Die neuen Maße der Buchmesse: 40 - 30 - 30

60 Jahre nach der ersten Frankfurter Buchmesse ist die Digitalisierung
der Branche im Jubiläumsjahr das beherrschende Thema

5,6 % Besucheranstieg: 299.112 Menschen füllten die Hallen, Rolltreppen und Flure der Buchmesse 2008

von Vera Münch

Im 60. Jahr ihres Bestehens präsentierte sich die Frankfurter Buchmesse als Veranstaltung der Superlative: Rund 7.400 Aussteller aus mehr als 100 Ländern und ein Fachprogramm mit über 400 Vorträgen und Podiumsdiskussionen zogen 5,6 % mehr Menschen auf das Messegelände, Summa summarum fast 300.000. Sie erlebten ein wie eh und je buntes, multikulturelles Literaturfest mit tausend Themen – und einem Thema, das alles überragte: Die Digitalisierung der Buchwelt ist mit Macht in Frankfurt angekommen.

40 - 30 - 30, das sind die neuen Maße der 60 Jahre alten Frankfurter Buchmesse: 40 % Bücher, 30 % digitale Produkte und 30 % als „Non Book“ bezeichneter Buchhandels- und Bibliotheksbedarf. In diesem Mix suchen Verlage, Agenten, Sortimenter, der Buchhandel und die Bibliotheken nun nach Wegen, sich eine Zukunft zu gestalten und junge Autoren denken darüber nach, wie sie die neuen Endgeräte, Internet- und Mobiltechnologien für neue Literaturformen einsetzen können. In Amerika, berichtete Buchmessedirektor Jürgen Boos in einem Pressegespräch in Frankfurt, werden extra für Mobilfunkgeräte (Handys, PDAs) Kurzgeschichten geschrieben, die morgens und abends zu einer vom Kunden gewählten Zeit ausgeliefert werden – jeweils ein Kapitel. Am Ende könne man das vollständige Werk als elektronisches Buch (eBook) online beziehen.

eBook aus der Bibliothek – im Softcoverdruck

Das Angebot passt zum Zeitgeist: Kurz, knapp, bequem, zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Wie die literarische Qualität aussieht, war auf der Buchmesse leider nicht zu erfahren. Erste Antworten auf die technischen und organisatorischen Fragen, die sich dem Fachmann und der Fachfrau stellen, ließen sich aber schon durch eine Ankündigung der Verlagsgruppe Springer Science+Business Media und eine Präsentation des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels e.V. erahnen. Springer kündigte in Frankfurt das Serviceangebot „MyCopy“ für eBook-Nutzer an. Dem neuen Geschäftsmodell für elektronische Buchinhalte zufolge, können alle registrierten Nutzer einer Bibliothek eine Softcoverausgabe der von ihnen genutzten eBooks zum persönlichen Gebrauch bestellen. Voraussetzung ist, dass die Bibliothek das entsprechende eBook-Paket zuvor bei Springer erworben hat. „My Copy“ wird seit November 2008 zunächst in ausgewählten Bibliotheken und Forschungseinrichtungen in den USA und Kanada getestet. Weitere Informationen sind für Ende 2008 / Anfang 2009 angekündigt.

