"Herkömmliche Bibliotheken sind tot"

Bericht von der Konferenzmesse Online Information 2007 in London

Auf der wichtigsten europäischen Konferenzmesse für elektronische Inhalte, der Online Information 2007 in London, wurde die Zukunft der Bibliotheken mehr denn je in Frage gestellt. Die deutschen Fachbibliotheken TIB, ZB MED und ZBW präsentierten eine erste gemeinsame Antwort: Goportis


Technik für Jahrhunderte: Tragfähige Brücken zwischen alt und neu zu bauen, war das Hauptthema der Kongressmesse Online Information 2007.

von Vera Münch

Die Diskussion begann mit dem Eröffnungsvortrag: "Herkömmliche Bibliotheken sind tot", kredenzte der Wikipedia-Gründer Jimmy Wales dem Konferenzauditorium die erste bittere Pille. Ohne jede sichtbare Emotion erklärte er knapp 700 an der Konferenz teilnehmenden Bibliothekarinnen, Bibliothekaren und Information Professionals aus 101 Ländern, Bibliotheken könnten nicht länger Lagerhäuser bleiben. Um zu überleben, müssten sie "lebendige, atmende Wesen sein". Wie Wikipedia eben - aber das sagte er nicht. Wohl aber definierte er auf eine entsprechende Frage hin, wo er den Hauptunterschied zwischen Bibliotheksliteratur und Wikipedia-Informationen sieht: Wikipedia sei keine Original-Forschungsliteratur, sondern die Zusammenführung vorhandenen Wissens in komprimierter Form; ein "summary of knowledge".

Wikia, die Herberge für den Rest der Weltbibliothek

Im Weiteren schwadronierte Wales über die Heilwirkung von Wikipedia für die Welt, erzählte von seinen Besuchen in Schulen indischer und afrikanischer Armenviertel und von seinem Vorhaben, den Aufbau von Wikipediaseiten in Landessprachen und Dialekten zu forcieren. Dann berichtete er über den Fortschritt zahlreicher weiterer Projekte, an denen er derzeit arbeitet. Allerdings nicht mit Wikipedia, sondern mit seinem Unternehmen Wikia, das er 2004 zur Entwicklung der Open Source Suchmaschine WikiaSearch gemeinsam mit einer Partnerin gegründet hat (Hintergrundinfos finden sich in Wikipedia). Neben den Arbeiten an der neuen Suchmaschine (die nach einem von Wales präsentierten Titelblatt eines amerikanischen Journals "Googles größter Alptraum" ist), hat sich Wikia zu einem internationalen Host entwickelt. Wikia beherbergt Foren und Informationsangebote, die man auf Wikipedia nicht haben möchte - zum Beispiel ein Wiki, aus dem man alles über die Fernsehserie Muppets erfahren kann oder ein Wiki, das in der Kunstsprache Klingonisch geschrieben ist. "The rest of the library" - den Rest der Bibliothek - nannte es der amerikanische Journalist Don Hawkins und definierte diesen Rest folgendermaßen: alle Bücher, alle Arbeiten und alle Interessensgemeinschaften (Communities), die irgendwelche Menschen aus irgendeiner Ecke dieser Welt im World Wide Web veröffentlichen oder betreiben wollen. Die Benutzung von Wikia muss beantragt werden und nicht jedem Antrag wird laut Wales stattgegeben. Amazon ist seit 2006 an der Plattform beteiligt.

Hawkins hat einen großen Teil der Antworten von Wales aus der Diskussion aufgezeichnet und als Audiodateien im Konferenzblog der Fachzeitschrift Information Today bereitgestellt (Bericht: "Wikipedia - the Red Cross of Information", Webadresse siehe Kasten "URLs zum Bericht aus London").


Sieht keine Zukunft für herkömmliche Bibliotheken: Wikipedia-Gründer Jimmy Wales.

