Welchen Wert hat eine Bibliothek?

Bericht von der 9th International Bielefeld Conference „Upgrading the eLibrary

von Vera Münch

© Universität Bielefeld
Pressekonferenz mit den Veranstaltern (v.l.n.r.): Ulrich Bullmann, Geschäftsführer der invent GmbH Bielefeld, einer Ausgründung der Universität, Dr. Michiel Kolman, Senior Vice President Global Academic Relations bei Elsevier, Dr. Wolfram Horstmann, CIO Wissenschaftliche Information der Universität Bielefeld und der Leitende Bibliotheksdirektor der Universitätsbibliothek Bielefeld, Dr. Michael Höppner.

Die Überlebensfrage, wie man den Beitrag von Bibliotheken zur Wertschöpfung der Wissenschaft sichtbar und berechenbar machen kann, war in Bielefeld nicht nur Inhalt mehrerer Konferenzbeiträge. Sie spiegelte sich auch in den Werbekampagnen der großen Bibliotheksanbieter, die auf der konferenzbegleitenden Ausstellung ihre Produkte vorstellten. Zum ersten Mal drängten die wirtschaftlichen Entwicklungen und Herausforderungen auf dem Informationsmarkt die technischen Probleme der Digitalsierung in den Hintergrund. Natürlich fanden aber auch Open Access, Optimierung von Bibliotheksdiensten und neue Chancen durch die Digitalisierung ihren Platz im Programm. Die International Bielefeld Conference hatte einmal mehr ihr Ohr direkt am Puls der Zeit.

„In den letzten Jahren geht es aus Sicht der Universitätsbibliotheken vornehmlich um strategische Zukunftsaspekte“, erklärte der Leitende Bibliotheksdirektor der Universitätsbibliothek Bielefeld, Dr. Michael Höppner, im Pressegespräch. Diese Aufgabenstellung hätte zur Wahl des Konferenzthemas „Upgrading the eLibrary – Enhanced Information Services Driven by Technology and Economics“ geführt. Für die Journalisten übersetzte er den Titel folgendermaßen: „Aufwertung der elektronischen Bibliothek durch erweiterte benutzergerechte Informationsdienste, die von den Möglichkeiten neuer Technologien und den Rahmenbedingungen bestimmt werden“.

Das also war das übergeordnete Thema der 9th International Bielefeld Conference, zu der sich Anfang Februar rund 400 Führungskräfte aus Bibliotheken und aus der Informationsbranche trafen. Sie kamen aus 30 Ländern, vornehmlich Europa und Nordamerika, nach Bielefeld. Konferenzsprachen waren deutsch und englisch. Die gesamte Konferenz bis hin zu den Reden des Bielefelder Bürgemeisters Horst Grube und des Universitätsrektors Professor Dr. Dieter Timmermann beim abendlichen Empfang wurde simultan übersetzt. Dafür gebührt der Organisation ein ganz großes Kompliment. Dieser Service ist heute auf wissenschaftlichen Konferenzen sehr selten.

1000 Herausforderungen, geordnet in fünf Themenblöcken

Das spannende Konferenzprogramm aus insgesamt 31 Vorträgen war unter fünf Schwerpunkten zusammengefasst. Das vollständige Programm sowie Abstracts und Folien zu den Präsentationen sind auf der Konferenzhomepage bereitgestellt unter http://conference.ub.uni-bielefeld.de/2009/programme/

© Universität Bielefeld
Die Stadt begrüßt ihre Gäste: Bielefelds Bürgermeister Horst Grube beim Abendempang.

Den Eröffnungsvortrag hielt Dr. Sijbolt Noorda zur Positionierung der europäischen Bibliotheken in Sachen Open Access (OA) aus der Sicht des europäischen Universitätsverbandes EUA. Noorda ist Vorsitzender der OA-Lenkungsgruppe der EUA. Danach war der erste Konferenztag dem Themenblock „Forschungsbibliotheken und institutionelle Weiterentwicklung“ gewidmet, der sich durch die Vorträge von Carol Tenopir und Wendy Pradt Lougee in Teilen anhörte, als befände man sich auf einer wirtschaftswissenschaftlichen Konferenz.

