Sühl-Stromenger, Wilfried: Digitale Welt und wissenschaftliche Bibliothek

Informationspraxis im Wandel. Determinanten, Ressourcen, Dienste. Eine Einführung


- Wiesbaden: Harrassowitz, 2008 (Bibliotheksarbeit, 11)
ISBN 978-3-447-05741-7

Der etwas sperrige, dreigeteilte Titel spiegelt auch die Herausforderung wider, die der Autor sich gesucht hat. Er bietet eine Art Gesamtschau auf die aktuelle Arbeit einer Universitätsbibliothek. Die Einleitung verspricht eine „einführende Standortbestimmung“. Das wird auch eingelöst, aber in besonderer Weise und nicht im Sinne eines Handbuchs, wie der Unteruntertitel „Einführung“ nahelegen kann. Auch für Ausbildungszwecke ist es nicht wirklich geeignet. Dafür ist es zu zeitgebunden, viele Angaben, Daten und auch deren Bedeutung sind notwendig schon mit Drucklegung veraltet. Auch die Zusammenfassungen am Ende eines Kapitels sind nicht ganz lehrbuchgerecht, da sie meist kein Fazit ziehen, sondern neue Gedankenführungen und Aspekte beinhalten. Hierin zeigt sich vielleicht am besten die Dynamik, die das Thema birgt und bewältigt werden musste. Daher es ist verständlich und nachvollziehbar, dass der Autor sich abschließende Urteile versagt.

Wer wissen möchte, ob und zu welchem Zweck er/sie das Buch lesen möchte, sollte zunächst in das Register schauen. Denn hier ist konkret benannt, was behandelt wird. Die teilweise große Zahl an Verweisungen deuten an, dass viele Gegenstände mehrfach dargestellt werden. Dies geschieht unter verschiedenen Aspekten und in stets neuen Zusammenhängen. Wenn man das Buch komplett durchliest, ist allerdings manches redundant. Einen anderen, vielleicht spannenderen und anregenderen Zugang erhält man, wenn man sich die Power Point Präsentation zu Sühl-Strohmengers Vortrag auf dem 97. Bibliothekartag 2008 in Mannheim anschaut, der wohl diesem Werk zugrundeliegt1. Und immerhin ist diese Monografie zeitnah erschienen, während der Berichtsband zum Bibliothekartag noch nicht lieferbar ist.

Die im Untertitel genannten Bereiche „Determinanten, Ressourcen, Dienste“ sind nicht als Kapitel abgegrenzt und voneinander getrennt. Dem Bereich Determinanten kann man die Anschnitte 1 bis 5 zuordnen (1. Anforderungen des digitalen Informationszeitalters, 2. Information und Wissen, 3. Information und Bibliothek: ein Paradigmenwechsel, 4. Informationsverhalten in Studium und Wissenschaft, 5. Rechtliche und ethische Aspekte der Informationspraxis). Mit Ressourcen beschäftigen sich die Abschnitte 6 (Informationspraxis im Zeichen des Internets) und 7 (Informationsressourcen wissenschaftlicher Bibliotheken), während die Abschnitte 8 bis 13 mehr oder weniger stringent die „Dienste“ behandeln (8. Informationsarchitektur wissenschaftlicher Bibliotheken, 9. Informationszugangssysteme wissenschaftlicher Bibliotheken, 10. Fachinformationsrecherche, 11. Digitale Bibliotheksservices für die Informationspraxis, 12. Informationsmanagement und Informationsinfrastruktur, 13. Informationskompetenz und Teaching Library).

