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Das Ebook ist gekommen – und es bleibt!

Auf der Leipziger Buchmesse fiel am 11.03.09 der Startschuss für das neue Ebook-Portal des deutschen Börsenvereines libreka. Sony stellte im März seinen Ebook-Reader PRS-505 für den deutschen Markt vor. In den USA bietet Amazon mehr als 240.000 Titel für seinen Ebook-Reader Kindle an. In den USA sollen mit Ebooks im dritten Quartal 2008 knapp 14 Millionen Dollar umgesetzt worden sein. Parallel dazu greift die Open Access-Bewegung um sich, der Tonfall der Gegner wird schärfer und martialischer:

Am 19.03.09 beschwört Hannes Hintermeier im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung das Armageddon der traditionellen Verlagswelt herauf, ausgelöst durch die „rücksichtslose Digitalisierungspraxis“ von Google, die damit „geistiges Eigentum im Weltmaßstab enteignet“. Die taz schreibt am 20.03.09 von Open Enteignung und „Erpressung und Entrechtung der Autoren“, die Welt sieht die „E-Book-Piraten“ am Werk. Das ITK in Heidelberg stellt einen Appell „Für Publikationsfreiheit und die Wahrung der Urheberrechte“ ins Netz und sieht die Freiheit von Literatur, Kunst und Wissenschaft bedroht.

Es scheint also, dass nach Jahren der Ankündigungen und Enttäuschungen nun massiv Bewegung in den Ebook-Markt gekommen ist. Denn der Wandel ist da: Das Ebook hat den Buchmarkt aufgemischt und ist bereits heute aus der Welt der Wissenschaftler nicht mehr wegzudenken. Auch greift es langsam auf den Bereich der Privatleser über. Als vor vier Jahren Google mit dem neuen Angebot Google Books gestartet ist, war der neue Dienst noch ein Nischenprodukt.

Heute hat Google seine Vision, die ganze Welt der Bücher zu digitalisieren, zwar noch nicht komplett verwirklichen können, es schlägt dem Megakonzern in Teilen viel Gegenwind entgegen, Autoren und Verleger in den USA kämpfen um ihre Rechte und schneiden sich mit der Einigung vom 28.10.08 ein Stück aus den digitalen Tantiemen.

Auch in Deutschland formieren sich die Vertreter der Verbände und dennoch: Es scheint schwer, Google aufzuhalten, und angesichts der kleinen und unkoordinierten Digitalisierungsaktionen von Bibliotheksseite weltweit erscheint es auch geradezu hoffnungslos, hier noch Schritt halten zu können. Aber gerade das Angebot der Bibliotheken wird durch die breite Einführung von Ebooks eine entscheidende Umwälzung erfahren.

Sogar bei der Bildzeitung (Bild.de) sind Ebooks inzwischen angekommen, mit der Meldung, dass Käufer des Sony Ebook-Readers künftig auch alle urheberrechtsfreien Titel von Google Books nutzen können.

Wir möchten daher einige Aspekte aus Sicht der Bibliotheken klären. Und baten dazu den stellvertretenden Leiter der Benutzungsabteilung der Staatsbibliothek zu Berlin, Herrn Uwe Schwersky, von der Universitätsbibliothek Karlsruhe die Leiterin der Abteilung für das Bibliothekssystem und des Universitätsverlages Karlsruhe, Frau Regine Tobias, sowie Herrn Dr. Michael Mönnich, Leiter der Abteilung für Medienbearbeitung an der Universitätsbibliothek Karlsruhe, um ihre Stellungnahmen.

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Welche Rolle spielen Ebooks heute in Bibliotheken?
Wie werden Ebooks in Ihrer Einrichtung genutzt?
Inwieweit verändern Ebooks die bibliothekarische Arbeit?
Welche Rolle spielt die Bibliothek als Produzent von Ebooks?
Werden Ebooks das wissenschaftliche Arbeiten verändern?
Wie bewerten Sie Google Books?

Welche Rolle spielen Ebooks heute in Bibliotheken?

Dr. Michael Mönnich: Zunächst müssen wir eine Definition finden, was unter einem Ebook zu verstehen ist. In der breiten Öffentlichkeit verbindet man den Begriff Ebook ja häufig mit einem Lesegerät, das heißt mit Hardware. In diesem Segment ist in den Vereinigten Staaten der Internetbuchhändler Amazon mit seinem Ebook-Lesegerät Kindle sehr erfolgreich. Kindle benutzt elektronisches Papier als Display und besitzt einen Internetzugang. Das elektronische Papier verbindet gute Lesbarkeit mit niedrigem Stromverbrauch, und der eingebaute Internetzugang gibt dem Kindlenutzer den Zugriff auf über 250.000 Titel des amerikanischen Buchhandelssortiments. Dem gegenüber hat das nun in Deutschland angebotene Model von Sony keinen Internetzugang und kann nur über einen PC mit Büchern beladen werden. Zudem ist das Titelangebot dünn und die Nutzung durch DRM-Mechanismen sehr kompliziert. Die Marktchancen halte ich daher für gering.