Ein Dollar Investition bringt 4,38 Dollar Rendite

Dr. Carol Tenopir, Professorin an der School of Information Sciences der University of Tennessee, Knoxville, stellte eine vom Wissenschaftsverlag Elsevier geförderte Studie vor, die untersucht hatte, wie man die Investitionsrendite, den „Return on Investment“ (ROI), einer Bibliothek in Zahlen berechnen kann. Tenopir hatte die Untersuchung als Projektberaterin begleitet. Sie erklärte Ansätze, Methodik und eingesetzte Metriken und präsentierte das Ergebnis: Jeder in die Bibliothek investierte Dollar bringt danach 4,38 US Dollar Rendite. Tenopir schränkte ein, dass für wirklich repräsentative Aussagen mehr Datenmaterial notwendig sei, welches einen längeren Beobachtungszeitraum abdeckt, und dass eine Ausweitung der Untersuchungen auf weitere Universitäten wünschenswert sei. Erste Schritte dazu seinen bereits unternommen. Die Folien zur ihrem Vortrag sind auf der Konferenzhompage verfügbar. Die 20-seitige Studie „University investment in the library: What's the return?“ ist im Internet zum Abruf bereitgestellt unter http://libraryconnect.elsevier.com/whitepapers/lcwp0101.pdf oder kann kostenlos angefordert werden bei Judy Luther, President Informed Strategies von Elsevier (E-Mail: dach@elsevier.com).

Die Universitätsbibliothekarin Professor Wendy Pradt Lougee von der University of Minnesota berichtete über die strategische Repositionierung ihrer Bibliothek, die sie als „diffuse library“ – als weitläufiges Netz – betrachtet, in dem Publikations- und Bibliotheksdienstleistungen erbracht werden. Für die Neuaufstellung der Bibliothek sind in einem Assessmentprozess Wünsche und Bedarf der Nutzer erfasst und in neue Organisationsmodelle umgesetzt worden.

Zwischen diesen beiden Vorträgen stellte Juan Garcés, Manager des Projektes zur Digitalisierung griechischer Manuskripte der British Library beeindruckend vor, welche Chancen die vernetzten digitalen Technologien bieten, um weltweit verstreute Kulturgüter wieder zu einer Einheit zusammenzuführen, ohne dass die Originale ihre Standorte wechseln müssen. Die British Library arbeitet unter anderem an der Wiederherstellung griechischer Papyrusschriften.

Nach Garcès präsentierte Dr. Wolfram Neubauer, Bibliotheksdirektor der ETH Zürich den Konferenzteilnehmerinnen und -teilnehmern anhand eines an der ETH durchgeführten Forschungs- und Entwicklungsprojektes seine Vorstellung eines einfachen Zugangs zu Information zur Optimierung der Informationsdienstleistung unter strenger Ausrichtung auf die (eigenen!) Bibliotheksnutzer.

Sind diese Fragen für die Teilnehmer wirklich interessant?

Return on Investment, strategische Positionierung, Assessment, Asset, Wertmessung, Metriken und Kennzahlen … der Sprachschatz, der durch die Bielefelder Stadthalle wehte, klang streckenweise absolut nach Wirtschaftswissenschaften. Dennoch verfolgten die Bibliothekarinnen und Informationsvermittler die Beiträge mit großer Aufmerksamkeit. Dr. Benjamin F. Bowman, Leiter der Informationsvermittlungsstelle des Max-Planck-Institutes für Biochemie in Martinsried bei München, erklärte das Interesse aus seiner Praxis: „Die Themen sind für die Szene sehr wichtig. Man darf es nicht so sehen, dass es der Versuch einer Rechtfertigung ist. Es geht darum, dass die Institution weiß, dass Informationsvermittlung ein Asset ist – ein Wertbeitrag, der den Zielen der Organisation dient.“ Gute Informationsbereitstellung, so der Biochemiker, sei auch ein wichtiges Kriterium, gute internationale Forscher zu gewinnen und zu halten. Der Information Professional nimmt seit vielen Jahren in der informationswissenschaftlichen Szene als Pioneer an der Spitze an den digitalen Entwicklungen teil. In Bielefeld war er in diesem Jahr zum ersten Mal. Neben den strategischen Fragen hatten die Weiterentwicklungen in Sachen eScience sowie Bibliometrie und Scientometrie sein Interesse geweckt. Der Information Professional zeigte sich von der Liste der Vortragenden und der Qualität der Beiträge beeindruckt.

