Thomas Fuchs: Bibliothek und Militär

Militärische Büchersammlung in Hannover vom 18. bis zum 20. Jahrhundert.
Mit einem Katalog der Handschriften der ehemaligen Wehrbereichsbibliothek II
in der Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek.


(Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie,
Sonderbände, hrsg. v. Georg Ruppelt, Sonderband 93)
- Frankfurt 2008. 206 Seiten, einige Abbildungen

Eingangs hält der Rezensent zwei Bemerkungen für erforderlich: Im Zuge der Umstrukturierung der Bundeswehr sollte die Wehrbereichsbibliothek II aus Hannover abgezogen werden. Zwar war der Verbleib der sog. Scharnhorstbibliothek in Hannover bereits seit langem vertraglich geregelt, aber dank der Initiative des Direktors der Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek und einigen Interessierten konnte letztlich der nahezu gesamte Bestand der Wehrbereichsbibliothek II (WBB II) als Dauerleihgabe in Hannover gehalten werden. Damit war sichergestellt, dass nicht nur die noch vorhandenen Bücher aus den kgl. hannoverschen Militärbibliotheken, sondern auch die späterer hannoverscher Militärbibliotheken hier verbleiben konnten.

Zu lange sind die Traditionsstränge nach dem Ende des Königreichs Hannover im Jahre 1866 schon gekappt. Reichswehr und Wehrmacht beispielsweise sind noch im kollektiven Gedächtnis präsent. Nicht so das Königreich Hannover und die Königlich Hannoversche Armee. Dies ist bedauerlich, denn immerhin war es eine der ältesten und interessantesten Armeen, die nicht nur im deutschen sondern auch im europäischen Zusammenhang eine bedeutende Rolle gespielt hat: ob auf Kreta oder dem Peloponnes, ob auf Menorca oder in Indien, ob in Gibraltar, auf der Iberischen Halbinsel oder auf dem europäischen Festland – hannoversche Soldaten waren überall und häufig im Einsatz. Nur nicht in Nordamerika. Es bestanden Generalstab, Bibliotheken, Lehr- und Bildungseinrichtungen. Hier liegt die Ursache für die wertvollen Altbestände.

Nun zum Werk: Einband, Papier, Satz und Druck machen einen ausgezeichneten Eindruck. Und erst recht der Inhalt. Im Hauptteil spannt Thomas Fuchs gekonnt einen Bogen von den ersten Büchersammlungen einzelner hannoverscher Regimenter im 18. Jahrhundert bis hin zur Wehrbereichsbibliothek II der Bundeswehr. Der Anhang 1 enthält einen Katalog der 144 Handschriften der WBB II, die in die Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek gelangten. Aus den verschiedensten Provenienzen stammend, sind sie ein Zeugnis für nicht mehr vorhandene oder zerstreute Sammlungen. Anhang 2 ist eine Liste von Büchern aus dem Besitz des hannoversche Gen. d. Art. Sir Julius Hartmann. Sie belegt das Fortbestehen aufklärerischer Tendenzen in der hannoverschen Armee bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Den Abschluss bilden Quellen- und Literaturangaben sowie ein Orts- und Personenregister.

Der Hauptteil (S. 19 – 118) ist Ergebnis einer umfangreichen Recherche anhand von Bibliothekskatalogen, Benutzungsordnungen, Archivalien, hier besonders im Niedersächsischen Hauptstaatsarchiv und am Bestand der WBB II. Der Autor unternimmt dabei „eine Archäologie von Buchbeständen“. So hat er dazu rund 12.000 Bände aus hannoverschen Militärbibliotheken mit Erscheinungsdatum vor 1867 durchgesehen und rund 20.000 Provenienznachweise festgestellt. Durch diese umfangreichen Forschungen konnten die Ursprünge der hannoverschen Militärbibliotheken im 18. Jahrhundert nachgewiesen werden. Sie liegen einerseits im allgemeinen Bildungsbestreben der Offiziere und sind somit ein Kind der Aufklärung. Andererseits sind es aber auch und gerade erhöhte Anforderungen an die Offiziere, besonders bei den „technisierten“ Truppen wie Artillerie und Ingenieurkorps, weniger bei der Infanterie und bei der Kavallerie. So muss beispielsweise der Kommandeur der Garde du Corps 1832 dem Generalkommando melden, dass sein Regiment das einzige sei, das über keine Regimentsbibliothek verfüge (S. 20).

Für die Hannoversche Armee (S. 19 – 70) kann der Autor an Hand seiner Untersuchungen drei Entwicklungsphasen nachweisen: in die bis zur Elbkonvention von Artlenburg im Jahre 1803 währende 1. Phase fällt die Gründung von Regimentsbibliotheken durch die Offiziere. In der 2. Phase, von der Errichtung des Königreiches im Jahre 1814 bis zur Umstrukturierung der Armee im Jahre 1834, kam es zu einer Konsolidierung der Bibliotheken unter dem steuernden Einfluss der militärischen Zentralbehörden. Die 3., bis zum Ende des Königreiches im Jahre 1866 währende Phase brachte dann einen „Institutionalisierungs- und Professionalisierungsschub“ unter dem starken Einfluss der Generaladjutantur.

