Zu Gast in der Real Biblioteca de Madrid:
... alguna especie de Paraíso

Palacio Real
und die Tür
der „Biblioteca“

von Carmen Kämmerer

Wenn José Luís Borges in seinem Poema de los Dones formuliert, dass er sich das Paradies als eine Art Bibliothek vorgestellt habe,1 dann ist es genau diese Assoziation, die sich für mich mit der Real Biblioteca de Madrid, aber auch mit meiner Heimatbibliothek, der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel verbindet. Im Juni diesen Jahres hatte ich, mithilfe eines Stipendiums von Bibliothek und Information International, die Gelegenheit, die Königliche Bibliothek in Madrid im Rahmen eines Fachaufenthaltes zu besuchen. Beide Forschungsbibliotheken sind berühmt für ihre Altbestände: Während der Bestandsschwerpunkt der Herzog August Bibliothek auf dem 17. Jh. liegt, konzentrieren sich die Bestände der Königlichen Bibliothek in Madrid hauptsächlich auf das 18. Jh. Die Real Biblioteca beherbergt eine Sammlung von rund 3.500 Handschriften, 250 Inkunabeln, 270.000 alten und modernen Drucken, 7.000 Karten, 2.000 Kupferstichen und Zeichnungen, sowie 50.000 Photographien und 8.000 Partituren aus der Musikaliensammlung.2 Ebenfalls zu den Bibliotheksbeständen zählt eine Münz- und Medaillensammlung und eine einmalige Sammlung von Musikinstrumenten. Das komplette Streichquartett aus der Werkstatt von Antonio Stradivari ist heute einer der Höhepunkte der Palastführungen. Die Bibliothek selbst ist für Führungen nicht zugänglich. Die Benutzer müssen ein wissenschaftliches Forschungsinteresse vorweisen.

Doch wer die Schätze der Real Biblioteca wie etwa das Stundenbuch der Isabel la Católica (ohne Signatur), das möglicherweise schönste Beispiel flämischer Buchkunst in Spanien aus dem 15. Jh. (http://librodigital.realbiblioteca.es/?bid=HORAS), oder beispielsweise das Rationale divinourm officiorum (Mainz, 1459), der älteste Druck der Bibliothek, oder aber auch die Dokumente zur Eroberung Amerikas, erforschen will, wird auf kompetenten und zuvorkommenden bibliothekarischen Service durch die vier wissenschaftlichen Bibliothekare und auf ausgesprochene Kostbarkeiten aus den Beständen stoßen. Die Königliche Bibliothek stellt heutzutage ein modernes Forschungszentrum von internationalem Renommee dar.3

Zur Geschichte

Real Biblioteca de Madrid
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Seit dem Beginn der Bourbonendynastie mit Philipp V. (geb. 1683 in Vereilles, gest. 1746 in Madrid) diente die Biblioteca Real als Privatbibliothek für die spanischen Könige. Der Enkel des Sonnenkönigs vereinigte seine 6.000 aus Frankreich mitgebrachten Bände mit den etwa 800 der Habsburgerdynastie, die er in Madrid vorfand, und gründete 1711 die Königliche Bibliothek, die für das Studium und die Forschung zur Verfügung stehen sollte. Kurios und findig zugleich erscheint das Handeln des Königs, da er die Einrichtung der Bibliothek durch eine Tabak- und Glücksspielsteuer finanziert.4 Neben dem kulturellen Impetus, den Philipp V. mit seinen reformerischen Zielen verbindet, ist der Monarch auch für grundlegende Neuerungen im spanischen Bibliothekssystem verantwortlich: Er ist es, der durch ein Dekret vom 15. Oktober 1716 das Pflichtexemplarrecht5 einführt und jeden Autor, Drucker und Buchhändler dazu verpflichtet, ein Exemplar aller in Spanien erschienen Werke an die Königliche Bibliothek abzugeben.6

Glücklicherweise blieb die Bibliothek 1734 von einem Brand, der den Palast zerstörte verschont. Das Buch wurde zum wesentlichen Bestandteil des Lebens am spanischen Hofe. Die Mitglieder der königlichen Familie verfügten über ihre eigenen Bestände. Dies lässt sich beispielsweise am Katalog der Bestände von Karl IV. (1748-1819) und María Luísa de Borbón-Parma (1751-1819) nachvollziehen. Der 1785 für die Bücher der Prinzessin von Asturien verfasste Katalog verzeichnet mehr als 4.000 Bände, der des Prinzen7 hingegen lediglich 1.500. Auch die Kinder der königlichen Familie hatten eigene Bücherbestände. Die Rolle, die die Bibliothek für die Erziehung der zukünftigen Regenten spielte, ist keine unwesentliche.

