5.000 Stunden Entwicklungs- und Programmierarbeit

Terrassengespräch bei imageWare Components in Bonn

von Angelika Beyreuther und Erwin König

Lebhaft berichtete Chefentwickler Christian Reiner über die vielen Fragen, die sich bei der Ausarbeitung des Feinkonzepts gestellt haben: Was muss wie speicherbar sein? Welche Freiheitsgrade müssen eingebaut werden? Wie können wir den Ausnahmefall programmieren? Wo schreiben wir hin, dass es das Buch gar nicht gibt?

15. Juli 2008. Einer der wenigen heißen Tage dieses Sommers. Wir fahren nach Bonn zum Gesprächstermin in der Firma Image-Ware Components. Dort sitzen wir auf der Sonnenterrasse einige Stunden zusammen: Rolf Rasche, Geschäftsführer der ImageWare Components GmbH, seine Marketingleiterin Ulrike Weigelt, Entwicklungsleiter Christian Reiner, und wir von B.I.T.online kommen aus Wiesbaden. Das BSB-Google-Digitalisie-rungsprojekt und die Rolle, die ImageWare dabei spielte und spielt, ist unser Thema.

Im Februar 2007 waren Google und die BSB im Rahmen einer Public Private Partnership übereingekommen, ca. eine Million Bücher zu digitalisieren und online verfügbar zu machen. Eigentlich, mal ganz unvoreingenommen betrachtet, eine ganz tolle Sache! Aber um diese erste industrielle Massendigitalisierung im deutschen Bibliothekswesen ranken sich bekanntlich so viele Aufgeregtheiten – die es bei weniger Geheimnistuerei wohl gar nicht gäbe! – und so sind wir doch ein wenig gespannt, ob wir eventuell Sensationelles in Erfahrung bringen werden. Um es gleich vorweg zu nehmen: Dies ist nicht der Fall. Auch wir hören an diesem schönen Sommertag nichts über technische Details des Google-BSB-Projekts und wissen nach wie vor nichts über die eingesetzte Scantechnologie – obwohl wir wirklich ganz und gar nicht verstehen können, was heutzutage am Scanvorgang, ob mit Roboter oder manuell, eigentlich noch geheimnisvoll sein soll! Wir akzeptieren aber, dass Google nun mal seine eigenen Hardware- und Softwarelösungen nicht öffentlich präsentieren möchte. Was bleibt uns auch anderes übrig? Und dass die Digitalisierung in von Google angemieteten Räumen „innerhalb der Grenzen des Freistaats Bayern“ stattfindet, das wussten wir auch schon vorher und könnten es sicher, wenn wir es wollten – so viel „Investigative Journalism“ trauen wir uns zu! – noch etwas genauer herausfinden.

Natürlich hielten sich bei diesem Gespräch die, die vielleicht mehr wissen als wir, strikt an die vereinbarte „Confidentiallity“. Trotzdem war es ein interessanter Nachmittag. Aufgrund der bei anderen gemeinsamen Projekten bewährten zuverlässigen und vertrauensvollen Zusammenarbeit entschied sich die BSB bei dem Riesenprojekt für eine Zusammenarbeit mit ImageWare. Rolf Rasche und Christian Reiner berichten uns, was das Großprojekt für ihre Firma bedeutet. Nach Abschluss des BSB-Google-Vertrags im Februar 2007 nahmen beide an einem Workshop in der BSB am 27./28. April 2007 teil, bei dem die Anforderungen an den gesamten Workflow präzisiert wurden. Danach sind sie im „Stand-by-Modus“.

Am 1. Juli 2007 erhält die Firma aus Bonn den Auftrag, das Workflowmanagement für das Großprojekt bereitzustellen mit der Vorgabe, am 1. April 2008 produktionsbereit zu sein. „Innerhalb eines halben Jahres musste alles rund laufen“, sagt Rolf Rasche. Das hieß für die ganze Firma, deren weitere Mitarbeiter außer Christian Reiner bis zum Vertragsabschluss nicht eingeweiht und deshalb auch nicht darauf vorbereitet waren: volle Konzentration auf das Projekt und garantierten Erfolg für das Projekt.

Die Herausforderung: eine Million Bücher müssen in einer festgelegten Projektlaufzeit bereitgestellt und bearbeitet werden – und am Ende wieder unversehrt an ihren Plätzen stehen. Rolf Rasche fragt uns, wie viele Volldigitalisate wir in Europa vermuteten, wo die Digitali-sierung vor rund zehn Jahren angefangen hat. Wir treffen mit rund 300.000 Volldigitalisaten ziemlich genau ins Schwarze – blamieren uns also erfreulicherweise nicht! Jetzt geht es um eine Million Bücher, die in dem eng vorgegebenen, von Google bestimmten Zeitrahmen, digitalisiert werden sollen. Seit Anfang des Sommers wird gescannt.

