"It´s quite complicated"

Bericht von der ASA-Konferenz "Explosion of E-Resources" in London

von Rafael Ball

Abb. 1: Royal College of Nursing, Cavendish Square, London, U.K. Veranstaltungsort der ASA-Konferenz 2008.

Alljährlich versammelt die Association of Subscribtion Agents and Intermediaries (ASA) in London Vertreter der Agenturen, Verleger und Bibliotheken zu einer Konferenz mit aktuellen und zukünftigen Trendthemen rund um wissenschaftliche Publikationen (Abb. 1). Die ASA existiert bereits seit mehr als 70 Jahren. 1934 wurde der Verband in Großbritannien gegründet und blieb zunächst auch national beschränkt. Heute ist die ASA ein Verband mit internationalen Mitgliedern aus der Verlags- und Agenturbranche sowie Bibliotheken. Das Mitgliederverzeichnis liest sich wie ein internationales Who-is-Who? der wissenschaftlichen Kommunikations- und Verlegerbranche (http://www.subscription-agents.org).

Als zentrale Aufgaben der ASA beschreibt der Verband:

Die ASA vertritt in ihren Aktivitäten eine typische Sandwich-Position zwischen den durchaus mächtigen Verlegern und den Endkunden von wissenschaftlicher Information. Dies signalisieren so sensible Themen wie "Preisabsprachen der Verlage" oder "Verspätete Mitteilung von Verlagspreisen für Zeitschriften". Themen der Konferenzen vergangener Jahre etwa waren "Policy, Pricing, Purchasing", "Promoting the Library", "Adding Value with Agents" oder "The New Forms of Information Supply".

Die diesjährige Konferenz (25./26.2.2008) trug den Titel "The Explosion of E-Resources" und traf damit mitten in eine Problematik, die neben den Agenturen und Verlegern vor allem auch die Endkunden, die Bibliotheken nämlich, stark beschäftigt. Die Zahl der elektronischen Medien, die die Wissenschafts-kommunikation nutzt, ist seit der Entwicklung der E-Journals vor gut zehn Jahren dramatisch gestiegen. Der Output und der Bedarf etwa an E-Books ist geradezu explodiert. Dabei gilt für die elektronischen Medien jenes Komplementaritätsgesetz von Riepl aus dem Jahre 1913, wonach nicht die einfache Substitutionsregel "Neu ersetzt Alt" gilt.1 Bibliotheken haben deshalb heute eine viel breitere Medienpalette zu administrieren als dies noch vor zehn Jahren der Fall gewesen war. Nicht wenige Bibliotheken sehen sich angesichts dieser großen Medienvielfalt mit einer Komplexität der Administrationsvorgänge konfrontiert, die sie gerne an einen Dienstleiser abgeben. Hier sehen die Agenturen, deren Branche vor rund zehn Jahren massiv ins Straucheln geraten war, ein neues Betätigungsfeld und offerieren gewandt Dienstleistungen, die die Komplexität der elektronischen Medienversorgung in Bibliotheken reduzieren sollen. Neben der Medienvielfalt und der technischen Komplexität macht auch die Art wie heute elektronische Medien subskribiert werden Bibliotheken und Verlegern zu schaffen.

Big Deals und Pick'n'Choose-Lösungen

Abb. 2: Quelle: Chris Anderson: http://www.longtail.com/about.html

Das Konferenzthema der ASA in London ist gerade deshalb ein zentrales und wichtiges Thema für alle an der Publikationskette Beteiligten. Die konsortiale Beschaffung von elektronischer Information wird zunehmend wichtiger und große Geschäfte werden als "Big Deals" in einem sehr komplexen Umfeld regional, national oder sogar international geschlossen. So war dann auch eines der zentralen Themen auf der ASA Konferenz das Spannungsfeld von "Big Deals" und "Pick'n'Choose-Lösungen" bei den Informationsanbietern. Dabei schlüpft die Agentur zunehmend in die scheinbar widersprüchliche Rolle, Bündelung und Zersplitterung gleichzeitig leisten zu wollen; einerseits Bündelung der Angebote von vielen verschiedenen (Klein)Verlegern und andererseits Zersplitterung im Sinne der Möglichkeiten für den Kunden, von Big Deals Abstand zu nehmen und nach der Methode Pick'n'Choose die Kern-Produkte für das jeweilige Bibliotheksportfolio auswählen zu können. Dabei haben sich die Agenturen klar in einem Serviceumfeld positioniert, das von der Konzentration auf "Long-Tail"-Lösungen ausgeht (Abb. 2). Denn mehr als 80% des Umsatzes mit elektronischen Medien wird mit ganz wenigen Verlagen als "Big Deal" abgewickelt, während sich der Rest des Umsatzes auf viele kleine Verleger aufsplittet, dessen Administration und Management gerade für kleinere Bibliotheken mit einem nicht mehr zu leistenden Aufwand verbunden sind. Die ASA mit ihrem rührigen Generalsekretär Rollo Turner, hatte die Veranstaltung in drei Sessions eingeteilt: "Library requirements for effective usage of e-resources", " Distribution and marketing of e-journals" und "E-magazines and E-books".

