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Abb. 1: Spatentisch mit Architekt Yi (l), P. Oettinger (m), OB Schuster (r) und Ingrid Bussmann
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Abb. 2: Die neue Bibliothek in voller Pracht
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Abb. 3: Das Raumkonzept im Überblick
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Abb. 4: Das Herz – Ein Raum zur Rekreation

Die Stuttgarter Bibliothek 21
- Tradition und Innovation

von Wolfgang Ratzek

Wer heute auf dem Stuttgarter Hauptbahnhof ankommt, sieht ein riesiges Baugelände: Es handelt sich um das Areal von Stuttgart 21, ein Mammutprojekt, bei dem u. a. die Gleise des Hauptbahnhofes unter die Erde verlegt werden sollen. Am 8. November 2008 erfolgte der Spatenstich für das erste Bauprojekt: Die Bibliothek 21.

Die Dimensionen dieser neuen Bibliothek beeindrucken: Der gläserne Würfel mit einer Grundfläche von 40 x 40 m und einer Höhe von 8 m wird den Nutzern nach der Eröffnung Mitte 2011 über neun Etagen und zwei Untergeschosse verteilt 11.200 m2 Hauptnutzfläche1 bieten. Das Gebäude wird auch eine Dachterrasse2 mit schönem Blick über Stuttgart haben. Mit der Neuen Stadtbücherei entsteht ein „Haus des Wissens, der Bildung und der Kultur“, so Ingrid Bussmann, das als solches ständig weiterentwickelt und Bücher in allen europäischen Sprachen anbieten wird.

Wenn alles planmäßig verläuft, wird diese „Arche Noah des Wissens“, wie es der in Köln lebende koreanische Architekten Eun Young Yi formuliert, Mitte 2011 eröffnet. Für die elf Geschosse umfassende Bibliothek 21, die höchsten Umweltansprüchen genügt, stellt die Stadt Stuttgart 74 Mio. € zur Verfügung.

Der Gesamtetat für die Zentralbücherei und die Stadtteilbüchereien liegt bei 1,3 Mio. €, zusätzlich erhält die neue Bibliothek einen Aufbauetat in Höhe von 250.000 € bis 2011. Ab 2012 wird der Etat der neuen Bibliothek auf etwa 1 Mio. € erhöht, der Etat für die Stadtteilbüchereien bleibt im bisherigen Umfang. Für den Innenausbau gibt es 4,2 Mio. €. – besonders erfreulich: die Mittel stehen in vollem Umfang zur Verfügung.

Die Konzeption der Bibliothek 21 bringt Ingrid Bussmann im Gespräch so auf den Punkt: „Sie verbindet Tradition mit Innovation. Sie ist Gedächtnis und Avantgarde, bewahrt Wissen und bildet gleichzeitig die Vorhut im innovativen Wissensmanagement.“ Der Direktorin ist die Idee einer „Expanded Library“ besonders wichtig, d. h. Öffnung und Vernetzung mit anderen Bereichen, sowohl thematisch wie auch zwischen virtueller Realität und physischer Realität. Bibliotheksleitung und MitarbeiterInnen nutzen die Zeit bis zur Eröffnung Mitte 2011, um diese Konzeption zu optimieren. Neben einem rund 20%igen Medienzuwachs auf rund 500.000 Medien erwartet die Kunden auch ein neues Raumkonzept. Das in der jetzigen Stadtbücherei Stuttgart praktizierte Atelierkonzept wird zugunsten einer offeneren und themenübergreifenden Konzeption aufgegeben.3 Dafür gab es zwei Gründe: Es gab „Klagen“ von Kunden, die über den OPAC zum Standort wollten und dabei Orientierungsprobleme hatten, und zweitens wurde der Blick fürs Ganze durch ein gewisses Ressortdenken nicht immer gewährleistet.

