Wissen begegnen …

Ein persönliches Resümee des Festabends
des 97. Bibliothekartags in Mannheim

von Tom Becker

Wie einen Bericht über einen Festabend mit kulturellem Rahmenprogramm beginnen, dessen originär kulturelle Aspekte ich trotz bester Vorsätze nicht kommentieren kann?1

„Wissen begegnen – Theken für die Informationsgesellschaft“, so kann zumindest aus meiner Sicht im Nachhinein das Kongressmotto modifiziert werden. Damit, so dann auch die Intention der nachfolgenden Zeilen, soll allerdings auch aufgezeigt werden, dass nicht nur Promille, sondern auch Informationen getankt wurden, dass nicht nur entspannt gegessen, sondern auch angespannt und interessiert Kontakte und Ideen ausgetauscht wurden. Das originäre Motto „Wissen bewegen“ – und genau dies soll auch das als Stundenprotokoll verfasste persönliche Resümee des Festabends verdeutlichen2 – ist somit den Abend hindurch präsent geblieben.

Doch kein Protokoll ohne Prolog und Epilog. Die Aufzeichnung der Ereignisse setzt am frühen Nachmittag von Donnerstag, dem 5. Juni, ein und reicht bis zum späten Vormittag von Freitag, dem 6. Juni:3

15:30 Infostand B.I.T.-Online
Neben einigen anderen interessanten Projektideen wurde die Idee geboren, mich den Bericht zum Festabend schreiben zu lassen, Vorgabe: ca. 1½ Seiten, Abgabe: möglichst bald.
16:00 Alumni-Empfang der HdM Stuttgart
Das eine oder andere Glas Sekt wurde auf das Wiedersehen, die laufenden Projekte, den gut organisierten Kongress und die Zukunft vergossen – alte Kontakte wurden vertieft, neue geschlossen, das Networking der letzten Tage gelungen fortgesetzt.
18:00 Infostand der Münchner Stadtbibliothek am Dienstleistungsmarkt
Nach drei Gläsern O-Saft schnell wieder das Namensschild angesteckt, um den vorletzten offiziellen Termin des Abends seriös wahrnehmen zu können. Es ging um Auskunftsstandards für Institute der Frankfurter UB, und en passant konnten gleich auch noch Kontakte mit der UB Magdeburg zum Thema „Fit Für die Facharbeit – Vermittlung von Informationskompetenz für Oberstufenschüler“ geknüpft werden. Als letzter Termin war ein informelles Gespräch mit Birgit Stumm, Europa-Fachfrau des KNB, im Verlaufe des Festabends lose verabredet . . .4
18:45 Eingangsbereich Kongresszentrum Rosengarten
Engagiert wie eh und je organisierte der BIB in Person von Ilona Munique ein Taxi auch für mich und meine Bibliothekartags-Peer-Group, die wir etwas unentschlossen diskutierten, wie wir nun zum Schloss gelangen sollten (laufen oder fahren, Taxi oder Tram?).
19:15 Entree des Barockschlosses Mannheim: Im Taxi
Boh ej, war der erste Gedanke, als das Taxi in den Schlosshof fuhr – das verspricht cool zu werden! Die ankündigenden Worte im Programm: „Wo schon die Kurfürsten der Pfalz rauschende Feste feierten, kann man auch heute noch die unvergleichliche Atmosphäre der alten Residenz und ihre moderne Wiedergeburt erleben“ erschienen stimmig.
19:20 Entree des Barockschlosses Mannheim: Angekommen
Während Ilona mehrfach bedauerte, dass ihr schwarzes Samtkleid noch im Hotel hinge (hatte sie doch die irrige Hoffnung, Zeit zum Umziehen am Spätnachmittag finden zu können), schritten wir Hand auf Hand stil- (mit Rollkoffer und diversen anderen Utensilien im Schlepptau) und würdevoll (so unser Selbstbild) über den roten Teppich in Richtung Garderobe.

Wer kann – umgeben von soviel Stimmung und guter Laune – schon auf den Begrüßungssekt verzichten? Wir nicht, und so konnten wir – an der Garderobe angelangt – abermals auf die und mit den wiedergewählten BIB-Vorständen Conni Vonhof und Susanne Riedel anstoßen.