Im universitären Umfeld verstehen wir hingegen unter Ebooks primär Dateien, die über Netzzugriff von beliebiger Hardware genutzt werden können. Dabei sollten wir uns nicht auf Bücher „born digital“ beschränken, sondern auch Digitalisate miteinbeziehen, Dateien also, die durch Einscannen von Printausgaben entstanden sind und unter Umständen auch gar keinen Text enthalten, sondern nur die Abbildungen von Buchseiten. Das Angebot dieser Art von Ebooks wächst derzeit rasant. Dissertationen in elektronischer Form auf Repositorien abzulegen, hat sich inzwischen als Standard in wissenschaftlichen Einrichtungen etabliert. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat im Rahmen der Nationallizenzen eine große Anzahl von digitalisierten Werken für die wissenschaftlichen Einrichtungen in Deutschland lizenziert, zum Beispiel Early English Books Online. Nicht vergessen darf man auch die schon seit langer Zeit bestehenden Inititativen, die urheberrechtsfreie klassische Werke über das Internet anbieten wie das Projekt Gutenberg oder Gutenberg-DE.

Auch die großen Wissenschaftsverlage sind inzwischen in diesen Markt eingestiegen und bieten Ebooks für wissenschaftliche Bibliotheken an. Das von den Bibliotheken präferierte Modell ist derzeit die Kaufoption, bei der man das Werk kauft beziehungsweise die dauerhaften Nutzungsrechte daran erwirbt. Dies ist zum Beispiel bei Springer oder Wiley-VCH der Fall. Dabei können wie bei Wiley einzelne Titel erworben werden oder nur ganze Themenpakete wie bei Springer. Das konkurrierende Modell ist, dass man einen Titel oder ein Paket jährlich lizenziert und dafür die jeweils aktuellsten Auflagen erhält, zum Beispiel bei Knovel oder Thieme. Nachteilig ist hierbei die dauerhafte Verpflichtung, fehlende Archivrechte und die bislang nicht zufriedenstellenden Wege für die Aktualisierung der Katalogisate.

Das dritte Modell, das vor allem bei öffentlichen Bibliotheken derzeit getest wird, ist eine „Onleihe“, bei der über DRM-Mechanismen geschützte PDF-Dateien für begrenzte Zeit mit begrenzten Rechten „entliehen“ werden, wobei die Nutzungsmöglichkeiten für die Kunden in der Regel stark eingeschränkt sind (Ausdruck nur weniger Seiten, Nutzung nur auf bestimmten Rechnern usw.). Dieses Modell scheint im universitären Umfeld keine große Zukunft zu haben, da zum einen die technische Vielfalt viel größer ist als im Home-Umfeld und auch die Akzeptanz fraglich ist. Die DRM-Verfahren scheinen auch nicht ausgereift: Mir selbst ist es als Nutzer meiner Stadtbibliothek nicht gelungen, die dort als Onleihe angebotenen Hörbücher auf meinem privaten Rechner zu nutzen.

Regine Tobias: Das Informationsangebot an Ebooks hat auch Auswirkungen auf das Bibliothekssystem, vor allem an Universitäten mit mehreren dezentralen Fakultäts- und Institutsbibliotheken. Hier wirken künftig ganz neue Kräfte auf den Bestandsabgleich ein. An vielen universitären Standorten haben die elektronischen Abonnements von Zeitschriften bereits zu Zentralisierungstendenzen geführt. Hier in Karlsruhe sind vor einigen Jahren die Zeitschriftenabonnements der großen Bereichsbibliotheken an die Zentralbibliothek übergegangen, um eine bessere Verhandlungsposition gegenüber den Verlagen aufzubauen und die Campuszugriffe auf elektronische Lizenzen besser koordinieren zu können. Das Ebook eröffnet jetzt weitere und neue Dimensionen für den Bestandsaufbau. Nicht nur die Zentralbibliothek hat immer mehr „elektronische Lücken“ im physischen Buchbestand, auch die kleineren Bibliotheken bis hin zu Fakultätsbibliotheken müssen ihre Erwerbungspolitik an die Campuslizenzen anpassen. Ebooks sind also ein weiterer Schritt hin zur funktionalen Einschichtigkeit an vielen Universitäten.

Uwe Schwersky: Schon bei der Nennung der Verlage, die neu publizierte Ebooks anbieten, wird klar, dass es sich vorwiegend um solche aus dem Bereich STM handelt. Wir sehen in diesem Feld dieselbe Situation wie bei den elektronischen Zeitschriften. Die global agierenden STM-Verlage spielen die Vorreiterrolle bei dem Angebot von neuen Ebooks. Dies heißt im Umkehrschluss, dass von Bibliotheken mit einem Schwergewicht auf den Geistes- und Sozialwissenschaften diese Angebote von neu publizierten Ebooks bisher kaum wahrgenommen werden können. Ob die in der Regel sehr viel kleineren Verlage in den Geistes- und Sozialwissenschaften ihre Zukunft in der Veröffentlichung von Ebooks sehen, muss abgewartet werden. In diesen Bereichen spielt jedenfalls auch eine Rolle, dass hier Lehrbücher, die in einer hohen Stückzahl vertrieben werden können, im Gegensatz zu den technischen Fächern und Naturwissenschaften so gut wie unbekannt sind.

Wie werden Ebooks in Ihrer Einrichtung genutzt?

Uwe Schwersky: In der Staatsbibliothek zu Berlin mit ihrer starken Betonung auf die Geistes- und Sozialwissenschaften spielen die neu produzierten Ebooks tatsächlich bisher noch eine sehr untergeordnete Rolle. Allerdings wird das gesamte, auch kommerzielle Angebot an digitalisierten Werken angeboten. Diese Angebote werden entweder durch die Staatsbibliothek selbst finanziert oder stehen natürlich auch beispielsweise über die von der DFG finanzierten Nationallizenzen zur Verfügung. Bei der noch eher marginalen Nutzung dieser Ressourcen spielt auf der einen Seite sicherlich eine Rolle, dass die traditionelle Klientel dieser Bibliothek nicht besonders technikaffin ist. Da hört man schon mal die Bemerkung, da warte ich lieber ein bisschen mit der Lektüre bis mir das Buch aus dem Magazin oder per Fernleihe besorgt wird als am Bildschirm einen kompletten Text zu lesen.

