E-Welten in der Bibliothek - Bericht vom VÖB-Kongress 2008

von Monika Bargmann, Jutta Bertram und Andreas Hepperger

VÖB-Präsidenten Harald Weigel
Konrad Umlauf
(Humboldt-Universität Berlin)

Eigentlich wäre es im Herbst 2008 wieder an der Zeit für den bislang im Zweijahres-Turnus ausgetragenen österreichischen Bibliothekartag gewesen. Doch dieser wird aus VÖB-internen Gründen erst 2009, die nächste ODOK dann 2010 stattfinden. Statt nun in diesem Jahr gar keine Tagung durchzuführen, entschied sich die VÖB dafür, „einen Kongress zu wagen, der ohne Rückhalt durch langjährige Tradition allein durch sein Thema zur Teilnahme verführt.“1 Als Gastgeberin für diese nicht ganz einfache Aufgabe stellt sich die UB Krems zur Verfügung, die den Kongress vom 24. bis 26. September 2008 zusammen mit VÖB und der Kooperation E-Medien Österreich ausrichtete. Dass das zitierte Ziel erreicht wurde, die Tagung also auf rege Nachfrage und großen Bedarf stieß, belegen die knapp 200 „verführten“ Teilnehmer und die über zwanzig Aussteller.

Mittwoch

In den Grußadressen vom VÖB-Präsidenten Harald Weigel und den beiden OrganisatorInnen Margit Rathmanner (Bibliothek der Donau-Universität Krems) und Helmut Hartmann (Kooperation E-Medien Österreich) wurde mit Hilfe von Heraklits panta rhei bis hin zum Intro von Raumschiff Enterprise der Charakter der sich stark veränderten Bibliotheks- in eine E-Welt illustriert.

Konrad Umlauf (Humboldt-Universität Berlin) spannte in seinem Eröffnungsvortrag einen weiten Bogen von den traditionellen zu den elektronischen Ressourcen und den damit ständig wachsenden Anforderungen an die bibliothekarische Arbeit. Eine der zentralen Herausforderungen an die moderne Bibliothek stellt die Ubiquität von Information dar und die damit einhergehende grundsätzliche Infragestellung der Bibliothek als physischer Ort. In diesem Zusammenhang wies Umlauf auf die Untersuchungen von Jonas Fansa hin, der die soziale Funktion des Lesesaales herausarbeitete. Die Ergebnisse wurden vor kurzem ausführlich in Bibliotheksflirt: Bibliothek als öffentlicher Raum publiziert. Die soziale Funktion spiegelt sich in den modernen Bibliotheksbaukonzepten wider, die die Bibliothek als Learning Center sehen. Die strikte Abgrenzung von Bibliotheken zu anderen Gedächtnisinstitutionen wie Archiven oder Museen ist für Umlauf generell in Frage zu stellen. Dies zeigen u. a. internationale Entwicklungen wie die Zusammenlegung von Nationalarchiv und -bibliothek in Kanada. Umlauf ging aber noch um einiges weiter: Er fragte, wer die Modelleisenbahn des Hogwarts-Express zu den Harry Potter Büchern archiviert und merkte kritisch an, dass die Staatsbibliothek Berlin Gimmicks zu Kinderzeitschriften nicht mitarchiviert. Auch die Frage, wer dynamische Websites (Webforen, Wikis, Mailinglisten …) systematisch sammelt und ob diese überhaupt gesammelt werden sollten, stellte er in den Raum. Mehrmals wies er zu Recht darauf hin, dass in den Bereichen Langzeitarchivierung, Standards (z.B. PDF/A oder XML), Formatvereinheitlichung sowie bei der Zukunft des Publizierens die Bibliotheken eine aktive Rolle einnehmen müssen, um sich in den neuen E-Welten behaupten zu können. Durchaus kritisch sah er die Entwicklungen im Bereich Web 2.0 – „Ich glaube nicht an die Weisheit der vielen“ – strich aber das große Potential dieser Entwicklung für fachliche Communities heraus und verglich dies mit dem Briefwechsel von Leibniz, der damit ein weltweites forschungsunterstützendes Korrespondentennetz aufbaute.2 Der Vortrag von Umlauf stellte in konzentrierter Form eindrucksvoll dar, wie wichtig das traditionelle bibliothekarische Handwerkszeug für die E-Welten ist, und machte auch sehr deutlich klar, dass wir nicht nur auf die neuen Entwicklungen reagieren, sondern als Akteure aktiv werden müssen.

