"Gegenseitige Offenheit liegt in der Natur des Bibliothekswesens"


Hofrätin
Dr. Sigrid
Reinitzer
Sigrid Reinitzer wurde in Graz geboren, ging dort zur Schule und erreichte dort die Matura. Ihr Studium der Geografie, Volkskunde und Germanistik schloss sie 1968 mit der Promotion ab. Ein anschließender Lehrgang in Chemotechnik führte sie in die Welt der Technik und Naturwissenschaften. 1971 trat sie in die Dienste der Universitätsbibliothek Graz ein. 1989 wurde sie als Nachfolgerin des legendären Direktors Hofrat Dr. Franz Kroller als Bibliotheksdirektorin berufen. In ihre Amtszeit fiel die Einführung der Datenverarbeitung auf vielen Gebieten der Bibliotheksarbeit sowie zahlreiche Bibliotheksneubauplanungen. Internationale Projekte der EU und UNESCO machten sie über weite Fachkreise hinaus bekannt, ebenso wie ihre mehr als 150 Publikationen. Sie wurde in zahlreiche nationale und internationale Gremien wie VÖB, LIBER oder IFLA berufen. 1998 wurde sie zur Präsidentin der Vereinigung österreichische Bibliothekarinnen und Bibliothekare gewählt. Seit dieser Zeit stellte sie sich auch als Mitherausgeberin der neuen Bibliothekszeitschrift B.I.T.online zur Verfügung. Für all ihre Verdienste erhielt sie 2006 die seltene Auszeichnung der Pro-Meritus-Medaille in Gold der Universität Graz und wurde auch Ehrenmitglied des VDB. In ihrem Ruhestand ist sie unermüdlich weiter aktiv tätig als 1. stellv. Vorsitzende des Österreichischen UNESCO-IFAP-Rates, als Mitglied der AG BAM-Austria - und nicht zuletzt als Mitherausgeberin dieser Zeitschrift.
Das Institut für Informationswissenschaft in Maribor (IZUM) ist eine von der Regierung der Republik Slowenien errichtete öffentliche Einrichtung zu Diensten der slowenischen Wissenschaft, Kultur und Erziehung. Es bündelt die Informationsaktivitä& ten des Landes, stellt außerdem Nachbarländern sowie Ländern des ehemaligen Jugoslawiens das Katalogisierungssystem COBISS (Cooperative Online BIbliographic System and Services) bereit und ermöglicht Slowenien den Zugang zu den neuesten wissenschaftlichen Informationseinrichtungen. Dazu kooperiert IZUM weltweit mit Katalogisierungsverbünden und vergleichbaren Institutionen. Es bietet für all seine Dienste auch umfassenfe Aus- und Fortbildungskurse an. Zusätzlich hat IZUM das Informationssystem SICRIS (SlovenIan Current Research Information System) entwickelt, das Daten über Forschungsprojekte, Forschungsinstitutionen und -teams sowie individuelle Wissenschaftler und Forscher und ihre Arbeiten umfasst. Dieses Informationssystem ist weltweit von vielen Universitäten und Forschungseinrichtungen übernommen worden, um Arbeiten der eigenen Institution dokumentieren zu können.
www.izum.si

Hofrätin Dr. Sigrid Reinitzer, die ehemalige Direktorin der Universitätsbibliothek der Karl-Franzens-Universität Graz und langjährige Mitherausgeberin von B.I.T.online, gibt im Gespräch mit dem Institut für Informationswissenschaft in Maribor (IZUM) Auskunft über ihr Wirken im Alpen-Adria-Raum und im europäischen Rahmen.

Dr. Reinitzer: Seit Jahrhunderten pflegen Bibliotheken einen intensiven Kontakt verbunden mit Informations- und Kulturaustausch. Bibliotheken speichern wissenschaftliche Bücher, in jüngster Zeit auch digitale Medien, des eigenen Landes und von Nachbarländern und sie stellen Bücher als kurzfristige Leihgabe und Informationen aus Zeitschriften oder auch Zeitungen interessierten Menschen, insbesondere Wissenschaftlern zur Verfügung. Dafür gab es viele Jahrzehnte hindurch speziell ausgearbeitete und international anerkannte Fernleihewege. In jüngster Zeit haben Digitalisierung, Scannen und E-Mail diese Wege grundlegend verändert und beschleunigt. Die gegenseitige Offenheit liegt meiner Meinung nach also in der Natur des Bibliothekswesens, weshalb ich diesen Beruf stets auch als Berufung empfand.

Dr. Reinitzer: Alle drei Institutionen sind gleichberechtigte Hauptakteure. Die Bibliotheken haben in dieser Kooperation aber eine besondere Funktion, da sie ihren Bestand, nach großteils einheitlichen Regelwerken, vollständig nachgewiesen haben, zumeist sogar in elektronischer Form. Für die unterschiedlichen Kunstwerke der Museen und die heterogenen Materialien der Archive gibt es noch keine allgemein gültigen Regelwerke, obwohl es schon verschiedene Ansätze gibt, die gerade die größeren Möglichkeiten der elektronischen Datenerfassung und Abbildung nutzen.