Bibliotheken brauchen Change Management

Wer nun denkt, Wales' Einschätzung der Zukunft von Bibliotheken beruhe auf einem überzogenen Glauben an die Kraft der Massen im entstehenden weltumspannenden sozialen Netzwerk, der irrt. Seine Prognose wird von renommierten Bibliotheks- und Informationsfachleuten geteilt; von vielen sogar schon länger selbst verbreitet, wenn auch positiver verpackt und nicht nur als Gefahr, sondern auch als Chance dargestellt. In seinem Vortrag "Web 2.0, Bibliothek 2.0 und Bibliothekar 2.0: Vorbereitungen für die 2.0 Welt" forderte Stephen Abram aufmunternd, aber deutlich von Bibliothekarinnen und Bibliothekaren selbst initiiertes Vorantreiben des Wandels - ein strategisches Change Management. Abram weiß, wovon er spricht. Er kennt die Bibliothekswelt wie kaum ein anderer. Die amerikanische Zeitschrift Library Journal listet ihn unter den 50 wichtigsten Menschen der Welt, wenn es um Fragen zur Zukunft von Bibliotheken geht. Abram ist Vizepräsident von SirsiDynix, des nach eigenen Angaben weltweit führenden Anbieters strategischer Bibliothekslösungen, ehemaliger Präsident der Kanadischen Bibliotheksfachgesellschaft Canadian Library Association und ab 2008 Präsident der Special Libraries Association SLA (internationale Fachgesellschaft Spezialbibliotheken und Information Professionals).

Web 2.0 bringt Bibliotheken schwere strategische Planungsaufgaben

Abram ist überzeugt: "Web 2.0 (...) hat die Kraft, in wenigen Jahren riesige Umbildungen in unserer Medienlandschaft voran zu treiben (...) Wir treten in eine Periode enormer Veränderungen ein - weitaus größerer Veränderungen, als wir sie bisher in unserem Leben erfahren haben. Wir müssen sehr wachsam und flink sein." Bibliothekare, glaubt Abram, hätten die "einmal-in-einer-Generation-Chance, eine neue Zukunft zu erfinden." Dies sei jedoch nicht ohne Verbesserungen in der Kapazität, bei den Kompetenzen und Verhaltsweisen von Bibliotheksarbeitern zu bewältigen. "Der Bibliothekar 2.0 ist der Guru des Informationszeitalters" skizzierte der SLA-Präsident das Zukunftsprofil von Bibliotheksarbeitern und präsentierte dazu eine Liste von Fähigkeiten und Eigenschaften, die Bibliothekarinnen und Bibliothekare zu erwerben trachten sollten. (Abrams Liste zum Bibliothekar 2.0 ist im Kasten "Bibliothekar 2.0 - der Guru des Informationszeitalters" zusammengefasst). In seinem Schlusswort betonte der SLA-Präsident noch einmal, dass er die Bewältigung der Herausforderungen als ganz große Managementaufgabe für Bibliothekare sieht: "Es wird sehr spannend - auch wenn diejenigen von uns, die sich um wissenschaftliche und andere Gemeinschaften, um Forschung, Erfindungen, Lernen und Informationsversorgung kümmern müssen, mit sehr schweren strategischen Planungsaufgaben belastet werden."

Bibliothekar 2.0 - der Guru des Informationszeitalters

Stephan Abram, nach Einstufung der amerikanischen Bibliotheksfachzeitschrift Library Journal einer der 50 wichtigsten Menschen der Welt, wenn es um Fragen zur Zukunft von Bibliotheken geht, hat eine Liste aufgestellt, wonach der Bibliothekar der Zukunft streben soll. Hier ein Auszug der Kenntnisse und Fähigkeiten, die Bibliothekarinnen und Bibliothekare zu Gurus des Informationszeitalters machen sollen.

Der Bibliothekar 2.0 strebt danach:

Der Erwerb all dieser Fähigkeiten und die Akzeptanz der Aussagen soll zur wichtigsten Fähigkeit des Bibliothekars 2.0 führen, nämlich: den Informationsnutzer tiefgehend zu verstehen; seine Hoffnungen und Sehnsüchte, seine Arbeitsweise, seine sozialen und seine inhaltlichen Bedürfnisse - und auf diese Weise "dort (zu) sein, wo der Nutzer ist".

