Wirtschaftsförderung und Standortentwicklung durch Informationsdienstleistungen
Das unterschätzte Potential von Bibliotheken

[hrsg. von] Wolfgang Ratzek; Elisabeth Simon


- Berlin: Simon Verl. für Bibliothekswissen, 2008. – 181 S.
Ill. und graph. Darst.
ISBN 978-3-940862-05-1. € 22,90

In der seit einigen Jahren forcierten Diskussion, ob der Beitrag, den beispielsweise eine Spezialbibliothek zur Wirtschaftsleistung und damit zum Erfolg ihrer Trägerorganisation liefert, näher beschrieben und beziffert werden kann (d.h., ob sie einen signifikanten Beitrag zum „return on investment“ ROI bietet), hat sich bereits gezeigt, dass dies sehr schwierig nachzuweisen ist. Dennoch gibt es immer wieder Untersuchungen und Studien, in denen dies thematisiert wird. Meist wird dies als Problem der Kommunikation der „Erfolge“ der Bibliothek an den Träger und hier vor allem die Entscheider unter den Stichworten „Nutzen-“ oder „Erfolgsnachweis“ diskutiert.

Dabei kann man die Fragestellung erweitern und nicht nur nach dem Beitrag von Bibliotheken fragen, den sie sowieso für die Wirtschaft erbringen, es könnte sich zusätzlich um die Fragestellung handeln, wie Bibliotheken besondere Dienstleistungen entwickeln, die die Wirtschaftsleistung fördern. Es ist ein schwieriges Unterfangen, den Beitrag von Bibliotheken zu den Standortfaktoren und damit zur Wirtschaftsförderung klarer zu umreißen. Auch dieser Veröffentlichung gelingt das nicht, sie ist lediglich eine Sammlung von disparaten Beiträgen, in denen viel berichtet und versucht wird, in- und ausländische „best-practice“-Beispiele zu geben, aber eine systematische Darstellung oder Untersuchung der Art und Weise, wie Bibliotheken und Informationsdienstleistungen zu wirtschaftlichem Erfolg des geographischen Raumes oder der kommunalen und regionalen Gliederungen, denen sie zugeordnet sind, beitragen, wird gar nicht erst versucht. Es wird betont, dass das Thema wichtig sei, nun, das wussten wir schon vorher! Sonst würde uns das Thema des Buches gar nicht interessieren. Es wird versucht, dies an vielen Beispielen zu belegen, es wird aber nicht nachgewiesen. Gerade letzteres dürfte aber politische Entscheidungsträger interessieren.

Dennoch lohnt sich die Lektüre dieses Buches, da es „Munition“ bietet in einer Diskussion, welche gerade jetzt in der Wirtschaftskrise entstehen wird: Benötigen wir die Bibliothek überhaupt? Sind die Investitionen, die wir in die Bibliothek/Mediothek/Informationsbeschaffungsstelle/... stecken, sinnvoll? In Weblogs kann man bereits lesen, wie sich US-amerikanische Public Libraries argumentativ rüsten, um in der Rezession eine positive Rolle im Reigen der konkurrierenden Standortfaktoren zu belegen. Wir sollten dies hier in Deutschland auch tun! Hierzu kann dieses Buch eine Hilfe sein.

In der Einführung der beiden Herausgeber, einem BWL- und Marketing-Professor der HdM Stuttgart (übrigens auch im B.I.T.online-Beirat vertreten) und der früheren Geschäftsführerin der Bibliothekarischen Auslandsstelle des DBI und jetzigen Geschäftsführerin der Bibliothekarischen Auslandsstelle des DBI und jetzigen Verlegerin wird das Thema zunächst deskriptiv umrissen, dann werden nationale und internationale „best-practice“-Beispiele gegeben, in denen zumindest beschrieben wird, wie verschiedene Bibliotheken versuchen, das Themengebiet „Wirtschaft“ in Dienstleistungen umzumünzen.

Konkreter wird dies anhand einiger in Beiträgen breiter ausformulierter Beispiele behandelt, so die TIB Hannover, welche ca. zur Hälfte Industriekunden mit Dokumentlieferungen bedient, die Stadtbibliothek Shanghai, welche systematisch Dienstleistungen für die Wirtschaft entwickelt, das National Library Board of Singapore, welches in die selbe Richtung zielt. Der systematisch angelegte Beitrag von Ronald Kaiser behandelt den Standortfaktor Information und diskutiert das Zusammenspiel von realen Dienstleistungen und digitalen Dienstleistungen im Internet.

Dann sind einige Aufsätze enthalten, die eher in das Fach „Bibliotheksmanagement“ einzuordnen sind. Hierzu gehören beispielsweise der Beitrag von Elisabeth Simon zu den „bibliotheksfernen Nutzern“, der Strategien diskutiert und Beispiele gibt, wie man bibliotheksferne Zielgruppen anspricht und einbindet. Ein Beitrag zum Wissensmanagement in Unternehmen zeichnet sich durch völlige Ignoranz der breiten angelsächsischen Literatur zu diesem Thema aus. Von Bibliothek(en) ist in ihm auch nicht die Rede. Der Aufbau und die Pflege einer Datenbank werden in einem Beitrag am Beispiel einer koreanischen nationalen Wissenschaftsorganisation geschildert. In einem weiteren Beitrag berichtet eine Kollegin, die sich mit einer Literaturverwaltungssoftware selbständig gemacht hat, über ihre Erfahrungen bei der Gründung einer eigenen Firma. Zwei weitere Beiträge schildern konkrete Maßnahmen einerseits zur Integration verschiedener Bibliotheken in eine Gesamtbibliothek einer wirtschaftlich aufstrebenden norwegischen Stadt und zu einer Kooperation einer Hochschul- mit einer Öffentlichen Bibliothek in Schottland. Wirtschaftsförderung wird in diesem Zusammenhang auch nicht behandelt.

Bei der Lektüre stört nicht nur, dass eine ganze Reihe von Beiträgen nichts mit dem Thema der Veröffentlichung zu tun haben, sondern auch die vielfach schlechte Redaktion, fehlende Abstände, falsche Rechtschreibung und unsichere Übersetzung. Das Buch ist mit der heißen Nadel gestrickt, zudem ohne stringentes Konzept entstanden. Man sollte es dennoch nicht ignorieren, das Thema ist zu wichtig. Dank der internationalen Verbindungen der Herausgeber ist zudem eine geographische Breite der Beiträge gegeben. Die instruktivsten Aufsätze zum Thema sind jene aus China und Singapur, welche in englischer Sprache verfasst sind. Bei den deutschen Texten ist man als Leser auf sich selbst zurück geworfen, wenn man aus den Beschreibungen Argumente für die Diskussion mit dem Träger oder Gesichtspunkte für die Konzeption von Dienstleistungen, die sich positiv auf die Wirtschaftslage von Nutzern, Gemeinden oder Organisationen auswirken sollen, finden will. Material zum Nachdenken liefert dieses Buch genug, die Konzepte aber sind dünn gesät und schwer(er) zugänglich.


Dr. Jürgen Plieninger
Bibliothek des Instituts für Politikwissenschaft
Universität Tübingen
juergen.plieninger@uni-tuebingen.de