Man darf allerdings auch nicht vergessen, dass die Nachweissituation in vielen Fällen noch sehr zu wünschen übrig lässt. Vielleicht ließen sich manche Fernleihen und auch Ausleihen aus den Magazinen vor Ort vermeiden, wenn den Interessenten (und den Kolleginnen und Kollegen in den Bibliotheken!) die Nachweise der vorhandenen Ebooks leichter gemacht würden.

Dr. Michael Mönnich: Der Nutzungsgrad hängt stark von der Art des lizenzierten Materials und dem Umgang damit ab. In der Universität Karlsruhe haben wir seit 2009 eine Reihe von Ebooks im Angebot: Pakete von Springer und Knovel, OECD-Titel sowie ausgewählte Titel von Wiley-VCH, de Gruyter und Thieme. Parallel mit der Lizenzierung der Springerpakete haben wir einen Kaufstopp für die in diesen Paketen enthaltenen Printausgaben beschlossen, da wir davon ausgehen, dass die Universität und künftig das KIT vorrangig mit elektronischer Information versorgt werden wird und dass ein Angebot sowohl der Druck- als auch der elektronischen Ausgaben ökonomisch nicht sinnvoll ist. Durch den Verzicht auf den Kauf der gedruckten Ausgaben konnten wir schon nach wenigen Wochen feststellen, dass nur ein Teil der bei Gabler erscheinenden Titel auch im Ebook-Paket „Wirtschaftswissenschaften deutschsprachig“ von Springer enthalten ist.

Mein Eindruck ist, dass zahlreiche Bibliotheken, die die Springer Ebook-Pakete schon länger lizenziert haben, diese bislang nur als paralleles „Addon“ zu den gedruckten Ausgaben sehen.

Insgesamt ist festzustellen, dass sowohl von Seiten der Studenten als auch von den Dozenten zunehmend Ebooks nachgefragt werden. Deshalb wünschen wir uns natürlich aussagekräftige Statistiken über die Nutzung der Ebooks. Hier besteht auch noch deutlicher Verbesserungsbedarf: Beim Ebook-Paket von Knovel, das wir seit zwei Jahren lizenziert haben, besitzen die angebotenen Nutzungsstatistiken nur geringe Aussagekraft. Wir hoffen nun, dass dies bei den anderen Verlagen besser sein wird.

Neben diesen verzeichnet unser Katalog noch weitere 10.000 Titel, die elektronisch frei zugänglich sind aus den Bereichen Naturwissenschaften, Technik, Wirtschaftswissenschaften. Dabei handelt es sich überwiegend um Dissertationen, deren Daten wir über den SWB beziehen. Hinzu kommen dann noch ausgewählte Kollektionen aus den DFG Nationallizenzen – insgesamt circa 1.000 Titel – sowie die Publikationen des Universitätsverlages Karlsruhe und natürlich alle Werke, die auf unserem eigenen Volltextserver liegen.

Regine Tobias: Endgültige Aussagen über die Akzeptanz von Ebooks und Auswirkungen auf das Nutzerverhalten können noch nicht getroffen werden. Die Erwerbungspolitik für Ebooks der großen wissenschaftlichen Bibliotheken steht ja noch relativ am Anfang. Bei uns in der Universität Karlsruhe ist das Angebot an elektronischen Zeitschriftenaufsätzen unter Wissenschaftlern längst zur Selbstverständlichkeit geworden. Die Einführung flächendeckender Ebook-Lizenzen von Verlagen betrifft nun aber auch die Literatur, die in der Lehre eingesetzt wird. Hier ist noch unklar, wie Studierende mit einem viele hundert Seiten umfassenden elektronischen Lehrbuch umgehen, ob sie den Medienbruch begeistert akzeptieren oder doch lieber im Einzelfall die alte, aber gedruckte Ausgabe bevorzugen?

Dieses Nebeneinander der verschiedenen Buchformen wird an den Universitäten wohl noch einige Jahre andauern. Wir im Universitätsverlag Karlsruhe haben damit in den letzten fünf Jahren sehr gute Erfahrungen gemacht. Alle unsere Veröffentlichungen sind als Ebook weltweit frei im Internet zugänglich, parallel dazu verkaufen wir die gedruckte Ausgabe über den lokalen und überregionalen Buchhandel. Es ist sehr spannend, sich die Abrufzahlen der letzten Jahre anzusehen und sie mit den Verkaufszahlen zu vergleichen. Von Anfang an fanden unsere gedruckten Bücher guten Absatz, obwohl ihr Inhalt weltweit elektronisch frei zugänglich ist. Im Gegenteil, die Erfahrung der letzten Jahre belegt, dass diese Art der Verbreitung eine gute Werbung für unsere Autoren ist und in vielen Fällen verkaufsfördernd wirkt. Die Verkaufszahlen korrelieren nur in den wenigsten Fällen mit den Abrufzahlen der elektronischen Versionen und hängen sehr stark vom Inhalt des Buches ab. Gut verkaufte Bücher haben unter Umständen viel geringere Downloads als ein Buch, das nur geringen Absatz findet. Gerade bei Dissertationen erscheint das auch sehr sinnvoll: hier sind oft nur wenige Seiten für einen Forschungsüberblick relevant und auf die wird über das Internet zugegriffen. Aber wir haben auch Dissertationen, die wir sehr gut verkaufen, ich kann hier keine generelle Linie erkennen.