Soll man nun Web 2.0 Technologien einführen oder nicht?

Der gute Besuch der Konferenz, sie war zum ersten Mal seit Jahren wieder ausverkauft, hatte sicherlich damit zu tun, dass sich die Verantwortlichen in den Bibliotheken dieser Welt sehr wohl darüber im Klaren sind, dass sich für sie aus dem Web 2.0 große Aufgaben stellen. Nur: Was kann man tun? Was muss man tun? Wann soll man es tun? Und wie macht man es richtig? Mit dem Titel "Web 2.0 anwenden: Innovationen, Einfluss und Implementierung" versprach die Londoner Konferenz Antworten auf diese Fragen. Doch sie blieb sie weitgehend schuldig. "Es sagt keiner ja und keiner nein", beurteilten mehrere Delegierte am Ende die Vorträge und Diskussionen. Zwar hätten sie interessante Ausführungen zu vielen Detailfragen in der Bibliotheksführung und beim Informationsmanagement gehört, faszinierende Beispiele dynamischer, weltweit verteilter Informations- und Softwareproduktion gesehen, gute Fachgespräche geführt und auch einiges für die Weiterentwicklung der eigenen Angebote mitgenommen. Doch mit der grundlegenden Frage: "Soll man Web 2.0 nun einführen oder nicht?" fuhren sie wieder nach Hause.

"Die Zukunft umarmen - oder sterben"

Eine vorläufige Antwort auf diese Frage hatte wenige Wochen vor der Online Information 2007 die geschäftsführende Direktorin der British Library, Lynne Brindley, gegeben: "We must embrace the future - or die" - "Wir müssen die Zukunft umarmen - oder sterben". Die renommierte Fachfrau für modernes Bibliotheksmanagement erregte mit diesem Statement internationales Aufsehen in der Branche. Als Adrian Dale, Leiter der Online Konferenz 2007, Brindleys Prophezeiung zitierte, stand nach nur anderthalb Stunden am ersten Tag in London fest: Der Schlüssel zur Zukunftsfähigkeit von Bibliotheken liegt in der Bereitschaft zum aktiven Vorantreiben massiver Veränderungen. Der Maßstab für den Wandel ist die ganze Welt und die Kundenanforderungen stellt die heranwachsende Generation der "digital geborenen" Bibliotheksbenutzerinnen und -benutzer. Die Technologie Web 2.0 ist nur der Treiber. Morgen heißt sie Web 3.0, E-Science, Semantic Web, Collaborative Intelligence oder wie auch immer. Über den Technologiefragen steht als übergeordnete Herausforderung der Druck, innovatives Veränderungsmanagement zu betreiben, für das es noch keine allgemein gültigen Richtlinien gibt. Eine gewaltige Führungs- und Managementaufgabe für Bibliothekarinnen und Bibliothekare.

Goportis: Eine Quelle. Alles Wissen. Bald mit subito?

Die drei Deutschen Zentralen Fachbibliotheken haben die Zukunft bereits umarmt und sie geben dabei auch gleich noch der Fachinformationsbranche die Hand. In London präsentierten die Technische Informationsbibliothek (TIB), die Deutsche Zentralbibliothek für Medizin (ZB MED) und die Deutsche Zentralbibliothek für Wirtschaftswissenschaften (ZBW) den Messehöhepunkt aus deutscher Sicht: Ihr neues gemeinsames System Goportis. Gleichzeitig gaben sie eine enge künftige Zusammenarbeit zwischen Goportis und dem Fachinformationszentrum FIZ CHEMIE Berlin bekannt.

