"Wir haben mit innovativen Strategien mehr als 100 Jahre überstanden"

Anne Bein, Mitglied der Geschäftsführung von Swets
Royal Swets & Zeitlinger
Die Geschichte von Royal Swets & Zeitlinger begann vor 106 Jahren in einer Buchhandlung in der holländischen Blumen(zwiebel)stadt Lisse. Heute ist das Unternehmen die größte Vermittlungsagentur der Welt mit Standorten in 21 Ländern der Erde und rund 800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Als Schnittstelle zwischen Informationsproduzenten und Informationseinkäufern bietet Swets Verlagen und Bibliotheken Dienstleistungen und Softwarewerkzeuge zur Abonnementverwaltung, zur Content-Beschaffung, zum Marketing und zur Nutzerverwaltung an. Die Agentur unterhält Geschäftsbeziehungen zu rund 65.000 Verlagen und 60.000 Kunden auf der ganzen Welt. Sie verwaltet für Ihre Kunden 1,8 Millionen laufende Abonnements in gedrucktem und elektronischem Format. Im Katalog sind 260.000 Zeitschriften, Zeitungen, Magazine und elektronische Produkte gelistet. 2006 erwirtschaftete Swets Information Services einen Umsatz von 811 Millionen Euro. 2007 wurde das Traditionsunternehmen von der holländischen Investmentfirma Gilde Buy Out Partners erworben. Das Management von Swets Information Services ist am Unternehmen beteiligt.
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Anne Bein und Meinhard Kettler im Gespräch mit B.I.T.online

Vera Münch sprach für B.I.T.online mit Anne Bein, Mitglied der Geschäftsleitung Frankfurt von Swets Information Services und Meinhard Kettler, Produktmanager.

Der Name Anne Bein ist in Deutschland untrennbar mit Swets verbunden. Die gelernte Verlagskauffrau hat für das holländische Unternehmen Royal Swets & Zeitlinger die Niederlassung Deutschland aufgebaut. Was 1985 in Frankfurt in einem winzigen Büro mit sechs Angestellten begann, ist heute ein moderner Dienstleistungsbetrieb mit 65 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Nun stellen Online-Direktangebote von Verlagen, rückläufign Budgets der Bibliotheken und die Open Access Bewegung Vermittlungsagenturen vor neue Herausforderungen. 2007 hat die holländische Investmentfirma Gilde Buy Out Partners Royal Swets & Zeitlinger zu 100 % übernommen.

Anne Bein: (lacht herzlich) Nein. Swets ist über 100 Jahre alt. Wir haben zwei Weltkriege überstanden. Aber im Ernst: Gerade in schwierigen Zeiten hat sich Swets immer besonders durch innovative Strategien hervorgetan; Strategien und Entscheidungen, die uns dauerhaften und zunehmenden Geschäftserfolg gebracht haben. Natürlich müssen wir uns dem Medienwandel und den damit einhergehenden Veränderungen stellen. Aber das sind für mich Wellenbewegungen eines Marktes, wie es sie immer und in jeder Branche gab und gibt. Man muss ihnen mit Angeboten begegnen, für die Bedarf und Nachfrage besteht, unternehmerischen Mut zeigen und Innovationen vorantreiben. Das tun wir bei Swets. Der Mutterkonzern ist ja nicht nur an Gilde Buy Out Partners verkauft worden. Der Investor hat die Entscheidung auf Basis der von uns vorgelegten Business-Pläne getroffen. Die Übernahme ist mit Neuinvestitionen verbunden. Unsere Firmenvorstände sind mit eigenen Anteilen am Unternehmen beteiligt. Das schafft Vertrauen. Die Zeichen sind eindeutig auf Zukunft gestellt.

Anne Bein: In unserer Branche sind wir beinahe die Ausnahme, dass wir unseren Jahresbericht veröffentlichen und damit transparent sind. Weitere Zahlen geben wir nicht bekannt. Nur so viel, der Anteil von Swets Deutschland am Gesamtergebnis war nicht unerheblich.