Anhand der Untersuchung von fremdsprachlichen Büchern in der Ingenieur- und Artilleriebibliothek und dazu im Vergleich mit den Büchern der Bibliothek der preußischen 19. Division weist der Autor nach, dass der aufklärerische Charakter der hannoverschen Militärbibliotheken bis 1866 bestehen bleibt (S. 61 – 66). Erstaunlicher Weise scheinen weder die von 1714 – 1837 währende Personalunion noch die langen gemeinsamen Kriegsjahre einen entscheidenden Einfluss auf die Bücher in den hannoverschen Militärbibliotheken ausgeübt zu haben: englischsprachige Titel fallen im Gegensatz zu französischsprachigen kaum ins Gewicht. Für die hannoversche Zeit wurde ein hervorragender Überblick zu Entstehung, Aufbau, Beständen, Finanzierung und Entwicklungsphasen der Militärbibliotheken erarbeitet. Dieser Überblick fordert geradezu zu einem weitergehenden Vergleich mit den entsprechenden Einrichtungen anderer deutscher Staaten dieser Zeit auf. Ganz wesentlich sind Ausführungen zum militärischen Schulungs- und Ausbildungswesen (S. 38 ff).

Sodann (S. 71 – 84) werden die die preußischen Militärbibliotheken bis 1918 behandelt. Die Schaffung von zwei zentralen Militärbibliotheken in Hannover und Celle beendete letztendlich die bereits in hannoverscher Zeit begonnene Zentralisierungs- und Professionalisierungsphase: überall in Preußen besteht jetzt eine gleichartige Organisationsstruktur. Der Autor kann ferner deutlich den geistigen Wandel nachweisen: nicht mehr das Bildungsinteresse des Offiziers bestimmt die Lektüre, sondern der Staat bestimmt, was der Offizier zu lesen hat. „Jeder Offizier musste durch Unterschrift bezeugen, dass er das Buch auch tatsächlich zur Kenntnis genommen hatte“ (S. 81).

Es folgt der Zeitraum vom Ende des 1. bis zum Ende des 2. Weltkrieges (S. 85 – 112). Bereits 1919 wurde mit der Errichtung der Deutschen Heeresbibliothek eine militärische Nationalbibiliothek geschaffen, der Wehrkreisbibliotheken sowie Waffenschul- und Standortbüchereien nachgeordnet waren. Deutlich arbeitet Fuchs die großen Umbrüche in der Zeit zwischen 1919 und 1945 heraus: die Militärbibliotheken der Reichswehr sind eindeutig Wahrer der preußischen Militärtraditionen. Ganz anders nach 1933. Die Bibliotheken dienen als Teil der neu geschaffenen Wehrwissenschaft dem ganzen Volk, vor allem aber dem politischen System. Der Wehrmacht, als dessen ständig aktiven Teil bleiben die Kriegswissenschaften. Er weist auch deutlich daraufhin, dass die Miltärbibliotheken im 3. Reich, und dies gilt besonders auch für die hannoversche Wehrkreisbibliothek XI und ihren Leiter Karl Zimmerschied, nationalsozialistische Bibliotheken sind. Darüberhinaus entlarvt er Zimmerschied und andere als „Feinde der Demokratie und der Menschenwürde, sie lehnten die Zivilgesellschaft als minderwertig ab, hetzten zum Krieg und propagierten die radikale Militarisierung der Gesellschaft“ (S. 105). Welch ein Unterschied zu den Militärbibliotheken des 19. Jahrhunderts, in denen Offiziere wissenschaftlich und literarisch arbeiten konnten.

Die Zeit vom Ende des Krieges bis zur Schließung der WBB II im Jahre 2003 wird verhältnismäßig kurz beschrieben (S. 113 – 118). Eine Militärbibliothek wurde erst wieder 1957 in Gestalt der Wehrbereichsbibliothek II in Hannover gegründet, entsprechend den Einrichtungen in den übrigen fünf Wehrbereichen, wobei diesmal auf eine Zentralbibliothek verzichtet wurde.

Die vorliegende Arbeit ist erfreulicherweise keine bloße Aufzählung von Militärbibliotheken und ihrer Bestände, sondern, am Beispiel der WBB II, eine umfangreiche Bibliotheksgeschichte, eingebettet in die übergeordneten Abläufe. Sie verdeutlicht, dass Militärbibliotheken mit ihren Beständen immer vor dem Hintergrund der jeweiligen historischen Zeitläufe und der in ihnen herrschenden politischen und kulturellen Ansichten zu sehen sind und diese widerspiegeln. Sie sind somit, wie der Autor für einen Zeitraum von über 250 Jahren zeigt, mit ihren Beständen eine bedeutende historische Quelle. Für die hannoversche Militär- und Landesgeschichte ist die Arbeit bedeutsam. Die darin enthaltenen zahlreichen Detailinformationen zeigen, über den Informationsgehalt hinaus, den Mangel an neueren wissenschaftlichen Arbeiten zur hannoverschen Militärgeschichte auf.


Michael Heinrich Schormann
Niedersächsische Sparkassenstiftung
Schiffgraben 6-8
30199 Hannover
michael.heinrich.schormann@t-online.de