Ökonomie, Messverfahren, Kennzahlen und Outsourcing

Auch am zweiten Tag standen vormittags mit der „Ökonomie von Informationsdiensten“ wirtschaftliche Fragen im Mittelpunkt. Wieder ging es um die Kosten wissenschaftlicher Kommunikation und wie man ihnen begegnen kann (Michael Jubb, Research Information Network, London). In seiner Einrichtung wurde ein Modell zur Kalkulation von Kosten wissenschaftlicher Kommunikation und Information entwickelt, das Interessenten kostenlos für eigene Kalkulationen zur Verfügung gestellt wird. Dr. Anne Petry-Eberle, Leiterin der Abteilung Corporate Information & Research Management bei der Daimler AG, berichtet über den Ablauf und die Folgen der Auslagerung der Informationsbeschaffung von Daimler an einen externen Dienstleister. Ziel sei dabei gewesen, Bibliotheksdienstleistungen zu erhalten, aber Personalkapazität zu gewinnen. Das, was daraus entstanden ist, nannte Eberle „Collaborative Partnering of Information Management“. Outsourcing sei nicht das richtige Wort dafür, weil das, was in dieser Konstellation heute an Dienstleistungen erbracht wird, vorher zu einem großen Teil gar nicht gemacht wurde. Es ist also ein neues Angebot entstanden. Eine wesentliche Veränderung für die Informationsabteilung ist laut Petry-Eberle, dass sie sich nicht mehr um IT kümmern müsse, weil die Informationstechnologie als sogenanntes Application Service Providing (ASP) vom Dienstleister bereitgestellt wird. Dadurch bleibe mehr Raum für strategische Arbeit. Die Steuerung des Auslagerungsprozesses, warnte Petry-Eberle, sei eine anspruchsvolle, nicht zu unterschätzende Arbeit.

Die Entwicklung von Googles Marktanteil 2001 (oben) bis 2008 (unten), auf der 9th International Bielefeld Conference präsentiert von Professor Hendrik Speck, Universität Kaiserslautern.

Attention Based Economics
– die Macht der Konsumenten

In seinem Vortrag „Attention Based Economics – The Economic Value of Google Scholar and Co“ ging Professor Hendrik Speck von der Fachhochschule Kaiserlautern auf die neue Ökonomie ein, auf die Konsumenten allein durch ihr Verhalten im Netz großen Einfluss nehmen, und demonstrierte in hoch beeindruckender Art und Weise, wie man den ökonomischen Wert von Google Scholar und Co volkswirtschaftlich berechnen kann. Der Professor für Digitale Medien stellte anhand von Analysen und Zahlen die Eroberung des Weltinformationsmarktes durch Google (und das Verschwinden der Mitbewerber auf dem nicht einmal zehnjährigen Weg) sowie den Einfluss dieser Entwicklungen auf Nutzer, Gesellschaft, Bibliotheken und Verlage dar. Wenn man das Tortendiagramm zum Marktanteil von Google, das Speck von Folie 11 (2001) bis Folie 19 (2008) zeigte, wie ein Daumenkino schnell durchklickt, stockt einem der Atem. Die Folien liegen auf dem Konferenzserver.

