" haben die Veranstalter sowohl brisante politische, als auch brisante wirtschaftliche Themen besetzt. "Für die Verlagsbranche ist es mehr den je an der Zeit, sich der Marktveränderung zu stellen und sich fit zu machen für die digitale Zukunft des Publizierens", mahnte Buchmesse-Direktor Boos bei der Eröffnung. Die Zukunft der Buchmesse selbst allerdings sieht er von der Digitalisierung keineswegs bedroht. Die Messe verstehe sich als zentraler Handelsplatz für alle Inhalte, ob sie nun für digitale Plattformen oder für gedruckte Bücher bestimmt seien. Beim Übergang zur digitalisierten Buchbranche sieht sie sich sogar in einer Schlüsselrolle: "Das große Interesse des Publikums an den anwesenden Autoren und besonders an ernsthafter Literatur zeigt, dass in einer digital vernetzten Welt persönliche Begegnungen wichtiger werden und Bücher als Orientierungshilfe gefragt sind", so Boos in seiner Messebilanz.

Alphabetisierung auf dem Fußballplatz

Zählt man alle Lesungen, Vorträge, Podiumsdiskussionen und Kulturveranstaltungen des Rahmenprogramms zusammen, bot die diesjährige Buchmesse rund 2700 Möglichkeiten, sich neben dem eigentlichen Messegeschäft mit der Aufgabe und der Bedeutung des Buches und des Lesens in einer digitalisierten Welt auseinanderzusetzen. "Das Buch hat eine andere Funktion als digitale Medien. Es fördert die Phantasie und die Konzentration. Ein Buch müssen Sie mindestens 30 Minuten in die Hand nehmen zum Lesen. Sonst haben Sie keine Chance", erklärte Boos in einem Pressegespräch, bei dem er auf das Alphabetisierungsprojekt F.A.N. aufmerksam machte.

F.A.N. war mit Tischfußball und Informationszelt auf dem Freigelände zwischen den Messehallen vertreten. Das Projekt, das der Fernsehbildungskanal BR-alpha, der Bundesverband Alphabetisierung und Grundbildung und der Deutsche Volkshochschul-Verband gemeinsam durchführen, arbeitet mit Fußballvereinen, Fanclubs und Fußballbegeisterten. Ziel ist, über die Schiene Fußballbegeisterung die Öffentlichkeit für das Tabuthema Analphabetismus zu sensibilisieren und organisatorische Unterstützung für Aktionen vor Ort sowie Unterrichtsmaterialien bereitzustellen. Informationsfilme und Leseeinstiegsbücher sind thematisch rund um Fußball herum aufbereitet und erzählen Geschichten von Menschen, die selbst Schwierigkeiten mit dem Lesen und Schreiben haben oder hatten. Das sind in Deutschland immerhin vier Millionen Erwachsene, wie von den Projektvertretern zu erfahren war. Bedenklich sei, dass jährlich fast 80.000 junge Menschen die Schule ohne Abschluss verlassen und damit zur Risikogruppe gehören. Deutschland hat England beim Problem Analphabetentum überholt.

Der Themenschwerpunkt Zukunft Bildung war auf der Buchmesse 2007 omnipräsent. Auf der einen Seite stand die kulturpolitische Dimension des Themas mit einem Alphabetisierungs-Kongress am Eröffnungstag, einem Bildungskongress am Sonnabend sowie laufenden Veranstaltungen auf zahlreichen Ständen und im SPIEGEL-Bildungsforum. Auf der anderen Seite beleuchtete die Frankfurter Buchmesse Potentiale und Chancen, die sich für Anbieter von Bildungsmedien aus der Notwenigkeit des lebenslangen Lernens ergeben. Mehr als 1300 Aussteller - vom international tätigen Verlagsgiganten bis zum innovativen Kleinverlag - stellten Produkte zum Thema Bildung und Weiterbildung aus. Neben der etablierten Gemeinschaftspräsentation Bildung in Halle 3.1. war ihm auch der neu eingerichtete internationale Ausstellungsbereich Educational Publishing Pavilion (EPP) in Halle 4.2 gewidmet, eine Kooperation mit der amerikanischen Association of Educational Publishers (EPP).