Nach einer Zeit der Blüte und der umfangreichen Bestandserweiterungen beispielsweise durch den Erwerb der für die europäische Geistesgeschichte richtungsweisenden Sammlung des Grafen Gondomar (ca. 15.000 Handschriften und Drucke) durch Karl IV. oder durch die Inkorporierung von Gelehrtenbibliotheken wie der von Mayáns y Siscar, Mutis, Bruna, Granvela, Mansilla etc., erlebte die Bibliothek unter der Regentschaft von María Cristina de Borbón (1806-1878) ihre finsterste Epoche. Die Monarchin, die offenbar keine bibliophilen Ambitionen hatte, ließ die Bände ungeordnet und nach ihrer Größe aufstellen, so dass mehrbändige Werke und Sammlungen auseinandergerissen wurden und weniger von einer Bibliothek als vielmehr von einem Bücherlager die Rede sein konnte.

Allerdings veranlasste diese Tatsache den Lehrer der Prinzessin von Asturien, Agustín de Arguelle, 1841 zu vehementer Klage, die Bibliothek befände sich in katastrophalem Zustand und für die Erziehung der künftigen Königin Isabell II. (1830-1904) eine Neuordnung der Bibliothek unabdinglich. Tatsächlich reagierte man auf diese Klage nach der Teilung der Öffentlichen Königlichen Bibliothek, aus der die heutige spanische Nationalbibliothek hervorgegangen ist, von den Privatbeständen des Königshauses im Jahre 1836, mit der Einstellung von Bibliothekspersonal, das auch die Bibliothek von El Escorial betreute. Die Politik, die bei der Bibliotheksverwaltung verfolgt wurde gestaltete sich dahingehend, dass man die Bestände der Bibliothek des Escorial der Forschung zugänglich machte, während man die Privatheit der königlichen Bibliothek zu wahren versuchte.

In der Zeit des spanischen Bürgerkriegs war die Bibliothek im Museo El Prado evakuiert. 1939 gelangten die Bestände zurück in den Königspalast und wurden in der Folgezeit der nationalen Kulturgutstiftung Patrimonio Nacional (http://www.patrimonionacional.es/inhome.htm) unterstellt.

Die königliche Bibliothek heute

Während die Bibliothek früher in den Räumen zwischen dem Schlafgemach des Königs und dem der Königin beheimatet war, befindet sie sich heute im nur noch zu repräsentativen Zwecken von König Juan Carlos I. genutzten Palast an der Calle Bailén. Der Nordostflügel des Gebäudes ist unter konservatorischem Aspekt der geeignetste für die Bücherbestände: Es handelt sich um den kühlsten und lichtgeschütztesten Palastbereich, der direkt auf die Sierra und die Gärten von Sabatini hinausweist und so am wenigsten Straßenabgasen ausgesetzt ist. Die wunderbaren Einbände, die den spanischen Königen nicht nur zu dekorativen sondern auch zu repräsentativen Zwecken dienten, stellen heute eine einmalige Sammlung dar. So ist man auch hier auf konservatorische Maßnahmen bedacht und klebt beispielsweise Signaturschilder nicht auf die Buchrücken. Stattdessen werden an feinen Baumwollfäden angebrachte Signaturschildchen in die Bände eingelegt. Diese hängen dann über den Buchrücken hinaus, so dass die Signatur bei der Aushebung aus dem Magazin gut erkennbar ist. Da es sich um feines Baumwollgarn handelt, verhakt dieses mit den Papierfasern, was ein Herausrutschen der ordentlich in den Falz eingelegten Signaturschildchen aus den Bänden auch bei der Benutzung verhindert.

Heutzutage sind die Bestände der Real Biblioteca den Benutzern durch den OPAC zugänglich. Der historische Zettelkatalog, der selbst eine Rarität darstellt, wird nicht weitergepflegt. Er ist den Bibliothekaren aber zur Rekonstruktion der Bestandsgeschichte ein unabdingliches Hilfsmittel. Die Katalogisierung erfolgt in MARC 21 (Derivat IBERMARC), die Arbeitsdatenbank ist GUICAT. Von informationstechnischer Seite her war es interessant zu sehen, wie die Bibliothek sich Kompetenzen für ihre Zwecke akquiriert: Stipendiaten der Hogeschool West Vlaanderen erstellen innerhalb des Leonardo-Programms unter Vorgabe eines für die Bibliothek vordringlichen Themas ihre Diplomarbeit im Fach Informatik.8 Auf diese Weise gelang es beispielsweise, eine virtuelle Ausstellung einzurichten und es wird versucht, die Bibliothek des Grafen Gondomar über das vorhandene Inventar mit TEI (http://www.tei-c.org/index.xml) zu rekonstruieren. Weitere Projekte der Real Biblioteca sind digitale Editionen, die Exlibrisdatenbank und die Einbanddatenbank.

