Novum auf der Frankfurter Buchmesse 2008

Drei Tage blaues B.I.T-Sofa: Bibliotheken auf die Tagesordnung!

Digitalisierung des Kulturgutes
Mittwoch, 10:30–12:00 Uhr

Zum Thema „Digitalisierung des Kulturgutes“ diskutierten am Mittwochvormittag, unter Moderation von Wissenschaftsjournalist Mirko Smiljanic, Dr. Elisabeth Niggemann, Generaldirektorin der Deutschen Nationalbibliothek und Vorsitzende der European Digital Library Foundation; Rolf Rasche, Geschäftsführer ImageWare Components GmbH, Bonn; Richard J. Helle, Geschäftsführer der CCS Content Conversion Specialists GmbH, Hamburg; Dr. Wilhelm Hilpert, Bayerische Staatsbibliothek, München (BSB).

Wilhelm Hilpert, der mit der BSB als einzige deutsche Bibliothek in das Google Massendigitalisierungsprojekt eingebunden ist, gab einen wesentlichen Grund für das Engagement der BSB mit Google: Wo sonst bekommt man rund 40–50 Mio. € her, um in akzeptabler Zeit 1 Mio. Bücher digitalisieren zu können? Und die BSB habe anschließend ein eigenes Digitalisat zur Verfügung! Jetzt stellen sich ganz neue Themen: Wie die ungeheuer großen Datenmengen handhaben, die durch die Massendigitalisierung entstehen? Eine Herausforderung, die mindestens ebenso anspruchsvoll ist wie die der Langzeitarchivierung.

Über die Notwendigkeit der Digitalisierung des Kulturguts war sich die Runde schnell einig: Papier zerfällt, Platz wird knapp, Nutzer fordern Informationen in schnellstmöglicher Zeit. Und Digitalisate sind in Millisekunden auf dem Bildschirm. Weltweit! Der Mehrwert für den Nutzer ist enorm. Wie soll der Nutzer in der Digitalen Bibliothek das finden, was er sucht? In den USA werden 97 % aller Studenten über Google an die Universitätskataloge geführt. Daran kommen Bibliotheken nicht vorbei. Also ein OPAC, der ähnlich aufgebaut ist wie Google und trotzdem die Vorzüge des eigenen OPACs nicht aufgibt.

Frau Niggemann nahm die Erwartungshaltung an Europas Digitale Bibliothek Europeana etwas zurück. Im November werde zunächst ein Prototyp gelaunched. 2010 steht Europeana dann auf den Füßen. Wer bestimmt deren Inhalte? Letztendlich wünschte sie sich, dass die Nutzer die Inhalte der Digitalen Bibliothek bestimmten. Alle Diskussionsteilnehmer waren sich einig, dass die Inhalte nicht selektiert werden dürfen: „Aber irgendwo muss man anfangen. Wenn wir den Nutzern nicht das bieten, wonach sie suchen, dann kommen sie nie wieder.“ Frau Niggemann informierte auch über das in ihrem Haus angesiedelte Forschungsprojekt Contentus, das auf der Buchmesse vorgestellt wurde. In dessen Rahmen werden neue Technologien und Konzepte für den Aufbau von multimedialen Wissensplattformen, wie digitale Bibliotheken, entwickelt. Ziel ist es, eine qualitativ bessere, einfachere, und an den Interessen des Anwenders ausgerichtete Wissensrecherche zu ermöglichen.

Die beiden Unternehmer, deren Firmen den Großteil ihres Umsatzes im Ausland machen, bedauerten, dass es in Deutschland mit der Digitalisierung so langsam voran gehe. Richard Helle: Wenn Sie uns die Aufträge geben, dann ist auch wirtschaftlich einiges möglich. Eine Seite muss nicht 10 Cent, sie kann auch 1 Cent kosten. Es gibt Möglichkeiten, auch für wenig Geld ein überschaubares Projekt zu stemmen! Rolf Rasche will dabei die Bibliotheken mit in die Verantwortung nehmen und wünschte sich viel mehr Standardisierung im Bibliotheksumfeld.

Große Einigkeit am Ende der Diskussion über die Bibliothek der Zukunft: Sie wird eine Begegnungsstätte sein, multimedial, sie bleibt eine Lagerstätte des Wissens, natürlich mit Bibliothekar! Selbst wenn es irgendwann eine www.weltbibliothek.de geben wird, auch dort wird es irgendwo den Button geben: Frage den Bibliothekar!