Zukunft Bildung - ein Millionengeschäft mit privaten Kapitalgebern

Beim Geschäft mit der zukünftigen Bildung geht es um Millionen. Um wie viele, davon vermitteln Verkäufe aus diesem Jahr eine leise Ahnung. Reed Elsevier hat seine Harcourt Gruppe an den britischen Mitbewerber Pearson und an den amerikanischen Bildungsverlag Houghton Mifflin Company verkauft. Die Transaktion an Pearson belief sich auf 950 Millionen Dollar. Vier Milliarden Dollar soll Houghton Mifflin für seine Harcourt-Anteile bezahlt haben. Auch die Verlagsgiganten Wolters Kluwer und Thomson Corporation haben im Jahr 2007 ihre Bildungssparten abgestoßen. In beiden Fällen kauften Privatkapitalfirmen (Private Equity). Bridgepoint Capital hat für rund eine Milliarde US-Dollar das Wolters Kluwer-Paket übernommen. Thomson Learning ging an Apax Partners, eine der größten Private Equity Firmen, und an den kanadischen Pensionsfond Omers. Und weil es gerade um Kauf und Verkauf geht: Der große Bibliotheksdienstleister Swets Information Services ist im 106. Jahr seines Bestehens an die holländische Investmentfirma Gilde Buy Out Partners verkauft worden. Das Management von Swets ist am Unternehmen beteiligt.

Halle 4.2 - die digitale Gegenwart wissenschaftlicher Information


Die neuen Produkte der Buchmesse: Fachportale, Online-Datenbanken und E-Science-Services

Der zweite Themenschwerpunkt - die Digitalisierung - war ebenfalls in allen Hallen und auf allen Podien präsent, auch wenn sein Zentrum eindeutig in der Halle 4.2 lag. Sie hatte mit dem Forum Innovation, dem Forum Fachbuch (Academic and Scientific Books), dem Forum Wissenschaft, einem Web 2.0-Wohnzimmer mit Podcasts und Blogs und natürlich den elektronischen Informationsangeboten der Wissenschaftsverlage und der Fachinformationszentren, der Literaturvermittler und der spezialisierten Softwareanbietern ganz viel digitale Gegenwart und Produkte zu bieten. Manche wurden bereits vor vielen Jahren auf den Markt gebracht und laufend weiterentwickelt, um sie dem technischen Fortschritt anzupassen und die notwendigen Organisationsstrukturen hinter den weltumspannenden Netzwerken aufzubauen. So präsentierte Springer Science and Business Media nicht weniger als 1700 eJournals und 19.000 - in Worten: neunzehntausend - eBooks (mehr dazu später im Text), Thieme stellt über thieme-connect den Inhalt von über 100 medizinischen und wissenschaftlichen Zeitschriften online bereit und hat mit eFirst einen Server eingerichtet, auf dem ausgewählte Artikel sofort nach dem Peer-review-Prozess online gestellt werden, also lange bevor die Zeitschriften gedruckt und verschickt sind.

