Free Access and Digital Divide -
Herausforderungen für Wissenschaft und Gesellschaft im digitalen Zeitalter

Bericht über das 2. IFLA Presidential Meeting 2008 in Berlin

von Michael Mönnich

In Berlin fand am 21. und 22. Februar 2008 das 2. IFLA Presidential Meeting im Auswärtigen Amt statt. Es stand unter der Überschrift "Free Access and Digital Divide - Herausforderungen für Wissenschaft und Gesellschaft im digitalen Zeitalter" und hatte als Schwerpunkt die Region Südostasien, aus der mit Unterstützung des Auswärtigen Amtes 21 Kollegen aus 11 verschiedenen Ländern nach Deutschland gereist waren. Die Vorträge folgten dem Oberthema und behandelten verschiedenste Aspekte der Digitalisierung, der Bereitstellung von digitalen Informationen durch Bibliotheken und der Vernetzung von elektronischen Bibliotheksdienstleistungen.

Nach der Eröffnung durch Prof. Dr. Claudia Lux sprach in der Rolle des Hausherren Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt, und würdigte die Arbeit der IFLA und ihrer derzeitigen deutschen Präsidentin. Er zitierte Altbundeskanzler Helmut Schmidt, der die Bibliotheken als die "geistigen Tankstellen der Nation" bezeichnet hatte - ein Bonmot, dessen Konnexionen in den Zeiten von hohen Benzinpreisen und Tankstellen als 24-Stunden-Alkoholshops allerdings nur noch als bedingt zeitgemäß gelten mögen. Zweifellos hochaktuell hingegen waren die Überlegungen, ob der Digital Divide des Internets nicht nur die erste von der dritten Welt trennt, sondern auch die Bibliotheken und Bibliothekare von ihren Nutzern. Da die Mehrzahl der ausländischen Gäste aus Asien anreiste, ließ sich ein schöner Bogen flechten von der dortigen jahrtausendalten Buchkultur zur amtierenden IFLA-Präsidentin - "ex oriente Lux". Als weitere Sponsoren der Tagung sprachen J. Fournier für die DFG und der Generalsekretär des Goethe-Instituts Dr. Hans-Georg Knopp Grußworte. Im Name der BID begrüßte Barbara Lison die Teilnehmer.

Miriam Nisbet, Direktorin der Information Society Division bei der UNESCO, hielt den Eröffnungsvortrag über soziale Verantwortung im Informationszeitalter. Sie hob die Bedeutung der Bibliotheken gerade im Zeitalter von Internet und Suchmaschinen als Wegweiser zu Informationen hervor und wies darauf hin, dass der freie Zugang zu Information als einem weltweiten Menschenrecht gerade auch den Zugang zu muttersprachlichen Quellen beinhalte.

Aufgeschnappt...

Von Wolfgang Ratzek

Claudia Lux moderierte zum Abschluss der Tagung eine Podiumsdiskussion zum Thema "Working Nets: Der Aufbau internationaler netzbasierter Forschungsumgebungen". Dabei gehörte die besondere Aufmerksamkeit der deutschen TeilnehmerInnen Gitta Connemann, MbB und Vorsitzende der Enquete-Kommission "Kultur in Deutschland". Hier einige Stichworte:

Claudia Lux folgte als Rednerin und begann ihre Ausführungen mit einem Zitat aus "Lobby for your library", dem Lobbyhandbuch für Bibliothekare der American Library Association. Sie konstatierte einen weltweiten Trend zu großen Bibliotheksneubauten, die den Bedarf an Lern- und Begegnungsstätten zeigt und zählte als große Herausforderungen für die Zukunft der Bibliotheken auf: die Archivierung von Primärdaten, die Integration des Web 2.0 und Open Access in ihr Angebot, die Vermittlung von Informationskompetenz und nicht zuletzt die Notwendigkeit, das Angebot der Bibliotheksdienstleistungen im Web auch außerhalb der eigenen Webdienste präsent zu machen, zum Beispiel durch Integration in Google oder Google Scholar.

Kommerzialisierung versus Öffentliche Förderung?