libreka.de plant eBook-Auslieferung über den Buchhandel

Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels hat seine zunächst etwas holprig als „VTO Volltext-Finder“ gestartete Plattform libreka! zu einer intelligenten „Branchenlösung für die deutschsprachige Welt“ weiterentwickelt (englisch: Libreka! – The Industry's E-Commerce Plattform). Libreka! ist zunächst einmal eine leistungsstarke Volltextsuchmaschine, die Buchtexte bis zum letzten Buchstaben nach Stichworten wie spinnen und Spindel durchsucht und dann beispielsweise „Märchen der Brüder Grimm“ und „Die dreizehnte Fee“ von Nikolaus Heidelbach (und weitere acht Kinderbücher, wenn man die Suche darauf einschränkt) als dazu passende Buchtitel mit Bezugsangaben auf den Bildschirm zaubert. Die Suchwort-Fundstellen werden in einem kurzen Kontext mit Seitenzahl angezeigt. Eingeschränktes Blättern ist in den meisten Titeln möglich. Will jemand das gefundene Buch haben, kann er es über eine Buchhandlung, bei einem kooperierenden Online-Buchhändler oder, wenn der Verlag Direktlieferung anbietet, auch beim Verlag bestellen. Im Bezug auf neue Organisationsmodelle für den Verkauf von eBooks spannend ist die für das erste Halbjahr 2009 angekündigte Vermittlung von eBooks über libreka!. Für diesen Service ist angedacht, dass Endkunden, die in einer Buchhandlung ein eBook kaufen (z. B. nach einer Beratung), sich das Buch vom Händler direkt auf ihr mitgebrachtes Lesegerät oder einen Memorystick laden lassen können. Die Abrechnung erledigt der Händler.

Datenhoheit und Rechte bleiben beim Verlag

libreka! wird vom MVB Marketing- und Verlagsservice des Buchhandels betrieben, der seit 1971 mit dem VLB (Verzeichnis lieferbarer Bücher) die umfassendste Bücherdatenbank für Buchhandel und Bibliotheken bereitstellt. Für libreka! liefern die Verlage ihre digitalen Buchinhalte und definieren, welchen Text sie für wen sichtbar und abrufbar machen wollen. Die Datenhoheit und die Rechte bleiben dabei beim Verlag.

Libreka! zeigt auch Titel an, die sich auf einer durch Zugangskontrollen für Nicht-Abonnenten gesperrten Seite befinden. Die Nutzung der Plattform ist laut Auskunft des Standpersonals auf der Buchmesse kostenlos bzw. mit den Gebühren für das VLB abgegolten. Gegen eine geringe Gebühr (die Rede war von 10,00 € monatlich) können Buchhändler libreka! softwaretechnisch in ihren eigenen Online-Shop einbinden. Zum Zeitpunkt der Buchmesse waren 73.000 gedruckte Bücher im Volltext durchsuchbar. 850 Verlage stellen derzeit ihre Bücher über Nutzungsverträge bereit. Eine kurze Testrecherche mit dem Stichwort „eBooks“ brachte auf den Bildschirm, dass aber bereits jetzt eBooks von Springer und anderen Anbietern in libreka! eingebunden sind. 428 eingetragene Titel meldete die Volltextsuchmaschine auf der Buchmesse zu diesem Stichwort – noch nicht viel, aber immerhin der Beginn eines Wettbewerbes um den Zugang zum regionalen Markt.

Google hat eine Million Bücher digitalisiert

73.000 lieferbare Bücher machen sich gegenüber der Million, die Google nach eigenen Angaben bis zur Buchmesse 2008 für sein Book Search Programm digitalisiert hat, und 850 Verlage gegenüber 20.000 mit Google bei der Buchsuche kooperierenden Partnern, ziemlich mickrig aus. Doch libreka! will speziell die deutschsprachige Welt bedienen und hinter der eCommerce-Plattform steht eine funktionierende, bewährte Buchvertriebsstruktur, die für den Endkunden alle notwendigen und möglichen Wege erschließt, ein Buch zu kaufen. Ein durchaus interessantes Modell für die künftige Bedienung der Kunden in Buchhandlungen und Bibliotheken. Übrigens ist die Attraktion, die der Name Google noch vor einem Jahr auf der Buchmesse auslöste, der Normalität gewichen. Auf dem Ausstellungsstand in Halle 8, in der die Internationalen Verlage untergebracht sind, ging es zu wie auf jedem anderen Stand auch: Es wurden Beratungen durchgeführt, Kundenkontakte gepflegt und Geschäftsverbindungen angebahnt.