Sind herkömmliche Bibliotheken tot?
Mittwoch, 14:30–16:00 Uhr

„Wir sind nicht tot!“ meldete die FAZ in ihrer Buchmesseausgabe vom Donnerstag, nachdem die Diskussionsrunde am Mittwochnachmittag zum Thema „Sind herkömmliche Bibliotheken tot?“ auf reges Interesse gestoßen war. Diskussionsteilnehmer waren Tom Becker, Münchner Stadtbibliothek; Mathias Schindler, Wikimedia Deutschland e.V.; Fabienne Kneifel, Leiterin des Sachgebiets Katalog in der Zentralen Medienbearbeitung der Stadtbücherei Frankfurt a. M. und Holger Behrens, Geschäftsführer der DiViBib GmbH, Wiesbaden. Die Moderation lag in den bewährten Händen von Mirko Smiljanic.

Haben Bibliotheken eine Überlebenschance? Bibliotheken haben kein Monopol mehr auf Wissen und Information. Heute wenden sich Suchende an Suchmaschinen. Wie sieht also in Zukunft die Aufgabe von Bibliotheken aus? Wie wollen Bibliotheken ihren Aufgaben weiter gerecht werden? Die Bibliothek der Zukunft wird Google, Wikipedia und Co. in ihr Angebot einbinden. Datenbanken und e-Medien werden eine immer stärkere Rolle spielen und vielleicht sogar im Mittelpunkt stehen. Mathias Schindler wünschte sich die Bibliotheksinhalte zur freien Verfügung in Wikipedia.

Bibliotheken müssen neben Lesekompetenz auch Medien- und Informationskompetenz vermitteln, damit Nutzer fit sind, das Wissen, das ihnen ihre Bibliothek bietet, auch ausschöpfen zu können. Ein Beispiel dafür ist das Programm „Fit für die Facharbeit“ der Münchner Stadtbibliothek. Tom Becker: Kernaufgabe ist die Kompetenzvermittlung im Umgang mit dem Internet. Wie gehe ich mit Google um? Wie filtere ich relevante Seiten in Wikipedia oder anderen Online-Informationsquellen heraus? Das ist das A und O! Und ein sehr spannendes Geschäft!

Bibliotheken vermitteln schon immer Bildung und Wissen, müssen dies künftig aber noch aktiver und v. a. in Kooperation mit den anderen Bildungseinrichtungen vor Ort (z. B. Schulen, Unis und VHS) betreiben. Zusammenarbeit und Bündelung von Kompetenzen sind die Stichwörter. Bibliotheken können im physischen Gebäude verstärkt zu kommunikativen Orten der Begegnung werden.

Holger Behrens thematisierte Bibliotheken und Wettbewerb. Bibliotheken müssen sich von der uralten Tradition des Abwartens lösen („Ein Jahr ist nur ein Wimpernschlag im Leben eines Bibliothekars!“), denn im Internet entstehen heute Wettbewerbsangebote in einer Geschwindigkeit, auf die Bibliotheken auch schnell reagieren müssen. Als er vor drei Jahren „Onleihe“ vorgeschlagen habe, sei er noch verlacht worden!

Bildungspartner Bibliothek
Donnerstag, 10:30–12:00 Uhr

Am Donnerstagvormittag trafen sich auf dem B.I.T.-Sofa Experten zum Thema „Bildungspartner Bibliothek“ auf dem B.I.T.-Sofa. Es ging um die Aufgaben der Bibliothek bei der Vermittlung von Informations- und Wissenskompetenz und die Einbindung in Bildungskonzepte. Wie sieht die Bibliothek ihre Rolle als Lernanbieter und Lernort? Unter der Moderation von Dr. Georg Ruppelt diskutierten Detlef Mensendieck, Informationsvermittler und Lehrer, Aloys Lenz, MdL und Vorsitzender des dbv Hessen und Dr. Luzian Weisel, FIZ Karlsruhe das brisante Thema, zu dem auch Diskutanten aus dem Publikum viel Neues beitragen konnten.

Moderator Georg Ruppelt war mit Spaß bei der Sache: Der Lehrer ist ein fauler Sack und die Bibliothekarin eine graue Maus! Am Image darf also noch poliert werden! Warum arbeiten die beiden Berufsgruppen nicht zusammen? In den Diskussionen der Lehrer spielen Bibliothekare keine Rolle, umgekehrt sehr wohl. Aloys Lenz forderte, dass Lehrer und Bibliothekare aufeinander zugehen sollten, um gemeinsam Medienkompetenz besser vermitteln zu können. Man müsse auch allerhand Informationsdefizite beheben: Selbst mancher Politiker wisse nicht, dass es in Bibliothek Internetarbeitsplätze gibt. Luzian Weisel wünschte sich Informationskompetenz in allen Schulfächern, eine neue Herausforderung an die Lehrerausbildung. Aus dem Plenum berichtete eine Dipl.-Bibliothekarin, die das Selbstlernzentrum in einem Bonner Gymnasium betreut und genau diese Medienkompetenz dort vermittelt, dass dies der einzige Ort der Ruhe in der Schule sei und sie von den Lehrern darum regelrecht beneidet werde. Der Haken? Sie hat einen Mini-Job auf 400 €-Basis! Bildungspartner Bibliothek? Es gibt eine Menge zu tun. Die Politik ist gefordert. Bibliotheksgesetze in den Ländern könnten hier einiges bewirken.