Die Referenten repräsentierten einen Querschnitt aller am Publikationsprozess Beteiligten: Verleger, Agenturen, Buchhandlungen und Bibliotheken. Ein besonderes Phänomen in der Community der Agenturen stellten Einzelpersonen dar, die als freie Consultants auf dem Medienmarkt arbeiten. Zunehmend werden sie von kleineren amerikanischen Fachverlagen (deren Anzahl nicht unbeträchtlich ist) beauftragt, deren Produkte insbesondere bei nationalen Konsortialverträgen zu vermitteln. Dieses Geschäft geht den großen Agenturen verloren, scheint aber der sehr heterogenen und komplexen Situationen amerikanischer Fachverlage geschuldet zu sein, die sich ja immer wieder in unbefriedigenden Geschäftsbeziehungen insbesondere mit europäischen Bibliotheken manifestiert.

Library requirements

T. Scott Plutchak, Direktor der Lister Hill Bibliothek für Medizin an der University of Alabama at Birmingham, USA, eröffnete die Session "Library requirements" mit seinem Vortrag "Engaging our communities where they live: challenges for distributed library services". Er machte deutlich, dass die veränderten Rahmenbedingungen in Wissenschaft, Forschung und Lehre unter den Schlagworten "Kollaboration, Interdisziplinarität und Interinstitutionalität" auch ein entsprechendes Informationsmanagement erfordern. Kampusorientierte Lizenzen (site licences) geben nur selten die Möglichkeit, die drei Forderungen dieser neuen Realität zu erfüllen.

Internationale Projektpartner etwa sind abgeschnitten vom Zugang zur Information, obwohl sie am gleichen Projekt arbeiten. Medizinische Einsatztrupps in Katastrophengebieten haben keine Möglichkeit die Information zu bekommen, auf die sie an ihrer Heimatuniversität zugreifen könnten. Susan Eales und Hassan Sheikh von der Open University in Großbritannien (die Open University ist eine Art höhere Volkshochschule und für jedermann zu Fortbildungszwecken in Großbritannien nutzbar) berichtete in ihrem Vortrag "Systems requirements to meet future needs" von den Dienstleistungen, die ihre Bibliothek für ein sehr heterogenes aber großes und breites Kundensegment zur Verfügung stellt. Vor allem im semi-wissenschaftlichen Umfeld ist die Integration der Bibliotheksdienstleistungen in allgemein bekannte und akzeptierte Dienste wie Google Scholar oder Google´s My Library von großer Bedeutung. Die innovativen Dienstleistungen brachte sie auf einen Nenner: synthesize - specialize - mobilize. Der freie Consultant Simon Inger, brachte mit seinem Vortrag "New forms of effective intermediation" den Zusammenhang und die Komplexität in der Publikationskette visuell zum Ausdruck und überschrieb diesen Zusammenhang mit dem Slogan "We are all intermediaries".

In der Session "Distribution and marketing of e-journals" sprachen Peter Williams, Academic Director, Professional Engineering Publishing House sowie David Charles von David Charles E-Licensing (Consultant) über die Bedeutung von Konsortien und das Verhältnis von großen und kleinen Verlegern. Als Schlagwort formulierte Charles die Situation des "Blocked agreements", bei dem Zwischenhändler nicht mehr zum Zuge kommen. Peter Williams, berichtete über den verkäuferischen Aufwand und den enormen Zeitbedarf seines kleinen Verlages, mit 18 Zeitschriften Konsortien zu verhandeln und zu einem möglichen Vertragsabschluss zu kommen. Big Deals stellten zunehmend ein großes Problem für kleine Verlage da, weil die Bibliotheksbudgets oftmals bereits damit erschöpft seien.

Cary Bruce vom EBSCO Subscription-Service berichtet in seinem Beitrag "Why don´t consortia buy from smaller publishers?" von ähnlichen Erfahrungen. Er fordert in seinem Beitrag, dass die Verlage die "unique selling points" ihrer Produkte benennen können müssten und bedauerte, dass Bibliotheken und Bibliothekare nur außerordentlich wenig von den Verlegern als ihre Geschäftspartner wüssten. "How constrained are library budgets?" fragte David Baker, der Präsident des University College Plymouth und Mitglied des JISC-Beirates in seinem Vortrag und sprach dabei die aktuellen Probleme von Lizenzierung und Finanzierung elektronischer Produkte an. Seine Forderungen heißen zusammengefasst: Mehr Flexibilität in der Auswahl der Produkte, keine Abbestellstrafen, bessere Möglichkeiten der Titel-Substitution bei Zeitschriftenabonnements, niedrigere price caps bei mehrjährigen Verträgen, und optimal nutzbare Statistiken. Der stellvertretende Bibliotheksleiter der University of Ireland in Galway, John Cox, berichtete über die Qualität von Nutzungsstatistiken bei konsortial bezogenen Informationspaketen. Dabei beschrieb Cox eine Vielzahl von sinnvollen Parametern, die zu erheben nicht aufwendig seien und die dennoch das Bestandsmanagement optimal unterstützen können.

