Neues aus Großbritannien -

The JISC, oder „Just Imagine Santa Claus”!

von Alice Keller

Ein Mal pro Jahr schüttet JISC aus. Diesen August wurden wir beschert mit Backfiles der Zeitschriften von ACS, Brill, Taylor & Francis sowie Teilen von Periodicals Archives Online. Unbefristeter freier Zugriff auf 800.000 Artikel, die normalerweise GBP 90.000 (umgerechnet 115.000 €) pro Universität kosten würden. Weihnachten und Ostern zugleich, und das mitten im Sommer!

Solche unerwarteten Gesten in Zeiten von sinkenden Bibliotheksetats geben uns britischen Bibliothekaren neue Hoffnung. Aber wer oder was steckt hinter JISC, dessen Akronym an „Just Imagine Santa Claus“ erinnert?

JISC steht für „Joint Information Systems Committee“ und wird von den Higher Education Funding Councils von England, Schottland und Wales finanziert (http://www.jisc.ac.uk). Die 1993 gegründete Initiative hat die Förderung des Einsatzes von Informations- und Kommunikationstechnologien im Hochschul- und Weiterbildungsbereich, sowie die Verbesserung der nationalen und internationalen Zusammenarbeit bei der Lehre und Forschung zum Ziel. (Wer ganz korrekt sein möchte, sagt „the JISC“, aber im Alltagsgespräch kann man den Artikel getrost fallen lassen.)

Zu den zentralen Dienstleistungen von JISC gehören das Computernetzwerk JANET (Joint Academic Network), die zentrale Lizenzierung von elektronischen Medien, die Entwicklung von neuen Lern- und Unterrichtsumgebungen, Planung und Beratung, sowie regionale Unterstützung von Weiterbildungseinrichtungen. JISC koordiniert alle Aktivitäten von zentraler Stelle aus und operiert über unzählige Komitees, die mit Experten aus verschiedenen Disziplinen besetzt sind.

Interessant ist, dass das Leitbild von JISC sich nicht nur auf die Unterstützung von Infrastrukturen bezieht, sondern einen viel ambitiöseren Anspruch hat. Leadership ist hier der zentrale Anspruch: „The JISC’s mission is to provide world class leadership in the innovative use of Information and Communication Technology (ICT) to support education and research.”

Vergleichbare Ziele verfolgt in Deutschland die DINI (Deutsche Initiative für Netzwerkinformation) oder in den USA die CNI (Coalition for Networked Information).

Struktur von JISC

JISC hat eine Vielzahl von Kommissionen und Arbeitsgruppen. Diesen zugeordnet sind eine noch größere Vielzahl von Programmen und Projekten. Es ist schwierig, den Überblick zu wahren. Zuerst strengte ich mich sehr an, die Namen der Kommissionen ins Deutsche zu übersetzen, kam aber schnell massiv ins Schleudern. Somit arbeite ich nun mit den englischen Begriffen.

JISC Board

Das JISC Board ist das Leitungsgremium von JISC. Es umfasst 16 Mitglieder und wird derzeit von Professor Sir Ron Cooke (vormals Vizekanzler der University of York) geleitet. Die Mitglieder stammen aus der Verwaltung, Lehre und Forschung im Hochschul- und Weiterbildungssektor. Interessanterweise finde ich bei keinem der Mitglieder den Berufstitel „Bibliotheksdirektor“. Stattdessen finden sich verschiedene Bezeichnungen wie „Director of Learning and Information Services“, „Vice Principal Knowledge Management“ oder „Chief Executive Learning and Skills Improvement Service“ – dies sagt wohl einiges aus über die wissenschaftlichen Bibliotheken in Großbritannien. Auch ein Verleger sowie ein freiberuflicher Berater sind unter den Mitgliedern aufgeführt.

Das JISC Board tagt dreimal jährlich und hat zur Aufgabe, Vision und Führungsanspruch beim innovativen Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien sicherzustellen. Den Erziehungsministerien steht das JISC Board beratend zur Seite.

Allerdings soll JISC den Hochschulen nicht nur mit Rat, sondern auch mit Tat zur Seite stehen. Das JISC Board stellt entsprechend Infrastrukturen zur Verfügung, sofern gezeigt werden kann, dass entweder lokale Lösungen nicht möglich sind, oder dass landesweites Handeln mehr Vorteile bringt als lokales Vorgehen.

