Bibliotheken und Politik

von Marianne Dörr

„Bibliotheken und Politik“, unter diesem Titel stand eine Veranstaltung am Morgen des ersten Tags des Mannheimer Bibliothekartags, die vom bibliothekarischen Dachverband Bibliothek und Information Deutschland (BID) gemeinsam mit der Arbeitsgemeinschaft der Regionalbibliotheken des DBV veranstaltet wurde. Nach der Vorstellung eines neuen Positionspapiers von BID in der Nachfolge des Projekts „Bibliothek 2007“ im ersten Teil ging es in einer zweiten Runde darum, die Ansätze des Positionspapiers mit realen bibliothekspolitischen Strukturen aus immerhin fünf verschiedenen Bundesländern zu konfrontieren und eine Diskussion darüber zu initiieren. Die Moderation nahmen Barbara Lison, Präsidentin von BID, und im zweiten Part Marianne Dörr, Vorsitzende der AG der Regionalbibliotheken, wahr.

Barbara Lison führte zum Start in die Genese und die Zielrichtung des Positionspapiers „21 gute Gründe für gute Bibliotheken“ ein, das zur Veranstaltung für das Publikum in einer Manuskriptfassung bereitlag. Das Projekt Bibliothek 2007, gemeinsam mit der Bertelsmann-Stiftung durchgeführt, hatte keine Ergebnisse „zum Abheften“ erbracht, sondern Zielvisionen einer strukturellen und politischen Verankerung und Organisation des Bibliothekwesens (u.a. mit Empfehlungen für eine Bibliotheksentwicklungsagentur und ein Bibliotheksgesetz) erarbeitet. In den letzten Jahren hat BID mit seinen Mitgliedsverbänden einen deutlichen Fortschritt in der politischen Wahrnehmung erreicht. Hervorzuheben sind die Anhörung und die inzwischen publizierten Ergebnisse der Enquetekommission Kultur, das Kultur-Frühstück beim Bundespräsidenten und – aktuell – die Debatte um Bibliotheksgesetze – nicht nur in Thüringen.

21 gute Gründe für gute Bibliotheken

Bibliotheken auf die (politische) Agenda zu setzen, ist jedoch ein nur langfristig zu erreichendes Ziel. Die Verbände müssen aktiv daran weiterarbeiten, Bibliotheken mit ihren vielfältigen Aufgaben und Dienstleistungen im Bewusstsein der Öffentlichkeit zu verankern und konkrete Forderungen zu stellen. Diesem Ziel dient das Papier, das von einer Arbeitsgruppe der BID (Barbara Lison, Präsidentin der BID (Vorsitz), Prof. Dr. Gabriele Beger (DBV), Dr. Ulrich Hohoff (VDB), Hella Klauser (KNB-Bereich Internationale Kooperation im DBV), Dr. Heinz-Jürgen Lorenzen (DBV), Prof. Cornelia Vonhof (BIB) und Ulla Wimmer (KNB-Koordination im DBV)) in den vergangenen Monaten erarbeitet wurde und das mit dieser Auftaktveranstaltung am Bibliothekartag in der Berufsöffentlichkeit zur Diskussion gestellt wurde. Es besteht aus vier Teilen, dem von der Journalistin Anne Buhrfeind nach Vorgaben und Beispielen aus der Arbeitsgruppe redigierten und für das Gesamtpaket titelgebenden Text „21 gute Gründe für gute Bibliotheken“, aus Standards für Wissenschaftliche und Standards für Öffentliche Bibliotheken und dem Entwurf eines Musterbibliotheksgesetzes (alle Papiere sind inzwischen zugänglich unter: http://www.bideutschland.de/deutsch/taetigkeiten/projekte/bibliothek_2012/).

Als Zielgruppen des Papiers werden vorwiegend Politik und Unterhaltsträger, aber durchaus auch die breite Öffentlichkeit identifiziert. Nach der Diskussion und den Rückmeldungen der Berufsöffentlichkeit soll das Papier endredigiert, von BID verabschiedet und schließlich zum Tag der Bibliotheken am 24. Oktober auch für die politische und öffentlichkeitswirksame Arbeit aller Bibliotheken bereit stehen.

