„Der Mehrwert, den Informationsspezialisten erbringen, muss sichtbarer werden“

Cary Bruce, Geschäftsführer für zentraleuropäische Aktivitäten, EBSCO Information Services, Berlin,
und Sabine Teichert, Verkaufsleiterin, im Gespräch mit Vera Münch

Jens Deutscher, EBSCO Cary Bruce

Cary Bruce ist seit Oktober 2002 Geschäftsführer für EBSCOs Aktivitäten in Zentraleuropa und seit der Übernahme der Minerva Wissenschaftliche Buchhandlung GmbH, Wien im vergangenen Jahr auch deren Geschäftsführer. In diesen Funktionen trägt er die Verantwortung für die EBSCO Tochtergesellschaften in Wien (Minerva), Berlin, Warschau und Prag mit insgesamt 90 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Sein Büro ist am Standort Berlin, wo EBSCO nach der Übernahme von Lange & Springer 2004 heute rund 60 Leute beschäftigt. Bruce und sein Team haben umfassende Erfahrung mit Konsortialverträgen und E-Journal Paketlizenzen im deutschsprachigen Markt wie auch in ost- und südosteuropäischen Staaten. Der in Europa geborene und bis zu seinem neunten Lebensjahr in Italien aufgewachsene Manager bezeichnet sich selbst als „Mischling zwischen den Kulturen“, der einen amerikanischen Pass hat, aber „eindeutig Europäer ist“. Er spricht sechs Sprachen, vier davon fließend. Zurzeit lernt er polnisch. Bevor Bruce zu EBSCO kam, war er in verschiedenen Managementpositionen in Verlagen und Medienunternehmen tätig, darunter Bertelsmann, Burda und ein Joint Venture zwischen Holtzbrinck und der Langenscheidt-Gruppe.

Cary Bruce spricht deutsch. Fließend. Das ist deshalb so bemerkenswert, weil er über Effizienzsteigerung in Bibliotheken und im Verlagsvertrieb spricht, was heute synonym für softwaregestützte Prozessorganisation steht. Trotzdem kommt der Amerikaner mit deutscher Mutter und Kindheit in Italien ohne englische Worthülsen aus. Für jedes Modewort des Informationszeitalters findet Bruce einen passenden deutschen Begriff und lebt so im Interview den Kern der EBSCO-Unternehmensphilosophie vor: Bei allem „e“ in der Informationsbranche spielt der Mensch als Geschäftspartner immer noch die wichtigste Rolle. Vera Münch sprach für B.I.T.online mit dem Geschäftsführer für zentraleuropäische Aktivitäten von EBSCO Information Services, und Sabine Teichert, Verkaufsleiterin. EBSCO ist nach Firmenangaben der weltmarktführende Bibliotheksdienstleister im akademischen Bereich.

Cary Bruce: Unser Markt durchlebt eine turbulente Entwicklung. Anbieter müssen sich ständig neu justieren. Man muss ständig schauen, wohin die Reise geht. Am Ende zeigt aber die Realität sehr häufig, dass die Entwicklung deutlich langsamer geht als das, was alle prophezeien und man dann doch Zeit hat; vorausgesetzt, man ist innovativ und bereit, neue Sachen anzugehen. Aber es steht außer Frage: Der Markt ist ein Wettbewerbs- und Verdrängungsmarkt, auf dem nachhaltige Finanzkraft, Agilität und Innovationsfähigkeit überlebenswichtig sind. Vieles ist noch ungewiss und nur die Zeit wird zeigen, wie die Strukturen am Ende aussehen werden. Ich glaube aber, das betrifft nicht nur die Dienstleister wie Agenturen, sondern die ganze Kette der Informationsvermittlung; Bibliotheken, Lieferanten und sogar die Verlage.

Die Bibliothek als physische Einheit – hiermit meine ich das Gebäude – ist ebenfalls im Wandel. Die akademische Bibliothek wird bleiben, aber ihre Rolle ändert sich: Als Standort wird sie in Zukunft mehr Treffpunkt und Lehreinheit sein als Ausleihstelle. Es gibt aber andere Einrichtungen wie Forschungsinstitute oder Unternehmen, die ihre physischen Bibliotheken komplett schließen.