Der Block ERM in Theorie und Praxis stellte einen gelungenen Mix von fachlichen und Produktvorträgen dar. Die stetige Zunahme an kommerziellen ERM-Anbietern zeigt die Notwendigkeit solcher Lösungen für den bibliothekarischen Alltag. Neben Swets (SwetsWise eSource Manager) stellte auch noch EBSCO seine Produkte vor. Der Vortrag von Andrea Kroneisl (OBVSG) zeigte, wie schnell die Entwicklungen auf diesem Gebiet fortschreiten. In Bezug auf Verde, dem ERM-Produkt von ExLibris, das zukünftig im Kontext eines Unified Resource Management Systems zu sehen sein wird, war er sehr aufschlussreich. Der Vortrag von Günter Schönfeldt zeigte schließlich, wie ein ERM in der Praxis – und zwar an der Max Planck Digital Library – umgesetzt werden kann. In ihm wurde deutlich, dass ein ERM mehr ist als eine Software.

Im letzten Themenblock des Tages präsentierten sich zwei E-Book-Anbieter: Safari Books Online von Proquest, das mittlerweile in Österreich an mehreren Institutionen vertreten ist, sowie das Portfolio von Gale Cengage Learning. Interessant war hierbei, dass Gale Cengage Learning seine E-Books auch Institutionen einzeln zum Verkauf anbietet (d. h. ohne jährliche Lizenzierung), ein Geschäftsmodell, das aus bibliothekarischer Sicht durchaus öfter praktiziert werden sollte.

Donnerstag

Am Donnerstag standen insgesamt zwölf Vorträge, untergliedert in drei Themenblöcke, auf dem Programm. Der Vormittag begann unter dem Motto Erwerbungsprobleme bei E-Medien mit einem Vortrag von Klaus Kempf aus der bayrischen Staatsbibliothek, der für ein Erwerbungsprofil plädierte, das diesen Namen auch verdient, wenn es um E-Ressourcen geht. Die beiden folgenden Vorträge widmeten sich Geschäftsmodellen für elektronische Medien. Den Hintergrund dafür bildet das Problem, dass diese Modelle bislang noch weitgehend auf konventionellen Medien beruhen, die sich in der Nutzung jedoch wesentlich von E-Medien unterscheiden. Adalbert Kirchgäßner (UB Konstanz) stellte in seinem Vortrag Einflussgrößen vor, die bei neuen Geschäftsmodelle berücksichtigt werden sollten, und beschloss seine Präsentation mit der These, dass das herkömmliche Abonnement-Modell bald ausgedient haben wird. Hildegard Schäffler von der Bayerischen Staatsbibliothek stellte danach vier Ansätze für neue Geschäftsmodelle vor, von denen zwei die Nutzung in ihr Zentrum stellen. Sie erörterte deren Potential und Fallstricke, wie sie sich aus ersten Testläufen ergaben. Die Vortragenden waren sich in der Prognose einig, dass Geschäftsmodelle für E-Ressourcen künftig enorm an Vielfalt zunehmen und nutzerbasierte Faktoren an Bedeutung gewinnen werden.

Nach der Pause folgte eine mit vier Vorträgen recht vollgepackte Session zum Thema Nutzungsstatistiken. Sebastian Mundt (Hochschule der Medien Stuttgart) stellte zunächst Ergebnisse einer Befragung von über tausend Studierenden zur Akzeptanz von E-Books vor. Dabei ergab sich, dass diese Medien bislang noch über keinen nennenswerten Stellenwert unter den Befragten verfügen, der größte Teil von ihnen sich für die Zukunft aber eine regelmäßige Nutzung vorstellen kann. Werner Stephan (UB Stuttgart) befasste sich hernach mit Kriterien für die Nutzungsmessung, die den besonderen Eigenschaften elektronischer Ressourcen Rechnung tragen. Dabei ging er besonders auf die Frage ein, wie man Open Access-Dokumente in die Messung des Impacts einbinden kann. Er stellte ein DFG-gefördertes Projekt vor, das einen Standard entwickelt für die Ermittlung von Zugriffszahlen und Statistiken in institutionellen Repositories. Abschließend plädierte er für die Entwicklung einer Policy, die sich Fragen der Indikatorenentwicklung und ihrer Gewichtung widmet. Konkrete Nutzungsstatistiken aus dem Alltag der Max Planck Digital Library München präsentierte Margit Palzenberger und machte daran grundsätzliche Probleme der Datenaufbereitung und -interpretation deutlich. Abschließend stellte Jeff Clovis von Thomson Reuters dar, wie man Daten aus Zitationsanalysen als Schlüsselindikatoren für die Bewertung von Forschungsleistungen heranziehen kann. Er präsentierte dazu Daten aus dem von Thomson erstellten National Citation Report für Österreich.

