Die ersten 100 Tage

Dr. Rafael Ball, der neue Direktor der UB Regensburg, im Gespräch mit B.I.T.online

Fotos: H.Kloth

Dr. Rafael Ball war von 1998 bis 2008 Leiter der Zentralbibliothek des Forschungs-
zentrums Jülich und ist seit 15. Oktober 2008 neuer Direktor der Universitäts-
bibliothek Regensburg.

Ball: Die Erfahrungen als Leiter der Zentralbibliothek (ZB) des Forschungszentrums Jülich haben mich bestens vorbereitet für die Tätigkeit an der Universitätsbibliothek Regensburg. Die ZB in Jülich ist natürlich eine Spezialbibliothek mit einem ganz klaren Zielgruppenfokus, einem spezialisierten Bestand und einem auf Basis des Bestandes und der Nutzergruppe ausgerichteten Dienstleistungs-Portfolio. Dennoch sind viele Merkmale einer großen Universitätsbibliothek auch dort vorhanden. Ein ganz besonderer Schwerpunkt in beiden Bibliotheken ist die Ausrichtung auf den „Kunden“ und die Entwicklung spezialisierter Dienstleistungen. Diese Kundenorientierung macht die Akzeptanz und den Mehrwert einer zeitgemäßen Bibliothek aus. Egal, ob es sich dabei um eine öffentliche Bücherei, eine Spezialbibliothek oder eine Universitätsbibliothek handelt. Zum Zweiten bringe ich aus der Zentralbibliothek des Forschungszentrums große Erfahrungen im Management mit. Dies betrifft sowohl Fragen der Organisation, Struktur, als auch Fragen des Personalmanagements. Auswahl, Akquise und Einsatz von geeignetem Personal sind heute ein zentrales Thema in der Bibliothekslandschaft. Gerade vor dem Hintergrund ungünstiger Tarifbedingungen im öffentlichen Dienst sind kreative und innovative Ansätze bei der Personalgewinnung und Personalentwicklung besonders wichtig. Auch die Fragen der Strukturierung von Informationseinrichtungen konnte ich in Jülich hervorragend lernen. Dies ist sehr gut auch in Regensburg einsetzbar, wo eine große Organisation auf eine professionelle Aufstellung wartet.

Eine Umstellung bedeuten die Größenverhältnisse beider Einrichtungen. Nur zwei Beispiele: Wir erwerben in Regensburg das Fünfzigfache an Monographien der Zentralbibliothek in Jülich und wir haben an einem Tag so viele Besucher in den Lesesälen wie das Forschungszentrum im ganzen Jahr. Vor diesem Hintergrund muss man auch Effizienzvergleiche von Spezialbibliotheken und Universitätsbibliotheken sehen, die sich dieser Größenverhältnisse erst einmal bewusst werden müssen.

Die Arbeit an der Universität Regensburg in ihrem lebendigen Miteinander von Professoren, Dozenten und Studenten ist eine wunderbare Bereicherung meiner Aufgaben. Nur die „Universitas Magistrorum et Scholasticorum“ bietet die ganze Welt der Academia, die sich bedauerlicherweise in der Großforschung zunehmend in Richtung anwendungsorientierter Auftragsforschung hin entwickelt, was sich leider negativ auf die Einschätzung der Bedeutung von Spezialbibliotheken in den außeruniversitären Forschungseinrichtungen niederschlägt. Durch diese Breite einer Alma Mater erlebt auch die bibliothekarische Arbeit nicht nur eine neue Dynamik, sondern auch eine ganz große Vielfalt. Diese Vielfalt und die daraus folgenden Herausforderungen und Ansprüche an die bibliothekarische Alltagsarbeit machen die Arbeit in Regensburg interessant, aufregend und spannend zugleich. Das tiefe und vielfältige Eingebundensein in das Netzwerk der akademischen Strukturen, in Abläufe, aber auch Entscheidungen der gesamten Hochschule, lässt einen schnell zu einem geschätzten Mitglied der Universität werden.

Ball: Die Universitätsbibliothek Regensburg ist in mehreren Schichten vernetzt. Auf der direkten lokalen Ebene ist die Universitätsbibliothek Dienstleister für die Angehörigen der Universität und den wissenschaftlich interessierten Personenkreis im Landkreis Regensburg und der gesamten Oberpfalz. Die Zielgruppen innerhalb der Universität reichen vom Studienanfänger bis hin zu den Lehrstuhlinhabern sämtlicher Fakultäten. Dabei ist die Universität Regensburg eine Volluniversität und entsprechend breit ist die Literatur- und Informationsversorgung aufgestellt. Neben einem riesigen Monographienangebot verfügt die Universitätsbibliothek Regensburg für ihre Nutzer über ein reichhaltiges Angebot an elektronischen Zeitschriften, Datenbanken, e-books und Multimedia-Produkten verschiedener Art. Aber auch der Zugang zu seltenen Rara (von der Handschrift bis zum Wiegendruck) und Sondersammlungen, Nachlässen und anderen geschlossenen Sammlungen bietet ein reichhaltiges Angebot weit über eine reine Standardbibliothek hinaus. Selbstverständlich wird das Angebot ergänzt durch alle gängigen elektronischen Medien und Anwendungstools, die heute in Wissenschaft, Forschung und Lehre eingesetzt werden: Publikationsserver für Hochschulschriften, elektronische Semesterapparate, in das Curriculum der Fakultäten integrierte Lehrgänge zur Informationskompetenz und ein hervorragend ausgestattetes Multimediazentrum, das die Digitalisierung nahezu sämtlicher Audio- und visueller Materialien für die Studierenden ermöglicht.