Nach der Mittagspause moderierte Berndt Dugall von der Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt a. M. den ersten Themenblock "Kommerzialisierung versus Öffentliche Förderung? Grenzen und Chancen der Informationsversorgung". Einführend stellte Frau Barbara Schneider-Kempf als Generaldirektorin der Staatsbibliothek zu Berlin das System der deutschen Sondersammelgebietsbibliotheken am Beispiel der in ihrem Haus gepflegten Sondersammelgebiete dar. Danach eröffnete Dr. Cho Hyun Yang von der Kyonggi University aus Korea den Reigen der ausländischen Gäste und stellte die verschiedenen im Bereich der Digitalen Bibliothek dCollection aktiven Institutionen vor: KRF, KERIS, KISTI, NTIS und die Nationalbibliothek. Ihre Bemühungen führten dazu, dass die Quote der koreanischen Wissenschaftler, die nationale Informationen im Internet nicht finden konnten, von über 50% im Jahr 1997 auf 27% im Jahr 2007 reduziert wurde. Weiter verbessern soll die Situation ACOMS, ein Workflow-System für Peer-reviewing im Bereich des wissenschaftlichen Publizierens. Circa ein Drittel der akademischen Gesellschaften in Korea stellen inzwischen ihre Artikel nach einem Open Access-Modell zur Verfügung. Frau Dr. Pimrumpai Premsmit, Direktorin des Center of Academic Resources der Chulalongkorn University in Bangkok, sprach über die Situation in Thailand, wo unter Federführung der staatlichen Einrichtungen KMI, TKC und TKP auch Bibliotheken daran arbeiten, Portale für Wissensmanagement aufzubauen mit dem Ziel, die Wissensgesellschaft zu fördern.

Hohen Unterhaltungswert und Mitmacheffekte bot der Beitrag von Gene Tan, dem stellvertretenden Direktor der Nationalbibliothek Singapur und Leiter des Bereichs Strategic Programming. Er forderte das Publikum auf, die internalistische Sicht auf Bibliotheksprobleme aufzugeben und sich die Nutzersicht zu eigen zu machen (mehrfach wurde das Werk "Ask stupid questions" ausgelobt und verteilt) und demonstrierte, wie dies in Singapur in Seminaren erfolgreich praktiziert wird. Tan zufolge wird es eine Schlüsselfrage an die Bibliothek in der Zukunft sein, da zu sein ("to be there"), das heißt die Bibliothek muss dort präsent sein, wo die Nutzer sich im Internet aufhalten und alle Hindernisse zwischen sich und dem Publikum möglichst abbauen. Konkret wurde in Singapur eine neue Webseite erstellt, die über möglichst wenig Hierarchiestufen verfügt.

Literaturversorgung für Wissenschaft und Gesellschaft

Der zweite Themenblock "Literaturversorgung für Wissenschaft und Gesellschaft" wurde von Siegmund Ehrmann, MdB anmoderiert und mit dem Vortrag von Takashi Tsukamoto eröffnet, der die Dienstleistungen der National Diet Library in Tokio vorstellte. Die Bibliothek versorgt als Parlamentsbibliothek die Abgeordneten, nimmt aber auch nationalbibliographische Aufgaben wahr und ist zugleich eine Öffentliche Bibliothek mit über 600.000 Besuchern pro Jahr. Im Rahmen von Digitalisierungsprojekten wurden 140.000 Werke aus der Meiji-Zeit sowie über 40.000 Bilder digitalisiert. Ein noch umfangreicheres Digitalisierungsvorhaben präsentierte Dr. Klaus Ceynowa von der Bayerischen Staatsbibliothek München, denn die BSB will ihren gesamten Bestand digitalisieren und über das Internet anbieten. Derzeit sind 25.000 Titel im Volltext vorhanden, ausgebaut wird der Bestand durch Digitalisierung im Rahmen des Private-Partnership-Programms mit Google und durch DFG-Projekte im Bereich der Inkunabeln (9000 Bände) und der alten Drucke (VD 16, 37.000 Titel). Das Googleprojekt wird im Zeitraum von 5 bis 10 Jahren ca. eine Million Titel einscannen, was bei einem Durchsatz von 5000 Bänden pro Woche eine große logistische Herausforderung darstellt. Die Bücher werden von Google an einem Standort in Bayern eingescannt und es besteht auch die Möglichkeit, die Digitalisate nachträglich noch zu verbessern. Im Übrigen ist der Vertrag mit Google kein exklusiver, es könnten also auch andere Interessenten die Werke digitalisieren.

Die "Philippine eLib - elib.gov.ph" beschrieb anschließend Prudenciana C. Cruz, Direktorin an der Nationalbibliothek in Manila. Es handelt sich um ein Projekt von fünf staatlichen Einrichtungen aus dem Bereich Forschung und Lehre sowie der Nationalbibliothek, das eine große Sammlung von digitalisierten Texten aufbaut. Die Zugriffe auf die Volltexte sind dabei kostenpflichtig, die Ursache hierfür liegt in einer Besonderheit des philippinischen Urheberrechts, das eine Vererbung von Urheberrechten ermöglicht. Der normale Nutzer entrichtet eine moderate Monats- oder Jahresgebühr, die Angehörigen von Hochschulen sind davon befreit. Über Informationsfreiheit für Wissenschaft in Forschung und Lehre sprach dann die Generalsekretärin der Hochschulrektorenkonferenz, Dr. Christiane Gaehtgens. Aus ihrer Sicht ist der für die Arbeit der Hochschulen essentielle Zugang zu wissenschaftlichen Informationen derzeit gefährdet durch die massiven Preiserhöhungen seitens der wissenschaftlichen Verlage und durch die Neufassung des Urheberrechts im 2. Korb. Zur Lösung des ersten Problems können neben dem Erwerb von Nationallizenzen durch die DFG der Aufbau und die Vernetzung von Repositorien und der Umstieg auf Open Access beitragen, wobei stets die Qualitätssicherung eine wichtige Rolle spielt. Beim Urheberrecht hofft man auf eine wissenschaftsfreundliche Neufassung in der nächsten Zeit.

