Die „British Architectural Library” in London

Außenansicht des Eckbaues
 
Eingangshalle im Art Deco Stil
 
Eingangshalle vom Bibliotheksgeschoss aus
 
Der hohe Raum des Lesesaals
 
Lesesaal mit Arbeitskojen
 
Lesesaal von oben mit Blick auf die offene Galerie

von Gernot Gabel

Dank ihres guten Renommees zählen heute einige der großen Architekturbüros Großbritanniens zu den „global players“, die bei in- und ausländischen Prestigeobjekten die Bauleitung übernahmen. (In Deutschland leitete z. B. Lord Norman Foster den Umbau des Reichstags und David Chipperfield entwarf die Neukonzeption der Berliner Museumsinsel.) Für eine qualitativ hochstehende Ausbildung hat sich seit langem das „Royal Institute of British Architects“ eingesetzt, die Standesorganisation der britischen Architektenzunft, die in diesem Jahr ihren 175. Geburtstag feiert.

Das „Royal Institute of British Architects“

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts gab es in England für angehende Architekten noch keine formale Ausbildung. Es war damals üblich, bei einem praktizierenden Architekten eine Art Lehre zu absolvieren, die von privaten Studien zur Architekturgeschichte begleitet war. Derart ausgestattet mit eher theoretisch fundierten Kenntnissen fiel es dann manchen Architekten schwer, sich auf der Baustelle gegen die in der Praxis bewährten Bauunternehmer und Ingenieure durchzusetzen. Andere Architekten wollten sich möglichst wenig mit Statik und Baumaterialien auseinandersetzen, denn ihnen galt einzig der künstlerisch inspirierte Entwurf als entscheidend und sie betrachteten sich als den Künstlern der Royal Academy gleichgestellt. Dort verweigerte man ihnen aber als zu handwerklich orientierten Praktikern die entsprechende Anerkennung. Daher formierten sich gegen Ende des 18. Jahrhunderts die ersten Architektenvereinigungen als berufsständische Organisationen, die sich aber in ihrer Zielsetzung erheblich unterschieden. So war der 1791 gegründete „Architects Club” tatsächlich ein Klub, in dem man sich vornehmlich zu exklusiven Diners zusammenfand, während die Mitglieder der „London Architectural Society“ (gegründet 1806) gelehrten Essays lauschten und Diskussionen zur Architekturgeschichte pflegten.

Im Gegensatz dazu hatte sich das im Sommer 1834 gegründete „Institute of British Architects“ zum Ziel gesetzt, Status und Ansehen des Architektenberufs zu heben, die Entwicklung anspruchsvoller Architektur zu fördern und sich als repräsentative Organisation der Architektenzunft für ganz Großbritannien zu etablieren. Nach dem Vorbild einer gelehrten Akademie wurden drei Klassen von Mitgliedschaften vereinbart: Vollmitglieder, Assoziierte Mitglieder und Ehrenmitglieder, und nur Architekten von untadeligem Ruf wurden eingeladen, sich um eine Mitgliedschaft zu bemühen. Auf der ersten Vollversammlung im Januar 1835 wurde Lord de Grey, der damals ein hohes Regierungsamt innehatte, zum ersten Präsidenten gewählt. Dank der guten Verbindungen des Grafen zu einflussreichen Mitgliedern der Regierung erhielt die neue Standesorganisation schon 1837 eine von König William IV. gebilligte Satzung (Royal Charter) verliehen. Aber erst seit 1866 – Königin Victorias Gemahl Prince Albert erwies sich als ihr prominentester Förderer – darf sich die Vereinigung „Royal Institute of British Architects“ (RIBA) nennen.

Bereits in seiner Anfangszeit widmete sich das „Institute“ dem bis dahin ungeregelten Ausschreibungsverfahren für Bauaufträge, setzte sich für eine transparente Entgeltregelung für Architektenleistungen ein und plädierte für ein Ausbildungsverfahren mit einer verpflichtenden Abschlussprüfung. Zunächst galten solche Regelungen nur für London, aber als sich in anderen Städten des Landes gleichfalls berufsständische Organisationen formierten, kam es bald zu landesweit gültigen Absprachen. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts vertrat das RIBA die Architektenzunft auf nationaler Ebene und die Aktivitäten der regionalen Zentren wurden von ihm koordiniert. Man richtete mehrere Komitees ein, die sich den jeweiligen Sachbereichen widmeten, und mit Gründung des Commonwealth 1901 ergaben sich intensive Kontakte mit ausländischen Kollegen und Institutionen. 1906 trat das RIBA erstmals als Gastgeber für den „International Congress of Architects“ auf.

