Kulturen des Wissens im 18. Jahrhundert

Hrsg. Ulrich Johannes Schneider


- Berlin; New York: Walter de Gruyter, 2008. XIV, 680 S.
ISBN 978-3-11-019822-5. € 149,95

Der Band enthält die Beiträge der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für die Erforschung des 18. Jahrhunderts. Der Titel „Kulturen des Wissens“ wurde von den Veranstaltern bewusst gewählt (die Zitate entstammen dem Geleitwort S. V):

Die Teilnehmer der Tagung trafen sich 2006 in der berühmten und dem Wissenschaftsdialog sehr aufgeschlossenen Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel und nicht an einem beliebigen Veranstaltungsort, um im Dialog über den Stand und die Entwicklungstendenzen ihrer Fachgebiete zu beraten. Bibliotheken und Kulturen des Wissens sind ein Kontext, auf den viel zu wenig hingewiesen wird.

Das Mammutwerk mit seinen 79 Beiträgen (einschließlich der Einführungen in die einzelnen Themen), geordnet in 14 große Kapitel, ist auch für die Entwicklung der Buch- und Bibliothekswissenschaft seit dem 18. Jahrhundert von großer Bedeutung. Angesichts der Fülle der Beiträge kann der Rezensent nur auf vier, eng mit dem Bibliothekswesen verbundene Forschungsergebnisse hinweisen.

Das erste Kapitel Kulturen des Wissens ist eine ausgezeichnete Zusammenfassung für alle wissenschaftshistorisch Interessierten: Ein Vergleich der Wissenskulturen des 18. und 21. Jahrhunderts (Walther Ch. Zimmerli), die Darstellung von Umrissen einer kohärenten Konzeption aufgeklärten Wissens (Rainer Enskat), Methoden zum Umgang mit Giften im allgemeinen und dem Wissen als Gift (Bettina Wahrig), die Transmission verbotenen Wissens „im breiten Sinne von geheim, unschicklich, nicht öffentlich“ (S. 63), die Untergrundkulturen des Wissens (Martin Mulsow) sowie eine phänotypísche Beschreibung enzyklopädischer Literatur (Ulrich Johannes Schneider) mit einer für die Entwicklung der Bibliotheken wichtigen Feststellung: „Dem Wissenshistoriker öffnet sich mit dem Blick in das 18. Jahrhundert eine Zeit der Buchkultur und damit in eine Vergangenheit, als intellektuelle Leistungen aller Art in Büchern dokumentiert und distribuiert wurden.“ (S. 81)

Das zweite Kapitel widmet sich dem Thema Gelehrte Korrespondenzen, weil das 18. Jahrhundert „ein Jahrhundert des Briefes bzw. des Briefwechsels“ (S. 101) war. Vorgetragen wurde u. a. über die Korrespondenz des Verlegers und Buchhändlers Friedrich Nicolai (Rainer Falk), des Literaturwissenschaftlers und Schriftstellers Johann Jakob Bodmer (Anett Lütteken), der Berner Ökonomischen Gesellschaft (Martin Stuber) und des geheimnisumwitterten Illuminatenordens (Hermann Schüttler).

Das dritte Kapitel Enzyklopädien des 18. Jahrhunderts digital weist auf die Digitalisierung und Bereitstellung von Nachschlagewerken im Internet an drei Beispielen hin: Wilhelm Smellies Encyclopædia Britannica (Annette Meyer), Johann Georg Krünitz`Oekonomisch-technologische Enzyklopädie (Hans-Ulrich Seifert) und Johann Heinrich Zedlers Grosses vollständiges Universal-Lexicon. Fazit: „Unser Wissen wird sich jedenfalls durch die digitale Revolution inhaltlich verstärken können, weil nun Redaktionsprozesse durchsichtig werden und überhaupt die gewaltigen Textmengen in ihrer elektronischen Zusammensetzung häufig ein forschungspragmatisches Sortieren nach Interessen erlauben.“ (S. 162)

Die Veranstalter begreifen „die Privatbibliothek als Wissensreservoir der Frühen Neuzeit, welches das europaweite Kommunikationsnetzwerk widerspiegelt“ (S. 191) und widmen diesem Thema das vierte Kapitel Privatbibliotheken. Die Vorträge berichten über die fürstlichen Privatbibliotheken am Gothaer Hof (Kathrin Paasch), die Bibliothek des Preußischen Hofarchitekten Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff (Martin Engel), die Bibliothek des Autors und Mäzens Johann Wilhelm Ludwig Gleim (Diana Stört) sowie die Bibliothek des Schriftstellers Johann Gottwerth Müller (Alexander Ritter). Es sei auf die unterschiedlichen Überlieferungsweisen dieser Bibliotheken hingewiesen: die erste ist integriert in die herzogliche Sammlung, die zweite ist Teil des Nachlassinventars, die dritte wird an Hand vorhandener Kataloge und des Bestandes im Gleimhaus Halberstadt aufgebaut, die vierte wird aus dem Auktionskatalog rekonstruiert.