FIZ Karlsruhe zeigte auf der Buchmesse 2007 mit FIZ AutoDoc das Ergebnis zehnjähriger Entwicklung und Erfahrung mit webbasierter automatischer Vermittlung von Fachliteratur aus aller Welt; technisch hoch ausgereift und in vollem Einklang mit der Urheberrechtsgesetzgebung (UrhG), so Produktmanager Wendelin Detemple. Dies würde auch nach dem Inkrafttreten des reformierten § 53a UrhG am 1.1. 2008 sichergestellt bleiben. Ursprünglich von FIZ Karlsruhe als individuelles Literaturbeschaffungssystem für Industriekunden entwickelt, die nach Recherchen in Datenbanken von STN International die Volltexte schnell und bequem verfügbar haben wollte, wurde das System Schritt für Schritt zum Service für Jedermann und für verschiedene Einsatzzwecke ausgebaut. Zum Netzwerk der Zulieferer hinter FIZ AutoDoc gehören renommierte Zentral- und Fachbibliotheken sowie Verlage im In- und Ausland. Die TIB Hannover stellte in Halle 4.2. ihre ausgereiften Online-Kataloge und Lieferservices vor und kündigte weitere Kooperationen mit Zentralbibliotheken und Fachinformationszentren an. Swets verwies auf seine voll elektronisch durchorganisierten Lösungen für das Subskriptionsmanagement in den Verhandlungsgesprächen schon fast nebenbei, so selbstverständlich sind sie bereits im Bibliotheks-Dienstleistungsgeschäft. Neben den Wissenschaftsverlagen, Fachinformationszentren und Agenturen boten auf Bibliotheksmanagement und Publishing on Demand spezialisierte Softwareanbieter ihre Produkte an.

Digitalisierung ist für die Branche die größte Herausforderung

Die Informationswirtschaft rund um Fachinformation für die Wissenschaft, die in der Halle 4.2 ausstellte, gibt es bereits seit gut 30 Jahren. Nun ist der Druck zum Einstieg in die neue Welt der elektronischen Bücher und interaktiven Mitmach-Netzen für die gesamte Verlagswelt so groß geworden, dass sie sich diesem Sektor mit ganzem Herzen stellen muss. Der Branche ist dies bewusst und sie betrachtet die Digitalisierung als größte Herausforderung, wie eine Umfrage der Messegesellschaft zur Zukunft der internationalen Buch- und Medienbrache im Vorfeld der Messe ergab. 1324 Fachleute aus 86 Ländern beteiligten sich daran. Mehr als die Hälfte sieht die Digitalisierung als größte Aufgabe. Vor allem Umfrageteilnehmer aus englischsprachigen Ländern empfinden sie als beunruhigend: So sahen in Nordamerika 71 Prozent, in Australasien 77 Prozent und in Großbritannien 68 Prozent der Befragten die damit verbundenen Herausforderungen als die bedeutendsten an. Will man das Ergebnis an dieser Stelle kommentieren, drängt sich der Schluss auf, dass dort, wo die Muttersprache des Internets, des World Wide Web und der Softwareentwicklung gesprochen wird, die daraus erwachsenden Gefahren für die traditionellen Verlage wohl am deutlichsten sichtbar sind. Obwohl die Zahl der veröffentlichten Bücher Jahr für Jahr steigt, sehen die Befragten die Konkurrenz durch andere Medien und Unterhaltungsangebote als große Bedrohung des Verlagsgeschäftes an. Weitere Entwicklungen, die den Wandel der Branche vorantreiben und neue Ansätze verlangen, sind laut Umfrage die wachsende Globalisierung (24 Prozent), von Web-Benutzern selbst erstellte (nutzergenerierte) Inhalte (22 Prozent) und der ständige Kampf um die Gebietsrechte beim Lizenzhandel (13 Prozent). Auf die Frage, wie Markt und Branche künftig aussehen werden, antwortete knapp ein Drittel, dass in zehn Jahren der chinesische Markt die Branche dominieren wird. 11 Prozent der Teilnehmer glauben, dass gedruckte Bücher in 50 Jahren wahrscheinlich veraltet sein werden und fast ein Viertel (23 Prozent) sagt voraus, dass der Buchladen aussterben wird.