Darüber hinaus ist auf der lokalen Ebene der Bibliotheken der Stadt Regensburg eine intensive und produktive Kooperation vereinbart. So etwa gilt der Benutzerausweis der Universitätsbibliothek Regensburg auch für die Bibliothek der Fachhochschule Regensburg und der Staatlichen Bibliothek Regensburg. Die UB führt einen Katalog aller Regensburger wissenschaftlichen Bibliotheken. Die Benutzer können ihre Bücher an einem beliebigen Ort bestellen und wieder zurückgeben.

Für viele kleinere Spezialbibliotheken der Region (Schulbibliotheken, Behördenbibliotheken usw.) bietet die Universitätsbibliothek ihr Know-how für die Erschließung und Bearbeitung der Medien an. Es existiert eine Vielzahl von derartigen Kooperationsvereinbarungen, die die Führungsrolle der Universitätsbibliothek in der Region Oberpfalz dokumentieren. Selbstverständlich ist die Universitätsbibliothek Regensburg in das bayerische Bibliothekswesen aktiv eingebunden. Dieser sog. Kooperative Leistungsverbund Bayern bündelt die Kräfte von Universitäts- und Hochschulbibliotheken des Freistaates mit der Unterstützung der Bayerischen Staatsbibliothek und erreicht somit eine Vielzahl von Synergieeffekten, die in anderen Bundesländern in dieser Form nicht oder nicht mehr existieren. So bringt auch die Universitätsbibliothek Regensburg eine ganze Reihe von Dienstleistungen in den bayerischen Kooperativen Leistungsverbund mit ein und war und ist Promotor von bibliothekarischer Innovation.

Auf nationaler Ebene engagiert sich die Universitätsbibliothek Regensburg in der ja weithin bekannten Elektronischen Zeitschriftenbibliothek (EZB), die in den nächsten drei Jahren zu einem noch besseren und integrativen Gesamtkonzept einer elektronischen Zeitschriftenplattform entwickelt werden wird. Auch die RVK, die Regensburger Verbundklassifikation, wird noch in diesem Jahr auf völlig neue Beine gestellt und in einer Web 2.0-tauglichen Umgebung für eine immer größer werdende Nutzerschar national und international zur Verfügung gestellt.

Ball: Bei der Übernahme meines Amtes hat mir die Universitätsleitung keinerlei Negativziele vorgegeben. Im Gegenteil: Die Universitätsbibliothek Regensburg soll sich als zentraler Dienstleister für die Hochschule, aber auch im Land und Deutschland weit, in ihrer maßgebenden Rolle als Innovationsträger weiter entwickeln. Kanzler und Rektor haben die Universitätsbibliothek als die wichtigste und größte zentrale Einrichtung der Universität fest unter ihren Schutz gestellt und sie in vielfacher Hinsicht in das universitäre Leben fest integriert und verankert. Neben den Zielen, die über Regensburg und Bayern hinausgehen, erwartet die Universitätsleitung von ihrem neuen UB-Direktor natürlich zuerst die Ordnung der inneren Verhältnisse und eine konstruktiv-kooperative Integration in die bayerische Bibliotheksstruktur. Natürlich sind Ressourcen immer endlich, aber durch die eigene Ressourcenverantwortlichkeit einer so großen Einrichtung ergeben sich immer Freiräume, die durch innovative und kreative Lösungen genutzt werden können.

Ball: Die Universitätsbibliothek Regensburg ist in der bibliothekarischen Szene hervorragend aufgestellt. Durch eine Vielzahl von innovativen Projekten wie der EZB, dem Datenbankinformationssystem DBIS oder der RVK hat die Universitätsbibliothek Regensburg im Bibliothekswesen in vielen Bereichen eine führende Rolle übernommen. Damit all diese Projekte in den Routinebetrieb übernommen und Weiterentwicklungen umgesetzt werden können, müssen sie aus dem Projektstatus in einen Dauerstatus überführt und strukturell verankert werden. Dies hat Auswirkungen auf strukturelle und personelle Entscheidungen. Die Universitätsbibliothek Regensburg ist mit einem einsatzbereiten, kreativen und jungen Führungsteam ausgestattet und verfügt über einen hervorragend engagierten bibliothekarischen Mittelbau sowie eine breite, leistungsfähige und leistungsbereite Basis.

Durch die gute Verankerung in allen Fakultäten der Universität wird die Universitätsbibliothek Regensburg künftige Projekte ganz nah an den Wissenschaftlern und den Studierenden führen und damit hoch innovative wie praxis- und anwendungsrelevante Projekte mitgestalten und initiieren.

Konkrete Beispiele etwa sind: E-Science-Tools, die wir zusammen mit der Informationswissenschaft an der Universität Regensburg entwickeln oder die komplette Virtualisierung der Server der Universitätsbibliothek auf den Maschinen des Rechenzentrums. Zudem wollen wir die Kundenfreundlichkeit signifikant erhöhen. Das fängt bei der Erweiterung der Öffnungszeiten an und endet nicht bei der Vision, dass man Bücher der UB an jeder Tankstelle zurückgeben kann.

Die Universitätsbibliothek Regensburg ist sich ihrer führenden Rolle im Freistaat Bayern und in Deutschland durchaus bewusst und wird auch weiterhin Maßstäbe setzen, gemäß dem Motto: Für Regensburg, Bayern und die Welt.

(Die Fragen stellte Christoph-Hubert Schütte.)