Das JISC Board hat ebenfalls einen guten Überblick über die internationalen Aktivitäten und sorgt dafür, dass Großbritannien angemessen repräsentiert und eingebunden ist.

JISC Sub-Committees

Die Mitglieder der JISC Sub-Committees (Arbeitsgruppen) stammen ebenfalls aus dem Hochschul- und Weiterbildungssektor und besitzen ausgewiesene Erfahrungen beim Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT). Sie sind besonders interessiert an innovativen Anwendungsmöglichkeiten und zukunftsorientierten Fragestellungen.

Sechs Arbeitsgruppen sind auf der Website aufgeführt.

Jede Arbeitsgruppe hat eigene Richtlinien, Zielsetzungen und Leistungsindikatoren. Zur Unterstützung wird ihnen je ein Sekretariat zur Seite gestellt.

JISC Steering Committee

Das JISC Steering Committee ist damit beauftragt, die Arbeit des JISC Board zu beaufsichtigen und den Vorsitz zu beraten. Der Steuerungsausschuss besteht aus Repräsentanten der einzelnen Geldgeber.

JISC Working Groups

Neben den Sub-Committees gibt es auch Working Groups, die spezifische Fragestellungen bearbeiten. Sie sind zeitlich befristet und werden nach Einreichung ihres Berichtes wieder aufgelöst. Zurzeit sind 17 Arbeitsgruppen in Einsatz; die Fragestellungen reichen von e-Learning bis Urheberrechte.

JISC Partner und internationale Zusammenarbeit

Wichtigster strategischer Partner ist die British Library. Zu den assoziierten Partnern gehört u. a. die Digital Library Federation. Daneben gibt es auch internationale Partner in Australien und Neuseeland.

Viel länger ist die Liste der internationalen Kooperationen. Hier findet man alle Namen und Abkürzungen, die man in diesem Umfeld erwarten würde: DFG, Switch, Library of Congress, Mellon Foundation, National Science Foundation (US), SURF Foundation (NL), LIBER, SPRAC, CNI, OCLC, etc.

Was macht eigentlich JISC genau?

Das Arbeitsgebiet von JISC ist riesig, wo soll man da anfangen? Auf der einen Seite unterhält JISC Infrastrukturen, die allen Hochschulen dauerhaft zugänglich sind. Ich denke hier etwa an das Hochschulcomputernetz JANET, an den britischen Zentralkatalog COPAC, an das Verzeichnis der nationalen Archivbestände (Archives Hub), oder an die Verwaltungseinheit zur zentralen Lizenzierung elektronischer Ressourcen (JISC Collections).

Auf der anderen Seite fördert JISC Entwicklungsprojekte im Bereich des Informations- und Kommunikationswesens. Wichtig ist, dass es sich hier um zeitlich befristete Entwicklungsprojekte handelt. Sobald die Dienstleistung vom Projekt- in den Normalbetrieb übergeht, muss die Universität oder Bibliothek selber für die Unterhaltsarbeiten und -kosten aufkommen. (Außer man kann die Entwicklungsarbeiten ausweiten, noch neuere Technologien einbinden und bei einem Folgeprojekt mitwirken.) Es besteht natürlich die Gefahr, dass JISC mit ihrem Prinzip der Anschubfinanzierung unzählige Projektleichen fördert. Auch der Wildwuchs an Akronymen ist beängstigend. Sogar Insider beschweren sich über die Inflation an nicht einprägsamen Akronymen: Wofür steht schon wieder EEVL, MAAS, TASI, etc.?

Auf der anderen Seite hat JISC auch einige Paradeprojekte hervorgebracht: zum Beispiel das Projekt SHERPA, das im Bereich der Dokumentenserver als international wegweisend gilt.

Eine Kollegin erklärte mir kürzlich, dass das wichtigste an JISC Programmen nicht unbedingt der Projektinhalt sei. Viel wichtiger sei der Gemeinschaftsaspekt, die enge Zusammenarbeit zwischen den Hochschulen (kooperative Projekte werden besonders gern gesehen) und die Möglichkeit zur Diskussion und Entwicklung von neuen Strategien und Standards. Und jawohl, das britische Bibliothekswesen wäre um vieles ärmer, wenn es JISC nicht gäbe!