In jedem Fall sind die Abrufe der elektronischen Version stets höher als der Absatz des gedruckten Buches. Auch die Lehrbücher, die wir im Angebot haben, werden über das Internet immer noch häufiger genutzt. Jedoch achten wir bei Lehrbüchern darauf, dass die Ladenverkaufspreise sehr gering sind. Rein rechnerisch lohnt es sich also in jedem Fall das Buch zu kaufen, anstatt es auszudrucken und gegebenenfalls binden zu lassen.

Wir bedienen verschiedene Plattformen für Ebooks, um die Karlsruher Forschungsergebnisse bestmöglich zu verbreiten, daher melden wir alle Bücher auch an Google Books. Die wöchentlichen Statistiken, die wir von Google erhalten, sind wiederum in vielen Fällen gänzlich unterschiedlich von den Abrufzahlen auf unserem eigenen Verlagsserver. Es gibt also viele Wege, um unsere Bücher zu finden und zu nutzen.

Inwieweit verändern Ebooks die bibliothekarische Arbeit?

Dr. Michael Mönnich: Im Bereich der Erwerbung führen Ebooks zunächst einmal zu Mehrarbeit: So hat das Ebookangebot von Springer dazu geführt, dass Anschaffungsvorschläge, Ansichtssendungen und die Bestellungen der Fachreferenten nun zusätzlich geprüft werden müssen, ob die Titel in den gekauften Paketen wirklich enthalten sind, was bei den Titeln von Gabler, Vieweg und Teubner nicht immer der Fall ist. Auch müssen die traditionellen Erwerbungsvorgänge neu überdacht werden, und die Ebooks bedürfen der permanenten Pflege. Aufgrund von scheinbarem Missbrauch wurde der Zugang zu unserer Knovelkollektion für mehrere Wochen ohne Vorankündigung vom Verlag gesperrt, und von Seiten der Bibliothek und des Rechenzentrums musste dem Verursacher nachgespürt werden (der sich dann als Proxyserver herausstellte).

Im Bereich der Katalogisierung werden die Titel in der Regel über den Südwestdeutschen Bibliotheksverbund in den lokalen OPAC eingespeist, sodass hier kein Mehraufwand entsteht. Auch die Verknüpfung zwischen eventuell vorhandenen Printausgaben und der elektronischen Version ist auf der Ebene des OPACs gelöst. Problematisch ist jedoch die Sacherschließung. Aus arbeitsökonomischen Gründen halte ich eine manuelle Sacherschließung der Ebooks für nicht sinnvoll. Der Südwestdeutsche Bibliotheksverbund führt nun immerhin ein bis zweimal im Jahr Übertragungen der Sacherschließungselemente der gedruckten Ausgaben zu den elektronischen Ausgaben von Springerbüchern durch. Dies ist auf jeden Fall hilfreich, mit einer weiteren Verbreitung der Ebooks wird dieses Verfahren jedoch in der Zukunft an seine Grenzen stoßen. Inwieweit eine intellektuelle Sacherschließung von Ebooks, die ja per se im Volltext vorliegen und zu denen Inhaltsverzeichnisse etc. auch in den Katalog eingespielt werden können, überhaupt noch sinnvoll ist, halte ich ebenfalls für fraglich.

Regine Tobias: Elektronische Bücher sind schon eine Revolution – und die Diskussion um sie betrifft Leser ebenso wie Bibliothekare. Spricht man bibliophile Menschen darauf an, ob sie sich vorstellen können, in naher oder ferner Zukunft auf das haptische Erlebnis beim Lesen verzichten zu können, blickt man in entrüstete Gesichter. Aber auch Buchhändler oder Verlagsvertreter, die beruflich mit der Materie Buch viel zu tun haben, schütteln bei dieser Vorstellung oft nur den Kopf. Interessanterweise verhalten sich einige Wissenschaftler an der Universität ähnlich, obwohl sie über komfortable Campuslizenzen tagtäglich unmittelbar Forschungsinformationen aus dem Internet beziehen. Auch junge Nachwuchsforscher beschwören in ersten Gesprächen mit der Zentralbibliothek die alten Zeiten, in denen sie als Studierende am Bibliotheksregalen entlang „gebrowst“ sind. Andere beklagen, dass die Studierenden kein Buch mehr „in die Hand“ nehmen und unkritisch Informationen aus dem Internet für ihre Arbeiten verwenden. Aber im Gegensatz zu all diesen Aussagen wird von der Bibliothek erwartet, dass sie auf schnellstem Weg campusweit die aktuelle Literatur zur Verfügung stellt. Daher führt an den Universitäten langfristig kein Weg am Ebook vorbei.

Tatsächlich sieht man bei einem Gang durch die Lesesäle der Bibliothek fast keinen Schreibtisch mehr ohne Laptop. Die Studierenden greifen über Funknetz bequem auf das gesamte Informationsangebot der Universitätsbibliothek zu und verwenden es für ihre Studien. Dazu gehören selbstverständlich auch spezielle Fachliteratur und Lehrbücher in Form von Ebooks, die nicht mehr gedruckt gekauft werden. In Karlsruhe stehen Bücher und Zeitschriften der letzten 20 Jahre in Fachlesesälen im direkten Zugriff bereit. Durch das Vorstoßen der Ebooks wird es künftig immer mehr Lücken in den Regalen geben, und eine Gesamtübersicht über die aktuelle Literatur vermittelt nur noch der Katalog. Hier wird die Bibliothek in den nächsten Jahren ihre Kunden vermehrt informieren und schulen müssen, bis das Umdenken zur Selbstverständlichkeit geworden ist.