Die Chancen des Wandels begreifen und nutzen

"Fortschritt kann man nicht aufhalten und sollte man auch nicht aufhalten. Man soll ihn zur Weiterentwicklung nutzen." Mit dieser Zielsetzung lenkt Professor Dr. René Deplanque seit 13 Jahren das Fachinformationszentrum FIZ CHEMIE Berlin. Auf der Buchmesse zeigte er ein kleines, aber äußerst feines Beispiel dafür, was er und sein Team aus dieser Maxime machen - und wie die Verlagsbranche von der Informationswirtschaft profitieren kann (könnte). FIZ CHEMIE ist es gelungen, das klassische gedruckte Buch um die Vorteile der multimedialen Digitaltechnik zu erweitern, ohne die normale Funktion des Buches in irgend einer Weise einzuschränken. Über einen Lesestift, der zum Buch gehört, kann man sich die Illustrationen auf Wunsch am Computer mehrdimensional ansehen und beschriebene Verfahren und Prozesse als Animationen und/oder Digitalvideos ablaufen lassen. Die Abbildungen im Buch werden dafür lediglich mit einem Barcode versehen, der dem Computer verrät, welche Animation auf der mitgelieferten CD (oder in einer online im Web bereitgestellten Enzyklopädie) dem im Buch abgedruckten Bild entspricht. FIZ CHEMIE hat aus dieser Idee ChemgaBOOK gemacht, den Prototypen eines modernen Chemie-Lehrbuches. Es löste bei den Fachbesuchern Begeisterung aus.

FIZ CHEMIE stellte seit Jahren zum ersten Mal wieder in der Halle 4.2 in Frankfurt aus. Ende der 80er / Anfang der 90er Jahre präsentierten sie sich dort mit den Vorreitern und Vordenkern der digitalen Informationsaufbereitung und -bereitstellung auf ihrer damaligen Fachmesse Infobase. Nun sind sie zurückgekehrt. Nicht auf die Infobase. Die wurde vor fünf Jahren eingestellt. Auf die Buchmesse, die der Informationsbranche jetzt wieder das ihr zustehende Forum einräumt - erfreulicher- und notwendigerweise, wie die von der Verlagsbranche identifizierten Herausforderungen rund um die Digitalisierung mehr als deutlich zeigen.

Information Professionals tagen parallel zur Messe


Fachkongress parallel zur Buchmesse: Die Deutsche Gesellschaft für Informationswissenschaft und Informationspraxis veranstaltet ihre Jahrestagung im Messe Congress Center

Es wirkt wie eine natürliche Konsequenz aus der Entwicklung, dass die Deutsche Gesellschaft für Informationswissenschaft und Informationspraxis (DGI e.V.) ihre 29. Online-Tagung, gleichzeitig 59. Jahrestagung der DGI, parallel zur Buchmesse im Kongresszentrum Messe Frankfurt veranstaltete. Doch so natürlich war es nicht. Die Pioniere der elektronischen Information und Dokumentation, die sich wie gesagt seit drei Jahrzehnten mit elektronisch aufbereiteter, online verbreiteter Information beschäftigen und sich heute ganz weit über die weltweite Distribution hinaus mit Wissensmanagement und strategischer Analyse digital verfügbarer Informationen beschäftigen, sind erst im letzten Jahr wieder in die Nähe der Buchmesse gezogen. Die treibenden Kräfte hinter der Entwicklung waren die Präsidentin der DGI, die Bibliothekswissenschaftlerin Professor Dr. Gabriele Beger, der Sprecher des Arbeitskreises Digitales Publizieren im Börsenverein des Deutschen Buchhandels und DGI-Altpräsident Arnoud de Kemp und nicht zuletzt Buchmesse-Direktor Jürgen Boos, der sie mit offenem Ohr zu den Verhandlungen empfangen hatte. Zwischen dem Kongresszentrum und der Halle 4.2 floss ein steter Menschenstrom, denn viele DGI Mitglieder hatten beruflich auf den Ständen oder als Besucher zu tun. "Die Halle 4.2 ist fast die begleitende Ausstellung zur Tagung", fasste DGI-Präsidentin Beger ihren Eindruck zusammen. Für das nächste Jahr soll jedoch durch konzeptionelle Änderungen ein Weg gefunden werden, die teilweise starke Doppelbelastung zu reduzieren. Der Tagungsband zur 29. DGI Online-Tagung kann über die Website der DGI zum Preis von 50,- Euro bezogen werden. Das Tagungsprogramm ist dort in der Rubrik Veranstaltungen dauerhaft online.