Nach dem Ersten Weltkrieg verstärkte das RIBA seine Aktivitäten in der Stadtplanung, erarbeitete Richtlinien für den Abriss von Slums und den Bau von Arbeitersiedlungen, und setzte endlich durch, dass die Berufsbezeichnung Architekt geschützt wurde. Nach 1945 entwickelte sich das RIBA zu einer schlagkräftigen Standesorganisation, dessen Londoner Hauptquartier personell aufgestockt und mit eigener Presseabteilung ausgestattet wurde, um in berufsständischen Angelegenheiten gegenüber Regierung, Parlament und Öffentlichkeit kompetent aufzutreten. Ein halbes Dutzend Fachkomitees liefert Expertisen für überregionale Projekte und gibt Berufspraktikern Hilfestellungen in technischen und rechtlichen Fragen. Mit der neuen, 1971 verabschiedeten Satzung hat sich das RIBA als allseits anerkannte Standesorganisation für die heute mehr als 40.000 Architekten Großbritanniens etabliert, die neben ihrem Londoner Hauptquartier ein Dutzend regionaler Niederlassungen unterhält.

Die Bibliothek

Seit Anbeginn setzte das „Institute“ auf Bildung und Ausbildung seiner Mitglieder, und daher plädierte der Vorstand für den Aufbau einer Fachbibliothek. Auf jeder Jahresversammlung erging der Appell, man möge der Bibliothek doch Bücher, Pläne, Stiche und Modelle übereignen. Dies geschah denn auch in gebührender Weise, und die an Beständen schnell zunehmende Kollektion nötigte das „Institute“, mehrmals größere Räumlichkeiten anzumieten. Als 1859 der dritte Umzug erfolgte, erhielt die Bibliothek erstmals ein ausreichend dimensioniertes Domizil. Mitte der 1870er Jahre war die Abgusssammlung aber derart raumgreifend geworden, dass man sie dem Victoria & Albert Museum zu übereignen beschloss. Zu der Zeit nahm die Foto-Kollektion erheblich an Umfang zu, sodass man einen Ausschuss mit deren Klassifizierung beauftragte und sie in große Alben einklebte.

Nach dem Ersten Weltkrieg erfolgte die Umstellung der Bibliothek auf die Universalklassifikation und die Ausweitung ihrer Sammeltätigkeit auf internationale Themen. Neben historischen Abhandlungen fanden vermehrt Studien zur modernen Architektur Eingang in den Bestand, was nicht wenig zur ihrer intensiven Benutzung beitrug. Als 1929 der Beschluss gefasst wurde, ein eigenes Gebäude zu beziehen und ein Bauplatz unweit der belebten Oxford Street, Londons populärer Einkaufsstraße, erworben werden konnte, schrieb man 1931 einen Architektenwettbewerb aus. Die Chance, den Hauptsitz der eigenen Zunft gestalten zu können, wollte sich kaum eine renommierte Firma entgehen lassen, und so lagen schließlich 284 Einsendungen vor. Zum Gewinner erklärte die Jury den Entwurf von George Grey Wornum, der einen mit schlichter Fassade gestalteten Eckbau vorschlug, den seitlich zehn sich über zwei Geschosse erstreckende Fenster beleuchten (Abb. 1). Das Interieur zeichnet sich durch schlichte Eleganz im Stil des Art Deco aus (Abb. 2 + 3). Im November 1934, pünktlich zur Hundertjahrfeier, wurde der RIBA-Neubau in Anwesenheit von König Georg V. feierlich eingeweiht. Seit 1970 ist das Gebäude als nationales Denkmal ausgewiesen.