Forschung für Information
– mit FhG, MPG und Microsoft

Im weiteren Verlauf des zweiten Konferenztages standen drei parallele Arbeitssitzungen auf dem Programm, in denen über die „Bibliothek als (virtueller) Lernraum“, „Metriken für wissenschaftliche Information“ und „Fortschritte in Suche, Indexierung und Retrieval“ diskutiert wurde, bevor es im Block „Information für die Forschung – Forschung für Information“ tief in Informationsextraktion und Aufbereitung (Dr. Martin Hoffmann-Apitius, Fraunhofer Instiut für Algorithmen und wissenschaftliches Rechnen SCAI), eScience Services für eHumanities und Grid-Computing (Dr. Heike Neuroth MPG, MPDL, und Laurent Romary, INRIA-Gemo, Berlin) ging.

Auch Microsoft war, wie schon vor drei Jahren, wieder mit einem Vortrag in Bielefeld vertreten. Lee Dirks, Direktor der Abteilung Bildung und wissenschaftliche Kommunikation von Microsoft External Research, Redmond, referierte über „eResearch, Semantic Computing and the Cloud: Towards a Smart Cyberinfrastructure for eResearch“. Cloud Computing soll Rechenleistung wie heute Strom aus der Steckdose verfügbar machen. Im Klartext heißt das, man mietet Rechner, die irgendwo auf der Welt stehen, zur flexiblen Miete angeboten werden und aktuell Kapazitäten freihaben, um die gerade benötigten Rechenleistungen dort ablaufen zu lassen. Praktisch sieht das so aus, dass natürlich Schnittstellen zusammenpassen müssen und irgendwer eine entsprechende Infrastruktur bereitstellen muss. Microsoft arbeitet mit seinen App Engines (Application Service Engines) intensiv daran. Mit den von Professor Speck gezeigten Tortendiagramm-Bildern der Google-Entwicklung im Kopf stellt man sich besser nicht vor, wie die wissenschaftliche Kommunikationsinfrastruktur in zehn Jahren aussehen könnte. Ja, die Wissenschaft braucht dringend eine leistungsstarke, weltumspannende Infrastruktur für ihren Wissens- und Informationsaustausch. Aber eine privatisierte? Microsoft hat den Atem, um an dieser Stelle durchzuhalten.

Herbert Van de Sompel nimmt eine Auszeit

Wie lange der Atem reichen muss, um digital aufbereitete, wissenschaftliche Information so zu organisieren und technisch zu verknüpfen, dass der Zugang zum Wissen der Welt besser (und nach dem Traum der Open Access Befürworter für alle Menschen gleichberechtigt) möglich wird, davon kann Herbert Van der Sompel ein Lied singen. Seit über zehn Jahren beschäftigt sich der promovierte Mathematiker und Computerwissenschaftler, der eine bedeutende Rolle bei der Entwicklung des Open Archives Protokolls für automatische Metadatensammlung (Harvesting) inne hatte, mit Metadaten und der Organisation eines effizienten, zuverlässigen Zugangs zu wissenschaftlicher Information. Heute ist er Leiter des „Digital Library Research and Protoyping Teams“ der Bibliothek der Los Alamos National Laboratories, einer bedeutenden Forschungseinrichtung der US-amerikanischen Regierung. In seinem Vortrag mit deutlicher Überläge, die das Publikum aber gerne verzieh, reflektierte er die Entwicklungen über die Zeit, erklärte, dass er institutionelle Repositorien als Ausgangspunkt der Wertschöpfungskette der Zukunft einordnet und forderte dazu auf, den wissenschaftlichen Informationsaustausch mit den Debatten im Web zu verknüpfen. Hierfür würden Werkzeuge und neue Messverfahren gebraucht. Mit den Worten „es braucht enorme Energie, um sich zum Anwalt für Standards zu machen“, verabschiedete sich Van de Sompel direkt aus der Konferenz in ein „Sabbatical“, eine meist einjährige Auszeit vom Beruf.