In der Mittagspause wurde in den Bibliotheksräumlichkeiten der Donau-Universität auf die Begründung der Bibliothekskompetenz Niederösterreich-Mitte3 angestoßen. Dabei kooperieren die Bibliothek der Donau-Universität Krems, die Bibliothek der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule Wien am Campus Krems, die Niederösterreichische Landesbibliothek, die Fachhochschulbibliothek St. Pölten, die Pädagogische Bibliothek beim Landesschulrat für Niederösterreich in St. Pölten und die Bibliothek der Philosophisch-Theologischen Hochschule in St. Pölten.

Der Nachmittag war (österreichischen) Digitalisierungsprojekten gewidmet. Zunächst stellte Sigrid Reinitzer (UB Graz) die Europäische Digitale Bibliothek (www.europeana.eu) vor, die das kulturelle Erbe Europas online über einen einheitlichen Einstiegspunkt für jedermann zugänglich machen will. Der Prototyp EUROPEANA soll zwei Millionen digitaler Objekte enthalten und hat im November 2008 seinen Betrieb aufgenommen. Beteiligt sind auch acht österreichische Institutionen mit ihren Datenbeständen, die im Rahmen des Projekts DIS (Dokumentations- und InformationsService) koordiniert werden. Eine Demoversion ist unter zugänglich. Wolfgang Kainrath von der UB Wien stellte im Anschluss PHAIDRA4 vor, Kurzform für Permanent Hosting, Archiving and Indexing of Digital Resources and Assets. Es handelt sich um ein Digital Asset Management System für Verwaltung, Forschung und Lehre mit Langzeitarchivierungsfunktionen, das allen Mitarbeitern und Studierenden der Universität Wien zur aktiven Nutzung offensteht. Neben der dauerhaften Sicherung leistet es eine differenzierte Erschließung digitaler Objekte. Die Suche und Ansicht digitaler Inhalte von PHAIDRA ist auch externen Nutzern möglich. Ein Projekt, das die Digitalisierung deutscher Dissertationen an der Universitäts- und Landesbibliothek Tirol zum Inhalt hat, wurde von Günter Mühlberger präsentiert. Dabei werden Werke aus dem Zeitraum von 1925–1988 mit der Zielvorgabe digitalisiert, keinen Informationsverlust zu produzieren. Denn die Originale werden anschließend vernichtet. Die für die Digitalisierung nötigen Arbeitsschritte waren ebenso Bestandteil des Vortrags wie die urheberrechtlichen Implikationen und die Maßnahmen, die ergriffen werden, um die Autoren zu einer Freigabe ihrer Werke zu bewegen. Im Laufe des Jahres 2009 will man online gehen. Die letzten beiden Vorträge des Tages waren Vertretern der Gastgeber vorbehalten. Oliver Grau widmete seinen Vortrag u. a. dem Stellenwert von Bildern bei der Generierung von Wissen und stellte die Database of Virtual Art vor. Am Beispiel der graphischen Sammlung von Stift Göttweig illustrierte er, wie Digitalisierungsprozesse dem Betrachter durch Projektion und hohe Auflösung ganz neue Perspektiven eröffnen können. Er beschloss seinen Vortrag mit der Wichtigkeit einer Dokumentation virtueller Medienkunst, die nach Möglichkeit von einer etablierten Institution wie z. B. einer Nationalbibliothek in die Hand genommen werden sollte. Abschließend stellte Edgar Knaack das Digitalisierungscenter des Departments für Bildwissenschaft im Stift Göttweig vor. Im Mittelpunkt der Digitalisierung steht die bereits erwähnte graphische Sammlung, deren Ergebnisse unter www.gssg.at frei zugänglich sind. Daneben werden auch Objekte der Stiftsbibliothek digitalisiert.