Springers digitale Strategie: Wachsen, wachsen, wachsen

Der Wissenschaftsverlag Springer, Heidelberg, Berlin - heute Springer Science and Business Media - gehört zu den Pionieren der Digitalisierung von Verlagsangeboten. Der Verlag war und ist sowohl auf allen wichtigen Fachmessen für Online-Information, als natürlich auch immer auf der Buchmesse vertreten. Mit Konsequenz und Durchhaltevermögen hat Springer über viele Jahre digitale Produkte und dazu passende Geschäftsmodelle entwickelt und sie laufend sowohl dem technischen Fortschritt, als auch den dynamischen Marktentwicklungen angepasst. Erst im vergangenen Jahr hat der Verlag erstmals auch seine elektronischen Bücher (eBooks) auf der Buchmesse ganz groß präsentiert. In diesem Jahr war der Auftritt mit den digitalen Medien noch größer. Auf die Frage, wo Springer mit seinen elektronischen Medien hin will, antwortete Dr. Olaf Ernst knapp und absolut unmissverständlich: "Wachsen, wachsen, wachsen." Der Verlag wolle Signale setzen und Electronic Publishing massiv vorantreiben, erklärte Ernst, in der Springer-Geschäftsleitung zuständig für das elektronische Publizieren.

Springer bietet Informationssuchenden in Unter­nehmen, akademischen Einrichtungen und Bibliotheken über die Plattform springerlink.com inzwischen über 20.000 voll digital verfügbare Bücher in Form von thematischen Buchpaketen an. Jährlich kommen weit über 4000 neue Bücher hinzu. Für die Buchpakete schließt Springer kein Lizenz-Abonnement ab, sondern verkauft sie nach dem genannten Ownership-Modell. Dabei erwirbt der Käufer den Content für immer. So bleibt der Zugriff auf den einmal bezahlten Inhalt dauerhaft verfügbar. Das Angebot eignet sich in erster Linie für Bibliotheken und andere Forschungseinrichtungen. Es wird nach Angaben von Springer sehr gut angenommen. Bei eBooks und elektronischen Zeitschriften will es Springer aber nicht belassen. Der Verlag arbeitet, wie Ernst verriet, am nächsten innovativen Informationsprodukt. Arbeitstitel: Springer Protocols. Der Name stand zur Buchmesse 2007 zwar noch nicht hundertprozentig fest, doch was es werden soll, weiß Springer natürlich schon sehr genau. Künftig will der Wissenschaftsverlag Menschen, die in Labors arbeiten und forschen, ganz pragmatisch mit Informationen für den Arbeitsalltag unterstützen. Nach der Art von Kochrezepten sollen Wissenschaftler genaue Arbeitsanleitungen zu Versuchsanordnungen im Labor erhalten. Die Produkteinführung ist für Januar 2008 geplant.