Uwe Schwersky: Zu Recht wird bei der Diskussion um die Ebooks immer wieder die mögliche und notwendige Rolle der Bibliotheken bei der Schulung der Benutzerinnen und Benutzer hervorgehoben. Die Situation bei der Informationsgewinnung und -weiterverarbeitung wird ja durch die neuen Möglichkeiten nicht übersichtlicher und leichter, sondern komplizierter. Daneben darf allerdings der notwendige Aspekt der Schulung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Bibliotheken selbst nicht vergessen werden. Wie sollen wir die Benutzung sinnvoll unterstützen, wenn nicht zuvor die eigenen Angestellten zu Spezialisten weitergebildet worden sind?

Im Bereich der kostenlos zur Verfügung stehenden Ebooks im urheberrechtsfreien Sektor werden wir einen dramatischen Rückgang der im Leihverkehr versendeten Werke sehen. Die Bibliotheken werden zu Recht auf die digitalisierten Ausgaben verweisen und die Versendung solcher Materialien in physischer Form an strenge Voraussetzungen knüpfen. Mit der Durchsetzung der Ebooks in diesem Bereich wird auch die Notwendigkeit von Bibliotheksreisen erheblich zurückgehen. Ein Buch, das heute nicht mehr in der Fernleihe versendet wird, steht dann nicht nur in der entfernten Bibliothek als gedrucktes Exemplar zur Verfügung, sondern ohne jede Einschränkung im Internet ohne Wartezeit bei der Ausleihe und Berücksichtigung der Öffnungszeiten eines Lesesaales. Eine weitere, diesmal negative Konsequenz aus dem Aufkommen der von Verlagen kostenpflichtig produzierten Ebooks ergibt sich aus den Kauf- oder Lizenzverträgen. In aller Regel ist die Benutzung dieser Werke für die Zwecke der Fernleihe verboten. Das alte und durchaus bewährte System der deutschen Bibliotheken, sich gegenseitig mit ihren Beständen zum Wohle aller Benutzerinnen und Benutzer zu unterstützen, wird in diesen Fällen ausgehebelt. Eine spezielle Herausforderung an das Verhandlungsgeschick zur Gestaltung der Verträge kommt auf die SSG-Bibliotheken zu. Dieses Material wird ja explizit nicht für die Benutzung am Ort erworben, sondern für die Bereitstellung in der überregionalen Literaturversorgung. Hier muss Sorge getragen werden, dass dieser Auftrag noch erfüllt werden kann. Dabei müssen sicherlich auch neue Modelle der Benutzung erarbeitet werden.

Welche Rolle spielt die Bibliothek als Produzent von Ebooks?

Regine Tobias: Bibliotheken sind nicht nur Käufer und Nutzer von Ebooks, sondern finden im digitalen Umfeld auch eine neue aktive Rolle als Produzenten von elektronischen Büchern – wenn sie sich dieser Herausforderung stellen. An fast allen großen Universitäten gibt es seit Ende der 1990er Jahre Hochschulschriftenserver, die universitätseigene Veröffentlichungen – allen voran elektronische Dissertationen – im Internet anbieten. Aber es zeigt sich, dass viele Wissenschaftler zum Abschluss ihrer Forschungsarbeit doch gerne ein Buch in der Hand halten und bei Buchprodukten die Akzeptanz von reinen elektronischen Publikationsplattformen zu gering ist. Daher bietet es sich geradezu an, diesen Service mit modernen Verlagsdienstleistungen zu koppeln. Das ist heute viel leichter umsetzbar als noch vor Jahren. Der Digitaldruck hat in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht, sodass parallel zum Ebook gedruckte Kleinauflagen als Print on Demand zu vertretbaren Preisen und guter Qualität erstellt werden können. Diesem Konzept gehört die Zukunft, das gilt sowohl für die etablierten Verlage als auch für Verlagsgründungen aus dem Wissenschaftsbereich selbst.

In den letzten zehn Jahren wurden an einigen Universitäten eigene Verlage herausgebildet, die meist auch an der dortigen Universitätsbibliothek angesiedelt sind. In allen Fällen haben hier die Universitäten auf die Veränderungen im Verlagsbereich mit drastisch steigenden Abonnementspreisen im Zuge der sogenannten „Zeitschriftenkrise“ reagiert. Gemäß den Empfehlungen von Wissenschaftsrat und Kultusministerkonferenz sollten hier alternative Publikationsformen etabliert werden. Doch der eigentliche Schub erfolgte im Zuge der Entwicklungen im Internet und im Bereich der digitalen Medien, die das Rollenverständnis der Akteure umgekrempelt haben. Wissenschaftler können heute im Extremfall ihre Forschungsergebnisse selbst im Internet publizieren und werden zu Herausgebern und Verlegern. Allerdings braucht sinnvolles, von der Wissenschaftswelt akzeptiertes Publizieren nach wie vor einen Rahmen, der die Werke auch im Internet durch Standardisierungen von Schnittstellen und entsprechende Metadaten sichtbar macht. Noch wichtiger sind die Einhaltung der Mechanismen der Qualitätssicherung durch koordiniertes Peer Review und Begutachtung sowie ein auf das Werk ausgerichtetes Kolektorat. Bibliotheken sind durch ihre Kenntnisse des Buchmarkts und den engen Kontakt zu den Fakultäten und Wissenschaftlern als Anlaufstelle für diese Aufgabe geradezu prädestiniert. Traditionelle Aufgaben wie Schriftentausch verlieren im Zeitalter des elektronischen Publizierens mit rasanter Geschwindigkeit an Bedeutung. Bibliotheken gewinnen als zentrale Dienstleistungseinrichtung eine neue Aufgabe als Servicezentrum des Publizierens, Druckens und Vertriebs von Literatur. Der Erfolg einzelner Universitätsverlage – der Universitätsverlag Karlsruhe hat in den fünf Jahren seines Bestehens bereits über 450 Bücher verlegt und übernimmt nach und nach die meisten Schriftenreihen der Universität – belegt diese Aussage eindrucksvoll.