Neue Chancen und Leistungsmöglichkeiten

Der dritte Konferenztag stand im Zeichen der Chancen und Möglichkeiten, die sich aus neuen Technologien und Organisationsformen ergeben, überschrieben mit „Neue Leistungsmöglichkeiten der Bibliothekswelt“ und „Die großen Zusammenhänge: Informations-Infrastrukturen“. Dr. Claudia Lux, amtierende IFLA-Präsidentin, betonte, dass Open Access helfen kann, die digitale Spaltung der Welt, den sogenannten Digital Divide, zu überbrücken. Dr. Elisabeth Niggemann, Generaldirektorin der Deutschen Nationalbibliothek, stellte unter dem Titel „Das kulturelle Erbe verbinden“ das Projekt „Europeana“ vor; eine Initiative der EU mit dem Ziel, die Kulturschätze aller EU-Mitgliedsstaaten in einer virtuellen Bibliothek verfügbar zu machen. Ein gewaltiges Vorhaben, das Respekt abverlangt.

Dr. Leo Waaijers, langjähriger Bibliotheksdirektor der TU Delft, NL und heute unabhängiger Berater, sprach in seinem Vortrag „IR also means Institutional Responsibility“ über Open Access und erklärte in diesem Zusammenhang die Verantwortung, die aus dem Betrieb eines institutionellen Repositorums (IR) für das Institut erwächst.

Mit der Rolle von Information Professionals im Rahmen von E-Research beschäftigte sich Joan K. Lippincott, Mitglied der Geschäftsführung von CNI (Coalition for Networked Information), Washington, DC, eines Programms des amerikanischen Bibliotheksverbandes Association of Research Libraries (ARL) und der gemeinnützigen Vereinigung EDUCAUSE. Beide Vereinigungen haben sich dem Voranbringen von Bildung und Forschung verschrieben. Lippincott zeigte in einer Analyse „Einst und Jetzt“ die künftigen Aufgaben von Information Professionals auf und berichtete über die verschiedenen Initiativen der Länder zur Vorbereitung ihrer Leute auf E-Research. Sie forderte zum internationalen Austausch der dabei gemachten Erfahrungen auf.

Die großen Zusammenhänge: Informations-Infrastrukturen

Mit „The Big Picture: Information Infrastructures“ war am dritten Konferenztag der fünfte und letzte Themenblock erreicht. Der Soziologe Professor Rudi Schmiede von der Universität Darmstadt, der sich wie mehrere seiner Vorredner ebenfalls seit Jahrzehnten mit dem Aufbau der elektronischen Informationsinfrastrukturen und ihren Auswirkungen auf Hochschule und Bildung im Bezug auf die sozialen Dimensionen beschäftigt, forderte in seinem Vortrag „Upgrading Academic Scholarship“ den Blickwinkel zu verändern und die Anstrengungen auf den Aufbau einer Informationsinfrastruktur für wissenschaftliche Information zu konzentrieren und nicht, wie es derzeit passiert, eine Informationsinfrastruktur aus wissenschaftlicher Information zu bauen. Drei kleine Buchstaben mit großer Bedeutung.

Dr. Anne Lipp, Leiterin der wissenschaftlichen Bibliotheksdienste und der Abteilung Informationssysteme bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) stellte die Perspektiven für die Informationsinfrastruktur in Deutschland aus Sicht der DFG dar. Die Vision der DFG – sozusagen „The big picture“ – lautet: „Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erreichen von überall alle Informationen, die sie für ihre wissenschaftliche Arbeit benötigen, genauer: alle wissenschaftlichen Publikationen, alle Forschungsprimärdaten und alle Kommunikationsräume der Forschung. Alle Publikationen liegen digital vor und sind frei zugänglich. Aus einer überregionalen eLibrary speist sich die individuell zugeschnittene eLibrary des oder der Wissenschaftler/in. Schöne Aussichten. Bis es so weit ist, dürfte aber noch ein Weilchen vergehen.