Goportis verbindet folgende Bestände:

Die drei Bibliotheken liegen mit ihren Beständen schon im Einzelvergleich international im Spitzenbereich. Nun gibt es das Angebot unter einer Oberfläche mit integrierter Suchfunktion; das heißt, man kann mit einer Anfrage in allen Beständen gleichzeitig recherchieren. Ergänzt wird der Service durch die bereits seit längerem angebotenen Fachportale GetInfo, MEDPILOT.DE und EconBiz. Im März 2008 soll ein gemeinsamer Bestell- und Lieferdienst für wissenschaftliche Volltexte dazukommen. In London wurde auch bekannt, dass Goportis unter anderem auch beim Dokumentenlieferdienst Subito angeklopft hat und die drei Bibliotheken bereit sind, gemeinsam mit zwei weiteren Bibliotheken eine stärkere Verantwortung für die Subito-Geschäftsstelle zu übernehmen.


Gute Laune nach getaner Tat: Die Goportis-Partner (v.r.n.l.) Horst Thomsen, ZBW, Ulrich Korwitz, ZB MED und Uwe Rosemann (TIB) stoßen mit Professor René Deplanque, FIZ CHEMIE Berlin auf die Vertragsunterzeichnung an.
Ausgereifter Dokumentenlieferdienst: Anne Braun-Gorgon, Leiterin von subito, sprach in London mit Kunden, aber auch mit potentiellen Interessen für den künftigen Betrieb von subito.

Deutsche Stunde wird mit Goportis zum Szenetreffen

Auch das traditionell am Rande der Messe zu wichtigen nationalen Themen veranstaltete Vortrags- und Diskussionsforum "Deutsche Stunde" stand ganz im Zeichen von Goportis. Organisator Ulrich Kämper, geschäftsführender Gesellschafter des wissenschaftlichen Informationsdienstes WIND, Köln, bot den Goportis-Partnern das volle Fachforum zur Darstellung ihrer Strategie. So wurde die Deutsche Stunde seit Jahren wieder einmal zu einem echten Treffen der Szene, denn niemand wollte sich die Chance entgehen lassen, von den drei Bibliotheksdirektoren Uwe Rosemann (TIB), Ulrich Korwitz (ZB MED) und Horst Thomsen (ZBW) sowie dem Geschäftsführer von FIZ CHEMIE, Professor René Deplanque, aus erster Hand zu erfahren, was da heranwächst. Im Auditorium saßen neben deutschen und österreichischen Bibliotheksmanagern Information Professionals wissenschaftlicher Fachgesellschaften wie Max-Planck, selbstständige Informationsvermittler und Verantwortliche industrieller Informationsvermittlungsstellen. Dazu kamen Vertreterinnen und Vertreter der deutschen Aussteller. Die deutschen Aussteller kann man hier namentlich aufführen, denn wie schon im Jahr zuvor war die 2-in-1-Messe "Online Information 2007" und "Information Management Solutions" sehr stark anglo-amerikanisch geprägt. Die Goportis-Partner und FIZ CHEMIE Berlin teilten sich einen Stand. FIZ Karlsruhe stellte mit dem amerikanischen Partner Chemical Abstracts Service (CAS) auf dem gemeinsamen STN International-Stand aus. Als weitere deutsche Aussteller neben den Zentralbibliotheken und den Fachinformationszentren präsentierten sich in London der wissenschaftliche Springer Verlag, subito und als Softwareentwickler Weitkämper Medien. Insgesamt informierten rund 200 Unternehmen über ihre Produkte und Dienstleistungen. Die Europäische Kommission, zwei französische, ein russischer, ein australischer und ein arabischer Anbieter sorgten für einen letzten Hauch der früheren Internationalität der Messe. Alle anderen Aussteller kamen aus England oder Amerika.

Übrigens gab auch FIZ Karlsruhe zur Online Information 2007 eine neue Bibliothekskooperation bekannt. Ab sofort unterstützt und berät das Fachinformationszentrum die Verbundzentrale des Gemeinsamen Bibliotheksverbundes (VZG) bei der Einführung der eSciDoc-Infrastruktur sowie der Entwicklung neuer Angebote. Die VZG stellt damit ihr System für das Hosting von digitalen Inhalten auf eine neue technische Basis, deren Kern das international renommierte Repository-System Fedora ist. Geschäftsführerin Sabine Brünger-Weilandt erklärte in London dazu, FIZ Karlsruhe könne durch die Kooperation "die VZG unterstützen, ihre Leistungen im Bibliotheksverbund noch besser zu erbringen und wertvolle Kulturgüter der Wissenschaft und Forschung digital verfügbar zu machen."