Informationsquelle Bibliothek
Donnerstag, 14:30–16:00 Uhr

Informationsquelle Bibliothek! Der Donnerstagnachmittag stand unter dem Zeichen des „Bibliothekars 2.0“ („3.0“) als Guru des Informationszeitalters. Bibliotheken oder Google? Mit Moderator Erwin König diskutierten in lebhafter Runde Frau Dr. Traute Braun-Gorgon, Geschäftsführerin von Subito GmbH Berlin, mit Fabienne Kneifel und Tom Becker.

Als dramatisch bezeichnete Frau Braun-Gorgon die Erfahrungen nach den ersten neun Monaten mit dem neuen Urheberrechtsgesetz. Der Dokumentenlieferdienst Subito habe an Werktagen einen Rückgang von rund 1300 Nachfragen zu verzeichnen. „1300 Aufsätze werden innerhalb Deutschlands von anderer Seite beschafft, nicht mehr legal in Form einer Kopie aus einer Bibliothek, sondern über irgendwelche anderen Kanäle.“ Die Nachfrage bei den Online-Angeboten der Verlage habe nicht zugenommen. Der Versorgungsmechanismus habe sich verändert. Große Fragezeichen für die Zukunft.

Fabienne Kneifel brachte Erfahrung aus ihrem Auslandsaufenthalt in einer Bibliothek im amerikanischen Michigan ein: In ihrer Gastbibliothek in Michigan wurde Google intensiv eingebunden. Zunächst müsse der Zugang für den Nutzer so einfach wie möglich gestaltet werden und das virtuelle Dienstleistungsangebot auch hier entsprechend verändert werden. Und vielleicht helfe ja auch in Deutschland eine kleine Dosis amerikanisches Improvisationstalent und der Play- und Funfaktor? Das hat die junge Bibliothekarin ganz offensichtlich begeistert. (In B.I.T.online 1/2009 wird Fabienne Kneifel darüber schreiben.)

Müssen Bibliotheken erst abbrennen, damit man sie beachtet?
Freitag, 14:30–16:00 Uhr

Zur Abschlussrunde am Freitagnachmittag zum Thema Öffentlichkeitsarbeit von und in Bibliotheken mit dem provozierenden Titel „Müssen Bibliotheken erst abbrennen, damit man sie beachtet?“ trafen sich auf dem B.I.T.-Sofa unter der Moderation von B.I.T.online-Objektleiter Erwin König die Vorsitzende des dbv und Direktorin der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg, Frau Prof. Dr. Gabriele Beger, Frau Barbara Schleihagen, Geschäftsführerin des dbv und Dr. Klaus-Steffen Dittrich, Direktor der Hochschulbibliothek an der HTWK Leipzig.

Mit der Öffentlichkeitsarbeit tun sich Bibliotheken immer noch schwer. Abhilfe sollen bundesweite Aktionen wie „Deutschland liest. Treffpunkt Bibliothek“ schaffen. Frau Schleihagen stellte den Fachbesuchern der Buchmesse diese neue Aktion vor, die auch in Zukunft fortgeführt werde. Und Frau Beger begeisterte die Zuhörer, in dem sie die Reaktion der Bibliotheken auf die großen Umbruchsituationen mit Selbstbewusstsein und Stolz beschrieb: Das Gros der Bibliotheken habe sich den neuen Aufgaben und neuen Möglichkeiten gegenüber völlig geöffnet, in Bibliotheken boomt das Geschäft, mehr denn je! In ihre Bibliothek kommen täglich 4000 Menschen! Diese „Abstimmung mit den Füßen“ zeigt ganz klar, dass die Bibliotheken heute von den Nutzern sehr geschätzt werden. Sie haben die klare Aufgabe, ihren Nutzern bei der qualifizierten Informationsrecherche zu helfen und dafür Sorge zu tragen, dass die Arbeitsmöglichkeiten gut sind


Die B.I.T.online Bilderschau zur Buchmesse finden Sie hier