Publikumsverlage stehen unter hohem Handlungsdruck

Die Publikumsverlage nutzen das Internet noch immer vor allem für Marketing und Vertriebszwecke. Die Verleger wissen aber, dass es um weit mehr als die digitale Aufbereitung der Buchinhalte geht. Dies zeigte sich in den mehr als 70 Veranstaltungen, die auf der Buchmesse 2007 vielfältige Aspekte der Digitalisierung beleuchteten. Ein Auszug aus der Titelliste gibt eine Idee von der Bandbreite der Fragen und des Gesprächsbedarfs. Diskutiert wurden Themen vom "Urheberrecht in digitalen Zeiten" (das übrigens gerade in Deutschland durch die Reform des § 53a UrhG für Verwirrung und technische Probleme sorgt) über "eKundenbindung mit Blogs & Co." bis zu "Erst hören, dann lesen - Podcasts für, mit und über Bücher". Die International Rights Directors trafen sich am Rande der Messe zu Gesprächen über Digital Rights Management (DRM) und die Chefs der großen Publikumsverlage Penguin Group, Harper Collins, Random House und der Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck dachten auf einem Podium gemeinsam über Strategien für "die nächsten zwei Jahre auf dem Web-Weltmarkt" nach (The Quest for global Digital Sales: New Relationships and New Revenues). Die Konzepte für Marketing und Verkauf, so die Vorstände, müssten dringend mit den Inhalten verbunden werden. Die hochrangige Gesprächsrunde war sich darüber einig: "Wie schnell die Verlage das innerhalb der nächsten zwei Jahre schaffen, entscheidet über den künftigen Erfolg." Im Mitmach-Web sehen sie übrigens vor allem den Zugang zu jüngeren Zielgruppen. Die Penguin Group, so berichtete ihr Geschäftsführer John Makinson, hat zur Buchmesse das erste interaktive Angebot für diese Zielgruppe frei geschaltet. "Junge Menschen sind begeistert davon, Inhalte zu teilen", so John.

Dass die Verleger aber noch lange nicht davon überzeugt sind, über diesen Weg wirklich ernstzunehmenden Content zu gewinnen und mit ihren Angeboten auch noch lange nicht an die Attraktivität von Community-Plattformen herankommen, spiegelt sich deutlich in einem äußerst zaghaften Vorstoß von Bertelsmann. Das Bertelsmann Lexikon Institut hat zusammen mit wissen.de, dem nach eigenen Angaben größten deutschsprachigen Wissensportal für redaktionell geprüfte Inhalte, die Aktion Lexikonscout gestartet. Seit September 2007 können Lexikonbenutzer auf der Webseite von wissen.de neue Stichwörter für das Universallexikon melden und über die Vorschläge abstimmen. Die zehn am besten bewerteten Einträge werden dann in die nächste Ausgabe des Universallexikons aufgenommen. Die Scouts sollen im Buch namentlich genannt werden.

Gastland Katalonien zeigt Kultur in Höchstform - und regional stark eingeengt

Von der digitalen Buchmesse noch einmal zurück auf die politische, genauer gesagt, zum Gastland Katalonien, das für eine nicht unbedingt vorhersehbare politische Diskussion sorgte. Auf der einen Seite gelang es den Katalanen, das Buchmessepublikum und ganz Frankfurt mit einer außergewöhnlich kreativen, vielfältigen Präsentation seiner Kultur zu begeistern und zu fesseln. Auf der anderen Seite war der Auftritt umstritten. Die Region im Norden Spaniens, die den Status einer Autonomen Gemeinschaft hat, stellte nur Bücher von Autoren aus, die in katalanischer Sprache schreiben. Autoren, die in der Region leben, aber in Spanisch publizieren, blieben außen vor. Es war zwar erklärte Absicht, mit dem Gastlandauftritt ganz besonders den katalanischen Autoren eine Plattform zu bieten, weil diese in der Welt nicht so bekannt sind, doch sorgte die kulturprotektionistisch anmutende Einschränkung im liberalen Umfeld der weltoffenen Buchmesse für viele negative Reaktionen. Besonders deutlich wurde die eingeengte katalanische Sicht neben den Problemen, mit denen die südafrikanische Buchmesse "Cape Town Book Fair" zu kämpfen hat, sowie neben der unter kulturellen Aspekten sicherlich ausgesprochen heiklen Aufbauarbeit zur stärkeren internationale Öffnung der Buchmesse in Abu Dhabi in den Arabischen Emiraten. Diese drei Geschäftspartner der Buchmesse präsentierten sich in einem Pressegespräch nebeneinander, was die krassen Gegensätze besonders betonte.