Anne Bein: Lassen Sie mich dazu eine kleine Geschichte aus der Vergangenheit erzählen: Im zweiten Weltkrieg hat Swets die Abonnements der Kunden auf eigene Kosten weiterlaufen lassen und die Zeitschriften eingelagert. Ausgeliefert konnten sie ja nicht werden. Nach dem Krieg haben sie dann reißenden Absatz gefunden. Diese Entscheidung war mutig, innovativ und ein entscheidender Baustein für eine erfolgreiche Zukunft. Heute bedeuten Innovationen in etablierten Industrien und Branchen fast ausschließlich Beschleunigung und Verbesserung von Prozessen unter Nutzung leistungsstarker Informationstechnologien. Die Verbesserung der Arbeitsabläufe mit Softwareunterstützung geht einher mit zunehmender Konzentration aufs Kerngeschäft, oder, umgekehrt ausgedrückt, einer verstärkten Tendenz zum Outsourcing. Swets bietet dies' als Kernkompetenz seit langem an und baut sein Angebot systematisch weiter aus - Outsourcing-Dienstleistungen, die auf der einen Seite den Informationsanbietern, auf der anderen Seite den Bibliothekarinnen, Bibliothekaren und Informationsmanagern in Unternehmen Arbeit abnehmen. Weil das unser Kerngeschäft ist, können wir das effizienter.

Daneben gehen wir mit Partnern global oder national Kooperationen ein, um unseren Kunden verstärkt Lösungen aus einer Hand anbieten zu können. Sei es im Bereich Suchmaschinen mit der Firma Vivisimo oder mit Newspaper Direct mit deren Angebot digitaler Tageszeitungen, um zwei Beispiele zu nennen.

Selbstverständlich haben wir immer mögliche neue Märkte und neue Segmente im Fokus.

Anne Bein: (lacht wieder) Das sollte ich können. Swets vermittelt zwischen 65.000 Informationsanbietern - Verlagen und anderen Anbietern - und 60.000 Informationseinkäufern - Bibliothekarinnen, Bibliothekaren und Informationsvermittlern - auf der ganzen Welt und übernimmt auf Wunsch das komplette Spektrum der Vertriebs- und Verwaltungsarbeit im Geschäftsverkehr zwischen Einkauf und Verkauf. Das heißt zum Beispiel, wir machen für unsere Kunden das internationale Marktangebot zu ihrem Bedarf transparent, informieren über Konditionen, Preise und Lieferverfügbarkeiten, führen die Bestellabwicklung durch, konfektionieren die Lieferung regalfertig, bezahlen die Einzelrechungen und berechnen die Kosten in einer einzigen Sammelrechnung an den Kunden weiter. In Richtung Endkunden unterstützen wir sie bei der Präsentation und Lieferung der Bibliotheksangebote und stellen Softwarewerkzeuge für die Nutzerverwaltung bereit. Für Ihre Leser ist es sicher von Interesse, dass wir bereits weit über 50 % unseres Umsatzes mit elektronischen Angeboten - auch in Verbindung mit den gedruckten Versionen - machen.

Zur Informationsvermittlungsarbeit möchte ich gerne noch etwas Allgemeines sagen: Was Bibliothekarinnen/Dokumentare und Bibliothekare für die Informationsversorgung der Gesellschaft leisten, ist auch - oder gerade - im Internetzeitalter absolut unverzichtbar. Die Bedeutung dieser Dienstleistung wird aber völlig unterschätzt. Unsere gesamte Branche hat es verpasst, den Wert ihrer Arbeit öffentlich darzustellen und den Mehrwert deutlich zu machen. Vermittlung und Verwaltung sind einfach nicht sexy - weder medien- noch öffentlichkeitswirksam. Hier wurde viel versäumt. Aber, es ist nie zu spät.

Anne Bein: Zunächst geht es erst einmal um den Bedarf, der zweifelsfrei gegeben ist und der durch den allgemeinen Trend zum Outsourcing verstärkt wird - auch wenn dieser Gedanke in unserer Branche noch lange nicht überall angekommen ist. Es ist eine Mär zu glauben, Online-Technologien würden den Verwaltungsaufwand ausschließlich reduzieren. Sie erhöhen ihn gleichzeitig auch massiv. Abonnementmanagement war schon in der gedruckten Welt komplex. In der elektronischen Welt wird es nahezu unüberschaubar.