Bei teilweise etwas trockenen, aber inhaltlich vielfältigen Vorträgen litt der Donnerstag ein wenig an zu knapp bemessenen Pausen- und Pufferzeiten. War man noch mit einem Publikum von gut hundert Personen in den Tag gestartet, hatten sich die Reihen beim letzten Vortrag vor der Mittagspause schon merklich gelichtet. Dies war u. a. sicher in dem Zeitverzug von einer halben Stunde begründet, um die die Pause für all diejenigen kürzer wurde, die bis zum Ende der Vormittagsvorträge ausharrten. Die Nachmittagspause entfiel dann mehr oder weniger ganz. Das führte dazu, dass den letzten beiden Vorträgen nur mehr ein Dutzend Personen folgte. Ein zahlreicheres Publikum wäre den Vortragenden, zumal es die Gastgeber waren, sehr zu wünschen gewesen. Insgesamt hätten diesem Tag ein Vortrag weniger und eine Pause mehr sicher gut getan. Gleichzeitig hätte man sich eine bessere Zeiteinhaltung der Vortragenden gewünscht.

Den Abschluss des Tages bildete eine Führung durch die Graphische Sammlung des Stiftes Göttweig und das Digitalisierungszentrum des Departments für Bildwissenschaft der Donau-Universität Krems. Die Sammlung mit 30.000 Blättern ist nach Eigendefinition die größte österreichische Privatsammlung historischer Druckgraphiken. Die Digitalisierung und die Online-Aufbereitung sowohl dieser Sammlung als auch externer Aufträge erfolgen durch das Digitalisierungszentrum, das in einem Gebäude des Stiftes Göttweig angesiedelt ist. Bei der Vorstellung der Reprostation konnten sich die Gäste von der Detailtreue überzeugen, mit der dort gescannt wird, um die Farbtöne und Schattierungen richtig wiederzugeben, während gleichzeitig die Originale geschont werden.

Der Abend klang im Brunnensaal des Stiftes Göttweig bei gutem Essen, mitreißender Musik und angeregten Unterhaltungen aus.

Freitag

Der Freitag begann mit drei Praxisberichten aus Bibliothekskonsortien in der Schweiz, in Deutschland und in Österreich. Pascalia Boutsiouci stellte das Konsortium der Schweizer Hochschulbibliotheken vor.5 Die Lizenzgebühren werden von den Bibliotheken getragen, die Geschäftsstelle mit 3,25 Vollzeitäquivalenten wird derzeit in einem Umlageverfahren durch eine Servicegebühr pro Lizenz finanziert. Primäre Partner sind zehn kantonale Universitäten, die ETH Zürich und Lausanne, Forschungsanstalten, die Schweizerische Nationalbibliothek, sieben Fachhochschulen und viele pädagogische Hochschulen. Diese bestimmen die strategische Ausrichtung mit. Dazu kommen sekundäre Partner: öffentlich finanzierte Organisationen wie das Kernforschungszentrum CERN, die Nationalbank und Agroscope, der Zusammenschluss der fünf eidgenössischen landwirtschaftlichen Forschungsanstalten. Laufend schließen sich kleinere Institutionen an. Auch von Lehrkrankenhäusern kommen immer wieder Anfragen, diese werden aber von den Anbietern als Teile kommerzieller Einrichtungen wahrgenommen. Das Angebot des Konsortiums umfasst derzeit 74 Datenbanken und 8700 elektronische Zeitschriften, ab nächstem Jahr sollen auch E-Books angeboten werden. In Kooperation mit der ETH werden derzeit Electronic Resource Management-Systeme evaluiert, die Beschaffung ist für Ende 2009 angedacht. Wie die Rahmenbedingungen für Nationallizenzen aussehen müssten, erhebt derzeit die FH Genf – in der Schweiz gibt es nämlich keine Einrichtung wie die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die diese Lizenzen zentral finanzieren könnte. Das Schweizer Konsortium beschäftigt sich auch mit dem Thema E-Archiving: Unter den Projekten sind u. a. der Dokumentenserver meta.seals.ch, der derzeit über 11.000 Einträge umfasst, und die Digitalisierung von gedruckten Beständen – zum Zeitpunkt des Vortrags 500.000 OCR-gelesene Volltexte – auf retro.seals.ch. Letzteres ist ein Angebot, das kleinere Verlage gerne aufgreifen, da sie selbst die Digitalisierung ihrer Zeitschriften organisatorisch und technisch nicht bewältigen würden. Noch ein Wort zur Finanzierung: Ab 2012 soll in der Schweiz das Bundesgesetz über die Förderung der Hochschulen und die Koordination im schweizerischen Hochschulbereich6 in Kraft treten. Diese gesetzliche Regelung, die sich zum Zeitpunkt des Vortrags im Begutachtungsprozess befand und auf deren Entwurf beim Staatssekretariat für Bildung und Forschung 150 Stellungnahmen eingingen, soll dauerhafte Finanzhilfen für Aufgaben von gesamtschweizerischer Bedeutung sicherstellen.