Uwe Schwersky: Die Bibliotheken sind aus einem schlichten Grund hervorragend dafür geeignet, Digitalisierungsvorhaben durchzuführen: Wir besitzen die notwendigen Vorlagen! Insofern kommen bei der Digitalisierung selbst Google oder auch andere kommerzielle Anbieter nicht um die Bibliotheken herum. Diese Macht hätte vielleicht effektiver eingesetzt werden können, um für die Benutzerinnen und Benutzer mehr gesicherte freie Angebote zu realisieren. In Deutschland ist es bei der Digitalisierung Konsens, dass in Projekte nur urheberrechtsfreie Werke einbezogen werden bzw. die Erlaubnis von den Rechteinhabern eingeholt wird. Hier gibt es einen grundsätzlichen Unterschied in der rechtlichen Bewertung gegenüber z. B. den USA. Während in Deutschland bereits die Digitalisierung eines geschützten Werkes gegen das Urheberrecht verstößt, ergibt sich in den USA nach überwiegender Auffassung der Rechtsverstoß erst bei einer möglichen Zugänglichmachung, d. h nicht beim Digitalisierungsvorgang alleine. Auch bei Digitalisierungsvorhaben bei den Bibliotheken selbst ergeben sich grundsätzliche Unterschiede in der Herangehensweise zwischen amerikanischen und deutschen Bibliotheken. Während beispielsweise die Angebote zur Digitalisierung des Internet Archive immer nur die reinen Images umfassen, wird in Deutschland überwiegend die These vertreten, dass über die reinen Abbilder hinaus ein Mehrwert erzeugt werden muss. Dies führt z. B. in den von der DFG geförderten Projekten zur Erstellung von Metadaten, die in der Regel intellektuell eingegeben werden müssen. Über diese Metadaten gelingt es, die Struktur der Werke recherchierbar und über Links zugänglich zu machen. Dadurch wird natürlich die Navigierbarkeit bedeutend erleichtert. Auf der anderen Seite führt dies durch den erheblichen Aufwand zu einer Kostensteigerung der Projekte.

Dr. Michael Mönnich: Im Rahmen einer Vielzahl von Projekten sowie durch Eigeninitiative zahlreicher Bibliotheken werden immer größere Teile der urheberrechtsfreien Bestände deutscher Bibliotheken digitalisiert. Bei diesen Aktionen findet bislang jedoch nur in geringem Umfang eine Koordinierung der lokalen Aktivitäten statt. Dies ist sicherlich auch geschuldet der Vielzahl von Projektträgern. Konkret stellt sich die Frage, ob man bei der Digitalisierung beim Scannen der Originale mit vertretbarem Aufwand prüfen kann oder soll, ob an anderer Stelle bereits ein Digitalisat erstellt wurde, ob dieses qualitativ ausreichend ist und ob es frei nutzbar ist. Derzeit scheint es so zu sein, dass bei der Massendigitalisierung der Aufwand für diese Recherche größer ist als die eigenen Originale mit einem voll automatischen Buchscanner ungeprüft zu verarbeiten. Leider ist nicht absehbar, dass an irgendeiner Stelle ein großes Register der digitalisierten Bestände eingerichtet werden würde.

Werden Ebooks das wissenschaftliche Arbeiten verändern?

Dr. Michael Mönnich: So wie sich elektronische Zeitschriften im Bereich der Forschungen durchgesetzt haben, so werden Ebooks unverzichtbar für die künftigen Studentengenerationen sein. Viele Verteter der schreibenden und lesenden Zunft sind zwar der Ansicht, dass gedruckte Bücher auch in Zukunft nicht verdrängt werden, doch nur die wenigsten von uns verfügen doch über wirkliche Erfahrung in der Arbeit mit Ebooks. Können wir die Vor- und Nachteile des gedruckten Buches gegenüber dem Ebooks wirklich einschätzen? Ich gehe jedenfalls davon aus, dass im Bereich der Wissenschaft das Ebook über kurz oder lang jede Art von gedrucktem Buch ersetzen wird.