...am Rand notiert

Von Wolfgang Ratzek

Am Ende des ersten Konferenztags gab es in der Berliner Stadtbibliothek die Ausstellungseröffnung "Chilli, Teufelsdreck und Safran - Zur Kulturgeschichte der Gewürze" mit anschließendem Empfang. Nach sechs Monaten Präsidentschaft zeigte sich Claudia Lux dort im Gespräch erfreut über die weltweiten Aktivitäten, die durch ihr Programm "Bibliotheken auf die Tagesordnung" angestoßen wurden. Sie sei jetzt bei ihren Gesprächen in aller Welt verstärkt Gast in Ministerien. In ihrem monatlich erscheinenden Presidential Newsletter steht alles Wissenswerte über die Aktivitäten der IFLA-Präsidentin, des IFLA-Vorstands und die Zentrale in Den Haag.

Die professionelle Organisation hatte wie beim ersten Meeting dieser Art vor einem Jahr Heller Klauser vom Kompetenznetzwerk für Bibliotheken übernommen. Vor Ort wurde sie von vier Referentinnen der zlb, vier Studierende der Humboldt Universität und einer Studierenden der HdM Stuttgart unterstützt. Für das Gelingen sorgte auch Jens Boyer, Leiter des Fachbereichs 32 "Information und Bibliothek" im Goethe-Institut München. Er übernahm in Absprache mit dem Kompetenznetzwerk für Bibliotheken die gesamte regionale Reisevorbereitung, d.h. vor allem Routenplanung, Korrespondenz mit den besuchten Institutionen, Abstimmung des Besuchsprogramms. Die Auswahl der Reiseteilnehmer geschah durch örtliche KollegInnen in den Regionen Asiens. Andrea Bach, Goethe-Institut Jakarta/Indonesien, Christel Mahnke, Goethe-Institut Tokyo, und Barbara Richter-Ngogang, Goethe-Institut Korea in Seoul, begleiteten ihre Delegation. Sie waren über die gelungene Veranstaltung sehr erfreut.

Beeindruckt kommentierten viele asiatische TeilnehmerInnen das dreitägige Besuchsprogramm durch die Städte Hamburg, Hannover, Lüneburg und Berlin.

Digitalisierung im kulturellen und gesellschaftlichen Kontext

Der Themenblock 3 befasste sich unter Moderation von Werner Stephan von der UB Stuttgart mit Digitalisierung im kulturellen und gesellschaftlichen Kontext. In Vietnam steht Open Access dabei im Zwiespalt zu Urheberrechten und technischen Barrieren, wie Ta Ba Hung, der Direktor des National Centre for Scientific and Technological Information (NACESTI) in Hanoi ausführte. Der Beitrag gab einen Überblick über die Aktivitäten in Vietnam im Bereich Digitalisierung. Ein Schwerpunkt ist VJOl Vietnam Journals Online, ein Open Access Projekt, das die vietnamesischen Wissenschaftspublikationen weltweit besser sichtbar machen soll und derzeit 15 Titel einschließt. Auch ältere Ausgaben werden digitalisiert. Einen weiteren Focus legt man in Vietnam auf die Bereitstellung von digitalisiertem Fortbildungsmaterial für die Bevölkerung in ländlichen und gebirgigen Regionen. Für deren Ausbildung hat die Nationalbibliothek zum Beispiel 400 Filme zu Themen von Agrartechnik und Landbau digitalisiert und unterstützt auch den Aufbau kommunaler Webportale. Dady P. Rachmananta, Direktor der Nationalbibliothek Indonesiens in Jakarta, stellte eine ganze Reihe von Aktivitäten seiner Bibliothek dar, die darauf abzielen, das kulturelle Erbe des Inselstaates zu erhalten.