Google erobert sich zielstrebig den Zugang zum Wissen der Welt

Mit seinem schön gestalteten, ansonsten aber unspektakulären Messeauftritt wirkte Google in Frankfurt wie jeder andere Mitbewerber auch. Doch das Unternehmen rollt mit langfristigen klugen Strategien den globalen elektronischen Informationsmarkt von allen Seiten her auf – mit zahlreichen völlig unterschiedlich wirkenden Angeboten und Produkten in ganz unterschiedlichen Branchen und Bereichen sowie durch Kooperationen mit Lieferanten aus der ganzen Welt. Technisch passen die Maschinen und Digitalprodukte alle zusammen, so dass sie irgendwann zusammengeführt werden können. Die Aufbereitung der Inhalte ist sehr benutzerfreundlich. In der Google-Pressemappe zur Buchmesse 2008 konnte man nachlesen, wie der Gigant seine Netzwerke für sein Eingangsportal zum Wissen der Welt zielstrebig und konsequent aufbaut. Drei Meldungen befanden sich darin: 1. „Springer erlebt rekordverdächtige Blacklist-Verkäufe mit Google Buchsuche“; 2. „Walter de Gruyter/Mouton-De Gruyter: Internationale Zielgruppenansprache über Google Buchsuche“; 3. „Einfache Bedienung und große Reichweite – Mit Google Buchsuche verbessert der Hueber Verlag die Bekanntheit und Auffindbarkeit seiner Bücher“.

30. DGI-Online Tagung thematisiert die nächste Stufe der Herausforderungen

Zum ersten Mal seit vielen Jahren fanden die Fachtagungen der Deutschen Gesellschaft für Informationswissenschaft und Informationspraxis (DGI) e.V. wieder auf der Buchmesse im Erdgeschoss der Halle 4 statt. Auf ihrer 30. Online-Tagung, die gleichzeitig 60. Jahrestagung der DGI war, konnte man am direkten Vergleich mit der Buchmesse ablesen, dass der Buchhandel und auch die meisten der Aussteller erst ganz am Anfang der Transformation stehen. Die Information Professionals der DGI sind schon viele Schritte weiter. Unter dem Motto „Verfügbarkeit von Information“ thematisierten sie die nächste Stufe der Veränderungen und Probleme, denen sich Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft im Medienwandel stellen müssen.

Festvortrag zeigt den Wandel in der Forschung

Schon der Festvortrag zum 60. Jubiläum der DGI, gehalten von der Geschäftsführerin von FIZ Karlsruhe, Sabine Brünger-Weilandt, machte den radikalen Wandel deutlich, den die Forschungsarbeit in knapp 100 Jahren durchlebt hat und der zwingend auch einen radikalen Wandel im wissenschaftlichen Publikations-, Informations- und Kommunikationswesen nach sich zieht. „Innovative Technologien haben schon immer den Boden für große Veränderungen in der Forschung bereitet – die Radiologie vor hundert Jahren und die DNA-Analyse vor knapp zehn Jahren“, erklärte Brünger-Weilandt. Nun gelte es, die Möglichkeiten der Informationstechnologie zur Weiterentwicklung zu nutzen. Die Managerin veranschaulichte am Beispiel des 1907 entdeckten Homo heidelbergensis und den Untersuchungen der 1991 gefundenen Gletschermumie Ötzi die Veränderungen in der Forschung. Während die Untersuchung des Homo heidelbergensis weitgehend die Arbeit des einzelnen Forschers Professor Dr. Otto Karl Friedrich Schoetensack war, der seine Erkenntnisse ein Jahr später publizierte, nahmen 64 Teams aus aller Welt Ötzi wissenschaftlich unter die Lupe. „Ötzi war nicht nur ein Objekt für Forscher und interdisziplinäre Forschung. Er ist ein Katalysator für die Wissenschaft der Zukunft“, erklärte Brünger-Weilandt in Frankfurt. Forscherinnen und Forscher würden heute mehr und mehr interdisziplinär arbeiten, zur Kommunikation Telefon, eMail, Telefon- und Videokonferenzen einsetzen, Online-Datenbanken als Informationsquellen nutzen, Forschungsmethoden auf dem neuesten Stand der Technik anwenden und ihre Ergebnisse gedruckt und digital veröffentlichen. „Der sich daraus ergebende Bedarf der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nach direkter Kommunikation und Kollaboration treibt die Aktivitäten zur Unterstützung der verteilten wissenschaftlichen Forschung – der sogenannten e-Science – voran“, so die Managerin. Es gelte nun, das bisher in disziplinspezifischen Silos gesammelte Wissen zu verknüpfen und so für alle interessierten Wissenschaftler gleichermaßen verfügbar zu machen. Man könne sich gut ausmalen, dass e-Science und die damit verbundenen Chancen die wissenschaftliche Welt erneut verändern. Tatsächlich wissen würde es allerdings heute noch niemand.