Fast das gesamte dritte Geschoss ist für die Bibliothek reserviert. Der hohe Raum (Abb. 4) wurde auf beiden Seiten mit zwei Meter breiten Doppelregalen bestückt, zwischen denen jeweils eine mit Tischen und Stühlen ausgestattete Arbeitszone liegt (Abb. 5). Die zum Gang hin abgerundeten Regaleinheiten sind mit blauer Emaile belegt, die Innenseiten hat man in Gelb gehalten. Auf der Südseite des Raumes führt eine Treppe zur offenen Galerie für die Zeitschriften empor (Abb. 6). Die Regaleinheiten wurden jeweils mit Leuchtkörpern versehen und der Boden mit Korkplatten ausgelegt. Die blaue Linoleumabdeckung der Arbeitstische nimmt den Farbton der Regalverkleidung auf.

Schon bei Einzug in ihr neues Domizil war die Fachbibliothek eine der besten des Landes, und seither vermochte sie ihre Stellung erheblich auszubauen. Mit heute ca. 150.000 Bänden, 20.000 Kleinschriften und 2.000 Fachzeitschriften, von denen 700 im Abonnement gehalten werden, ist sie nicht nur die größte Architekturbibliothek Großbritanniens, sondern zugleich die drittgrößte der Welt. Das Erwerbungsprogramm der „British Architectural Library“, wie sie sich seit einigen Jahren nennt, umfasst neben Architektur und Städtebau auch Ingenieurwesen, Landschafts- und Innenarchitektur; Schriften aus aller Welt und allen Sprachen gehen, durch Kauf, Tausch und Geschenk, regelmäßig ein. Speziell gesammelt werden natürlich die Schriften und Entwürfe britischer Architekten, aber auch die großen Namen Westeuropas und der USA (z. B. Le Corbusier, Mies van der Rohe, Frank Llyod Wright) sind gut vertreten. Seit den 1930er Jahren hat die Bibliothek einen Index der bedeutendsten Fachzeitschriften angelegt, der seit 1972 als „Architectural Publications Index“ abonniert werden kann.

Das Archiv des RIBA enthält kostbare Manuskripte, Zeichnungen und Dokumente seit der Mitte des 16. Jahrhunderts. Zu den „Highlights“ gehören z. B. handschriftliche Zeugnisse von Andrea Palladio, Inigo Jones und Christopher Wren, Verträge, Zeichnungen und Tagebücher von Pugin, Lasdun, Luytens und Voysey, die Unterlagen anderer Architekturvereine und eine umfangreiche Presseausschnittsammlung. Die Zahl der Architekturzeichnungen wird mit mehr als 750.000 Blättern angegeben, und rund 1,5 Millionen Fotos dokumentieren das Wirken der Architektenzunft in aller Welt (Datenbank www.ribapix.com). Insgesamt verwahrt die Bibliothek mehr als 4 Millionen Einheiten.

Angesichts dieser Fülle ist es nicht verwunderlich, dass die vor 75 Jahren bezogenen Räume die vielfältigen Schätze nicht mehr verwahren können. Es war daher nur konsequent, dass die Leitung des Hauses schon vor Jahren Gespräche mit der Direktion des Victoria & Albert Museum (V&AM) aufnahm mit dem Ziel einer strategischen Zusammenarbeit, denn in dessen gotischem Gebäudeensemble im Stadtteil Kensington wird eine bedeutende Sammlung von Stichen, Drucken und Gemälden zur Architekturgeschichte verwahrt. Die Verhandlungen mündeten 2001 in eine vertraglich vereinbarte Kooperation, die eine Verlagerung der RIBA-Archivalien in das Museum vorsahen. Im Rahmen der Renovierung eines um 1870 erbauten Gebäudeflügels wurde dort ein Magazin, eine Architekturgalerie, ein Studiensaal und Gruppenarbeitsraum einrichtet. Seit 2004 sind die RIBA-Archivalien im 4. Stock des Henry-Cole-Flügels im V&AM zu konsultieren.

Zum Jubiläum hat das RIBA eine prachtvolle Ausstellung erarbeitet: Die Bibliothek verwahrt die weltweit beste Sammlung von Zeichnungen und Büchern Andrea Palladios, und so möchte sie zugleich den 500. Geburtstag des Italieners feiern, dessen Arbeiten schließlich einen kaum zu überschätzenden Einfluss auf die Architektur Großbritanniens ausgeübt haben. Selbstverständlich lässt sich die Schau auch auf dem Bildschirm betrachten (Internet www.architecture.com/palladio).


Autor

Dr. Gernot U. Gabel

Jülichstraße 7
50354 Hürth
g-gabel@t-online.de