Ulrich Hohoff und Heinz-Jürgen Lorenzen erläuterten die jeweiligen Schwerpunkte der beiden Standardpapiere, die bewusst knapp gehalten sind. So umfassen die Standards für Hochschulbibliotheken ohne weitere Untergliederung 14 Punkte, von den rechtlichen Grundlagen bis zur – mess- bzw. nachprüfbaren – kontinuierlichen Verbesserung der Bibliotheksdienstleistungen. Ulrich Hohoff betonte in seiner Darlegung aber, dass qualitative Aspekte gegenüber quantitativen bewusst im Vordergrund stehen und dass die Standards eine Zielvision implizieren, die aus Sicht der Arbeitsgruppe innerhalb von 5 Jahren erreicht werden sollte. Dazu ist politische Unterstützung notwendig.

Die insgesamt 12 Standards für Öffentliche Bibliotheken, die Hans-Jürgen Lorenzen im Anschluss vorstellte, sind fünf Dimensionen zugeordnet (Akzeptanz, Angebot, Zugänglichkeit, Raum und Personal), die Leistung und Qualität Öffentlicher Bibliotheken beschreiben sollen. Dabei führt die Dimension der Akzeptanz nicht aus rein alphabetischen Gründen, sondern als bewusste Gewichtung die Aufzählung an. Den Dimensionen sind – die Analogie zum BIX wird deutlich – jeweils messbare Indikatoren zugewiesen (z.B. Öffnungsstunden und Erreichbarkeit für die Zugänglichkeit). Im Unterschied zu traditionellen Kennzahlensystemen des ÖB-Bereichs hat sich die Arbeitsgruppe von der Bezugsgröße Einwohnerzahl der Kommune gelöst und setzt stattdessen die Bewohnerzahl des Einzugsgebiets an. Allerdings dürfte beides nicht immer eindeutig zu ermitteln sein, was die Verständigung über die darauf bezogenen Indikatoren erschweren dürfte.

Beide Standardpapiere nehmen sowohl die Unterhaltsträger als auch die Bibliotheken selbst mit ihrem Leistungsportfolio und ihrer Leistungserfüllung in die Pflicht.

Ein Mustergesetz für Bibliotheken

Der Beitrag der DBV-Vorsitzenden, Prof. Dr. Gabriele Beger, zu einem Mustergesetz für Bibliotheken nahm direkt auf die am 29. Mai, also erst wenige Tage vor der Veranstaltung, abgehaltene Anhörung im Thüringer Landtag Bezug. Denn das Musterbibliotheksgesetz erlebte zeitgleich zum Bibliothekartag schon den Praxistest einer politischen Umsetzung. Gabriele Beger hob diese Entwicklung als Erfolg der Verbandsarbeit der letzten Jahre hervor. Ohne die Paragraphen des in seinen Grundzügen ja bereits länger diskutierten Musterentwurfs einzeln zu kommentieren, wies sie auf die Forderungen hin, die aus Bibliothekssicht essentiell für eine gesetzliche Regelung von Bibliotheken sind. Neben der Anerkennung von Bibliotheken als Bildungseinrichtungen ist hier vor allem ihre Verankerung als Pflichtaufgabe zu nennen – eine Forderung, die jedoch auch im Nachgang der Anhörung keinen Eingang in den Thüringer Regierungsentwurf und die inzwischen verabschiedete Fassung gefunden hat. Die Diskussion wird in weiteren Bundesländern, in denen es im Gefolge Thüringens Initiativen zu Bibliotheksgesetzen gibt, neu zu führen sein. Allerdings präjudiziert eine verabschiedete Fassung natürlich weitere Entwürfe.

Die Praxis-Runde

Direkt im Anschluss an die Vorstellung des Papiers leitete Marianne Dörr zur Vorstellung der Teilnehmer der „Praxis-Runde“ über. Das Positionspapier „21 gute Gründe“ ist auch als Anstoß zu einer Bibliothekpolitik und Bibliotheksplanung auf unterschiedlichen Ebenen (Kommunen, Kreise, Regionen, Länder, Bund) zu lesen. Im Gegensatz zu den überregionalen Bibliotheksplänen der 1970er-Jahre scheint Planung in einem übergeordneten Sinne (fast) nicht mehr stattzufinden. Auf das Podium eingeladen wurden jedoch Vertreter aus verschiedenen Bundesländern, in denen es Ansätze, Konzepte, Strukturen gibt, die das Bibliothekswesen insgesamt oder Teilbereiche (wie das wiss. Bibliothekswesen oder die landesbibliothekarischen Aufgaben) des jeweiligen Landes koordinieren sollen.