Auf welcher technischen Plattform die Ebooks künftig gelesen werden, ist heute noch nicht absehbar, ich nehme aber an, dass es im akademischen Umfeld eher ein multifunktionales Gerät wie das Notebook sein wird, mit dem Wissenschaftler nicht nur mit Literatur, sondern auch mit anderen digitalen Daten arbeiten können. Im privaten Bereich hingegen könnte sich ein spezialisiertes Ebook-Lesegerät durchsetzen, wobei Preis und Ergonomie sicherlich die entscheidende Rolle spielen werden. Oder das Ebook wird in diesem Bereich künftig durch mobile Kleingeräte wie PDAs oder iPhone genutzt werden. Welche Geräteplattform sich auch immer durchsetzen wird, in jedem Fall kann man davon ausgehen, dass sich das Nutzerverhalten durch ein immer größer werdendes Angebot an Ebooks sehr stark verändern wird. Als die OPACs eingeführt wurden, gab es nicht wenige Stimmen, die die Vorzüge des Zettelkataloges – Haptik, Browsing, Permanenz – als Argumente für dessen Unabdingbarkeit anführten. In einigen Jahren werden die Studenten gedruckter Studienliteratur vielleicht mit dem gleichen Unverständnis begegnen, mit dem sie heute vor einem Zettelkatalog stehen. Hinzu kommt, dass ja nicht nur von Verlagen oder Institutionen angebotene Ebooks und Digitalisate die Vorherrschaft des gedruckten Buches bedrohen, sondern dass auch Internetangebote wie Wikipedia oder Leo.org Bücher immer mehr ersetzen, ohne selbst Bücher im eigentlichen Sinne zu sein oder zu sein vorgeben.

Regine Tobias: Ebooks verändern das wissenschaftliche Arbeiten auch noch in einem ganz anderen Sinn: Heute erwarten Verlage verstärkt von den Wissenschaftlern, dass sie ihre Forschungsergebnisse, die sie als Buch veröffentlichen möchten, gleich selbst als Ebook vorlegen. Von Verlagsseite aus werden in vielen Fällen lediglich Stylesheets und Formatvorlagen gestellt, die rein technische Satzarbeit leistet oft der Wissenschaftler selbst. Sicherlich gibt es hier noch große Unterschiede in den Konventionen zwischen den einzelnen Fachdisziplinen. Das gilt auch für die Autoren und ihren Fähigkeiten, wie sie mit den unterschiedlichen Satzprogrammen umgehen: In den Geisteswissenschaften dominiert immer noch Microsoft Word, in den technischen und naturwissenschaftlichen Fächern wird überwiegend TeX verwendet, das sich auch für die Darstellung von Formeln eignet. Wie sich der Verlag auch immer im Einzelfall verhält, so zeigt sich doch eine klare Tendenz, dass sich Wissenschaftler im digitalen Zeitalter vermehrt mit gestalterischen Tätigkeiten wie Satzspiegel beschäftigen müssen, anstatt ihre wertvolle Zeit originär mit Forschung zu verbringen.

Uwe Schwersky: Die Entwicklung der Ebooks wird insbesondere im Bereich der Geisteswissenschaften einen etwas anderen, vielleicht auch nur verzögerten Verlauf im Vergleich zu den Naturwissenschaften und Technik nehmen. Zwar benutzen auch die in der Wissenschaft Tätigen in diesen Bereichen heute alle PCs, aber immer noch oft genug als Ersatz für die Schreibmaschine. Mit anderen Worten, das Potenzial der elektronischen Revolution, das heute bereits in vielen Wissenschaften ausgenutzt wird, erreicht bei weitem noch nicht den möglichen Grad der Realisierung. Aber in dem Maße, in dem jüngere Forscherinnen und Forscher nachkommen, die selbst mit PC und Internet aufgewachsen sind, werden auch in den Geistes- und Sozialwissenschaften die Anforderungen an die Informationsanbieter wachsen. Diese nächste Generation wird nicht mehr akzeptieren, Wochen auf die Kopie eines Artikels zu warten oder die Informationen nur in einem Lesesaal zur Verfügung gestellt zu bekommen, der sonntags nicht geöffnet ist.

Wie bewerten Sie Google Books?

Dr. Michael Mönnich: Google Books ist in mehrfacher Hinsicht sehr interessant. Natürlich beeindruckt zunächst die pragmatische Vorgehensweise, die typisch amerikanisch einfach mal anfängt, die riesige Masse von Bibliotheksliteratur einzuscannen. Es gibt ja durchaus schon seit längerer Zeit verschiedene Digitalisierungsprojekte, die von öffentlichen Hand gefördert, mit zum Teil großem Aufwand, jedoch nur verstreut und punktuell, Buchbestände digitalisieren. Der entscheidende Unterschied zu Google Books ist jedoch, dass hier nun eine kritische Masse erreicht wurde – oder in Kürze erreicht wird, durch die dieser Bestand eine neue Qualität bekommt. Das ist vergleichbar mit dem Übergang einer privaten Büchersammlung zu einer Bibliothek.

Zudem kann man bereits heute bei Google Books erkennen, welche Mehrwertdienste über das bloße Bereitstellen der Texte hinaus möglich sind: Das Anlegen und Verteilen von eigenen Bücherlisten, das Suchen nach verwandten Titeln, das Anzeigen von wichtigen Textpassagen, die Verknüpfung mit anderen Internetdiensten wie Bibliothekskatalogen, Internetsuche, Geodaten usw. eröffnen bisher unbekannte Möglichkeiten. Von daher ist es nur konsequent, dass Google Books sich nicht auf den kleinen Anteil der urheberrechtsfreien Literatur beschränken will, sondern auch den großen Bereich der nicht mehr im Handel erhältlichen, jedoch durch das Urheberrecht noch von der freien Nutzung ausgeschlossenen Literatur in seine Sammlung aufnehmen will. Der dazu notwendige juristische Rahmen wird vermutlich mit dem „Google Settlement“ erreicht, wobei die VG Wort wohl nun in Absprache mit dem Börsenverein versuchen wird, die von deutschen Autoren verfassten Werke von dieser Art der Nutzung auszunehmen. Ob damit den Interessen der Autoren gedient wird – jeder Autor möchte doch, dass sein Werk gelesen wird – sei dahingestellt. Nur Plagiatoren wäre damit gedient, denn in Google Books werden Plagiate leicht sichtbar.