Standorte der Zentralbibliotheken bleiben erhalten

Zurück zur Deutschen Stunde und der Motivation der Bibliotheksdirektoren zur Goportis-Kooperation. TIB Direktor Rosemann erklärte: "Individuelles Einrichtungsdenken ist hinderlich und muss überwunden werden. Letztlich erlaubt nur eine gemeinsame Organisation eine effektive Bündelung der Kräfte." Ein Ziel der Goportis-Zusammenarbeit sei deshalb, ein Modell einer hoch integrierten Kooperation mit einer gemeinsamen Steuerung und der Vision einer integrierten Organisationsstruktur zu entwickeln. Die im Rahmen üblicher Kooperationen mögliche gemeinsame Steuerung reiche auf Dauer nicht aus, um die anstehenden Herausforderungen zu bewältigen. Es gehe bei Goportis nicht um Einsparungen, sondern darum, mit den vorhandenen Ressourcen mehr zu erreichen, um auch zukünftig wettbewerbsfähig zu bleiben. "Die existierenden Bibliotheksstandorte bleiben erhalten, ebenso bestehende Kooperationen und Partnerschaften der beteiligten Zentralbibliotheken", so Rosemann. Auch Produkte und Dienstleistungen würden weitergeführt, einige allerdings nur noch für eine Übergangszeit.

"Wir müssen die Fachinformation arrondieren"

ZB MED Direktor Ulrich Korwitz begründete den Schulterschluss mit dem Satz: "Wir müssen die Fachinformation arrondieren" und gab unverblümt den Handlungsdruck zu: "Wir fangen freiwillig an und freuen uns über jeden, der mitmachen will." Korwitz betonte, Goportis sei keine virtuelle Fachbibliothek. Das System würde nicht nachweisen, was es gibt, sondern den Bestand der Zentralbibliotheken transparent und leicht zugänglich machen. Horst Thomsen, Direktor der ZBW, ging ebenfalls auf das freiwillige Vorantreiben der Veränderungen ein. "Wir wollen selbst gestalten, die Zukunft aktiv in die Hand nehmen und uns die Braut selbst aussuchen."


Kooperation mit der VZG: FIZ Karlsruhe Geschäftsführerin Sabine Brünger-Weilandt (Mitte) teilte zur Online Information mit, dass ihr Haus die VZG bei der Einführung einer eScience-Infrastruktur unterstützt. Rechts im Bild Entwicklungsleiterin Dr. Leni Helmes, links Kommunikationsleiter Rüdiger Mack.

Von FIZ CHEMIE erwarten die Goportis Partner vor allem technische Dienstleistungen und Know-how im Informationsmanagement. Geschäftsführer Deplanque zeigte in seinem Vortrag am Ende der deutschen Stunde, wo diese Unterstützung ansetzen kann und wird. Er sieht enorme Synergien, die sich aus der Zusammenarbeit entwickeln können. Es würde immer schwieriger, die Informationen zu bekommen, die man suche, und auch immer schwieriger, sie weiterzugeben. "Das kann man nur durch Mehrwertdienste verbessern. FIZ CHEMIE ist eine Mehrwertorganisation", so Deplanque, das Fachinformationszentrum könne den Bibliotheken bei der Verbesserung der Anwendbarkeit und der Erweiterung der Anwendungsmöglichkeiten verfügbarer Informationen (Applicability) sowie mit Text Mining Maschinen und durch Unterstützung bei der Produktherstellung beispielsweise durch maschinell gestützte Qualitätskontrolle helfen. Im Anschluss an die Deutsche Stunde unterzeichneten die Goportis-Partner mit dem FIZ CHEMIE bei einem Empfang am Stand den Kooperationsvertrag. Die Hauptinhalte beziehen sich auf Suchmaschinentechnologie, Web-n.0.-Applikationen und Langzeitarchivierung.