Europe Shaping 2020's Science

Der letzte Vortragsredner im fünften Block wagte einen für das dynamische Feld sehr weiten Blick in die Zukunft: Mario Campolargo, Direktor für aufkommende Technologien und Infrastrukturen in der EU Generaldirektion (DG) Information Society and Media (INFSO), erklärte, wie Europa die Wissenschaft von 2020 formt – durch E-Infrastrukturen und Bereitstellung wissenschaftlicher Daten. Dazu formulierte er folgende Merkmale und Herausforderungen: 1) Globale Veränderungen mit hohem sozialen Einfluss, 2) Forschung und die Rolle von Bürgerinnen und Bürger vor dem Hintergrund ihrer neuen Macht und Einflussmöglichkeiten, 3) Datenflut … digitale Primärpublikationen … virtuelle Labors, 4) Interdisziplinarität, 5) Verbreitung von Kenntnissen und Kompetenzen. Dazu stellte er fünf Domänen der EU-Forschungsförderung zur zukünftigen Informationsinfrastruktur vor und präsentierte die EU-Strategie zu wissenschaftlichen Repositorien. Campolargo forderte dazu auf, den Paradigmenwechsel mit ganzem Herzen anzunehmen.

Abschließend fasste Hans Geleijnse, Direktor der Bibliotheks- und IT-Services der holländischen Universität Tilburg und Mitglied des Programmkomitees der Bielefeld Konferenz in einer Nachbereitung die wichtigsten Erkenntnisse aus den drei Tagen auf zehn Folien zusammen. Auch diese Folien sind auf der Konferenzhomepage zum Abruf bereitgestellt.

Unterschätzen Sie nie den Wert eines Bibliothekars!

Die Bielefeld Konferenz wird traditionell von einer Fachausstellung begleitet. Dem hochrangigen Konferenzpublikum entsprechend traf man auch an den Ständen im Foyer der Stadthalle viel oberes Management der Unternehmen an. Die Verlags- und Informationswirtschaft ist sich des Strukturwandels und der für sie daraus resultierenden Gefahren durchaus bewusst. Sie versucht, durch aktive Unterstützung ihrer Kunden in Form von Werbekampagnen und Forschungsbeistand positiv auf die Veränderungen einzuwirken.

Elsevier verteilte in Bielefeld büchertransportgeeignete Stofftragetaschen mit dem Aufdruck „Never underestimate the importance of a librarian“TM, frei übersetzt: Unterschätzen Sie nie Bedeutung, Einfluss und Wert eines Bibliothekars. Mit diesem als geschützte Marke eingetragen Slogan will der Verlagsgigant nicht nur auf den Wertbeitrag von Bibliotheken in der Wertschöpfungskette der Wissenschaft aufmerksam machen, sondern auch auf die Bedeutung von Bibliotheken für die Weiterentwicklung der Gesellschaft. Dies erklärte Dr. Michiel Kolman, Senior Vice President für globale akademische Beziehungen bei Elsevier am Rande der Konferenz. Die Tasche sei jedoch nur ein kleiner Teil der Aktivitäten, mit denen Elsevier Bibliotheken bei ihrer Darstellung als Aktivposten (Asset) der Hochschule unterstütze. Wichtiger seien Unterstützungsleistungen wie die von Carol Tenopir vorgestellte Studie zum ROI von Bibliotheken und Informationseinrichtungen. „Die Ergebnisse sind nur ein erster Schritt. Aber wir hoffen, dass die gewonnenen Informationen einen Dialog und eine Debatte auslösen, die zu einer höheren Wertschätzung für Bibliotheken und für den Wert von Informationsressourcen für akademische Einrichtungen führen“, so Kolman.

Bibliotheksbeitrag zum Erkenntnisgewinn besser darstellen

EBSCO, nach Unternehmensangaben der weltmarktführende Bibliotheksdienstleister im akademischen Bereich, und OCLC, die weltweit größte Bibliotheksservice-Organisation, waren in Bielefeld ebenfalls mit ihren europäischen Führungsriegen vertreten. OCLC präsentiert sich in Europa als Dienstleister mit genossenschaftlicher Organisationsform, dessen Gewinne in Forschungs- und Entwicklungsprojekte fließen. Diese kommen nach Aussagen von OCLC den Bibliotheken zu Gute. Die Werbebotschaft: Gemeinsam sind wir stark!