In Österreich hat sich unter der Federführung der Vereinigung Österreichischer Bibliothekarinnen und Bibliothekare die BAM-Arbeitsgruppe gebildet (BAM = Bibliotheken-Archive Museen, vergleichbar dem englischen Begriff LAM = Libraries-Archives-Museums). BAM-Österreich hat als Vorbild die deutsche EUBAM-Arbeitsgruppe (http://www.dl-forum.de/deutsch/foren/25_1333_DEU_HTML.htm), die sich mit europäischen Angelegenheiten für Bibliotheken, Archive, Museen und Denkmalpflege beschäftigt und zur spartenübergreifenden Bündelung von Digitalisierungsprojekten zum Kulturerbe und zu Fragen der Standardisierung in Europa beiträgt. Ziel der BAM-Aktivitäten ist die Initiative der EU im Programm e-Europe (http://ec.europa.eu/information_society/eeurope/2005/index_en.htm).

Diese Initiative ist von herausragender Bedeutung für europäische Kultureinrichtungen hinsichtlich der Erhaltung und Aufwertung des europäischen kollektiven Kulturerbes, der Sicherung der kulturellen Vielfalt, des verbesserten Zugangs der Bürger und Bürgerinnen zu diesem Erbe, der Stärkung von Bildung und Tourismus sowie der Entwicklung von neuen digitalen Inhalten und der Service-Industrie.

Wichtige Themen für E-Europe im Zusammenhang mit den Aktivitäten der BAM-Arbeitsgruppe sind erstens die Langzeitarchivierung. Dazu veranstaltete das Bundeskanzleramt Österreich, das Österreichische Staatsarchiv und die Österreichische Nationalbibliothek am 15. Oktober 2007 eine Arbeitssitzung mit dem Titel: Österreichisches Wissensnetzwerk - Digitale Langzeitarchivierung (www.bundeskanzleramt.gv.at/langzeitarchivierung). Zweitens sind es definierte Qualitätsmerkmale für Websites wie Multi-Lingualität, Einbeziehung der Benützer, Verbindung mit anderen Online-Angeboten und Interoperabilität, d.h. Nutzung von offenen Systemen unabhängig von der verwendeten Hard- und Software.

In Graz erarbeitet die Gruppe um Univ.-Prof. Dr. Walter Koch ein eigenes BAM-Portal. Diesem Portal dienen als Vorbilder die beiden EU-Projekte Media Alp und DIS-MARC. Hier und im Rahmen von BAM-Österreich bin ich seit 2004 tätig.

Dr. Reinitzer: Die Vertreterinnen und Vertreter der Bibliotheken im Alpen-Adria-Raum haben schon früh erkannt, dass eine länderübergreifende Zusammenarbeit und die Darstellwng der Informationseinrichtungen ihrer Länder von großer Wichtigkeit sind. Lange Zeit war AALIB zuerst in Buchform und später in digitaler Form für(viele Bibliotheken, die keine zentrale Aufgabenstellung durch ihre Länder hatten, der einzige Nachweis ihres Bestandes und ihrer wichtigen Ansprechpartner. Zusätzlich ermöglichte die Darstellung in englischer Sprache die Überwindung der gegebenen Sprachbarriere, allerdings fand dabei die eigene Landessprache keine Berücksichtigung, was sich bei der systematischen Darstellung der Fakten aber nicht nachteilig auswirkte.

Heute muss jedes Land bemüht sein, die BAM-Kultureinrichtungen als Teil von e-Europe darzustellen. IZUM kann hier mit seinen umfassenden COBISS-Erfahrungen der zentrale Ansprechpartner sein. Kaum ein europäisches Land verfügt über eine so erfahrene Einrichtung, die zusätzlich die besten Voraussetzungen für die Sprachen der Nachbarländer mitbringt. Einzelne Institutionen verwenden unterschiedliche billige Software-Angebote, deren Qualität entweder zeit- und kostenaufwendig für ein größeres System nachbereitet werden muss oder das in einem größeren System keine Verwendung finden kann, sodass das geplante Ziel nicht erreicht werden kann. Der reiche Erfahrungsschatz von IZUM sollte weiter für das Land selbst und möglichst viele Nachbarländer bereitgestellt und genützt werden.

Dr. Reinitzer: IZUM mit seinem einheitlichen Informations- und Bibliothekssystem COBISS stellt die Basis für viele Punkte des Bologna-Prozesses dar und hat anderen Ländern gegenüber einen großen Vorsprung. Das lebensbegleitende Lernen ist mit einem einheitlichen Bibliothekssystem, in das alle Bildungseinrichtungen (Schulen, Hochschulen, Universitäten) integriert sind, natürlich viel besser zu verwirklichen, als mit einem heterogenen Informationsangebot, das an jeder Bildungseinrichtung neu erlernt werden muss. Natürlich ist das einheitliche Informationssystem auch für Forschungseinrichtungen die zentrale Basis für ihre Arbeit.