Konversationen - die Erwartungshaltung der Screenager

Die Liste der Arbeiten, die im Rahmen von Goportis angepackt werden sollen, füllte trotz starker Abstraktion drei Vortragsfolien. Aufgeführt waren dort auch die Anforderungen des Marktes und der Industriekunden. Doch fehlte ein Punkt, der in vielen Konferenzabschnitten in London angesprochen wurde: Die Erwartungshaltung und das Verhalten der "digital geborenen Generation", die jetzt von den Schulen kommt. Der Generation, die keine Welt ohne Web kennt, ist nämlich schuld am Web 2.0-Zwang für alle Anbieter, weil ihnen Information alleine angeblich nicht mehr ausreicht. Die jungen Informationskonsumenten - in London von den verschiedenen Vortragenden sich gegenseitig übertreffend als Screenager, Millenials, Facebook Generation und digitale Eingeborene bezeichnet - wollen Konversationen; das heißt, Information begleitet von Gesprächen und Unterhaltung im Sinne eines Austausches von Neuigkeiten, Gefühlen und Gedanken. Das jedenfalls glaubt und prophezeit die Elterngeneration und fordert entsprechende Angebote. Echte Untersuchungen zur Erwartungshaltung und zum Verhalten junger Menschen in Bezug auf die Informationsbeschaffung gibt es erst ganz wenige. Die Quintessenz der Konferenzvorträge zur neuen Kundengruppe lautete: Informationsangebote von Bibliotheken und kommerziellen Anbietern müssen entsprechend der Erwartungshaltung der Milleniumgeneration gestaltet werden. Einige Vortragende gingen sogar so weit zu empfehlen, künftige Produkte nicht nur mit Screenagern als Nutzergruppe im Kopf zu entwerfen, sondern ihnen ein paar lose Vorgaben zu machen und sie dann das Produkt selbst entwickeln zu lassen. Begründung: Aus Fehlern lernt man am meisten. Diesen Vortragenden - und allen die es auch auf diese Weise versuchen wollen - sei vorher die Lektüre des auf der Konferenz ebenfalls mehrfach zitierten Buchs von Andrew Keen "the cult of the amateur", Untertitel: "how today's internet is killing our culture" empfohlen (leider nur in Englisch aufgelegt). Keen ist, so war am Rande zu erfahren, zur nächsten SLA Konferenz als Hauptvortragsredner eingeladen.

ProQuest und OCLC bieten Studien zur Milleniumgeneration

Ernstzunehmende Fakten zur jungen Generation der Bibliotheksbenutzer haben die internationale Bibliotheksorganisation Online Computer Library Center (OCLC) und der britische Informationsspezialist ProQuest ermittelt. ProQuest untersuchte in der Studie "Observing Students in their Native Habitat", wie sich Studierende bei der Suche nach Information zu einem ganz bestimmten Kursthema verhalten. John Law, Direktor für strategische Allianzen und Plattform Management bei ProQuest berichtete, dass sie grundsätzlich Online-Quellen zur Informationsbeschaffung benutzen, entgegen weit verbreiteter Meinung viel mehr Quellen kennen als Google und Bibliotheksangebote zu schätzen wissen. Wegen mangelhafter Übersichtlichkeit von Bibliotheksseiten würden sie aber oft unter Zeitdruck dann doch auf Google und Wikipedia zugreifen. ProQuest hat eine Kurzzusammenfassung der Studienergebnisse auf seine Website gestellt. Dort ist auch angekündigt, dass die Untersuchungsergebnisse nach der australischen Bibliothekskonferenz VALA 2008 (Melbourne, 5. - 7. Februar 2008) im Konferenzband veröffentlicht werden sollen. Abstract und Folien von Laws Vortrag in London sind aber auch schon in den Conference Proceedings zur Online Information 2007 ab Seite 163 veröffentlicht.