Die Webseite „What we do“ gibt eine gute Einstiegshilfe zum detaillierten Inhalt der JISC Angebote. Hier wird unterschieden zwischen Programmen, Projekten, Dienstleistungen, Themen und Kampagnen. Größte Einheit sind die Programme, denen zahlreiche Projekte untergeordnet sind. Die Website listet 30 aktuelle Programme auf (http://www.jisc.org.uk/whatwedo/programmes).

In diesem Aufsatz möchte ich zwei Angebote von JISC näher vorstellen. Das Digitalisierungsprogramm (siehe nächster Abschnitt) und die JISC Collections (siehe weiter unten).

Beispiel: Das Digitalisierungsprogramm von JISC

Das Digitalisierungsprogramm (Digitisation Programme) wird vom „JISC Content Services Committee” geleitet. Das Projekt läuft von 2003 bis 2009 und hat zum Ziel, den Reichtum an einzigartigen, schwierig zu findenden Materialien vom 16. bis 21. Jahrhundert zu digitalisieren und einer möglichst breiten Benutzerbasis innerhalb des britischen Bildungssektors zugänglich zu machen. Dem Digitalisierungsprogramm stehen insgesamt GBP 22 Mio. (umgerechnet 28 Mio. €) zur Verfügung. Insgesamt werden 53 verschiedene Sammlungen digitalisiert. Hierzu gehören etwa:

Quelle: John Johnson Ephemera Collection, copyright Bodleian Library.
Dreadful murder of three children by their mother, [1837]

Interessanterweise werden nicht alle Sammlungen automatisch und kostenlos den britischen Hochschulen zur Verfügung gestellt. Einige sollen kostenpflichtig sein, um ihre längerfristige Zukunftsfähigkeit zu sichern. In vielen Fällen arbeiten die teilnehmenden Bibliotheken und Archive mit kommerziellen Firmen zusammen, wie beispielsweise ProQuest oder Gale. Für ausländische Benutzer werden in der Regel Lizenzgebühren verlangt.

Die Bodleian Library ist mit der Digitalisierung von Beständen der John Johnson Collection am Programm beteiligt. Digitalisiert werden gedruckte Ephemera des 18. und 19. Jahrhunderts mit dem thematischen Fokus Unterhaltung, Mord und Totschlag, Hinrichtung und Verbrechen. Man ist gespannt, ob das heutige Publikum an ähnlichen Szenen interessiert ist wie vor 200 Jahren!

Budget

JISC hat ein jährliches Budget von insgesamt GBP 64,32 Mio. (2006-07) (umgerechnet 82 Mio. €). Ungefähr 50 % kommen vom Higher Education Funding Council for England. 25 % werden vom Learning & Skills Council beigesteuert, der sich v. a. für die berufliche Weiterbildung von Jugendlichen und Erwachsenen einsetzt. Die restlichen Mittel kommen mehrheitlich von Paralleleinrichtungen in Schottland, Wales und Nordirland.

Ausgabenseitig fließen knapp unter 50 % in den Betrieb des Hochschulcomputernetzwerkes JANET. Der zweitgrößte Ausgabenbereich sind die „Content Services“ (siehe JISC Collections weiter unten).

Quelle: JISC financial information. How JISC spends its budget (2006-07). (http://www.jisc.ac.uk/aboutus/whoweare/finance.aspx)

Daneben verfügt JISC auch über eine beachtliche Investitionssumme von GBP 89 Mio. über drei Jahre (umgerechnet Mio. 114 €). Auch hier übernimmt die Netzwerkinfrastrukur (Super JANET) den größten Anteil. An zweiter Stelle liegen Aktivitäten in den Bereichen Digitalisierung, Dokumentenserver und Datenerhalt, sowie e-Infrastruktur.

Quelle: JISC financial information. Capital expenditure. (http://www.jisc.ac.uk/aboutus/whoweare/finance.aspx)

Mit einem solchen Budget erstaunt es nicht, dass Projekte häufig ausgeschrieben werden. Man kennt immer irgendeinen Kollegen oder eine Kollegin, der oder die für ein Projekt am Wochenende einen Antrag schreiben muss.