Foto: Vera Münch
Mittler zwischen Verlagen und Bibliotheken: Cary Bruce erklärt, wie EBSCO als Konsolidierungszentrum Verlagsangebote individuell zu Paketen für seine Kunden in den Bibliotheken zusammenstellt

Cary Bruce: In den Unternehmen, beispielsweise in der Pharmaindustrie, aber auch im Forschungsbereich. Dort, wo wenig Studenten sind oder nur wenig Besuchsverkehr stattfindet, beobachten wir ein Sterben der Einrichtungen. Eine physische Verfügbarkeit als Einrichtung ist durch die Online-Verfügbarkeit der Medien ja nicht mehr zwingend. Die Nutzer wollen den Zugang lieber vom Schreibtisch oder sogar von zu Hause aus haben. Was aber nicht verschwindet, ist die Rolle des Bibliothekars oder des Informationsmanagers. Sie wird sogar wichtiger; sie muss jedoch sichtbarer gemacht werden.

Cary Bruce: In zwei Bereichen: Erstens, es gibt die große Herausforderung, dass die Verlage direkten Kundenkontakt suchen und ihre Pakete über Konsortien verkaufen, und zweitens die schon angesprochene Frage: wie entwickeln sich die Bibliotheken weiter? Der Mehrwert, den Bibliotheken bringen, wird ständig unterschätzt. Wir alle in der Informationsindustrie müssen daran arbeiten, dass die Wertschätzung unserer Kunden steigt. Die Frage ist, wie wir Bibliothekare und Informationsmanager unterstützen und die allgemeine Wahrnehmung ihrer Arbeit verbessern können. EBSCO hat kürzlich eine neue Anzeigenkampagne entwickelt, die den Wert gezielter Informationslieferung durch Bibliothekare thematisiert. Es geht darum zu sagen, „was ist meine Rolle als Bibliothekar bzw. als Informationsspezialist“. Gleichzeitig zeigen wir, dass wir – EBSCO – da sind, um Informationsmanagern zu helfen, ihre Aufgaben noch besser erledigen zu können und sich in der gewonnenen Zeit mehr strategisch zu fokussieren.

Cary Bruce: Nein. Wir haben bei EBSCO mehrere Strategien in den letzten Jahren entwickelt. Erstens: wir haben in Datenbanken investiert, mit denen wir den aggregierten Inhalt direkt an den Kunden bringen. Zweitens: Wir merken, es gibt eine Menge Service, der vorher in der klassischen Printwelt von Agenturen übernommen wurde und jetzt durch die Lizenzierung bei den Verlagen de facto an die Bibliotheken zurückfällt, weil der Verlag diese Dienstleistung meistens nicht anbietet. Nach zwei, drei Jahren „Probe“ oder wenn es plötzlich sieben statt der anfänglichen zwei lizenzierten Pakete sind, dann realisiert man, wie viel Arbeit das ist. In vielen Fällen stellen wir fest, dass Bibliotheken zunehmend auch die Pakete über Agenturen abgewickelt haben wollen.

Cary Bruce: Wir haben die traditionellen Agenturdienstleistungen und die durch digitale Medien neu hinzukommenden Möglichkeiten in zwei Schaubildern verglichen. Diese zeigen, dass zur herkömmlichen Abwicklung von Bestellungen, zu Abonnement-Erneuerungen, Reklamationsmanagement und Zahlungsabwicklung eine Vielzahl neuer Arbeiten hinzukommen. Das sind zum Beispiel die Verwaltung von Lizenzdetails, von Zugangs- und Registrierungsdaten, die Bestellaktivierung und ganz besonders der Aufbau und die Aktualisierung der Systeme für die Verwaltung der elektronischen Ressourcen (ERM); die effiziente Bereitstellung der lokal verfügbaren Bestände und ihre Ergänzung durch externe Bezugsquellen. Das Thema ERM: Das System erledigt von selbst nichts. Das muss man mit Daten füllen. Die Erfahrung der letzten Jahre zeigt, dass die oft teuren Systeme zum Teil ungenutzt bleiben. Sie zu pflegen, verschlingt Ressourcen und am Ende stellt sich heraus, dass es sich auch noch um Routinearbeit handelt, die eigentlich ein Dienstleister erbringen kann. Für uns bei EBSCO sind ERM-Dienstleistungen nur ein weiterer Ausbau unserer Angebote für Verwaltungsprozesse und -systeme, die wir sowieso machen. Im Erwerb erfassen wir ohnehin alle Daten in unseren Systemen. Warum also nicht profitieren davon? Dienstleistungen um elektronische Ressourcen zu entwickeln und anzubieten ist eine unserer großen Initiativen der letzten Jahre. Wir haben dazu mehrere große Projekte, eines auch hier im Berliner Raum.