Während die Kolleginnen Vor- und Nachteile der Umwandlung des Rückraums vom BIB-Infostand in eine Festabend-Umkleidekabine erörterten und (zu Recht!) das Ambiente von Kongress und Festabend lobten, wandte ich mich dem Web 2.0 in Gestalt von Lambert Heller zu. Aufwand und Mindeststandards von privat oder institutionell geführten Blogs wurden diskutiert, nicht abschließend, versteht sich. Ich nahm mir wieder einmal vor, in diesem Bereich endlich tätig zu werden und das sich in der Schublade befindende blog-basierte Homepagekonzept doch dieses Jahr noch umzusetzen. Die to-do-Liste wurde so um einige Punkte ergänzt.

20:00 Essen fassen!
Als Semi-Vegetarier beschränkte sich für mich am hervorragend dargebotenen warmen Buffet die Auswahl auf Fisch oder Gnocchi – und da die Schlange bei letzteren ohnehin die kürzeste war, schlug ich hier zu.

Lambert – der sich für das Huhn entschieden hatte – habe ich an dieser Stelle verloren. Während ich am Gnocchi-Stand meine Münchner Kolleginnen getroffen habe, harrte er noch (und, wie ich vermute, wohl noch eine ganze Weile) an der Geflügeltheke auf die Broilerbrust . . .

Mit den Gnocchi in der einen und einem Glas Wasser (sic!) in der anderen Hand bin ich meiner Kollegin in den ersten Stock zu den Sitztischen gefolgt – und hier kam die bereits zitierte „unvergleichliche barocke Atmosphäre“ so richtig zur Geltung. Deckengemälde, Blick über die Brüstung in den Eingangsbereich, reichlich gedeckte Tische und ein überaus freundliches und serviceorientiertes Personal verstärkten die Feierstimmung abermals, das köstliche Essen (mit dem hervorragenden Rauke-Salat) war dann das sprichwörtliche Tüpfelchen auf dem i. Auf zum zweiten Gang, und der musste dann auch mit einem (oder waren es gar zwei?) frisch gezapften Pils begossen werden!

21:00 Frischluft schnappen auf dem Schlosshof: Fachgespräche
Kaum auf dem Schlosshof angelangt, stand die Zukunft im Vordergrund, respektive die Ergebnisse aus dem Zukunftsszenario der Münchner Stadtbibliothek,5 das – so eine Kollegin der UB Innsbruck – „sowohl konkrete Handlungsansätze als auch einen klaren Maßnahmenkatalog mit konzeptioneller Prioritätensetzung vermissen ließe“.

Gemeinsam mit Edgar Fixl, UB Konstanz (wo auch Szenarien für eine Generalsanierung erarbeitet werden) und Tanja Erdmenger (Münchner Stadtbibliothek Am Gasteig, Referentin des entsprechenden Vortrags auf dem Kongress) wurden Erwartungen, Grenzen und Problematiken diskutiert.

21:45 Frischluft schnappen auf dem Schlosshof: Flirtversuche
Nachdem in den letzten Jahren der Flirtfaktor auf unserer Jahrestagung zumindest aus meiner Sicht mit kleiner-gleich Null zu bewerten war, ergab sich (nach einem anregenden Vorabend mit einem Berliner Bibliothekar) nun unerwartet ein Getändel mit einem Goetheaner zu Füßen des Denkmals von Kurfürst Soundso dem sonst wievielten der Pfalz.

Nachdem ich (inzwischen – Dank Herrn Fixl – mit einem neuen frischen Pils gewappnet) eben jenen durchaus nicht uninteressanten Kollegen dann aber zum dritten Mal mit dem falschen Namen vorgestellt hatte (naja, ich hab halt einfach kein funktionierendes Personengedächtnis), entschwand er nach Austausch von Visitenkarten in der Masse der Informationsspezialisten im Schloss, und ward (leider) auch im weiteren Verlauf des Abends nicht mehr gesehen . . .

Grund genug, ein weiteres Pils zu ordern und sich wieder der Konstanzer Peer-Group zuzuwenden.

22:30 Frischluft schnappen auf dem Schlosshof: Verpasste Gelegenheiten
Irgendwie ist der Nachtisch an uns vorbei gegangen, schade aber auch – lecker hat er ausgesehen, und wie mir durchgehend bestätigt wird, war er das auch. „Das ist dann schon die zweite verpasste Gelegenheit an diesem Abend“, dachte ich mir, „wäre ja schon noch schön, die Dachterrasse zu sehen und wenigstens mal einen Blick in die ausgebaute und viel gepriesene Hasso-Plattner-Bibliothek zu werfen.“ Gedacht, getan – und mit einem frischen Pils ging’s in die oberen Etagen. Dumm gelaufen – die waren inzwischen bereits verschlossen . . .