Was die Recherchemöglichkeiten angeht, so sind diese in Google Books noch sehr unbefriedigend. Sucht man beispielsweise nach dem Titel einer Zeitschrift, so erhält man die lange Liste aller bislang digitalisierten Bände, die zudem noch statisch gemäß dem Google Books Rankingmechanismus sortiert sind. Es ist aber anzunehmen, dass hier im Laufe der Zeit Verbesserungen eintreten werden.

Regine Tobias: Google Books hat die Welt der Wissenschaftler in ihrer Einstellung zum Buch entscheidend verändert. In bücherbezogenen Wissenschaften hat Google in manchen Fällen eine Art Goldgräberstimmung ausgelöst. Gerade die Geisteswissenschaften profitieren von digitalisierten Bücherschätzen, die teilweise schlecht nachgewiesen und in Magazinen verstaubt waren und die jetzt durch Google Books einen völlig neuen Zugriff finden. Diese Begeisterung schlägt auch auf den Universitätsverlag und die Bereitschaft, darin zu veröffentlichen, zurück. Wir verzeichnen vermehrt Autoren mit Buchprojekten aus geisteswissenschaftlichen Fachbereichen, die anfangs im Vergleich zu anderen Wissenschaftsbereichen doch eher zurückhaltend waren. Die Meldungen unserer Verlagspublikationen an Amazon und Google Books sind dabei ein wichtiges Marketingargument für die Autoren.

Uwe Schwersky: Google Books wird innerhalb sehr kurzer Zeit die Rolle der Bibliotheken auf radikale Weise in Frage stellen. Ich bin davon überzeugt, dass alle gedruckten Werke, die in der westlichen Welt veröffentlicht worden sind und nicht mehr dem Urheberrecht unterliegen, innerhalb der nächsten Jahre weltweit kostenlos 24 Stunden am Tag auf jedem PC mit Internetzugang sofort zur Verfügung stehen werden. Dabei hilft die monopolartige Stellung, die die Google Suchmaschine in weiten Bereichen innehat, dem Projekt Google Books. Allgemeine Suchanfragen und solche, die sich auf die Lokalisierung von Büchern richten, werden über Google gestellt, und man kann davon ausgehen, dass die Werke, die über Google Books angeboten werden, in der Ergebnisliste oben eingereiht sind. Und Google bleibt nicht – wie schon erwähnt – beim Anbieten der reinen Images stehen. Sie werden die Daten, die sie haben, miteinander verbinden, um zusätzliche Informationen zu generieren, einen Mehrwert zu erzeugen. So sehen wir bereits Verbindungen zu Wikipedia, selbst wenn die Werke nicht mit einer ISBN versehen sind, oder auch die Verknüpfung mit Geodaten.

Die Navigierbarkeit innerhalb eines gescannten Werkes wird z. B. bei den durch die DFG geförderten Projekten durch die überwiegend intellektuelle Erstellung von Metadaten erreicht. Google Books hat dazu automatisierte Verfahren entwickelt, die in Teilen schon hervorragende Ergebnisse liefern. Ein solches Beispiel kann man sich z. B. beim Inhaltsverzeichnis des Werkes von Gustav Rose „Elemente der Krystallographie“ anschauen. Alle Elemente dieses Inhaltsverzeichnisses, das bis zur vierten Ebene geht, sind direkt ansteuerbar. Es lassen sich natürlich auch noch Gegenbeispiele finden, aber die Richtung der Entwicklung ist klar.

Dies gilt auch für die Frage der automatischen Texterkennung, insbesondere von Frakturschriften. Während das europäische Projekt IMPACT (Improved Access to Text) läuft, das seit dem Jahr 2008 für vier Jahre mit insgesamt 15 Millionen Euro gefördert wird, ist Google längst dabei. Die Ergebnisse schwanken hier allerdings noch sehr stark zwischen purem Nonsens und hervorragender Lesbarkeit des Textes. Als Beispiel für diese zweite Kategorie lässt sich ein Werk anführen, dass von der Bayerischen Staatsbibliothek zur Verfügung gestellt wurde: „Preussens Beamtenthum und seine Finanzen“. Es gehört wenig Phantasie dazu sich vorzustellen, dass Google Books auch auf diesem Gebiet innerhalb kurzer Zeit weitere Erfolge wird vorweisen können.

Aus meiner Sicht kann man angesichts der aktuellen Bemühungen bei der Digitalisierung von gedrucktem Material, das nicht mehr dem Urheberrecht unterliegt, das Bild vom Hasen und Igel bemühen. Den Bibliotheken kommt dabei die Rolle des unglücklichen Hasen zu, der sich vergeblich abrackert, seine Niederlage nicht wahrhaben will, nicht über die Umstände nachdenkt und schließlich vor Erschöpfung tot umfällt. Der Igel streckt uns immer schon die Zunge heraus: „Ich bin schon hier!“ Und unser Wettlauf geht nicht einmal gegen ein cleveres Igelpaar, sondern gegen eine äußerst effiziente Firma, die immer den Preis des Wettlaufs „einen Golddukaten und eine Flasche Branntwein“ vor Augen hat. Wobei Google wohl eher den ersten als den zweiten Teil im Sinn haben wird. Aus meiner Sicht müssen sich die Bibliotheken vom Tunnelblick des Hasen befreien und neu über das Thema Digitalisierung nachdenken.