Die Österreich-Bibliotheken im Ausland und deren internationale Bedeutung

von Ilona Slawinski

Bis 1989 waren die politischen und kulturellen Kontakte der kommunistischen Staaten zu Österreich durch deren Ideologie geprägt und es war daher nur sehr eingeschränkt möglich, freien kulturellen Austausch zu haben. In diesen Ländern waren Publikationen und Informationen aus und über Österreich in dieser Zeit nicht frei zugänglich. Nach dem Fall des Eisernen Vorhanges bot sich jedoch die Möglichkeit, den Mangel an Literatur und Informationen über Österreich zu beseitigen. Als Vorbild diente der österreichische Lesesaal in Krakau, der noch vor dem Zusammenbruch des kommunistischen Systems 1986 eröffnet worden war. Das Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten hat seither insgesamt 54 Österreich-Bibliotheken in 24 Ländern eingerichtet. Innerhalb von nur zehn Jahren – nämlich von 1989-1998 – wurden 40 Österreich-Bibliotheken gegründet. Die letzte Österreich-Bibliothek wurde in Jekaterinburg in Russland am 20. Dezember 2007 eröffnet, sodass es in Russland nun mit Moskau, Nizhny Novgorod und St. Petersburg insgesamt vier Österreich-Bibliotheken gibt.

Die Österreich-Bibliotheken befinden sich vornehmlich in den mittel- und osteuropäischen Staaten, je eine Österreich-Bibliothek existiert aber auch in Georgien, Israel, Kasachstan und der Türkei. Sie sind nicht nur in den Hauptstädten der einzelnen Länder, sondern vor allem auch in wichtigen Universitätsstädten der Länder eingerichtet, um auch dort den Zugang zu österreichischer Literatur zu erleichtern und das Angebot an ausländischer Literatur auch zu erhöhen bzw. das Interesse für Österreich zu wecken.

Die Österreich-Bibliotheken ermöglichen bzw. erleichtern damit einer wachsenden Zahl von Interessenten und einer breiteren Öffentlichkeit den Zugang zu Literatur, Wissenschaft und Informationen aus Österreich. Sie bieten nämlich Informationen über österreichische Literatur, Geschichte, Geographie und Landeskunde, Kunst- und Kulturgeschichte, Philosophie, Wissenschaftsgeschichte, Politik, Wirtschaft und Recht. Darüber hinaus leisten sie einen wichtigen Beitrag zur Verbreitung der deutschen Sprache, denn in Mittel-, Ost- und Südosteuropa ist an ihr ein steigendes Interesse zu bemerken. Partnerinstitutionen sind sowohl Bibliotheken – d. h. National- und/oder Universitätsbibliotheken, Bibliotheken der Akademien der Wissenschaften, regionale Bibliotheken und öffentliche Bibliotheken – als auch Universitäten und Akademien der Wissenschaften. Die Gastinstitutionen stellen das Personal, die Räumlichkeiten und die Infrastruktur zur Verfügung. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Österreich-Bibliotheken sind im Allgemeinen Bibliothekarinnen und Bibliothekare mit sehr guten Deutschkenntnissen, die von wissenschaftlichen Betreuerinnen und Betreuern unterstützt werden, die zumeist Germanisten oder Historiker sind.

Die Österreich-Bibliotheken sind im Allgemeinen in Räumlichkeiten der Partnerinstitution untergebracht und nutzen auch deren Infrastruktur, insbesondere deren technische Einrichtungen. Die Bücherbestände sind in die Bibliothekskataloge der Partnerinstitution – vielfach in deren Online-Kataloge – integriert und oftmals mit eigenen Bibliothekssigeln als Austriaca gekennzeichnet und darüber hinaus auch in den nationalen Verbundkatalogen zu finden. Das Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten trägt die Kosten für den Ankauf der Literatur aus und über Österreich und stellt darüber hinaus ein Stipendium im Ausmaß von vier Wochen zur Verfügung. 2007 waren bereits mehr als 300.000 Bücher für die Österreich-Bibliotheken bereit gestellt. Die Literatur wird von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Österreich-Bibliotheken selbst ausgewählt, wodurch jede Österreich-Bibliothek ein eigenes Profil erhält und ihren eigenen Schwerpunkt setzt, sei es beispielsweise Literatur, Geschichte, Landeskunde, Politik oder Musik. Das Stipendium wird von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Österreich-Bibliothek, aber auch von jungen Nachwuchskräften, die in engem Kontakt mit den Österreich-Bibliotheken stehen, in Anspruch genommen werden. Auf diese Weise werden junge Wissenschafterinnen und Wissenschafter gefördert, die sich mit österreichischen Themen befassen.

Die Österreich-Bibliotheken sind öffentlich zugänglich und ihre Nutzung ist für die Leserinnen und Leser kostenlos. Sie werden vor allem von Personen besucht, die als Lehrende im Fachbereich Germanistik, Geschichte und Landeskunde tätig sind, die selbst die deutsche Sprache erlernen oder sich im wissenschaftlichen Kontext mit Österreich beschäftigen. Die österreichischen Bücher werden daher in den Lehrbetrieb einbezogen und von Studenten und Schülern genutzt. Über diese Zielgruppen hinaus werden aber auch andere an österreichischer Literatur und Geschichte und Landeskunde Interessierte sowie die Angehörigen deutschsprachiger Minderheiten erreicht. Schließlich stellen die Österreich-Bibliotheken für die Tätigkeit der österreichischen Lektorinnen und Lektoren im Ausland eine wichtige Ressource dar, die sehr oft in die Tätigkeit der Bibliotheken eingebunden sind.