Auch die im Internet übliche Verschiebung von Arbeiten auf die Kundenseite erhöht den Aufwand für die Einkäufer. Swets beschäftigt in 21 Ländern der Erde 800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die den ganzen Tag damit beschäftigt sind, Informationen über das Verlagsangebot und die aktuellen Konditionen zu beschaffen, aus zu werten, Lizenzen zu verwalten, Zugänge frei zu schalten, Reklamationen zu bearbeiten, um nur einige Bereiche zu nennen. Der webbasierte Informationsaustausch hat nichts daran geändert, dass Einkauf und Verwaltung Wissen und Arbeitskraft benötigen. Viel Arbeitskraft.

Anne Bein: Ich hoffe, wir haben ausreichend Platz: Swets positioniert sich mit der Plattform SwetsWise und neuen Konzepten als Universaldienstleister für den Handel mit Informationen in jeder Form und auf jedem Informationsträger. Wir verknüpfen unser Branchenwissen - unsere Zielgruppenkenntnisse und das Know-how über die Handelsstrukturen im internationalen Informationsgeschäft - mit leistungsfähiger Onlinetechnik für professionelles, verlags- und medientyp-übergreifendes Informationsmanagement. Das ist ein hoch aktuelles Geschäftsmodell der Internetwirtschaft, nur wir bei Swets können das schon länger als die technikgetriebenen Newcomer.

Zur langfristigen Positionierung auf dem veränderten Markt haben wir neue Vertriebs- und Marketingstrategien entwickelt und die Softwaresysteme explizit auf den Medienmix sowie auf die Anforderungen der elektronischen Einkaufsprozesse (E-Procurement) ausgelegt. Wir liefern bereits seit einer Reihe von Jahren beispielsweise unseren Kunden fertig digitalisierte Inhaltsverzeichnisse aktuell zur direkten Einbindung in das eigene Informationssystem - als Alertingservice oder RSS-Feed. Neu erscheinende oder zu einem formulierten Bedarf verfügbare Titel bieten wir proaktiv an; schlagen sie dem Kunden als geeignete Informationsquelle vor. Wir nutzen die moderne Portaltechnologie zunehmend, um maßgeschneiderte Informationspakete zu bestimmten Themen oder Fachgebieten bereitzustellen. SwetsWise und PressDisplay sind solche Portale.

Besonders wichtig ist für uns auch die Kooperation mit ALPSP (Association of Learning Professional Society Publishers) einer internationalen Vereinigung gemeinnütziger und professioneller Verlage sowie wissenschaftlicher Fachgesellschaften. Für verlagsübergreifende Angebote und Lizenzen ist Swets der Marketing- und Vertriebspartner von ALPSP. Sie sehen, auch auf der Verlagsseite haben wir immer wieder Ideen für neue Dienstleistungen.

Open Access ist für uns durchaus auch ein interessanter Bereich, in dem wir uns noch einiges vorstellen können...

Meinhard Kettler: Swets beschäftigt sich seit den 80er Jahren mit Online-Services. Über die letzten zwei Jahrzehnte haben wir unser Angebot parallel zum Forschritt der Technik massiv weiterentwickelt. Heute ist unsere SwetsWise-Lösung mit insgesamt über 250.000 Einträgen und allen für ihren Bezug relevanten Informationen das Herz eines modernen Online-Shops. In dem Shop stehen Informationsangebote in allen ihren Ausprägungsformen nebeneinander. Dem Kunden wird angezeigt, in welcher Form das Informationsangebot lieferbar ist. Wenn ein Artikel in den Warenkorb gelegt wird, berechnet das System den Preis aktuell zu den Konditionen, die für den Kunden ausgehandelt sind. Wenn kein Preis in der Datenbank hinterlegt ist, kann man eine Anfrage an Swets stellen und der Preis wird ermittelt.

Meinhard Kettler: In der Bündelung aller Informationen in einem Portal, kombiniert mit allen Funktionen, die für die Nutzung und die Verwaltung notwendig sind. Mit dem Modul SwetsWise Online Content führt ein einziges Tor zu den wichtigsten E-Zeitschriften aller Wissenschaften, zu immer mehr E-Books und zu den Services, die im Umfeld angeboten werden. Die Endnutzer können im Idealfall auf die bereitgestellten Titel und Bestände ohne weitere Authentifizierung zugreifen, vorausgesetzt der Verlag stellt uns die Möglichkeit der automatischen Prüfung der Zugriffsberechtigung bereit. In SwetsWise Online Content werden es immer mehr Verlage, die das tun.