Intermediation

Abb. 3: Quelle: Robert Jacobs, Director of Publisher Relations, Swets: The need for intermediation, delivering value to libraries and publishers. Präsentation auf der ASA Conference in London am 25. Februar 2008

Dass sowohl Verleger, Agenturen als auch Bibliotheken Vermittler seien, beschrieb Robert Jakobs, Direktor of Publisher Relations von Swets Information Service, in seinem Beitrag. Dabei erläuterte er die verschiedenen Formen der Intermediation, die die Akteure jeweils erbringen. Sofern sie alle Mehrwerte beim Produkt Information schafften, hätten alle Akteure eine Berechtigung in der Publikationskette (Abb. 3).

Eine technische Lösung für das Management von e-resources beschrieb Moshe Efron, Sales Direktor von Teldan Information Systems, Israel. Sein Beitrag "Models for e-resource management solutions" beschreibt anhand der historischen Entwicklung die Administration von elektronischen Ressourcen seit den frühen 1990er-Jahren. Zu Beginn wurden elektronische Ressourcen noch durch das integrierte Bibliothekssystem (ILS) abgebildet und administriert. Mit Beginn des Jahres 2000 wurden solche Informationsressourcen, vor allem die E-Journals, über A - Z Listen verbreitet und angeboten, während zwei Jahre später bereits erste Electronic Resources Management Systeme (ERM) auf dem Markt zur Verfügung standen. Mit Beginn des Jahres 2005 hingegen werden Electronic Resources Management Systeme zunehmend als ERAMS, Electronic Resources Access and Management Systeme gefahren, die nicht nur die Bibliotheksadministration, sondern auch noch den Zugang für den Kunden organisieren.

E-magazines

In der Session "E-magazines" ging es vor allem um die Möglichkeiten elektronischer Darstellung von Publikumszeitschriften. Hierauf wird im Detail nicht eingegangen. Sarah Berry, Head of Central Information Services by Clifford Chance, LLP, vertritt die Informationsinteressen von mehr als 3.000 Rechtsanwälten, die in mehr als 20 Ländern aktiv sind. Der Kundenwunsch dieser Klientel ist sehr eindeutig, man will beides: gedruckte Informationen für den Zugang in traditioneller Umgebung, auf Bahnfahrten, unterwegs, beim Kunden, gleichzeitig ist man jedoch in Wirtschafts- und Rechtsangelegenheiten auf schnelle, zum Teil schnellste Information aus elektronischen Quellen angewiesen. Die Subskriptionsbedingungen und Lizenzierungsfragen einer multi-national aufgestellten Unternehmung machen auch hier große Schwierigkeiten, da die traditionellen Lizenzvereinbarungen die Komplexität eines solchen Unternehmens kaum abdecken können. Monika Krieg von der Agentur Harrassowitz Publisher Relations stellte in ihrem Beitrag "Business models and user services" die verschiedensten Möglichkeiten vor, wie E-Books zurzeit auf dem Markt angeboten und zur Verfügung gestellt werden. Dabei formulierte sie auch teilweise die Bedingungen, die die Endkunden an die Agenturen und damit auch an die Herausgeber und Verleger hätten.

In einem Beitrag aus Deutschland berichtete Rafael Ball, Leiter der Zentralbibliothek im Forschungszentrum Jülich, über die Anforderungen an E-Books von Seiten eines wissenschaftlichen Kundensegments. Er machte deutlich, wie sich die Konvergenz der Medien zunächst bei den elektronischen Zeitschriften und nun in Form von E-Books vollzogen hat, während gleichzeitig Management und Aufbereitung der neuen Medien noch immer mit einer veralteten Terminologie erfolgt. Im letzten Vortrag der Konferenz resümierte Mark Carden, General Manager von EMEA MyiLibrary Ltd in seinem Vortrag "The digital supply chain - buying and selling eBooks in a rapidly changing landscape" die Zusammenhänge und Komplexität von Medien, Lizenzierung, Administration und Management von E-Books. Seine Generalaussage kann als Leitmotiv über das aktuelle E-Resouce-Management gelten: "It´s quite complicated".


Anmerkung

1. Riepl, Wolfgang (1913):Das Nachrichtenwesen des Altertums mit besonderer Rücksicht auf die Römer. Leipzig u.a.. Teubner: "Alte, einfache Medien können von neuen, höher entwickelten Medien niemals wieder gänzlich und dauernd verdrängt und außer Gebrauch gesetzt werden, sondern erhalten sich neben diesen. Sie werden aber genötigt, andere Aufgaben und Verwertungsgebiete aufzusuchen."


Autor

Dr. R. Ball ist Leiter der Zentralbibliothek des Forschungszentrums Jülich.

Zentralbibliothek des Forschungszentrums Jülich GmbH
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