In den Österreich-Bibliotheken werden nämlich nicht nur die Leserinnen und Leser betreut, sondern deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bemühen sich aufgrund des großen Interesses an österreichischer Kultur um verschiedene zusätzliche Aktivitäten. Sie organisieren selbst oder in Kooperation mit den jeweiligen österreichischen Kulturforen im Ausland Lesungen österreichischer Autorinnen und Autoren, Vorträge österreichischer Wissenschafterinnen und Wissenschafter, Buchpräsentationen, Ausstellungen, Musikdarbietungen, Filmveranstaltungen und Symposien. Einzelne Bibliotheken geben sogar eine eigene Schriftenreihe heraus. Einige Zentren organisieren auch Österreich-Tage, Sprachkurse oder betreiben in Verbindung mit der Bibliothek ein kleines Kaffeehaus, das nicht nur eine österreichische Atmosphäre vermitteln soll, sondern auch die Finanzierung von kulturellen Aktivitäten ermöglicht. Daher sind die Österreich-Bibliotheken Kultur- und Medienzentren, die jährlich von mehr als 170.000 Personen genutzt werden. In ihnen findet der Kulturaustausch unmittelbar statt, insbesondere in jenen Städten, in denen Österreich weder durch eine Botschaft noch durch andere offizielle Einrichtungen präsent ist.

Aber auch die Wissenschafterinnen und Wissenschafter in den Ländern mit Österreich-Bibliotheken befassen sich – unter Nutzung österreichischer Bibliotheksmaterialien – mit Personen, die entweder innerhalb der ehemaligen Habsburgermonarchie lebten oder zu einer deutschsprachigen Minderheit gehörten und die für ihr Land von Bedeutung sind bzw. besondere Berührungspunkte zur Kultur ihres Landes haben. So beispielsweise werden in Rumänien Arbeiten über den Dichter Nikolaus Lenau, in Tschechien über die Schriftsteller Max Brod und Franz Kafka oder den Architekten Adolf Loos und in der Ukraine über den Maler und Graphiker Oskar Laske oder die Schriftsteller Joseph Roth und Manès Sperber veröffentlicht.

Betreut werden die Österreich-Bibliotheken vom Referat V.2d der Kulturpolitischen Sektion des Bundesministeriums für europäische und internationale Angelegenheiten. Sie erfüllt folgende Aufgaben:

Um die Österreich-Bibliotheken miteinander zu vernetzen, die Informationen zu bündeln, den Gedankenaustausch zu fördern und die Arbeit für die Besucher der Österreich-Bibliotheken, der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Österreich-Bibliotheken und die österreichischen Betreuungsorganisationen zu erleichtern, wurde das Web-Portal http://www.oesterreich-bibliotheken.at geschaffen, das detaillierte Angaben über Bestände, Aktivitäten und aktuelle Entwicklungen der einzelnen Bibliotheken bietet.

Zur Fortbildung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Österreich-Bibliotheken werden seit 1996 vom Österreichischen Ost- und Südosteuropa-Institut und nach dessen Schließung seit 2007 vom Zentrum Ost-/Südosteuropa zwei Mal jährlich zweiwöchige Seminare im Stift Klosterneuburg veranstaltet. Bei diesen Veranstaltungen werden Vorträge zu fachspezifischen Themen mit in- und ausländischen Wissenschafterinnen und Wissenschaftern gehalten, vornehmlich zur österreichischen Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts, aber auch zur Geschichte, Kunst und Musik Österreichs. Damit erhalten die Gäste nicht nur die Möglichkeit, die Forscherinnen und Forscher zu österreichischen Themen persönlich kennen zu lernen, sondern sie können sich auch von deren hervorragender fachlicher Qualifikation selbst überzeugen. Weiters werden Besuche zu wissenschaftlichen und kulturellen Institutionen sowie zu Ausstellungen organisiert, um die persönlichen Kontakte zu Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in wissenschaftlichen und kulturellen Organisationen herzustellen und um das kulturelle Leben in Österreich kennen zu lernen. Auch wird im Rahmen der Seminare die Möglichkeit des Besuches der österreichischen Bibliothekartage bzw. des Besuches österreichischer Bibliotheken wahrgenommen, um den Gästen einen Einblick in die Arbeit der Kolleginnen und Kollegen zu gewähren und um fachspezifische Probleme zu diskutieren.

Bisher besuchten mehr als 400 Stipendiatinnen und Stipendiaten diese Seminare, wobei der überwiegende Teil der Teilnehmerinnen und Teilnehmer in enger Verbindung mit den Österreich-Bibliotheken steht. Dadurch wird insbesondere die länderübergreifende Zusammenarbeit der einzelnen Österreich-Bibliotheken gefördert. Und die gemeinsame Unterbringung in Klosterneuburg, das als Tagungsort mit dessen Atmosphäre außerordentlich geschätzt wird, ermöglicht den Teilnehmerinnen und Teilnehmern einen intensiven Gedankenaustausch, sodass von ihnen bereits gute persönliche Kontakte geknüpft wurden. Dies bewirkt, dass einige Seminarteilnehmerinnen und Seminarteilnehmer nicht nur einmal nach Klosterneuburg kommen, sondern einander in Klosterneuburg wieder treffen können.


Zu der Autorin

Dr. Ilona Slawinski ist Bibliothekarin und Leiterin des

Zentrums Ost-/Südosteuropa
Neue Herrengasse 17A
A-3109 St. Pölten
ilona.slawinski@noe-lak.at