Die Bibliotheken können über die gleiche Plattform, über die die Endnutzer auf ihre Informationsquellen zugreifen, die Abos verwalten. Für den Endkunden werden nur die für den Zugriff notwendigen Module frei geschaltet. Die Bibliotheksmitarbeiter arbeiten mit dem Gesamtsystem bzw. mit den Modulen, für die sie sich entschieden haben. Unsere jüngste Erweiterung ist eine einzigartige Lizenzdatenbank, die eine transparente Marktübersicht mit allen relevanten Zugangsbedingungen bietet. Ergänzend zu den Funktionalitäten, die SwetsWise für die Beschaffung und Abwicklung der Abonnements bereitstellt, gibt es Werkzeuge für das Management des Portfolios, zum Beispiel unser jüngstes Modul ScholarlyStats, entwickelt von MPS Technologies.

Meinhard Kettler: Eine ausgereifte Software zur verlagsübergreifenden Konsolidierung von Nutzungsstatistiken und Reports. In Kombination mit SwetsWise kann Scholarly Stats statistisch auswerten, welche der abonnierten Informationsquellen in einem bestimmten Zeitraum wie oft genutzt wurden. Das ist für die Bestandsentwicklung und den Budgeteinsatz eine große Hilfe.

Anne Bein: E-Books sind ein sehr wichtiger strategischer Bereich für Swets, den wir mit Nachdruck ausbauen. Bereits jetzt haben wir 110.000 wissenschaftliche E-Books, die schrittweise in SwetsWise eingebunden werden. Mit der SwetsWise Title Bank, ebenfalls ein Modul unseres Softwarebaukastens, kann man dann einheitlich auf die E-Journals und die E-Books zugreifen. Zu unseren E-Book-Partnern gehören bereits Elsevier, Springer, Taylor & Francis, Wiley, RSC Publishing, Karger und Gale. Über "MyiLibrary" sind 75.000 E-Books von über 350 Verlagen zugänglich; gebündelt in fachspezifische, verlagsübergreifende Kollektionen. Mit MyiLibrary haben wir 2007 eine Kooperation abgeschlossen.

Anne Bein: Zufriedene Kunden. Swets lebt von seinen Bestandskunden und den guten Verbindungen, deshalb liegt unsere Hauptfokussierung im Kundenbereich bei einer noch engeren Kundenbindung. Auch hier haben wir Strategien und Techniken entwickelt, die unseren Kunden sichtbaren Mehrwert bringen. Intern wurde die Betreuung neu geordnet. Der individuelle Service wird dadurch noch verbessert. Unsere Kundendienst- und Vertriebsmitarbeiter pflegen proaktiv und in enger Abstimmung den Kundenkontakt. Zufriedene Kunden bleiben Kunden. Das ist ein altes Geheimnis.

Natürlich haben wir mit dem neuen Portal auch neue Zielgruppen im Visier. Die technisch mögliche Verknüpfung mit E-Procurement-Lösungen öffnet neue Wege in die Wirtschaft und Gesellschaft. Für die Erschließung dieser Marktsegmente hat Swets ebenfalls eine neue Abteilung eingerichtet.

Es ist richtig, dass uns die sogenannten "Big Deals" - die Direktverträge der Verlage mit Konsortien und Großabnehmern - zu schaffen machen. Wenn die Big Deals bis zu 80 Prozent des Bibliotheksetats auffressen, lassen die übrig gebliebenen 20 Prozent wenig Spielraum. Wir stellen aber bereits wieder eine erste Rückbesinnung fest, denn nur wer sehr viel Personal und genug Geld hat, der kann alles alleine machen.

Anne Bein: Ich möchte aber gerne noch etwas sagen!

Anne Bein: Wir gratulieren B.I.T.online zum 10jährigen Bestehen und wünschen alles Gute für die Zukunft. Das Konzept ist unserer Ansicht nach ausgesprochen innovativ für eine Bibliotheksfachzeitschrift.