Klosterberg, Brigitte: Die Bibliothek der Franckeschen Stiftungen

Fotografien von Klaus E. Göltz


- Halle: Verlag der Franckeschen Stiftungen, 2007. 115 S.
ISBN 978-3-931479-99-2. € 32,00

Dieser wunderschöne großformatige Band berichtet in Wort und Bild von der Bibliothek der Franckeschen Stiftungen zu Halle, einem weitgehend unbekannten Kleinod europäischer Bibliotheksgeschichte.

1698 gründete der pietistische Theologe und Pädagoge August Hermann Francke (1663-1727) eine sozial-pädagogische Anstalt in Glaucha bei Halle. Zu ihr gehörten auch Bibliothek, Archiv sowie Kunst- und Naturalienkammer.

Die Bibliothek bildete den Mittelpunkt dieses Sammlungsgefüges. Francke beschloss, für die rasch wachsende Büchersammlung ein eigenes Gebäude zu errichten. Ein Jahr nach Franckes Tod 1728 war es fertiggestellt, 1996-1998 wurde es restauriert und „der große, langgestreckte Raum mit symmetrisch angeordneten Regalen und den alten, der Größe nach aufgestellten Büchern“ (S. 12), die sogenannte Kulissenbibliothek, wieder in alter Schönheit hergestellt. Der Bau gilt heute als der älteste erhaltene profane Bibliothekszweckbau in Deutschland.

Brigitte Klosterberg stellt uns die Bibliothek in vier Kapiteln vor: Die Geschichte der Bibliothek – Der Bibliotheksbau –Die Menschen in der Bibliothek – Die Bücherschätze.

Zuerst wird von der wechselvollen Geschichte der Bibliothek berichtet – von den segensvollen Anfängen 1698 bis 1728, Konsolidierung, Stillstand und Aufbruch 1728 bis 1832, der Eingliederung in das preußische Schulsystem 1832 bis 1946, dem Schattendasein als weitgehend unbekannte Bibliothek für Spezialisten in der Universitäts- und Landesbibliothek Halle 1946 bis 1992 bis zur Neubestimmung als Forschungsbibliothek und Buchmuseum nach der politischen Wende. Es folgen Ausführungen zum Bibliotheksgebäude, zu dessen Vorgeschichte, Entstehung und Entwicklung einschließlich der behutsamen Restaurierung. Ein weiterer Gesichtspunkt sind die leidenschaftlichen Förderer, Sammler und Buchliebhaber, die beflissenen Bibliothekare und die sehr unterschiedlichen Leser. Das letzte Kapitel ist den einzigartigen Bücherschätzen gewidmet, so den Pietistica und den Büchern aus dem Waisenhaus als Charakteristikum des Bestandes, den Handschriften und Inkunabeln, den Bibeln und theologischen Büchern, den Druckwerken aus Konstantinopel, den Landkarten und Topografien sowie den illustrierten Pflanzenbüchern.

Klaus E. Göltz hat die Gestaltung des Buches übernommen und mit den hochwertigen Farbfotos dem Betrachter Bilder von einmaliger Schönheit geliefert. „Ihm haben wir den feinsinnigen Band zur Wunderkammer zu verdanken.“ (S. 10 im Geleit von Thomas Müller-Bahlke) Anmerkungen und ein Personenregister schließen das Buch ab.

Bibliothek, Archiv sowie Kunst- und Naturalienkammer der Franckeschen Stiftungen gehören heute zu den bedeutendsten kulturhistorischen Sammlungen des 18. und 19. Jahrhunderts in Deutschland.

Für Bücherfreunde und Bibliothekare ist das Buch ein wunderbarer Einblick in die Faszination historischer Sammlungen. Es versetzt sie in eine Zeit, in der sich die Einheit von Büchersammlung und Kunst-, Münz- und Naturalienkabinetten auflöst und die Büchersammlungen wachsen und nach artgerechter Aufstellung, regelmäßiger Erwerbung und besserer Erschließung verlangen. Der Begriff Bibliothek bekommt hier den heutigen Sinn.

Ergänzend sei auf zwei weitere neue Publikationen hingewiesen, die die Bedeutung der Franckeschen Stiftungen als Forschungsstätte für zahlreiche Projekte dokumentieren.

Da ist zum ersten die Jahresausstellung 2007, mit dem die Stiftungen auf die historische Kulissenbibliothek hinweisen. Von besonderem Reiz sind die Beiträge zu einzelnen bibliotheks- und buchhistorischen Themen wie der Faszination der Büchersammlungen, den Bibliotheksbauten, den Ordnungen der Bücher in den Bibliotheken, der Herausbildung des Berufsstandes Bibliothekar, dem Lesen als Luxus und Modeerscheinung sowie der klösterlichen Wissenschaftspflege und der Säkularisation. Ein großartiger Katalog1 gibt Auskunft über diese viel beachtete Ausstellung.

Da ist zum zweiten eine noch 2008 erscheinende Bibliographie der Drucke des Verlags der Buchhandlung des Waisenhauses für den Zeitraum von 1698 bis 17282. Sie verzeichnet erstmals die Werke aus diesem traditionsreichen Verlag von seinen Anfängen bis zum Tod des ersten Inspektors Heinrich Julius Elers und umfasst 1650 Titel.


Anmerkungen

1. Frühmoderne Bücherwelten: Die Bibliothek des 18. Jahrhunderts und das hallesche Waisenhaus: Katalog zur Jahresausstellung der Franckeschen Stiftungen vom 6. Mai bis 7. Oktober 2007 / Hrsg. von Bodo-Michael Baumunk im Auftrag der Franckeschen Stiftungen. Halle, 2007. 223 S.

2. Der Verlag der Buchhandlung des Waisenhauses zu Halle: Bibliographie der Drucke (1698-1728) / Hrsg. von Brigitte Klosterberg; Anke Mies. Tübingen: Niemeyer Verl., 2008. ca. 646 S. (Hallesche Quellenpublikationen; 10)


Prof. em. Dr. Dieter Schmidmaier
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