Die Verfügbarkeit von Information hängt von vielen Kriterien ab

Auf diesem informationswissenschaftlich sehr hohen Niveau ging es auch im anschließenden Tagungsprogramm des DGI-Kongresses weiter. Ein Auszug aus dem Vortragsspektrum gibt Einblick in die Tiefe der Fragen, mit denen sich die Information Professionals auseinandersetzen. Sie gehen weit über eBooks und eBook-Reader hinaus. Die Fachleute tauschten sich auf ihrer Tagung aus über:

Die DGI hat die spannenden Vorträge gedruckt veröffentlicht. Diese „Proceedings“ können über die Homepage der DGI zum Preis von 40,00 € für Mitglieder und 50,00 € für Nichtmitglieder bestellt werden.

30. Online-Tagung der DGI / 60. Jahrestagung der DGI
Verfügbarkeit von Informationen
Frankfurt am Main, 15.–17. Oktober 2008
Proceedings, hrsg. von Marlies Ockenfeld
DGI, Frankfurt am Main 2008, ca. 296 Seiten, ISBN 978-3-925474-63-7

Wie überträgt man das Kulturgut Buch in die Netze?

Der richtige Umgang mit Online-Netzen als Träger für die Inhalte des Kulturgutes Buch, die Kulturfrage, wie man die für gedruckte Bücher geltenden Werte auf dieses neue Medium überträgt, und die Wirtschaftsfragen, wie – und ob – man die Buchbranche mit all ihren Zwischenhandels- und Vertriebsstufen für das Digitalzeitalter fit machen kann, beschäftigten auf der Buchmesse 2008 Aussteller, Verbände, Besucher und nicht zuletzt die Presse. Die International Booksellers Federation (ibf) rief in Frankfurt dazu auf, das Bücherverkaufen neu zu erfinden und dabei offen zu sein für die Idee, neben physischen Büchern auch eBooks zu verkaufen. Die International Publishers Association (IPA) denkt wie der Börsenverein des Deutschen Buchhandels e.V. über Abwehrstrategien gegen Netzpiraten nach, die mit kriminellen Websites auf fernen Inselstaaten Urheberrechte und Geschäftsmodelle aushebeln. Zur Netzpiraterie gab es in Frankfurt Diskussionsrunden, IPA-Vorträge und Arbeitstreffen der International Copyright Manager.