Auf die vielen anderen, ebenfalls sehr interessanten Themen kann nur summarisch hingewiesen werden: Periodische Formen des wissenschaftlichen Denkens, Schreibens und Publizierens – Die moralische Ökonomie des Wissens – Die gelehrte Streitkultur – Die Kultur des politischen Wissens im deutschsprachigen Raum u. a. mit einem Beitrag über die Periodika als Medien der ständischen Gesellschaft – Die Popularisierung gelehrter Wissensbestände u. a. mit einem Beitrag über die mathematischen Wissenschaften und ihre Vermittlung1 – Das andere Wissen: Traum, Wahnsinn, Geisterseherei – Die Erziehung des Auges. Wissen und visuelle Praxis – Gärten als epistemologische Modelle – Darstellungsformen medizinischen Wissens – Naturgeschichte als Projekt einer weltweiten Erfassung, Beschreibung und Klassifikation von Flora, Fauna und Gesteinswelt u. a. mit einem Beitrag über Sammeln und Reisen in deutsch-englischen Gelehrtennetzwerken – Ästhetik zwischen Norm und Geschichtlichkeit u. a. mit einem Beitrag über Transformationen des Wissens über Griechenland. Dass viele Beiträge auch Bezüge zu Bibliotheks- und Archivbeständen aufweisen, versteht sich von selbst.

Wegen des großen Umfangs und der interdisziplinären Herangehensweise wäre allerdings eine Erschließung durch ein Register der Personen und Sachen wichtig gewesen.

B.I.T.online hat in den letzten Jahren auf zwei wichtige Veröffentlichungen zu diesem Thema hingewiesen.

B.I.T.online stellt mit den Kulturen des Wissens eine weitere und auch, wie der Rezensent versucht hat aufzuzeigen, weitergehende Untersuchung zum Wissen im 18. Jahrhundert vor. Das Buch ist eine große Bereicherung der wissenschaftshistorischen Literatur, neben Historikern auch für Bibliothekare, Museologen, Archivare, Verleger, Buchhändler und Informationsfachleute von Interesse. Es zeigt an zahlreichen Beispielen die große Bedeutung auf, die die Bibliotheken und Archive für die Bewahrung und Erschließung des kulturellen Erbes haben, und es enthält zahlreiche Anregungen, sich intensiver mit den Beständen zu beschäftigen.

Prof. em. Dr. Dieter Schmidmaier
Ostendorfstraße 50
12557 Berlin
dieter.schmidmaier@schmidma.com


1. Die Autorin dieses Beitrages, Maria Reményi, ist ihrem Thema auch in dem bedeutenden Forschungsprojekt „Eine Disziplin und ihre Verleger: Formen, Funktionen und Initiatoren mathematischen Publizierens in Deutschland, 1871-1949“ treu geblieben. Sie beschäftigt sich dort mit den Lehrbüchern im Kontext mathematischen Publizierens. Siehe: Publikationsstrategien einer Disziplin: Mathematik in Kaiserreich und Weimarer Republik / Hrsg. Volker R. Remmert; Ute Schneider. Wiesbaden, 2008. S. 73-108. – Vgl. Rez. in B.I.T.online in diesem Heft.

2. Burke, Peter: Papier und Marktgeschrei: Die Geburt der Wissensgesellschaft. Berlin, 2001. 317 S. – Vgl. Rez. in B.I.T.online 5(2002) 1, S. 85-86.

3. Macht des Wissens: Die Entstehung der modernen Wissensgesellschaft / Hrsg. Richard van Dülmen; Sina Rauschenbach, unter Mitwirkung von Meinrad von Engelberg. Köln; Weimar; Wien, 2004. VIII, 741 S. – Vgl. Rez. in B.I.T.online 8 (2005) 1, S. 95-96.