Dass die Initiative zu dieser Runde von den Regionalbibliotheken ausging, motivierte die Moderatorin damit, dass diese Bibliothekssparte mit ihren spezifischen Aufgaben in der öffentlichen und in der politischen Wahrnehmung gegenüber den Hochschulbibliotheken, aber auch gegenüber den Kommunalen Bibliotheken, häufig untergeht. Bei den vorzustellenden Bibliothekskonzepten und Strukturen waren jedoch mehrheitlich die Landesbibliotheken aktiv und involviert.

Aus NRW

Aus Nordrhein-Westfalen berichtete Dr. Irmgard Siebert, Direktorin der Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf. Aufgrund der historischen Entwicklung hat Nordrhein-Westfalen keine lange landesbibliothekarische Tradition bzw. keine Staatsbibliothek. Dagegen hat sich eine kooperative Struktur etabliert, in der drei Universitäts- und Landesbibliotheken (Bonn, Düsseldorf, Münster) die landesbibliothekarischen Aufgaben für das Bundesland wahrnehmen. Während in den vergangenen Jahren die landesbibliothekarischen Funktionen (Landesbibliographie, Pflichtexemplar) in unheilvoller Konkurrenz zu den Anforderungen der Hochschulen standen und politisch wenig Unterstützung erfuhren, hat sich die Situation, auch nach einer externen Bedarfsuntersuchung, inzwischen verbessert. Vor allem für Bestandserhaltung und Digitalisierung haben die Landesbibliotheken Sondermittel erhalten, um der Sorge um das kulturelle Erbe des Landes nachzukommen. Irmgard Siebert ging in ihrem weiteren Statement konkret auf die vorgestellten Papiere ein und formulierte Anregungen zum Einbezug weiterer Themen. Gerade die Standards erschienen ihr als wesentlicher Ansatz, um mit der Politik über die Ausstattung der Bibliotheken ins Gespräch zu kommen.

Aus Bayern

Generaldirektor Dr. Rolf Griebel stellte die Struktur des bayerischen Bibliothekswesens mit der besonderen Rolle der Bayerischen Staatsbibliothek dar, die seit 1999 auch als die dem Ministerium unmittelbar unterstellte Fachbehörde für das gesamte Bayerische Bibliothekswesen fungiert. Die Fachstelle für die Öffentlichen Bibliotheken mit ihren dezentralen Standorten und der Bayerische Verbund als Dienstleister für Wissenschaftliche und Öffentliche Bibliotheken gehören als Abteilungen direkt zur Staatsbibliothek. Für weitere Aufgaben nehmen die jeweiligen Abteilungen der Staatsbibliothek Koordinationsfunktionen wahr, so z.B. für die Bestandserhaltung und die Restaurierung.

Gemeinsam mit den als zentrale Einrichtungen ihren Hochschulen unterstehenden Hochschulbibliotheken hat die Staatsbibliothek gegen die sich immer weiter öffnende Schere zwischen der Steigerung der Medienkosten und den bestenfalls stagnierenden Bibliotheksetats ein sogenanntes Konvergenzkonzept erarbeitet, in dessen Zentrum das Modell eines kooperativen Leistungsverbunds der Bibliotheken steht. Der Ansatz beruht auf drei Säulen, nämlich der Vernetzung und Bündelung der Kräfte der Wissenschaftlichen Bibliotheken, der Ausschöpfung des Potentials der Staatsbibliothek für die Literatur- und Informationsversorgung der bayerischen Hochschulen und dem kooperativen Aufbau der Virtuellen Bibliothek Bayern. Das Konzept wurde in den vergangenen Jahren, u.a. durch Besuche in den entsprechenden Ausschüssen des Landtags, auch politisch erfolgreich als Strategie kommuniziert. Es gab fraktionsübergreifende Initiativen für eine Stärkung der Informationsversorgung durch die bayerischen Bibliotheken und es zeichnet sich ab, dass die Bayerische Staatsbibliothek für die Vielzahl ihrer Aufgaben nach vielen Jahren des Abbaus auch wieder mit einem Zuwachs an Stellen rechnen kann.