Helmut Voigt schilderte die Entstehung des regionalen Friedrich Althoff-Konsortiums7, das Bibliotheken in Berlin und in Brandenburg offen steht. Diese Region zeichnet sich durch viele Bibliotheken auf engem Raum aus, bei denen, so Voigt, eine Abstimmung des Erwerbungsprofils schwierig sei, da alle Bibliotheken trotz ihrer räumlichen Nähe zueinander die Kernzeitschriften behalten und die „Randzeitschriften“ abbestellen möchten. Interessant war zu hören, welche Probleme unterschiedliche Rechtsformen solcher Konsortien für die Bibliotheken mit sich bringen: Als Gesellschaft bürgerlichen Rechts haftet jede teilnehmende Bibliothek für alle – ein Modell, das den Verlagen schon gefallen hätte, bei den Rechtsabteilungen der Bibliotheken aber eher für aufgestellte Haare sorgt. Bei der jetzigen Form, dem eingetragenen gemeinnützigen Verein, war es nicht möglich, als Aufgabe in der Satzung die „gemeinschaftliche Erwerbung“ zu verankern. Als weiteres praktisches Problem erwies sich die Beschickung des Vorstands, da viele Institutionen dafür nur ungern Personen abstellen. Augenzwinkerndes Fazit: „Alle außer den Vertretern regionaler Konsortien wissen, dass überregionale Konsortien erfolgreicher sind“.

Eveline Pipp (ULB Tirol) stellte die Kooperation E-Medien Österreich8 vor, die 2005 mit 13 Universitäten begründet wurde und heute bereits 44 Partnerorganisationen – Universitäten, Fachhochschulen, Nationalbibliothek, eine Landesbibliothek, Forschungseinrichtungen und Krankenanstalten – umfasst. Mittlerweile ist die Kooperation E-Medien Österreich an der OBVSG, der Österreichischen Bibliothekenverbund und Service GmbH, angesiedelt, deren gesetzlicher Auftrag auch die Unterstützung bei Konsortien beinhaltet. Vertragsabschlüsse oder Haftungen übernimmt die OBVSG allerdings nicht. Die Kooperation E-Medien ist organisatorisch in eine Koordinationsstelle, einen Kooperationsausschuss, eine Mitgliederversammlung und verschiedene anlassbezogene Arbeitskreise gegliedert. Die Finanzierung ist durch einen Mitgliedsbeitrag je nach Größe der Organisation, einen Verwaltungs- und Verhandlungsbeitrag pro Produktteilnahme und 0,8 % des Umsatzes gesichert. Für kleinere Einrichtungen gibt es eine Pauschalgebühr. Praktische Herausforderungen im konsortialen Alltag ergeben sich durch die Vollrechtsfähigkeit der Universitäten: Universitäten brauchen bilaterale Verträge, damit gewährleistet ist, dass sie nur für den eigenen Kostenanteil verantwortlich sind, während die Anbieter natürlich einen gemeinsamen Vertrag bevorzugen würden. Durch das Verbot der Querfinanzierung müssen ausgefeilte Kostenschlüssel erarbeitet werden. Den Gerichtsstand wünschen sich Bibliotheken in Österreich oder zumindest der Europäischen Union. Zur Diskussion stehen ein Archivserver und ein Electronic Resource Management-System, außerdem soll in nächster Zeit eine zusätzliche Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter aufgenommen werden.