Als Determinanten beschreibt Sühl-Strohmenger die technischen Entwicklungen im IT-Bereich, die neuen Kommunikationsformen im Internet, Informationsflut und -vielfalt, das veränderte Lehr- und Studienverhalten und auch die Stellung und Funktion der Bibliothek als medienübergreifendes Informationszentrum. Er gibt damit einen Einblick in die Komplexität der Fragen und Aspekte, mit denen sich die moderne wissenschaftliche Bibliothek sowohl strategisch als auch im Alltagsgeschäft beschäftigen muss. Dies zusammenzutragen und zu beschreiben ist eine beachtliche Leistung, für die Sühl-Strohmenger seine Arbeitserfahrung nutzt und in großem Maße auf Arbeiten von Experten zurückgreift. Davon zeugt das umfangreiche Literaturverzeichnis. Aus diesen Arbeiten zitiert er viel und direkt, die damit verbundenen Stilbrüche machen die Lektüre zuweilen ein wenig mühsam. Bedeutung und Wert dieser Aussagen erschließen sich wohl wieder nur Fachleuten, die diese Experten einzuordnen wissen. Der Autor referiert und hält sich mit einem eigenen Urteil zurück. Die Experten werden jeweils als Autoritäten zitiert, aber nicht miteinander konstrastiert. Das kann auch zu einer problematischen Verkürzung werden. So leitet Sühl-Strohmenger aus der Entwicklung des elektronischen Publizierens ziemlich geradlinig für die Bibliotheken eine Verlegerrolle ab, deren Bedeutung angesichts der Macht und Beweglichkeit der kommerziellen Verlage keineswegs schon etabliert ist. Ganz im Gegenteil würde ich sagen, dass Verlage mit Angeboten wie Scirus und Scopus, die auch beschrieben werden, schon tief in das Kerngeschäft der Bibliotheken eingegriffen haben.

Unter „Ressourcen“ versteht Sühl-Strohmenger Elemente der technischen Infrastruktur, Instrumente wie Suchmaschinen, Systeme wie Datenbanken und die Medien. Auch hier gibt es – wohl der Fülle des Materials geschuldet – kleine Unstimmigkeiten. Der Satz „Die Universitätsbibliotheken abonnieren die lizenzierten elektronischen Zeitschriften zusätzlich als Bonus zur Printausgabe.“2 stimmt so sicher nicht mehr, wenn es denn je gegolten hat. Das Angebot und der Dienst „DigiZeitschriften“ der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen ist leider nur zum Teil open access zugänglich3, einige Titel müssen subskribiert werden.

Als „Dienste“ beschreibt und analysiert Sühl-Strohmenger die Erschließungsarbeit und -instrumente in wissenschaftlichen Bibliotheken, die unterschiedlichen Kataloge und Katalogverbünde, die virtuellen Fachbibliotheken, Benutzungsdienste sowie die Nutzung oder Unterstützung von ELearning-Plattformen. Der letzte Teil der Arbeit erscheint plötzlich eigentümlich konservativ und traditional und widerspricht im Grunde den eingangs so detailliert beschriebenen Entwicklungen. Seine Schlussfolgerungen, OPAC, DBIS, EZB und ZDB böten „leichte Zugänge“4 zur Information, oder „Der möglichst unkomplizierte Zugang zur gewünschten Information erfolgt im Kontext wissenschaftlicher Bibliotheken nach wie vor primär über den lokalen Online-Katalog, über Bibliothekverbünde, über Wissens- und Informationsportale einschließlich der Virtuellen Fachbibliotheken sowie über Metasuchsysteme, die eine Recherche simultan auf eine Vielzahl von Zielsystemen – Kataloge, Datenbanken, Volltextsammlungen, freie Internetressourcen – gestatten“5, kann ich so nicht mehr nachvollziehen. Zu fragen wäre doch zumindest, wie die Informationssuchenden überhaupt in den „Kontext Bibliothek“ hineingelangen.

Die bibliothekarische Fachöffentlichkeit wird aus diesem Buch viele Anregungen und reichlich Stoff zur Diskussion finden. Fachfremde oder „Neulinge“ werden hier einen Einstieg finden und können mithilfe des wirklich umfassenden Literaturverzeichnisses gezielt und aktuell forschen.


Dr. Ulrike Eich
RWTH Aachen, Hochschulbibliothek
Templergraben 61
52062 Aachen
eich@bth.rwth-aachen.de


Anmerkungen

1. Wilfried Sühl-Strohmenger: „Now or never! Whatever, wherever …!?” Determinanten zukunftsorientierter Informationspraxis in wissenschaftlichen Bibliotheken und die Bedeutung professioneller Informationsarchitekturen. http://www.opus-bayern.de/bib-info/volltexte/2008/465/pdf/BiblTag08_Themenkreis4_S-374hl_Strohmenger_Now_or_never_03-06OPUS.pdf [ges. am 22.01.2009]

2. S. 117, vgl. S. 133

3. S. 119

4. S. 253

5. S. 254