Honnefelder fordert ein Gesamtkonzept für ein zivilisiertes Internet

Prof. Dr. Gottfried Honnefelder, Vorsteher des Börsenvereins, widmete der digitalen Entwicklung des Buchmarktes seinen kompletten Vortrag zur Eröffnungspressekonferenz. Er bezeichnete das eBook als große Chance für den Buchmarkt, weil es die Branche in die Zukunft führe: Das Prinzip „Buch“ erhielte eine neue Dimension, so Honnefelder. Allerdings müssten dafür die Voraussetzungen und Rahmenbedingungen stimmen. Honnefelder wirft der Politik vor, bislang nicht begriffen zu haben, dass ein Gesamtkonzept für den Umgang mit geistigem Eigentum und Persönlichkeitsrechten im Netz für die Zukunft entscheidend ist. Mit kosmetischen Änderungen in einzelnen Gesetzten sei den Autoren, Kreativen und Verlagen nicht geholfen. Kultur und Hochtechnologie könnten nur durch eine Gesamtstrategie für ein zivilisiertes Internet verknüpft werden, wie es beispielsweise das Olivennes-Projekt in Frankreich darstelle. Nach Aussage von Honnefelder liegt der Bundesregierung „ein konkreter, auf Deutschland zugeschnittener Vorschlag von Seiten der Rechteinhaber bereits vor“. Die darin vorgeschlagene Lösung ist ein Kooperationsmodell mit den Internet-Service-Providern als pragmatischer Weg zum Umgang mit Internet-Piraterie. An alle Mitglieder der Branche richtete Honnefelder den Appell, nicht die Augen vor der Entwicklung zu verschließen und zu glauben, elektronisches Publizieren beträfe sie nicht. Jeder Verlag müsse sich Gedanken darüber machen, ob sein Geschäftsmodell künftig noch innovativ sein werde.

Nach den großen Aufgaben nun zu den Details

Monopolisierung des Zugangs zum Wissen der Welt, Netzpiraterie und der Untergang der Zwischenhandelsstufen im Buchmarkt – das waren die großen Probleme, die auf der Frankfurter Buchmesse 2008 im Brennpunkt standen. Es gab aber auch unzählige Gespräche zu den Details der Digitalisierung, die es mindestens genauso in sich haben. Ein Auszug aus dem Themenspektrum, das Fachleute in Frankfurt in Foren, Podiumsgesprächen und Interviews diskutierten, spiegelt, mit welchen Fragen sich die Buchbranche durch den Technologiewandel beschäftigen muss und nach welchen Antworten sie sucht. Themen waren u. a.:

Eine vollständige Auflistung ist auch bei stärkster Abstraktion unmöglich. Wer sich tiefergehend dafür interessiert, dem sei ein Blick in die Buchmesse-Broschüre „Die Foren 2008“ und dort speziell die Programme des Forums Innovation, des Forums Wissenschaft und des ZEIT Bildungsforums empfohlen. Diese Foren sorgten dafür, dass mehr als die Hälfte der über 400 Veranstaltungen im Fachprogramm Fragen zur Digitalisierung behandelten – von ihren Chancen und Gefahren über bereits vorhandene technische Lösungen bis hin zu den Auswirkungen auf Bildung und Gesellschaft.

UB Frankfurt digitalisiert jüdisches Kulturgut im großen Stil

Der Presse boten die Veranstalter der Frankfurter Buchmesse zum Einstieg in das Thema Digitalisierung einen besonderen Service mit mehreren kompakten Informationsangeboten, u. a. einen geführten Rundgang Digitalisierung. Er spielte sich ausschließlich in Halle 4 und im neuen Buchmesse-Ausstellungsbereich „Books&Bytes“ in Halle 3 ab.

Der erste Weg des Rundgangs führte ins Internationale Bibliothekszentrum (ILC) in der Halle 4 und dort zum Gemeinschaftsstand der Universitätsbibliothek (UB) Frankfurt mit den Unternehmen Walter Nagel und der Semantics Kommunikationsmanagement GmbH. Sie arbeiten in mehreren Digitalisierungsprojekten gemeinsam an der Aufbereitung der ehemals renommierten „Judaica-Sammlung“ zur Wissenschaft des Judentums. Die historisch einmalige Quellensammlung Jüdischer Studien soll bis 2010 virtuell wieder hergestellt sein. Zwei umfangreiche Quellenbestände jüdischer Literatur wurden bereits digital erfasst und ins Internet gestellt. Die Online-Datenbank „www.jewish-literature.de“ enthält rund 800 „Jiddische Drucke“ aus dem Zeitraum 16. bis Anfang 20. Jahrhundert. Das Fachportal „www.compactmemory.com“ öffnet den Zugriff auf über 100 jüdische Zeitschriften und Zeitungen des deutschsprachigen Raumes zwischen 1806 und 1938. An „www.judaica-frankfurt.de“ wird wie gesagt noch gearbeitet.