Auch der zentrale Zugang zu e-Zeitschriften und e-Informationen mit der Handhabung der verschiedenen Konsortialverträge ist über eine zentrale Stelle des Landes zu überlegen. Die Verlinkung der e-Informationen mit den gedruckten Werken ist für Forschung und Lehre eine wesentliche Voraussetzung für effiziente Arbeit.

Dr. Reinitzer: Die Arbeit und dadurch auch der Status des Bibliothekars haben sich mit der Entwicklung der Online-Kataloge, den international verfügbaren Online-Datenbasen, den e-journals und e-books sowie mit der Einführung des Internets dramatisch verändert. Kaum eine Tätigkeit in der Bibliothek ist mit der vor der Online-Zeit vergleichbar, weder Katalogisierung, noch Ausleihe, Fernleihe oder die vielen vernetzten Möglichkeiten bei den Auskunftsdiensten. Die meisten Arbeiten in der Bibliothek sind nicht mehr isoliert zu sehen, sondern sind Glied in einer langen Informationskette.

Bei der Beschaffung der Informationsmaterialien aus der immer größer und kostspieliger werdenden Informationsflut muss vom Bibliothekar in hohem Maße auch die Mitsprache der Forschungs- und Akademikergemeinde gesucht werden. Fachkenntnisse sind hierzu wertvoll und schaffen eine gute Vertrauensbasis, allerdings kann kein Bibliothekar in allen Fachbereichen Spezialkenntnisse besitzen. Auch hier ist lebensbegleitendes Lernen wichtig und unumgänglich.

Dr. Reinitzer: Das Bibliothekswesen bietet durch seine Globalität eine ideale Basis für Kooperationen zwischen Ländern, die ein unterschiedlich weit entwickeltes Informationswesen besitzen. Nach kriegerischen Schicksalsschlägen müssen global Hilfsmaßnahmen getroffen werden, um auch das Informations- und Bibliothekswesen eines Landes zu stärken. Der gemeinsame Wiederaufbau von Wissenschaft und Kultur ermöglicht diesen Ländern in besonderer Weise die Stärkung der menschlichen Werte. Hier leistet IZUM eine Vorreiterrolle, die nicht hoch genug einzuschätzen ist und von vielen internationalen Organisationen bewundert wird.

Eine Form der internationalen Entwicklungshilfe erfolgt in der Form, dass EU-Projekte für das Bibliothekswesen EU-Ländern nur dann vergeben werden, wenn sie mit vielen "noch-nicht-EU-Staaten" zusammen arbeiten und wenn Projekte eingereicht werden, die über das reine Bibliothekswesen hinaus gehen und den BAM-Kulturbereich umfassen.

Dr. Reinitzer: Die COBISS-Jahreskonferenz hat sich in vorbildhafter Weise entwickelt und wird von Vertretern und Vertreterinnen vieler Bibliothekssysteme in den EU-Ländern sowie in amerikanischen Staaten sehr bewundert. Der interkulturelle Dialog wird das globale Bibliothekswesen in den kommenden Jahren weiter begleiten und weitere Kreise integrieren.

Folgende Themenkreise könnten meines Erachtens in den kommenden Jahren von IZUM für die weiteren Aufgaben von COBISS aufgegriffen werden: Bibliothek als Portal für Wissenschaft und Kultur (Medienmanagement und Wissensmanagement, Informationsbedürfnisse verschiedener Benutzergruppen) und Stärkung menschlicher Werte durch Kooperationen in Wissenschaft und Kultur.

Dr. Reinitzer: Ich glaube, dass das Bibliothekarstudium davon profitieren kann, wenn Interessenten mit einem bereits abgeschlossenen Studium oder sogenannte Studienabbrecher ebenfalls zugelassen werden. Jedes zusätzliche Wissen, das mit einem Studium erreicht wird, ermöglicht auch ein besseres Gespräch mit Forschern, Wissenschaftern und Studierenden, die Informationen benötigen. Umgekehrt ist es auch möglich, dass Studierende mit einer Bibliotheksausbildung zusätzlich einen Beruf erlernen. Die Informationskompetenz kann Basis für jeden Beruf und jedes zusätzliche Studium sein.

Dr. Reinitzer: Beide Wissenschaftler, Friderik (Fritz) Pregl und mein Großvater Friedrich Reinitzer wurden nicht in Graz geboren, kamen aber nach Graz und verbrachten hier einen wichtigen Teil ihres Berufslebens. Zur gleichen Zeit war auch Friedrich Emich als Forscher im Fachbereich Chemie tätig, er wurde in Graz geboren und verstarb auch hier. Diesen drei Naturwissenschaftern wurde im Sommersemester 2003 von Harald Wagner eine Hausarbeit gewidmet (http://www.orgc.tugraz.at/hoegroup/chem_ges/Wagner_2.pdf). Sicher hatten sie zueinander gute wissenschaftliche und auch persönliche Kontakte, doch sind hierüber keinerlei Aufzeichnungen und auch keine mündlichen Überlieferungen in der Familiengeschichte zu finden.