Internetanschriften zum Bericht

Frankfurter Buchmesse
www.buchmesse.de

F.A.N. Alphabetisierungskampagne
www.alphabetisierung.de
Kontakt: fan@alphabetisierung.de

Springer's eBooks und andere Digitalangebote
www.springerlink.com

Thieme, Thieme connect und e-First
www.thieme-connect.de

FIZ Karlsruhe, FIZ AutoDoc
www.autodoc.fiz-karlsruhe.de

FIZ CHEMIE Berlin, ChemgaBOOK
www.chemistry.de

DGI e.V. und DGI-Online-Tagung
www.dgi-info.de

Bertelsmann's Lexikonscout-Initiative
http://wissen.de/lexikonscout

Cape Town Book Fair
www.capetownbookfair.com

Abu Dhabi Book Fair
www.adbookfair.com

Mit Südafrika ist die Frankfurter Buchmesse nun im zweiten Jahr in einer Geschäftspartnerschaft (Joint Venture) zum Aufbau der Cape Town Book Fair verbunden. Vanessa Badroodien, Vertreterin der Messegesellschaft aus Kapstadt berichtete: "Das wichtigste an der Messe 2007 war das Seminarprogramm, bei dem deutlich wurde, welch eine wichtige Rolle die Messe auch als Plattform für ,Freedom of Speech' (Freiheit des Wortes) in Afrika spielen kann." Diesen Effekt hatte im Vorfeld so stark niemand erwartet. Baroodien betonte, die Cape Town Book Fair müsse eine afrikanische Buchmesse werden, die alle Literatur- und Kunstformen vereine. "Man neigt hier dazu, dass man schnell über Schwellenliteratur spricht - das ist es nicht notwendigerweise!", so die Managerin.

Die Abu Dhabi Book Fair, die bereits zum 18. Mal veranstaltet wird, öffnet ihre Pforten weit in Richtung Europa und Welt. Zur stärkeren Internationalisierung und Professionalisierung arbeiten die Araber seit November 2006 bei der Organisation mit der Frankfurter Buchmesse zusammen. Erste Erfolge sind bereits sichtbar. Im März 2008 werden sich Deutschland und Frankreich zum ersten Mal auf Gemeinschaftsständen in Abu Dhabi vorstellen. Andere europäische Länder, darunter England, Spanien und Griechenland hätten ebenfalls Interesse bekundet, berichtete der Direktor der Nationalbibliothek von Abu Dhabi, Jumaa Abdulla Alqubaisi. Der Kronprinz von Abu Dhabi unterstützt die Weiterentwicklung massiv, sagte Alqubaisi. Um die Lücken in den arabischen Büchereien und Bibliotheken zu schließen, hat die Nationalbibliothek mit der Übersetzung von 2400 Büchern die größte Übersetzungsinitiative aller Zeiten gestartet. "Die arabische Welt hat 300 Millionen Leser. Wir wollen etwas schaffen, was einzigartig ist." Auch eine Datenbank für arabische Literatur wird aufgebaut. Die Pressemappe der Abu Dhabi Book Fair enthielt übrigens einen Hintergrundtext mit einem Absatz, den man üblicherweise nicht in Pressemappen findet: Neben Geschichte, Geografie und Bevölkerung gab es dort eine offizielle Erklärung zur Stellung und Rolle der Frau in den Arabischen Emiraten.

Im starken Umbruch, den die literarische Welt derzeit erlebt, ist die Digitalisierung wahrlich nicht der einzige Verursacher und auch nicht das einzige ungelöste Problem. Aber sie hat der Öffnung der Welt einen gewaltigen Schub gegeben. Im weltumspannenden Netz mit seinen neuen technischen Möglichkeiten, grenzenlose soziale Gemeinschaften aus Gleichinteressierten zu bilden, wächst die Welt immer enger zusammen.


Zu der Autorin

Vera Münch ist freie Journalistin und PR-Beraterin

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E-Mail: vera.muench@t-online.de