Cary Bruce: Ja, wenn man wie gesagt innovativ und bereit ist, neue Dinge anzugehen. Das ist die Quintessenz unserer Aktivitäten: Immer wieder Bereiche zu finden, wo wir durch Volumen Skaleneffekte generieren können, die eine einzelne Bibliothek selbst nicht erzielen kann. Das ist der klassische Kernpunkt jeder Agentur. Die Effizienzsteigerung passiert übrigens auf beiden Seiten, nicht nur bei den Bibliotheken, sondern auch auf Seiten der Verlage, sodass auch Verlage einen erheblichen Mehrwert haben, weil wir zum Beispiel Bestellungen und Bezahlungen gesammelt abwickeln.

Foto: Vera Münch
Setzen auf persönlichen Kundenservice: Cary Bruce und Sabine Teichert, hier auf der Fachmesse Online Information 2008 im Dezember in London

Cary Bruce: Ja, aber nicht so gravierend. Auch hier gilt, dass der Vertriebs- und Verwaltungsaufwand im Verlagsgeschäft sich nicht durch die Digitalisierung in Luft auflöst. Der Aufwand vergrößert sich wie gesagt an manchen Stellen sogar oder wird eben verlagert vom Zwischenhandel zurück in den Verlag und/oder vom Verlag in die Bibliotheken. Außerdem kommen neue Märkte dazu. EBSCO ist im deutschsprachigen Raum und auch in Osteuropa schon sehr gut aufgestellt, deshalb arbeiten wir zum Beispiel aktuell mit Verlagen zusammen, die Unterstützung bei der Erschließung dieser Märkte wünschen, um ihre Portfolios im osteuropäischen Raum bekannt zu machen. Die Veränderungen bei der Nachfrage sind natürlich auch abhängig von der Größe des Verlages. Aber es gibt immer Lebenszyklen von Produkten bzw. Wirtschaftsaktivitäten. Am Anfang ist alles neu, sexy. Irgendwann wird es härter und genauer kalkuliert, dann denkt man wieder über Effizienzsteigerung nach und lagert Prozesse aus, die Dienstleister billiger erbringen können.

Sabine Teichert: Im Prinzip kann man schon fast sagen, dass sogar mehr Notwendigkeit für unsere Dienstleistungen besteht, weil alles komplexer geworden ist. Wir machen ganz oft die Erfahrung, dass unsere Dienstleistung sehr wohl geschätzt wird und interessanterweise der Bedarf eher größer als kleiner wird. Zu E-Book-Preismodellen beispielsweise ist EBSCO einer der größten Know-how-Träger. Dieses Wissen bieten wir unseren Kunden als Kundendienst an; natürlich ohne Bewertungen vorzunehmen. Der Service wird gerne angenommen.

Cary Bruce: Der Markt selber wächst nicht. Aber wir haben in den letzten Jahren ständig Zuwächse erlebt, weil wir uns fokussiert haben auf integrierte Servicekonzepte mit persönlicher Kundenbetreuung. Unser Anliegen ist eine umfassende Abdeckung des Bedarfs von der Bereitstellung der weltweit publizierten Titel über Plattformen für die Suche und Verwaltung von E-Ressourcen bis hin zur Reklamationsabwicklung. Wir bedienen mit unseren integrierten Softwaresystemen sowohl den Informationsmanager als auch den Bedarf des Endnutzers, dem wir beispielsweise Werkzeuge für die Verwaltung seiner Recherche und Zitierungen zur Verfügung stellen und die Abstracts mit den Volltextquellen verbinden.

Cary Bruce: Wir haben seit 2003 einen deutlichen Zuwachs, teilweise durch Firmenzukäufe, teilweise aber auch durch gute Reputation, die aus unseren Services und unseren Entwicklungen resultiert. Wir erbringen beispielsweise im Bereich E-Journals / E-Books sehr gute Leistungen. Ich glaube, wir haben im Moment ein Niveau von Kundenzufriedenheit und Qualität erreicht, das wirklich top ist. Wir haben eine Befragung durchgeführt, die uns Supernoten gab. Auf einer Skala von 1 bis 10 lagen wir über acht. Weiterhin ist die EBSCOhost Datenbankoberfläche mittlerweile weltweit die meist genutzte im akademischen Bereich.