Es wird unterschieden zwischen „Invitations to Tender“, die öffentlich ausgeschrieben werden und für die sich jedermann bewerben kann. Die Summe dieser Projekte oder Studien liegt meist unter GBP 100.000.

Auf der anderen Seite gibt es die „JISC Grant Funding Opportunities“, für die sich nur britische Hochschulen bewerben können. Derzeit sind 13 Projekte ausgeschrieben, für die jeweils bis zu GBP 3 Mio. Projektmittel zur Verfügung stehen. Auffallend viele beschäftigen sich momentan mit dem Auf- oder Ausbau von Dokumentenservern. Die Projekte dauern in der Regel zwischen 18 und 24 Monaten (punkto Einhaltung der Termine ist JISC extrem streng). Manchmal wird die Hochschule aufgefordert, sich am Projekt finanziell zu beteiligen.

Selbstverständlich stöhnen Kolleginnen und Kollegen jeweils, wenn es darum geht, Projektanträge zu schreiben und die benötigten Begleitdokumente zusammen zu tragen, aber zumindest gibt es reelle Aussichten erfolgreich zu sein. Wenn ich beobachte, mit welchem Riesenaufwand (und nachfolgendem Riesenfrust) angehende oder etablierte Wissenschaftler an fruchtlosen Forschungsanträgen arbeiten, so scheinen Einsatz und Ertrag sich bei JISC im Rahmen zu halten.

JISC Collections

Ein Aufsatz über JISC wäre nicht vollständig ohne eingehende Beschreibung der JISC Collections, die für manche Wissenschaftler und Bibliothekare den größten Nutzen von JISC darstellen.

Die JISC Collections fallen in den Arbeitsbereich des Sub-Committees „Content Services“. Hier übernimmt JISC weitgehend die Aufgabe eines nationalen Konsortiums für die Lizenzierung elektronischer Ressourcen für die Hochschulbibliotheken. Die Liste der JISC Collections (http://www.jisc-collections.ac.uk/) ist lang, und wächst jährlich. Hier findet sich alles von Art Abstracts bis Zetoc.

Online-Zeitschriften sind nur teilweise auf der Liste der JISC Collections aufgeführt. Während sich große Online-Archive (Backfiles) hier finden, wird die Lizenzierung von aktuellen Zeitschriftenjahrgängen von NESLi2 (National Electronic Site Licence Initiative) geleistet. Es überrascht nicht, dass NESLi2 auch ein „Produkt“ von JISC ist. Vereinfacht könnte man sagen, dass JISC die Lizenzverhandlungen für Datenbanken selber macht, währenddem sie für die Lizenzierung von Online-Zeitschriften die Firma Content Complete Ltd (CCL) und den Markennamen NESLi2 nutzt.

Für die Preisgestaltung von Online-Ressourcen ist das sogenannte „JISC price banding“ von Bedeutung. Hierfür werden sämtliche Hochschulen und Weiterbildungseinrichtungen Großbritanniens in eine von zehn Kategorien (JISC Bands) eingeordnet. Ausschlaggebend für die Kategorisierung ist die zentrale Mittelzuteilung pro Hochschule; dieses System wurde interessanterweise als fairer empfunden als die Zahl der Studierenden und Lehrkräfte. Wichtig ist nicht nur, dass JISC die Lizenzverhandlungen für Bibliotheken übernimmt, sondern auch dass sie mit einheitlichen Lizenzverträgen arbeitet. Die JISC Modelllizenz vereinfacht die Arbeit in den Bibliotheken massiv und vereinheitlicht den Zugang zu elektronischen Ressourcen landesweit.

Die von JISC verhandelten Lizenzbedingungen sind in der Regel sehr gut. Dennoch wachsen jährlich die Ausgaben für Online-Ressourcen an britischen Bibliotheken. Deshalb ist es besonders erfreulich, wenn am Ende des Jahres noch etwas Geld in den JISC Kassen liegt. Hiermit werden wohl die eingangs erwähnten Online-Archive gekauft und „gratis“ den Bibliotheken zur Verfügung gestellt. Mit solchen Gesten schafft man sich natürlich schnell Freunde!


Autorin

Dr. Alice Keller

Assistant Director, Collections & Resource Description

Bodleian Library
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alice.keller@ouls.ox.ac.uk