Vom jüdischen Kulturgut ging es weiter zum (nach Presseberichten in Frankfurt angeblich heiß erwarteten) eBook-Reader Amazon Kindle. Er war aber leider nicht da. Lediglich sein Konzept wurde in Vorträgen vorgestellt. Das vermeintliche Wundergerät, soll – wie zahlreiche seiner technischen Brüder anderer Hersteller – Buchinhalte in elektronischer Form in den Verbrauchermarkt bringen. Es wird derzeit jedoch nur auf dem nordamerikanischen und kanadischen Markt angeboten. Nach Meinung der ifb sind die eBook-Reader zu teuer, um wirklich einen Durchbruch bringen zu können. Für Buchmessedirektor Boos, den der Hype um den Kindle sichtlich nervte, sind eBook-Reader das, was sie sind: technische Endgeräte, die in ein paar Jahren wieder ganz anders aussehen oder vielleicht ganz verschwunden sein werden. Wichtiger als der Wandel des Trägermediums, so Boos, seien doch die Veränderungen bei den Autoren, ihre neuen Themen und Ausdrucksformen sowie die Frage, wie sie und die Buchbranche sich auf die neuen Technologien einstellen, um sie für den Transport der Inhalte des Kulturgutes Buch zu nutzen.

Digitaler Markplatz ein Drittel größer als im Vorjahr

Was die Vorreiter der Digitalisierung, die Fachinformationsbranche und die STM-Verlage (Scientific-Technical-Medical Publisher) zu dieser Frage bereits heute anzubieten haben, konnte man sich auf der Ebene 2 der Halle 4 ansehen. Dort schlägt traditionell das digitale Herz der Buchmesse – mit Ausstellern, die heute schon auf drei Jahrzehnte Erfahrung mit der Digitalsierung von Information, der Aufbereitung mit Hilfe von Software und der schnellen, unkomplizierten Vermittlung und Bereitstellung über Online-Bestellsysteme und Online-Buchhandel zurückblicken können. Ihre Pionierarbeit, Jahrzehnte im Verborgenen geleistet, gewinnt plötzlich an Aufmerksamkeit. Springer, Swets, Thieme, Teubner, FIZ Karlsruhe, FIZ Technik, Juris, ProQuest, Weka, Wiley-VCH, Wolters Kluwer und Ovid sind nur die bekanntesten der Namen, die man in Halle 4.2 antraf. Der Digital Market Place, seit einigen Jahren im Zentrum der Halle eingerichtet, hat seine Fläche um ein Drittel erweitert. Die Stände sind relativ klein, die Angebote jedoch meist hochinnovativ. So konnte man dort beispielsweise auf dem Stand von iRex Technologies einen eBook-Reader ansehen und anfassen. Allerdings nicht in die Hand nehmen. Er war auf der Präsentations-Stele fest angekettet. Das Gerät hat die Größe eine kleinen Laptops und kann zunächst einmal eBooks multimedial darstellen. Man kann aber auch mit einem speziellen Stift auf dem Display schreiben und die Notizen als Dateien speichern. Auf die gleiche Weise kann man auch die dargestellten Buchtexte kommentieren, was für wissenschaftliche Begutachtung oder Auswertung sicherlich interessant ist. Lesen und Schreiben – mit diesem Konzept wollen die Erfinder ihren Markt für den eBook-Reader finden. Sudoku-Rätsel, so der Prospekt, kann man übrigens auf dem iLiad auch lösen. Ein schönes Gerät – nur leider dürfte im Gepäck des Reisenden neben Laptop und Blackberry mit all ihrem Zubehör und den Ladegeräten dann vielleicht doch zu wenig Platz für das moderne Multinhalte-Multimedia-Buch sein.