EBSCO hat eine Werbekampagne zum besseren Sichtbarmachen der Wertschöpfung von Bibliothekarinnen und Bibliothekaren in Form von Anzeigen gestartet. Über die indirekte Unterstützung sollen nicht nur Mittelgeber und Bibliothekskunden auf die Wichtigkeit von Bibliotheken aufmerksam gemacht werden, sondern auch die Bibliothekarinnen und Bibliothekare selbst motiviert werden, ihren eigenen Beitrag zum Erkenntnisgewinn der Forschung deutlicher nach außen darzustellen.

Der "EBSCO-Stand" auf der 9th International Bielefeld Conference mit Cary Bruce, Geschäftsführer für zentraleuropäische Aktivitäten und Sabine Teichert, Verkaufsleiterin.

Der Verdrängungswettbewerb hat die Großen erreicht

Cary Bruce, Geschäftsführer für zentraleuropäische Aktivitäten von EBSCO, sieht den internationalen Informationsmarkt im Zuge der Digitalisierung als harten Verdrängungsmarkt, auf dem nachhaltige Finanzkraft, Agilität und Innovationsfähigkeit über die zukünftige Marktaufteilung entscheiden werden. (B.I.T.online berichtete in Heft 12 (2009), Ausgabe 1, S. 78 - 81). Die neuen Ansätze in ihrer Werbung lassen erahnen, dass die Schlacht bereits begonnen hat und man sich bei der Wahl der Waffen durchaus Innovatives einfallen lässt. Inwieweit die klassischen Verlage und Branchenteilnehmer allerdings bereit wären, sogar in Richtung einer direkten Kooperation mit Bibliotheken – etwa zur Realisierung völlig neuer Geschäftsmodelle rund um Open Access (OA) – zu gehen, dazu war in Bielefeld (noch?) nichts zu erfahren. Fest steht allerdings, dass sich alle Bibliotheksanbieter sehr für die Finanzierungslösungen interessieren, die sich im Umfeld der Forschungsfinanzierung durch DFG, Konsortien und Länder entwickelt haben und weiter entwickeln. Ob Bielefeld in drei Jahren mit neuen Public-Private-Partnership-Modellen aufwarten kann, wird die Zeit zeigen. Drei Jahre sind in der Informationswirtschaft im Augenblick sehr lang. Diesmal waren Elsevier und Springer noch nach dem herkömmlichen Verfahren Hauptsponsoren der Konferenz, gefolgt von einer Liste von neun weiteren Sponsoren, darunter EBSCO, Microsoft und OCLC. Bei 37 Ausstellern insgesamt eine sehr gute Ausbeute in Sachen Konferenzunterstützung.

Universität Bielefeld mit zwei CIOs

Apropos Informationsfinanzierung und strategische Positionierung: Beim Abendempfang berichtete Rektor Timmermann, dass die Universität Bielefeld erstmals einen eigenen Publikationsfonds für Open Access Publikationen aufgelegt hat. Damit werden Autoren bzw. ihre Institute unterstützt, die wissenschaftliche Erkenntnisse kostenlos elektronisch verfügbar machen wollen und deshalb die Kosten für die Veröffentlichung im Netz selbst tragen müssen. Und mit einer zweiten Besonderheit kann die Universität Bielefeld im Zusammenhang mit der digitalen Zukunft aufwarten: Sie hat zwei hohe Verwaltungsstellen – jeweils Positionen eines Chief Information Officers (CIO) – eingerichtet, um für die Herausforderungen gewappnet zu sein. Ein CIO kümmert sich um die IT, ein zweiter CIO um die wissenschaftliche Information. Ein interessanter Ansatz im Hochschulmanagement.


Autorin

Vera Münch ist freie Journalistin und PR-Beraterin

PR + Texte
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E-Mail: vera.muench@t-online.de