Der Neubau ist imposant. Im Untergeschoss gibt es einen 300 Personen fassenden Veranstaltungssaal. Ein Herz bildet das Zentrum der Bibliothek (sh. Abb. des Querschnitts), ein über vier Etagen reichender und 500 m2 großer Saal, in dem Besucher und Kunden Entspannen können. Über diesen Etagen befinden sich die Kinder- und Musikbücherei. Auf das Herz zeigt eine umgekehrte Pyramide, die von der 5. bis zur 9. Etage reicht. Hier sind die Lesesäle und der Bereich Belletristik angesiedelt. Für die drei neuen (komplexen) Themenbereiche auf den Etagen 4 bis 6 existieren (sh. Abb.) vorerst nur Arbeitstitel, aber die Intention wird deutlich: Die Etage 4 bietet Medien zu den Themen „Leben, Denken und Handeln“; da hierzu auch Fitness, bzw. Wellness gehört, werden hier auch die Medien zu Sport und Freizeit angeboten. Etage 5 präsentiert das breit angelegte Feld des Arbeitslebens mit „Beruf, Karriere und Wirtschaft“, Technik und Naturwissenschaft sowie Medien und Gesellschaft. Etage 6 steht für den „internationalen Blick“ mit Medien zu Fremdsprachen, Geografie usw. Auf der 9. Etage gibt es ein Literaturcafé. Um diese Kernbereiche sind Lesebereiche, andere Themenbereiche und Verwaltungseinheiten angeordnet. Ein Multimediaraum, ein Tonstudio in der Musikbibliothek und etwa 200 multimediale Lernplätze mit Zugang zu Internet und Datenbanken runden das Angebot ab.

Die Öffnungszeiten von Montag bis Samstag jeweils zwölf Stunden (9-21 Uhr) werden kundenfreundlich sein; und durch RFID-Technik können die Nutzer auch außerhalb dieser Zeiten über Schließfächer ihre Medien zurückgeben oder abholen.

Mit dem Einzug in die Bibliothek 21 entsteht eine völlig neue Bibliothek und damit sind auch Herausforderungen in der Personalentwicklung verbunden. Für die 100 MitarbeiterInnen4 wird es also Veränderungen geben. So wird beispielsweise die zentrale Buchbearbeitung aufgegeben und in die jeweiligen Themenkomplexe integriert, aber auch die neuen Themenkomplexe und neue Dienstleistungen erfordern Qualifizierung und Orientierung. Um die MitarbeiterInnen auf die neuen Aufgaben vorzubereiten, wurde das Personalamt in die Beratung einbezogen. Auch die MitarbeiterInnen können ihre Wünsche in die Entwicklung einbringen.

„Stuttgart 21“ löst in der Stadt kontroverse Diskussionen aus. Nicht zuletzt deshalb bietet die Stadtbücherei Stuttgart einen Blog an, in dem BürgerInnen ihre Meinung zu Stuttgart 21 und zur Bibliothek 21 äußern können. Außerdem gibt es in der Stadtbücherei eine Info-Galerie, die die Entstehungsgeschichte dokumentiert. Das wohl wichtigste Instrument zur Bürgerpartizipation bildet ein monatlich durchgeführtes Informationsgespräch: ein Mitglied aus dem Planungsteam berichtet über den Stand der Dinge und beantwortet die Fragen der durchschnittlich 30 bis 50 TeilnehmerInnen. Und die Kinderbücherei bietet Workshops an, in denen Kinder Bibliotheken besichtigen und darüber diskutieren, wie ihre zukünftige Kinderbibliothek aussehen soll. Wie Ingrid Bussmann betont, sollen die Ergebnisse – soweit möglich – auch umgesetzt werden.

Auch für die Grundsteinlegung haben sich die Kreativen der Stadtbücherei Stuttgart mit dem „Kreativ-Baustein Neue Bibliothek“ eine interessante Aktion einfallen lassen: Das 1. Buch der neuen Bibliothek gestalten die BürgerInnen selbst. Sie können zum Thema Stadtbücherei etwas schreiben oder malen. Die Ergebnisse werden zu einem Buch gebunden und im Grundstein verewigt.


Autor

Prof. Dr. Wolfgang Ratzek

FB Information und Kommunikation
Hochschule der Medien
Wolframstraße 32
D-70191 Stuttgart
ratzek@hdm-stuttgart.de


Anmerkungen

1. Davon rund 1600 m2 für Direktion, Verwaltung, Management und Magazin.

2. Eine kleine Anekdote am Rande: Beim Festakt zum Spatenstich am 8.11.2008 bekundeten sowohl Ministerpräsident Oettinger und Oberbürgermeister Schuster, dass sie beide die Dachterrasse nutzen wollten, um dort im Liegestuhl zu lesen. MP Oettinger bot dem OB der Stadt Stuttgart auch gleich eine Lektüre an: den Haushaltsplan.

3. Das neue Konzept erinnert an Fraktale, wie sie in der Chaostheorie vorkommen. Auf die Bibliothek 21 bezogen hieße das, dass die Themenkomplexe „selbstähnlich“ sind, d. h. es gibt immer auch einen Bezug zu den anderen Themenkomplexen. Damit wird das Ressortdenken, wie oben bereits erwähnt, aufgelöst.

4. Ca. 70 MitarbeiterInnen im Publikumsbereich sowie ca. 30 MitarbeiterInnen in Verwaltung und für zentrale Leistungen.