Webadressen zum Bericht

Frankfurter Buchmesse
http://www.buchmesse.de/de/

Springer Verlag
www.springer.com

eCommerce-Plattform libreka!
www.libreka.de

Google Buchsuche
http://www.books.google.de

International Publishers Association
http://www.internationalpublishers.org

International Booksellers Federation
http://www.ibf-booksellers.org/newsite/presentation.asp

Börsenverein des Deutschen Buchhandels e.V.
http://www.boersenverein.de/de/portal/index.html

Programm der Buchmesse-Foren
http://www.buchmesse.de/de/fbm/programm/themenschwerpunkte/index.html

Jüdische Studien,
www.judaica-frankfurt.de

Literatur zum Judentum und Israel in Deutschland
www.jewish-literature.de

Jüdische Periodika im deutschsprachigen Raum
www.compactmemory.de

eBook-Reader
www.irextechnolgies.com

FIZ AutoDoc Volltextvermittlung
http://autodoc.fiz-karlsruhe.de

jetBook eBook- und AudioBook-Lesegerät
www.lingvo.de

Ullstein Vorab-Lese-Angebot für Vielleser
www.vorablesen.de

Literatursalon Pirondella
http://www.pirondella.de/pirondella.php?rubrik=home

Online-Community readbox.net
http://readbox.net/

GPS-basiertes Literaturprojekt Berlin
http://www.landvermesser.tv

Übersetzungsmarktplatz tolingo.de
www.tolingo.de

Workflow Management System für die Volltextvermittlung

Wenige Schritte vom iLiad entfernt präsentierten FIZ Karlsruhe seinen mittlerweile 11 Jahre alten automatischen Vermittlungsservice für die Beschaffung von elektronischen Volltexten. Er wurde im vergangen Jahr einer grundlegenden Erneuerung und Weiterentwicklung unterzogen. Die aktualisierte Version, auf der Buchmesse erstmals präsentiert, ist ein ausgereiftes Workflow Management System für die Volltextbeschaffung. Man kann es entweder als eigenständiges Webangebot über die Website nutzen oder den Service als Bestelldienst in das eigene Intranet integrieren. FIZ AutoDoc unterstützt die Literaturbeschaffung beispielsweise durch automatisches Vorschlagen von ISSN-Nummern und durch die Bereitstellung von Eingabeboxen für Kostenstellenzuordnung und interne Verrechnung. Diese Eingabefelder können direkt mit den betrieblichen Verwaltungs- und Abrechnungssystemen verknüpft werden. Der Service wird von den Nutzern vor allem zur Beschaffung von wissenschaftlichen Fachaufsätzen aus internationalen Fachzeitschriften, für graue Literatur und die Organisation von Patent-Volltextdokumenten eingesetzt.