Der Vormittag wurde mit zwei Firmenpräsentationen beschlossen. Klaus Bahmann (Springer) stellte eine Studie unter Studierenden der Universität Münster und vier anderen Universitäten zum Thema E-Books vor.9 Seine Erkenntnisse daraus: E-Books dürfen nicht als beliebiger Zusatz zum sonstigen Angebot gesehen werden, sondern als strategisch wichtiger Teil des Bestandes. Erfolgreich bei den Benutzerinnen und Benutzern seien Lehrbücher, vor allem in deutscher Sprache, mit Campus-Lizenzen und verschiedenen Nutzungsmöglichkeiten (Drucken, Speichern, Remote Access) und die Ansteuerung per DOI auf Kapitelebene. Für Bibliotheken sind Kauf statt Lizenz und die Erschließung mit MARC relevant. Bahmanns Kollegin Katrin Siems präsentierte das neue Angebot Springer Protocols10 für die biowissenschaftliche und biomedizinische Forschung. Diese Datenbank enthält zurzeit 17.000 leicht „nachkochbare“ Laborprotokolle, die nach einem einheitlichen Schema – Introduction, Materials, Methods, Notes, References – aufgebaut sind, teilweise auch als Video. Außerdem kann man eigene Protokolle hochladen, die vorhandenen Protokolle kommentieren bzw. per RSS abonnieren. Der neue Scifinder bzw. Scifinder Scholar11 stand im Mittelpunkt des Vortrags von Thomas Haubenreich (CSA). Scifinder, eine Zugriffssoftware für chemische Datenbanken von CSA, ermöglicht den Benutzern, nach 98 Millionen chemischen Verbindungen, über 15 Millionen Reaktionen und sechs Millionen Patenten zu suchen. Die neue Oberfläche setzt nun nicht mehr die Installation eines Clients voraus, sondern beruht auf einer Browser-Applikation, was auch ein Arbeiten mit Scifinder auf Linuxrechnern ermöglicht.

Den Abschluss der Vortragsreihe bildete eine von Helmut Hartmann moderierte Diskussion zum Thema Open Access Closed?, an der Anne Bein (Swets), Cary Bruce (EBSCO), Josef Herget (seit Juli 2008 Leiter des Zentrums für Wissens- und Informationsmanagement an der Donau-Universität Krems), Barbara Kalumenos (STM), Adalbert Kirchgäßner (UB Konstanz) und Werner Stephan (UB Stuttgart) teilnahmen. Unter Einbezug des Publikums wurden Fragen angesprochen wie: Funktioniert Open Access in großem Stil nur in Ausnahmefällen? Ist das „Freikaufen von Artikeln“ nur ein Werbeschmäh oder Vorbote des Wandels? Hat sich die etwas kecke Prophezeiung „in zehn Jahren ist das kommerzielle Publizieren tot“ erfüllt? Aber auch die Vorstellungen einer Zukunft, in der Universitäten und andere Forschungseinrichtungen das wissenschaftliche Publikationswesen zur Gänze übernommen haben, waren gefragt. Aus der eineinhalbstündigen Diskussion können für diesen Bericht nur einige Punkte aufgegriffen werden. Herget erinnerte sich an vorgedruckte Kärtchen aus Ländern des Südens, mit denen um Kopien wissenschaftlicher Aufsätze gebeten wurde. Heute erwarte man schon den kostenlosen Online-Zugriff auf wissenschaftliche Publikationen, gerade auch auf Abschlussarbeiten, und sei enttäuscht, wenn dieser nicht möglich ist. Die Erwartungshaltung an Wissenschaftler steige und damit auch der Druck. Kalumenos stellte fest, dass derzeit die starken Befürworter und starken Gegner keine evidenz- und faktenbasierte, sondern eher eine ideologische Diskussion miteinander führten. Sie wies auch darauf hin, dass von Open Access nicht nur Bibliotheken in Budgetnöten profitieren würden, sondern auch der kommerzielle Bereich wie beispielsweise Pharmafirmen. Kirchgäßner sieht vor allem bei Spezialzeitschriften für kleinere Zielgruppen ein Potential für Open Access, weil diese für Verlage nicht interessant seien und weil eine Positionierung neuer OA-Zeitschriften gegen etablierte Verlagsprodukte oft schiefgehe. Bein maß der Fähigkeit zum Finden von Informationen ebenso große Bedeutung wie der Verfügbarkeit zu. Bruce sieht Open Access als zusätzliches Geschäftsmodell, bei dem erst geklärt werden muss, wer dafür bezahlen soll. Natürlich wurde in der Diskussion auch das Thema Szientometrie angesprochen. Stephan schätzt die Etablierung von OA-Zeitschriften als schwierig ein, solange der Impact Factor Qualität verspreche bzw. vorgaukle. Interessante Wortmeldungen kamen auch aus dem Publikum: Brigitte Kromp (UB Wien, Zentralbibliothek für Physik) wies darauf hin, dass laut einer aktuellen Erhebung in ihrer Bibliothek ca. 75–80 % der zitierten Literatur über die Bibliothek zur Verfügung gestellt werde, dass aber in Befragungen 80 % der Befragten meinten, die Bibliothek habe sie gar nicht bei der Arbeit unterstützt. Kromp schlug vor, dass sich Bibliotheken auch in der Bewertung von Wissenschaft positionieren und den Universitäten ihre Expertise und Erfahrung beispielsweise mit Web of Science und Scopus anbieten. Bruno Bauer (UB der Medizinischen Universität Wien) berichtete, dass die Meduni die Mitgliedschaft bei Biomed Central genau in dem Moment habe kündigen müssen, als das Publizieren in den dortigen Zeitschriften richtig ins Laufen gekommen war, weil die Kosten dadurch explodiert seien. Der „goldene Weg“ habe sich als nicht praktikabel erwiesen, seit der Berliner Erklärung12 sei die Entwicklung stehengeblieben. Fazit: Eine spannende Diskussion mit vielen Perspektiven.