OCLC veranstaltet erstes Symposium auf europäischem Boden

Für die OCLC-Studie: "Service Sea Change: Clicking with Screenagers through Virtual Reference" haben Lynn Silipigni Connaway, OCLC, und D. Marie L. Radford von der Rutgers University School of Communications, Information and Library Science untersucht, inwieweit 12- bis 18-jährige Bibliotheksdienste wie "Ask-a-Librarian", e-Mail und andere Auskunftsdienste kennen, benutzen und/oder empfinden. OCLC bietet die Studienergebnisse auf der Website zum Download an.

Die 1967 in den USA gegründete Bibliotheksorganisation, deren Services laut Management von rund 60.000 Bibliotheken in 112 Ländern in Anspruch genommen werden, veranstaltete in London ihr allererstes Symposium auf europäischem Boden; unter anderem auch, um die im Oktober 2007 bekanntgegebene Zusammenführung von OCLC und OCLC-PICA unter einer gemeinsamen Marke bekannter zu machen. In Folge der Zusammenführung werden alle OCLC PICA-Niederlassungen in Deutschland, der Schweiz, den Niederlanden, Großbritannien, Frankreich und Australien in OCLC umbenannt, um, so die Presseinformation, "Bibliotheken weltweit mit einer vereinheitlichten und klaren Strategie zu unterstützen".

Mitgliedsbibliotheken könnten so von den OCLC-Forschungsaktivitäten und einem erweiterten Produkt- und Service-Portfolio profitieren.

Auf dem Symposium stellte OCLC den neuesten OCLC Membership Report "Sharing, Privacy and Trust in our Networked Word" vor - für jeden, der sich mit Bibliotheksentwicklung beschäftigt, ein absolut empfehlenswertes Nachschlagewerk. OCLC hat 6.100 Bibliotheken und Bibliotheksbenutzer aus Kanada, Frankreich, Deutschland, Japan, Großbritannien und den Vereinigten Staaten dafür nach ihrem Verhalten im und zum Web und sozialen Netzwerken befragt und die Ergebnisse in zahlreichen Statistiken und Diagrammen dargestellt. Dazu kommen eine Menge aufschlussreiche und praktische Informationen, unter anderem werden Pionierbibliotheken vorgestellt, die schon soziale Netzwerke betreiben, beispielsweise die Ann Arbor District Library, die ihren öffentlich zugänglichen Bibliothekskatalog (OPAC) um Funktionen für Buchbesprechungen durch die Leser, Ranglisten und Kennzeichnungsmöglichkeiten erweitert hat.

OPAC 2.0 für die digital geborene Generation

Wie man einen OPAC zur verstärkten Interaktion mit Bibliotheksbenutzern einsetzen kann und welche Funktionalitäten er haben sollte, erklärte Dave Pattern im Konferenzblock "Vermarktung von Bibliotheken in einer Web 2.0 Welt". Der Bibliothekssystem-Manager der britischen Universität Huddersfield brach eine Lanze dafür, die Möglichkeiten der 2.0 Technologie einzusetzen, um die Bibliotheksbenutzer weit großzügiger als bisher mit den Ressourcen der Bibliothek interagieren zu lassen. Er berichtete von einer informellen Umfrage der Universität einige Monate vor der Konferenz, auf die 729 Bibliothekarinnen und Bibliothekare aus aller Welt geantwortete hätten, sie seien der Meinung, die derzeitige OPAC-Generation verfehle die Bedürfnisse der Benutzer.

Nach der Darstellung von Pattern sollte ein OPAC 2.0 folgende technische Möglichkeiten bereitstellen: Ranglisten (Ratings), Bewertungen (Reviews), Kommentare (Comments), Kennzeichnung (Tagging), automatische Informationslieferung per RSS-Feeds, gemeinsame Benutzung von Ressourcen durch mehrere Teilnehmer (Sharing) und Funktionen, die dem Benutzer zufällig unerwartete Entdeckungen bescheren (Serendipity).