Wir sind immer in kleinen Schritten gewachsen und sind nun Weltmarktführer. Ich glaube, das kann man heutzutage nicht, ohne dass die Qualität stimmt und auch nicht ohne motivierte und kompetente Teams. Ein Einzelner kann heute kaum noch Großes bewegen. Es sind immer Teams. Es geht mir hier nicht um Selbstlob, sondern um die Darstellung der Veränderungen, die bei uns stattgefunden haben. Ich glaube, EBSCO hat sich sehr stark verändert in den letzten 10 Jahren, besonders hier im europäischen Raum. Wir haben viel dafür getan, lokal zu werden; das heißt, die Vorteile eines international agierenden Unternehmens mit seinen Skaleneffekten und zentralisierten Systemen zu verbinden mit den Vorteilen eines national verankerten Unternehmens, um ganz nah am Kunden zu sein und die Angebote an die Praxis der jeweiligen Länder anzupassen. Das ist immer ein Spagat. Aber er gelingt uns gut.

EBSCO auf einem Blick

EBSCO – Elton B. Stephens Company – ist ein international tätiges amerikanisches Familienunternehmen mit Hauptsitz in Birmingham, Alabama. Es wird in der zweiten Generation von den Inhabern geführt und ist mit 32 Niederlassungen in 23 Ländern vertreten. Mit 75 % Beteiligung am EBSCO-Gesamtumsatz von 2,4 Bio. $ (ca. 1,72 Mrd. €) ist die Sparte EBSCO Information Services (EIS) der größte Geschäftsbereich. EIS bietet seit über 60 Jahren Bibliotheksagentur-Dienstleistungen zur Vermittlung von Fachliteratur an, heute unterstützt durch weltweit vernetzte, aktuelle technische Systeme zum Informations- und Ressourcenmanagement. Das Portfolio deckt derzeit rund 300.000 Fachzeitschriften gedruckt und elektronisch, 55.000 reine E-Journale und 40.000 E-Books (mit über 70 E-Book-Kollektionen) ab. Dazu stellt das Unternehmen über 250 Datenbanken bereit, die Übersicht in die weltweiten Publikationen bringen. Um diese Ressourcen herum bietet EBSCO alle Arbeiten zum Einkauf und zur laufenden Verwaltung sowie unterstützende Softwarewerkzeuge dazu an. Das Unternehmen wickelt weltweit jährlich rund sechs Millionen Aufträge ab, 64 % davon mit einer „e“-Komponente.
     Kunden von EBSCO sind akademische Bibliotheken, Unternehmen, Forschungsinstitute, Behörden und Verbände, Öffentliche Bibliotheken und Schulbibliotheken; letztere kommen zwar noch vereinzelt, aber mit steigender Tendenz seit kurzem auch aus deutschsprachigen Ländern.
     Mehr Informationen im Internet unter http://www.ebsco.de oder im Büro Berlin unter Tel. +49 30 34005-0, salesberlin@ebsco.com

Cary Bruce: Natürlich. Das Problem ist, dass gewisse Teilbereiche herausbrechen können, die dann die Wirtschaftlichkeit des Modells verändern und das ist die Gefahr. Es gibt immer noch genügend Bedarf für unsere bestehenden und auch für neue Dienstleistungsangebote. Ich glaube aber, oft sehen Kunden nicht die Konsequenzen, wenn sie zum Beispiel das ganze Paket eines wissenschaftlichen Großverlages aus dem Agenturlieferumfang herausnehmen, was das dann für ihren Gesamtvertrag bedeutet. Und dann sind sie erstaunt, dass wir unsere Preise anpassen müssen. Aber das ist ein Lernprozess in einer Welt, die sich gerade erst richtig entwickelt.

Cary Bruce: Es wird eine Evolution der Produkte geben – aber die Funktion von Agenturen sehe ich noch nicht gefährdet. Unsere primäre Aussage zur Strategie von EBSCO im deutschsprachigen Raum ist: Wir wollen unsere Position als Top-Dienstleister für E-Ressourcen festigen, also für E-Books, E-Journale, Datenbanken, softwaregestütztes Prozessmanagement u. a. Wir haben da sehr viel investiert und werden es weiterhin tun: In die beratende Darstellung von E-Journal Paketen, die Begleitung bei der Lizenzierung von Verlagspaketen für Konsortien und Einzeleinrichtungen, die Bündelung von Inhalten in weitere nachgefragte Themendatenbanken und andere innovative Dienstleistungen. Lassen Sie es mich so sagen: Um „Top-Dienstleister für E-Ressourcen“ herum haben wir eine Reihe von Dienstleistungen und Werkzeugen entwickelt, die Bibliotheken dabei unterstützen, ihre Arbeit effizient zu managen, sich neu auszurichten und weiter zu entwickeln. Das ist unsere strategische Schiene 2009, aber auch darüber hinaus.

Sabine Teichert: Innovativ ist heutzutage eben auch, ganz persönlichen Kundendienst anzubieten. Bei allem „e“ ist immer noch der Mensch der wichtigste Aspekt.