Auf dem Rückweg zum Peer-Group-Tisch schnell noch mit Erwin König von B.I.T.online das ‚Sie‘ gecanclet, auf der Tanzfläche Freunden kurz mit einem „Jaja, ich tanz’ schon auch noch“ zugewunken und dann wieder raus in den Schlosshof, der – inzwischen ins Dunkel getaucht – einen ganz anderen, aber deshalb nicht weniger atmosphärischen Eindruck vermittelte.

Irgendwo in dem Zeitraum ist mir dann aufgegangen, das der informelle Termin mit Birgit Stumm vom KNB wohl doch nicht mehr zustande kommen würde . . .

23:30 Frischluft schnappen auf dem Schlosshof: In vino veritas.
Zurück an unserem Stehtisch, gesellte sich Prof. Dr. Konrad Umlauf zu der Runde – endlich für mich die Gelegenheit, ihm den Fortschritt meiner Promotion (er ist Zweitkorrektor) und die Ergebnisse meines Auslandsaufenthalts in Großbritannien6 zu berichten. Doch das Thema wurde schnell gewechselt, denn Prof. Umlauf stellte die (für meinen Zustand vielleicht schon etwas riskante) Frage: „Herr Becker – wie sieht denn Ihr persönliches Fazit zum Kongress aus?“

Bei Grauburgunder und einem frischen Bier galt es dann eine überzeugende und seriöse Antwort zu finden.7

Zwei Punkte – einer positiv, der andere eher negativ, waren sofort aufgelistet: Serviceteam und Dienstleistung waren sowohl im Rosengarten wie am Festabend super, einige Seminarräume allerdings im Kongresszentrum stark unterkühlt und ungemütlich. Ansonsten, so meine Momentaufnahme, war (und ist) der Bibliothekartag (und das macht ihn so interessant) von vielen freundschaftlich- und beruflich-kritischen Gesprächen geprägt.

Im Nachhinein – und die Gelegenheit möchte ich hier nutzen – lässt sich dieses positive Fazit um folgende Bausteine erweitern:

  • Wir alle (und dies ist sicher keine wirklich neue Erkenntnis) hinterfragen nicht oft genug und viel zu zögerlich den Status quo, trauen uns oft nicht, weit und gewagt genug nach vorne gerichtete Gedanken angehen und umzusetzen, mit dem dazu nötigen „Mut zu Lücke“!
  • Auch für alte Hasen (beruhigend für mich als recht neue Führungskraft!) ist es oft nicht einfach, in Teamstrukturen neue Wege zu gehen, mitarbeiterorientiert zu führen, Erwartungen und Bedürfnissen Rechnung zu tragen und sich von Befindlichkeiten nicht zu sehr demotivieren zu lassen. Lebenslanges Lernen ist auch hier die Devise.
  • Es sind vor allem die informellen Kontakte und Gespräche auf Events wie den Bibliothekartagen und den dazugehörenden abendlichen Zusammenkünften, die mich wieder bestätigen, für den Alltag motivieren und mit vielen unterschiedlichen neuen Anregungen füttern.

    Doch zurück zum Festabend: Leider blieb Prof. Umlauf – wie ich nach seinem Aufbruch festgestellt habe – die Antwort auf die entsprechende Gegenfrage schuldig. Da half dann nur ein sinnierend, in Erinnerung schwelgend und in Gemeinschaft getrunkenes Pils.

  • 24:30 plus x  Wissen bewegen – Der Kongress tanzt!
    Irgendwann hab’ ich’s dann doch noch auf die Tanzfläche geschafft, und wenn Bibliothekare sich bewegen, macht’s immer Spaß. Erinnert mich immer wieder wehmütig an die Villa am Killesberg – aber das können nur die Stuttgarter Dipl.-Bibl.’s nachvollziehen . . .
    01:30 plus x  Zimmer frei!
    Nachdem wir es irgendwie geschafft hatten, die letzte Runde zu verpassen (just als ich an die Reihe kam, wurde der Zapfhahn dichtgemacht), hieß es: Wohin jetzt?

    Da hatten die Berliner Kollegen, allen voran Ben von der TU, schon die Möglichkeiten abgecheckt, und Connie Lutter (RWTH Aachen) – praktisch veranlagt wie eh und je – hat den kürzesten Weg dahin bereits erfragt. InformationsspezialistInnen am Werk!

    Und so ging’s dann ins Zimmers, einer Absturzdisko in der Innenstadt, und zum letzten (! … ?) Bier.