Books & Bytes – ein neuer Ausstellungsbereich der Buchmesse

Abschließend sei noch der neue Buchmessesektor Books & Bytes in Halle 3 erwähnt. Er bot ein recht buntes Sammelsurium an Exponaten. Dort gab es einen weiteren eBook-Reader, das jetBook von ECTACO, das bei einem Gewicht von 215 Gramm einem PDA täuschend ähnlich sieht, massenweise eBooks und digitale Hörbücher wiedergeben kann, vor allem aber ein elektronisches Sprachlexikon ist. Daneben stellte Ullstein sein Vorab-Lese-Angebot für Vielleser und Bücher-Fans www.vorablesen.de vor. Ein paar Schritte weiter fand man den „anderen Literatursalon“ Pirondella, ein Webportal, das jeweils sechs Bücherfreunde zu einem virtuellen Literatursalon vernetzt. Außerdem konnte man in dem Ausstellungsbereich noch readbox.net entdecken, nach eigener Aussage eine „Online-Community für unabhängige Literatur und Anlaufstelle für unentdeckte Autoren und kleinere Verlage“ und landvermesser.tv, ein laut Prospekt GPS-basiertes Literaturprojekt im Netz und auf den Straßen Berlins. Zehn Autoren zeigen Plätze der Stadt, die sie inspirieren und die in ihren Werken eine Rolle spielen und „besetzen diese mit Literatur“. landvermesser.tv zeichnet die Spaziergänge audiovisuell auf und verknüpft sie per GPS mit den besuchten Plätzen. Jedermann kann sich diese Stadtansichten im Internet ansehen.

tolingo.de – 1.700 Übersetzer, 220 Sprachkombinationen

Ebenfalls bei den „Books & Bytes“ zu entdecken war ein schönes Beispiel dafür, welches Potential intelligenter Einsatz von Netzen und Digitaltechnologie bietet, um eine jahrhundertealte Dienstleistung zu verbessern. Das junge Hamburger Unternehmen tolingo gmbh, gegründet von zwei Studenten, betreibt einen Marktplatz für Übersetzungen, der nach den besten Regeln solider Geschäftsführung und Kundenorientierung aufgebaut ist. Auf tolingo.de können rund um die Uhr Übersetzungen in Auftrag gegeben werden. Innerhalb kürzester Zeit haben die Betreiber von tolingo.de 1.700 Übersetzerinnen und Übersetzer zum Mitmachen gewonnen. Die Zahl steigt beinahe stündlich. Zurzeit können 220 Sprachkombinationen angeboten werden Ein spannendes Marktmodell mit einer klassischen Win-Win-Situation: Den Kunden wird optimale Problemlösung angeboten – sieben Tage in der Woche rund um die Uhr. Die Masse der Beteiligten sichert die schnelle Verfügbarkeit. Qualitätskontrolle ist durch Gegenlesen eines zweiten qualifizierten Übersetzers eingebaut. Die Übersetzer selbst erreichen über tolingo.de mit ihrer Dienstleistung eine riesige Zielgruppe, die sie auf traditionellem Weg kaum ansprechen könnten. Der Marktplatzbetreiber hat ein lukratives Geschäft. Allein in Deutschland ist der Markt für Übersetzungen 700 Mio. € groß.

Die Antworten auf die drängenden Fragen stehen noch aus

Wie ein riesiger Spiegel reflektierte die Frankfurter Buchmesse in ihrem 60. Jubiläumsjahr den Technologiewandels von print zu digital, der einen großen Umbruch der Branche nach sich zieht. Die Messe thematisierte alle brennenden Fragen. Die Antworten stehen allerdings noch aus. Mit einer aus dem Buch „Die Entdeckung der Langsamkeit“ von Sten Nadoly entliehenen Einsicht fasste Buchmessedirektor Boos die schwierige Lage zusammen, in der sich die Buchbranche befindet. Boos zitierte: „Das Richtige konnte man schon tun, aber es war immer möglich, dass alle anderen es für das Falsche hielten. Und sie konnten sogar recht haben.“

Die Buchmesse, so Boos weiter, sei der richtige Ort, um sich zu orientieren auf dem internationalen Markt, um inne zu halten in diesem rasenden Geschwindigkeitslauf, um Gespräche mit den richtigen Menschen zu führen. Das gilt bestimmt auch für das nächste Jahr.


Die Frankfurter Buchmesse 2009 findet vom 14. bis 18. Oktober statt. Ehrengast ist China.


Autorin

Vera Münch ist freie Journalistin und PR-Beraterin

PR + Texte
Leinkampstraße 3
D-31141 Hildesheim
E-Mail: vera.muench@t-online.de