Zum Abschluss der gesamten Veranstaltung stellte Petra Wimmer, Leiterin der Master-Studiengänge im bibliotheks- und informationswissenschaftlichen Bereich, das Studienprogramm der Donau-Universität vor. Derzeit sind das die MSc-Programme Bibliotheks- und Informationsmanagement und Strategisches Informationsmanagement, dazu kommen noch verwandte Angebote wie Kommunikation und Management.

Organisatorisch lief die Tagung bis auf das etwas zu voll gepackte Programm am Donnerstag reibungslos ab. Dank der Mensa und der Sponsoren war für das leibliche Wohl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer gesorgt. Das übersichtliche Programmheft enthielt alle nötigen Informationen zu den Vorträgen. Ärgerlich war allein, dass Besucher der Website des Kongresses lange Zeit im Glauben gelassen wurden, der Auftaktvortrag von Konrad Umlauf sei neben diversen Kommissionssitzungen der einzige inhaltliche Programmpunkt am Mittwoch, dem ersten Kongresstag. Als dieser Tag dann im Verlauf der letzten beiden Wochen vor Kongressbeginn programmatisch nach und befüllt wurde, mochten einige bereits beschlossen haben, erst am Donnerstag anzureisen. Generell wäre anzudenken, ob nicht auch zukünftig VÖB-Kongresse zu thematischen Schwerpunkten im Ausmaß von zwei oder drei Tagen stattfinden sollten, die dann auch von kleineren Veranstaltungsorten ausgerichtet werden könnten.


Autoren

Mag. (FH) Monika Bargmann

Wienbibliothek im Rathaus
Druckschriftensammlung
Rathaus
A-1082 Wien
monika.bargmann@wienbibliothek.at

Jutta Bertram

Hochschullehrerin
Fachhochschulstudiengänge Burgenland
Campus 1
A-7000 Eisenstadt
monika.bargmann@wienbibliothek.at

Mag. Andreas Hepperger

Bibliotheksleiter
Fachhochschulstudiengänge Burgenland
Campus 1
A-7000 Eisenstadt
andreas.hepperger@fh-burgenland.at


Anmerkungen

1. Zitat aus dem Vorwort des Programmhefts von Helmut Hartmann

2. http://www.unesco.de/1478.html

3. http://www.bibliothekskompetenz.at/

4. https://phaidra.univie.ac.at/

5. http://lib.consortium.ch/

6. http://www.sbf.admin.ch/htm/themen/uni/hls-vernehmlassung_de.html

7. http://www.althoff-konsortium.de

8. http://www.konsortien.at/

9. Abrufbar unter http://www.springer.com/cda/content/document/cda_downloaddocument/eBooks+-+the+End+User+Experience?SGWID=0-0-45-608298-0

10. http://www.springerprotocols.com/

11. http://www.cas.org/SCIFINDER/SCHOLAR/

12. http://www.mpg.de/pdf/openaccess/BerlinDeclaration_dt.pdf