Mit einer ähnlichen Vielfalt befasst sich auch das Projekt einer Europäischen Digitalen Bibliothek, die Dr. Elisabeth Niggemann als Generaldirektorin der Deutschen Nationalbibliothek Frankfurt a.M. vorstellte. Unter dem Mantel der niederländischen Stiftung Conference of European National Libraries werden verschiedene EU-Projekte vorangetrieben, die aus "The European Library" die "European Digital Library - Europeana" entstehen lassen sollen. Über europeana.eu sollen bis 2010 sechs Millionen Digitalisate von Werke und Objekten aus Bibliotheken, Archiven, Museen und Verlagen zugänglich sein. Technisch ist eine stark vernetzte Struktur geplant, Träger der Entwicklung wird eine weitere Stiftung, die EDL-Foundation, sein. Rahmenbedingungen sind dabei der einheitliche Zugriff in allen EU-Sprachen und die Einbeziehung der nationalen Verwertungsgesellschaften. Mit letzteren sollen Lizenzmodelle für die Digitalisierung vergriffener und verwaister Werke erarbeitet werden.

Die National Digital Library (NDL) stellte im Anschluss Dr. Lee Chi-Joo von der Nationalbibliothek Korea vor, bei der das NDL-Portal einen zentralen Baustein bildet. Eine wesentliche Komponente des Portals ist die Unterstützung eines webgestützten Workflows, mit dem die Autoren selbst ihre Inhalte in das Web einbringen können. Es soll ein besonders bedienerfreundliches System sein und dazu dienen, das globale Wissen zu erweitern, wie auch die Nationalbibliotheken in Asien und Ozeanien insgesamt zusammenarbeiten, um ihre Angebote abzustimmen und zum Beispiel Metadaten anzugleichen. Dann stellte Lee noch die Planungen für die neue Nationalbibliothek vor und die geplante Anpassung des Webangebotes an mobile Geräte. Im Anschluss sprach Choy Fatt Cheong von der Nanyang Technological University in Singapur. Er zitierte eine OCLC-Studie von 2005, der zufolge 90% der Studenten sagen, dass das Angebot der Bibliothek im Web ihre Bedürfnisse nicht befriedigt und leitete daraus die These ab, dass künftig das Angebot der Bibliotheken in den Erfahrungsraum der Nutzer integriert werden muss und insgesamt durch die Vernetzung des Wissens die Bedeutung der Bibliothek als einem der bislang wenigen exklusiven Zugangspunkte zum Weltwissen abnehmen wird.

Aufbau internationaler netzbasierter Forschungsumgebungen

Die Tagung beschloss eine Podiumsdiskussion unter Moderation von Claudia Lux. Unter dem Oberthema "Der Aufbau internationaler netzbasierter Forschungsumgebungen" diskutierten Dr. Jagdish Arora aus (Ahmedabad, Indien) Luki Wijayanti (Jakarta), Prof. Dr. Han Sang Wan (Seoul), Ngian Lek Choh (Singapore), Minh Hiep Nguyen (Ho Chi Minh Stadt), Dr. Zhang Xiaolin (Peking) und Gitta Connemann, MdB. Die Diskussion drehte sich um Bibliotheksnetzwerke, denen eine überragende Bedeutung in der globalisierten Welt zugemessen wurde. Die Vermittlung von Informationskompetenz als einer wichtigen Aufgabe von Bibliotheken wurde ebenso diskutiert wie die dazu notwenigen Anforderungen an die zukünftige Ausbildung der Bibliothekare. Auch der Einfluss der Politik wurde thematisiert und man konstatierte, dass die Aktivitäten der Bibliotheken stets den ihnen vorgegebenen politischen Rahmenbedingungen unterworfen sind. Zwar waren alle Teilnehmer grundsätzlich der Meinung, dass der freie Zugang zu Informationen für alle Bürger offen sein sollte, doch wurde von der Vertreterin der deutschen Politik darauf hingewiesen, dass diese Anforderung in Einklang gebracht werden müsse mit den Restriktionen des Urheberrechts, den Interessen der nationalen Sicherheit und auch wirtschaftlichen Interessen. Diese Ansicht war im Publikum nicht unumstritten, wie anschließende Beiträge aus dem Auditorium zeigten. Frau Ngian aus Singapur hob in der Diskussion nochmals - wie schon ihre Landsleute in ihren Vorträgen - hervor, dass die Bibliothek mit ihren Angeboten in den Erlebensraum der Nutzer eindringen müsse.

Zum Schluss bestand noch Gelegenheit zur Besichtigung der Bibliothek des Auswärtigen Amts. Die Besichtigung war genauso wie die ganze Tagung wohl organisiert. Insgesamt war die Tagung sehr interessant und bot vielfältige Einblicke in ferne Bibliothekswelten, deren Probleme indes den unseren sehr nahe sind. Sehr zu loben war auch die Leistung der Übersetzerinnen, die ihren kleinen aber wichtigen Beitrag zum Wachstum der globalen Wissensgesellschaft leisteten.


Autor

Dr. Michael W. Mönnich

Universitätsbibliothek Karlsruhe
Kaiserstr. 12
76049 Karlsruhe
Michael.Moennich@ubka.uni-karlsruhe.de