Eskander, Saad: Bagdad – Stadt der Bücher:
Tagebuch des Direktors von Nationalbibliothek und -archiv des Irak

aus dem Englischen von Heike Smets


- Köln: EDITION KÖLN, 2007. 222 S.
ISBN 978-3-936791-43-34. € 13,90

Am 10. April 2003 drangen US-amerikanische Soldaten in ihrem Kampf gegen das Baath-Regime auf das Gelände der Irakischen Nationalbibliothek und des Irakischen Nationalarchivs INLA in Bagdad vor, ohne allerdings Gebäude und Bestände abzusichern. Wenige Tage später waren etwa 60% aller historischen Bestände zerstört oder geraubt, kostbare Handschriften, Bücher und Karten wurden gezielt entwendet und Archivalien vernichtet, weil sie das gerade gestürzte Regime belasteten und für Prozesse hätten verwendet werden können.1 Zu diesem Zeitpunkt übernahm der promovierte Historiker Saad Eskander, Autor zahlreicher wissenschaftlicher Bücher und Zeitschriftenbeiträge, mehrheitlich zum Kurdenkonflikt im Irak, die Direktion der INLA. Jetzt legt er mit seinem Tagebuch Bagdad – Stadt der Bücher für den Zeitraum vom 10. November 2006 bis zum 31. Juli 2007 ein zeitgeschichtliches Dokument von hoher Brisanz vor.

Im Vorwort beschäftigt sich Eskander sowohl mit der Situation der INLA vor 2003, als Raad Bander, Saddams Lieblings-Leibdichter, als Generaldirektor fungierte und seine eigentlichen Arbeitsaufgaben, insbesondere den Schutz der Bibliotheks- und Archivbestände, vernachlässigte als auch mit den verschiedenen politischen und juristischen Veränderungen nach 2003 wie den Aufgaben der Provisorischen Koalitionsbehörde und des Kulturministeriums sowie der Hilfe aus dem Ausland (z.B. durch die UNESCO).

Das Tagebuch handelt auf 200 Seiten

Im letzten Eintrag heißt es u.a.: „Es wird kein Tagebuch mehr geben, der wirkliche Grund ist, dass ich seinetwegen Schuldgefühle habe. Schon seit einiger Zeit habe ich das Gefühl, dass ich die Tragödien, die meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erleben, und die Opfer, die sie bringen, instrumentalisiere.“ (S. 222)

Dank an den Autor, an die British Library, die British Society of Archivists und die spanische Zeitung El País, an die Übersetzerin Heike Smets und an den Verlag, dass dieses Tagebuch für eine breite Öffentlichkeit zur Verfügung steht. Apropos Verlag. Die kleine EDITION KÖLN (edition.koeln@t-online.de) unter ihrem rührigen Leiter Peter Faecke (www.peterfaecke.de) hat in den letzten Jahren einige beachtliche Projekte (u.a. Kriminelle Sittengeschichte Deutschlands in neun Bänden und das vierbändige Kowalski-Projekt, das deutsche Geschichte in Geschichten erzählt) editiert.

Das Tagebuch ist zum einen Zeitgeschichte ganz im Sinne von Peter Vodosek, der anlässlich der Untersuchungen der Geschichte der Öffentlichen Bibliotheken in Deutschland für die Zeit von 1945 bis 1965 fordert, „ernsthaft mit der Spurensicherung zu beginnen“.2 Zum anderen ist es ein anschaulicher Beleg für das immer wieder von Bibliothekaren diskutierte Thema der „growing gap between the information rich and the information poor“, wie es Alfred Kagan in einem Bericht für die IFLA zusammenfasste.3

Es ist ein großartiges Buch, unverzichtbar für die bibliothekarische Auslandsarbeit, für Zeithistoriker, für Außenpolitiker, für die studentische Ausbildung nicht nur in der Bibliotheks- und Informationswissenschaft.


Anmerkungen

1. Auf die verheerenden Zerstörungen der INLA wurde schon anlässlich der IFLA Konferenz 2003 hingewiesen. Vgl. Preparing for the worst, planning for the best: protecting our cultural heritage from disaster. Proceedings of a conference / Ed. by Johanna G. Wellheiser; Nancy E. Gwinn. München, 2005. S. 41-49. Rez. in: B.I.T.online 8 (2005) 3, S. 290-291.

2. Vodosek, Peter: Öffentliche Bibliotheken 1945-1965. In: Die Entwicklung des Bibliothekswesens in Deutschland 1945-1965 / Hrsg. Peter Vodosek; Joachim-Felix Leonhardt. Wiesbaden, 1993. S. 427.

3. Libraries in the information society / Ed. by Tatiana V. Ershova; Yuri E. Hohlov. München, 2002. S. 39-46.


Prof. em. Dr. Dieter Schmidmaier
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