Einbanddatenbank (screenshot)

Die Einbanddatenbank

Mit der seit 2006 eingerichteten Einbanddatenbank (http://encuadernacion. realbiblioteca.es), bei der man sich am Vorbild der deutschen Einbanddatenbank (http://www.hist-einband.de), den Einbandbeschreibungen von Denise Gid betreffend die Bestände der Bibliothèque Sainte-Geniviève9 und der Datenbank der British Library (http://www.bl.uk/catalogues /bookbindings/searchtips.aspx) orientiert hat, verfolgt man das Ziel der Provenienzbestimmung und Erschließung, d.h. der eindeutigen Beschreibung, Klassifizierung, Erforschung und Bekanntmachung einer hervorragenden Einbandsammlung, die neben einigen Beispielen, die bis ins 16. Jh. zurück zu datieren sind, alle Stilrichtungen vom Klassizismus des 18. Jhs. bis hin zum Jugendstil um die Jahrhundertwende zum 20. Jh. einschließt. Dies geschieht aufbauend auf den bisher nur unzulänglich verzeichneten Inhalten der bibliographischen Datenbank des Patrimonio Nacional (IBIS). Die künstlerische Leistung, die sich mit diesen Einbandarbeiten verbindet, ist bemerkenswert und wird neben der Zuweisung zu bestimmten Buchbinderwerkstätten ebenfalls Gegenstand der Forschung sein. Hierbei sind z.B. die Namen der Gebrüder Galván, Manuel Buenos, José Luis Garcías, Ramón Gómez Herreras, Antolín Palominos, Andrés Pérez Sierras oder Ana Ruiz Larreas zu erwähnen.

Die Real Biblioteca verwendet bei diesem Projekt ausschließlich Open Source Software: Mit php wurde eine MySQL Datenbank erstellt, wobei alle Daten auf einem Linux-Server zusammenlaufen.

Die Datenbank verfügt über eine verbale und eine visuelle Suchfunktion. Bei der verbalen Suche sind u.a. die Felder für Einträge zum Material, zur Farbe, zur Einbandtechnik, zur künstlerischen Gestaltung und zum Stil, zum Künstler oder zur Werkstatt, zum Buchbinder, zum Buchbesitzer oder zum Exlibris eingerichtet. Für die visuelle Suche hat man eine Bildgalerie angelegt, wobei die Aufnahmen alle informationstragenden Elemente des Bandes wiedergeben (Vorderdeckel, Rückdeckel, Schnitt, Vorsatz, Nachsatz, Frontispiz etc.). Durch eine erweiterte Suchfunktion, mit der sich verschiedene Suchkriterien durch bool'sche Operatoren verbinden lassen, sind spezielle Recherchen möglich. Außerdem existiert ein Suchindex für die Felder Einbandgestalter/Buchbinder, Signatur, Land, Material und Stil. Hauptziel dieses in Spanien bisher einzigartigen Einbanddatenbankprojekts ist zum einen die Rekonstruktion der Bestandsentwicklungsgeschichte der Real Biblioteca durch Besitzerzuweisungen, aber auch die Beweisführung zur oftmals vielschichtigen Besitzgeschichte einzelner Bände, die zunächst nicht Eigentum der königlichen Familie waren. Nicht zuletzt ist die Einbanddatenbank ein digitales und weltweit verfügbares Instrument für die Einbandforschung und dient durch ihr präzises Datenmaterial der Konservierung der Originale.


Anmerkungen

1. „Yo que me figuraba el Paraíso bajo la especie de una biblioteca“, aus: Jorge Luís Borges. Obras Completas 1952-1972, Bd. II. Barcelona: Emecé Editores 1989, S. 187.

2. María Luísa López-Vidriero Abelló: La biblioteca del Palacio Real de Madrid. In: Archives et Bibliothèques de Belgique, Bd. LXIII, Nr. 1-4 (1992), S. 85-118. Die Bestandsangaben werden in diesem Beitrag durch die mündlichen Angaben der Bibliothekare in Madrid auf den aktuellen Stand korrigiert.

3. María Luísa López-Vidriero Abelló: Apuntes sobre la Librería de Cámara. In: Arbor CLXIX, 665 (Mayo 2001), S. 287-295.

4. Pedro Voltes Bou: Felipe V. Fundador de la España contemporánea. Madrid: Espasa-Calpe 1991, S. 334.

5. Natalia Delgado Raack: Das Bibliothekssystem in Spanien: Best-Practices-Recherche. Berlin: Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin, 2007 [Berliner Handreichungen zur Bibliotheks- und Informationswissenschaft 203].

6. María Luísa López-Vidriero Abelló: La librería de Cámara en el Palacio Nuevo. In: María Luísa López-Vidriero/ Pedro M. Cátedra [Eds.]: El libro antiguo español III. El Libro en Palacio y otros estudios bibliográficos. Salamanca: Ediciones Universidad de Salamanca, Patrimonio Nacional, Sociedad Española de Historia del Libro 1996, S. 167-183.

7. Erst 1788 wurden beide zu spanischen Königen.

8. José Luís Rodríguez Montederramo: La Base de Datos de Encuadernaciones de la Real Biblioteca. In: Syntagma. Revista del Instituto de Historia del Libro y de la Lectura N° 2 (2008), S. 275-290.

9. Denise Gid: Catalogue de reliures françaises estampées à froid (xv-xviiéme siècle) de la Bibliothèque Mazarine. Paris: Editions du CNRS, 1984.


Autorin

Dr. Carmen Kämmerer

Bibliotheksreferendarin

Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel
Zeughaus
Schlossplatz 12
38304 Wolfenbüttel
kaemmerer@hab.de