Spürbar ist, dass die Projektbeteiligten angespannt sind – und es offensichtlich aufregend bleibt. Rasche: „Wir wussten aufgrund unserer Erfahrungen, dass wir es mengenmäßig schaffen können, wenn wir uns nur auf die Logistik konzentrieren.“ Rasche stellt für das Pilotprojekt sechs seiner Entwickler ab, die rund 5.000 Stunden Entwicklungs- und Programmierarbeit investieren. Das rechne sich so nicht, sagt der Geschäftsmann – aber natürlich baut er auf Folgeaufträge. Die Partner von ImageWare und BSB loben ihre gute Zusammenarbeit. Sie sitzen bei diesem Pilotprojekt eng nebeneinander in einem Boot. Die Projektbeteiligten in der BSB lieferten den ImageWare-Entwicklern präzise Zielvorgaben und gemeinsam fiel die Entscheidung für ein neues Softwaresystem, das auf MyBib der Firma Image-Ware und ZEND, der Zentralen Erfassungs- und Nachweisdatenbank der Bayerischen Staatsbibliothek, aufbaut und vom Münchner Digitalisierungszentrum der BSB und ImageWare zu einem Werkzeug zur Steue-rung von Massendigitalisierungsprojekten weiterentwickelt wird.

Große Digitalisierungsprojekte als mögliches Bildungssponsoring? Wer will ausschließen, dass es sie gibt, die großen, deutschen Unternehmen, die so etwas – eines Tages – als richtig sinnvolle Investition in die Zukunft begreifen? Eben genau weil Bildungssponsoring dieser Art ein großer Imagegewinn für ihr Unternehmen wäre!

Von vornherein als Hosting-Lösung konzipiert, kann das neue System über die Google-Kooperation hinaus weiter verwendet werden. „Wir haben damit einen Gravitationskern geschaffen“, beschreibt Rolf Rasche das neue Werkzeug. Durch den kooperativen Ansatz wurde ein Fundament geschaffen, an dem sich jede Bibliothek in der Zukunft beteiligen kann. Da die Logistik das Vorgehen und das Tempo bei der Digitalisierung bestimmt und Google laufend Nachschub einfordert, muss der Workflow reibungslos funktionieren. Die Ausarbeitung des Feinkonzepts nahm viele Entwicklungsstunden in Anspruch und, gibt Christian Reiner zu bedenken, bei aller Raffinesse muss „das System ja auch einfach pflegbar bleiben“. Der Chefentwickler berichtet über die vielen Fragen, die sich gestellt haben: Was muss wie speicherbar sein? Welche Freiheitsgrade müssen eingebaut werden? Wie können wir den Ausnahmefall programmieren? Wo schreiben wir hin, dass es das Buch gar nicht gibt?

Sein Chef ergänzt zum komplexen, jeder Bibliothekarin und jedem Bibliothekar bekannten Thema „Beibände“: Auch diese müssten, auch mit allen ihren Irregularitäten, auswertbar festgehalten werden können. – Und genau diese Ausnahmefälle machten das Programmieren teuer. (Viele weitere Einzelheiten, die auch in unserem Terrassengespräch zur Sprache kamen, werden in dem Fachartikel auf den Seiten 267 bis 273 ganz präzise behandelt.)

Irgendwann kommen wir ins Philosophieren über vorhandenes und nicht vorhandenes Geld. Rolf Rasche lässt seinem Ärger über die Landesbankaffären der letzten Monate freien Lauf: „Da wurden Milliarden Euro verzockt!“ – Hätte man nur 10% des Geldes, ach!, auch nur 1% des Geldes, an Bibliotheken verschenkt, welche Projekte könnte man damit anstoßen! Zurück auf dem Boden der Beinahe-Realität sprechen wir über Digitalisierungsprojekte als mögliches Bildungssponsoring. Wer will ausschließen, dass es sie gibt, die großen, deutschen Unternehmen, die so etwas – eines Tages – als richtig sinnvolle Investition in die Zukunft begreifen? Eben genau weil Bildungssponsoring dieser Art ein großer Imagegewinn für ihr Unternehmen wäre!


Die Autoren

Angelika Beyreuther ist freie Journalistin und Redakteurin von B.I.T.online

Wiesbadener Str. 7
D-65329 Hohenstein
a.beyreuther@dinges-frick.de

Erwin König ist Objektleiter der B.I.T.online

koenig@b-i-t-online.de