Aus Schleswig-Holstein

Für den Landesverband Schleswig-Holstein im Deutschen Bibliotheksverband stellte Frau Dr. Else Maria Wischermann, Direktorin der Universitätsbibliothek Kiel, den unter ihrem Vorsitz erarbeiteten Bibliotheksentwicklungsplan für die Wissenschaftlichen Bibliotheken vor. Der Landesverband hat sich damit zum dritten Mal ein solches Zielpapier gegeben. Während frühere Papiere von Öffentlichen und Wissenschaftlichen Bibliotheken zusammen erstellt worden waren, bezieht sich die Agenda 2007-2011 nur auf die Wissenschaftlichen Bibliotheken. Doch ist eine Zusammenführung für die Zukunft wieder geplant. Frau Wischermann thematisierte in ihrem Statement gerade die praktischen Probleme, in einem eher wirtschaftsschwachen Land mit vergleichsweise wenig großen Hochschuleinrichtungen und daher auch wenigen Wissenschaftlichen Bibliotheken die Aufmerksamkeit der Politik zu erreichen.

Aus Rheinland-Pfalz

Der Direktor des Landesbibliothekszentrums Rheinland-Pfalz, Dr. Helmut Frühauf, erläuterte die Rolle und die Funktionen dieser erst vor wenigen Jahren neu geschaffenen Einheit, in der auf politische Initiative die vorher selbständigen Landesbibliotheken in Koblenz und Speyer, die Bibliotheca Bipontina Zweibrücken und die Landesfachstellen für das Öffentliche Bibliothekswesen Koblenz und Neustadt aufgegangen sind. Nicht integriert wurden Bibliotheken mit ähnlichen Funktionen, die jedoch in kommunaler Trägerschaft stehen, nämlich die Wissenschaftlichen Stadtbibliotheken in Mainz und Trier. In den vergleichsweise wenigen Jahren seines Bestehens hat das LBZ das Dienstleistungsspektrum der Landesbibliotheken durch einen gemeinsamen Katalog und einen Lieferdienst zwischen den Standorten spürbar verbessert. Mit Dilibri wurde eine Struktur für eine Digitalisierungsoffensive der rheinland-pfälzischen Bibliotheken geschaffen, an der sich aktuell auch schon die Universitätsbibliothek Trier und die Stadtbibliothek Mainz beteiligen. Insgesamt hat der Zusammenschluss zu einer Stärkung der Landesbibliotheken geführt. Die Eingliederung in eine weitere neu geschaffene Struktureinheit, die Generaldirektion Kultur, wurde von der Politik zunächst noch zurückgestellt.

Aus Sachsen

Der Stellvertreter des Generaldirektors der Sächsischen Landesbibliothek/Staats- und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB), Dr. Achim Bonte, stellte abschließend die Situation in Sachsen vor. Die SLUB, die aus der Fusion der beiden Vorgängereinrichtungen hervorgegangen ist, hat eine gesetzlich geregelte Sonderstellung inne und übernimmt Koordinationsfunktionen innerhalb des sächsischen Bibliothekswesens. Ein 2006/2007 erarbeiteter Struktur- und Entwicklungsplan für das wissenschaftliche Bibliothekswesen in Sachsen setzt darauf auf und entwirft ein Kooperations- und Vernetzungsmodell, das mit genau definierten Gemeinschaftsprojekten zur Stärkung der Bibliotheken und zum gezielten Abbau von Defiziten beitragen soll.

Eine Bilanz

Bilanzierend ergab sich aus dieser geballten Zusammenschau von Bibliothekskonzepten aus unterschiedlichen Bundesländern, dass kooperative Strukturen mit starken Knoten (Einrichtungen) im Netz der Bibliotheken sich positiv auf die politische Wahrnehmung und die daraus resultierende Entwicklungsfähigkeit des Bibliothekswesens auswirken und dass Chancen zu einer Bibliotheksplanung – unter modifizierten Vorzeichen – auch aktuell noch bestehen und aktiv mitgestaltet werden sollten.

Das wiederum von Barbara Lison moderierte Abschlussgespräch erbrachte noch einige konkrete Anregungen und Fragen zum Positionspapier. Die weitere Diskussion soll von der Berufsöffentlichkeit aber über die bibliothekarischen Verbände und Gremien mit der Arbeitsgruppe rückgekoppelt werden, damit „21 gute Gründe“ zu einem Dokument wird, das dem gemeinsam getragenen Selbstverständnis der Leistungen, Ziele und Anforderungen der deutschen Bibliotheken Ausdruck verleiht.


Autorin

Dr. Marianne Dörr ist Leitende Bibliotheksdirektorin der

Eberhard Karls Universität
Tübingen
Universitätsbibliothek
marianne.doerr@ub.uni-tuebingen.de