    Ich hab’ dann auch als erster das Feld geräumt und bin gegen 2:30 ins Taxi gestiegen, das mich auch brav gen Heimat ins vertraute Bett gefahren hat.

    Schnell noch den Hund gekrault, eine Aspirin reingeschoben (präventiv) und – bewegt von „Wissen & mehr“ – leicht umnebelt eingeschlafen.

    07:45 Morgenstund’ . . .
    Der Wecker klingelte, mein 15-jähriger Cousin scheuchte den Hund zum Aufwecken in mein Bett – kann der letzte (Arbeits-)Tag in Mannheim besser eingeläutet werden?

    Nach einer langen Dusche, einer weiteren Aspirin und dem Obstsalat meiner Cousine ging’s dann ins Kongresszentrum.

    09:00 Zurück auf Los: Der Morgen danach im Rosengarten
    Im Vortrag neben mir saß dann auch Ben, der (ähnlich wie wahrscheinlich ich) einen leicht derangierten Eindruck erweckte. Er hatte deutlich länger – bis nach 04:00 morgens – im Zimmers Präsenz gezeigt.

    Nach den ersten zwei Präsentationen benötigte ich dringend einen Kaffee, den ich am Stand von Bibliotheca RFID – im Austausch für eine Werbedokumentation von MünchenTV über die RFID-Implementierung in der Münchner Stadtbibliothek – dann auch erhalten habe. Auf dem Weg dorthin traf ich Connie – wie immer das blühende Leben.

    Irgendetwas mache ich falsch. Aber ich freue mich schon . . .

    . . . auf den nächsten Bibliothekartag in Erfurt, auf ein Wiedersehen mit meiner Peer-Group, auf all die Herausforderungen, Erfolge und Misserfolge, die dazwischen liegen und für Gesprächsstoff sorgen.

    Wie dem auch sei. Bis zum nächsten feucht-fröhlichen Zusammensein in dieser Runde haben wir genug zu tun: Setzen wir die, setzen wir unsere Bibliotheken und Informationseinrichtungen auf die Tagesordnung, betreiben wir Lobbying in eigener Sache – im Interesse unserer Kundinnen und Kunden, im Auftrag des Grundgesetzes, aus Überzeugung und aus Freude an unserer Arbeit.

    Wissen begegnen – Wissen bewegen! Schön und bereichernd war es in Mannheim, schön und bereichernd war es im Schloss. Danke!


    Anmerkungen

    1. Aber alle, die dabei waren und die ich gefragt habe, schwärmen . . .

    2. Die Idee des Stundenprotokolls geht an den FSPH aka FUCKINGSTUPIDPILSHOLER Edgar Fixl, UB Konstanz, der mir nicht nur an diesem Abend geistreich zur Seite stand.

    3. Ich garantiere weder für die richtige Reihenfolge der aufgezählten Ereignisse noch kann es mir annähernd gelingen, alle KollegInnen, mit denen ich im Gespräch war, aufzuführen. Man möge mir dies ebenso wie die wahrscheinlich nur in Ansätzen korrekte Aufführung der Mengen der Flüssigkeiten, die ich an diesem Abend genossen habe, nachsehen.

    4. Die Münchner Stadtbibliothek Am Gasteig positioniert sich seit zwei Jahren erfolgreich als europapolitische Schnittstelle innerhalb der Landshauptstadt, vgl.: Becker, Tom: EUropawochen im Gasteig. Aktionstage der Münchner Stadtbibliothek zum 50-jährigen Bestehen der EU im Frühsommer 2007. In: Bibliotheksforum Bayern 01 (2007), S. 239 ff.

    5. Erdmenger, Tanja: Die Münchner Stadtbibliothek Am Gasteig im Jahr 2017. Ein Zukunftsszenario der Zentralbibliothek in Raum, Funktion und Angebot.

    6. Ich schreibe betreut von Prof. Dr. Claudia Lux eine Promotionsarbeit über „Potentielle Funktionen von Wissensmanagement in Öffentlichen Bibliotheken“ und habe (von Anfang März bis Mitte Mai) in diesem Zusammenhang 24 Wissensexperten aus britischen und 24 aus deutschen Großstadtbibliotheken in einer ersten Datenerhebungsrunde einer szenariobasierten Delphistudie interviewt.

    7. Zu beurteilen, ob mir dies gelungen ist, sei Herrn Prof. Dr. Umlauf überlassen.


    Autor

    Tom Becker

    Münchner Stadtbibliothek Am Gasteig
    tom@leihverkehr.de