Anhand von zwei Einkaufslisten zeigte der Systemmanager, welche Fähigkeiten und Funktionen im Pflichtenheft für die Entwicklung eines OPAC 2.0 stehen sollten:

URLs zum Bericht aus London

Online Information 2007 Messe und Konferenz
http://www.online-information.co.uk/index.html

Informativer Konferenz- und Messeblog
http://www.infotodayblog.com

Wikia
http://www.wikia.com/wiki/Wikia

Open Source Search Engine WikiaSearch
http://www.wikia.com/wiki/Special:Search?search=wikiasearch

Jimmy Wales' Antworten als Audiofiles
http://www.infotodayblog.com/2007/12/05/wikipedia-the-
red-cross-of-information/

SirsiDynix - strategische Bibliothekslösungen
http://www.sirsidynix.com/

SLA - Special Libraries Association
http://www.sla.org/

GOPORTIS - das gemeinsame Portal der ZFB
www.Goportis.de

Andrew Keen, "the cult of the amateur"
http://www.thecultoftheamateur.com/

ProQuest-Studie "Observing Students in their Native Habitat"
http://www.proquest.com/pressroom/pressrelease/
07/20071105.shtml

OCLC-Studie Service Sea Change
http://www.oclc.org/research/publications/archive/
2007/connaway-acrl.pdf

Rutgers School of Communications
http://www.scils.rutgers.edu/

OCLC Membership Report 2007
http://www.oclc.org/reports/sharing/default.htm

Ann Arbor District Library
http://www.aadl.org/

Australische Bibliothekskonferenz VALA 2008
http://www.vala.org.au/conf2008.htm

University of Huddersfield, Library and Computing Services
http://www.hud.ac.uk/cls/

Scriblo
http://about.scriblio.net/

VuFind
http://www.vufind.org/

Lucene & Solr
http://lucene.apache.org/solr/

Fertige Angebote sind noch nicht in Sicht

Auf dem ersten Blick wirken diese Anforderungen wie das Rezept zu einem Informationschaos. Bei näherem Hinsehen und einem Vergleich mit der erfolgreichen Plattform des Internet-Buchhändlers Amazon aber sind viele der Funktionen die Antwort auf eine zielgruppengerechte Befriedigung der Kundenwünsche nachwachsender Generationen. In welcher Kombination der Funktionen der OPAC 2.0 die erwünschte Kundenbindung bringt, ohne eine Informationsüberflutung zu erzeugen, gilt es allerdings erst noch herauszufinden.

Zu einem Teil der aufgelisteten Funktionen gab es auf der Online Information 2007 bereits Softwareangebote und auch im Web sind etliche zu finden. Pattern verwies auf die Portale Scriblio, VuFind, Lucene & Solr mit Beispielen, Software und Werkzeugen für den Aufbau von Open Source OPACs. Ein Komplettsystem war jedoch nicht zu entdecken. Den interaktiven Katalog der Zukunft für die eigene Bibliothek zusammenzustellen, bleibt vorerst also den Systemverantwortlichen vor Ort überlassen. Es ist jedoch zu erwarten, dass Bibliotheksfachgesellschaften und kommerzielle Anbieter in naher Zukunft hierfür sowohl konzeptionelle, als auch Softwaresystem-Lösungen anbieten werden. In der Zwischenzeit kann man den Verantwortlichen nur raten, Schritt für Schritt voranzugehen: Das Neue anzunehmen, ohne das Alte zu zerstören.

Mit dem totalen Einstieg wartet man wohl besser auf die ersten empirisch belegten Erfahrungen der Pioniere. Ende 2008 wird es dazu in London sicherlich wieder Spannendes zu erfahren geben.

Die Online Information 2008 findet vom 2. bis 4. Dezember in London, Olympia Conference and Exhibition Center, statt.


Zu der Autorin

Vera Münch ist freie Journalistin und PR-Beraterin

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