1979
– Die ersten geklonten Mäuse und das DBI-Modellprojekt
"Öffentlichkeitsarbeit wissenschaftlicher Bibliotheken"
erblicken das Licht der Welt

Erlesenes von Georg Ruppelt

Zum vorletzten Mal hat der Glossenschreiber für die Leser von B.I.T.online in alten ZfB- und ZfBB-Bänden geblättert und sich damit erneut einer Aufgabe unterzogen, die, wie das Leben insgesamt, Lust und Frust bereitet. Es ist noch das Jahr 1989 vorgesehen, dann hört's aber auf! Er hat also in den beiden Jahrgangsbänden von 1979 geblättert und dabei mehr Frust als Lust empfunden, was bei den zwei vorher besprochenen Jahrgängen, nämlich 1959 und 1969, anders war.

Woran mag dies liegen? Im Falle des Zentralblattes für Bibliothekswesen glaubt der Glossist (eine bewundernswerte, kreative Wortbildung analog zu Grossist) es zu wissen: Es ist die Tatsache, dass er die Sprache vieler Beiträge nur mühsam versteht. Die ritualisierte Ausdrucksweise in manchen Artikeln ist ihm, der immer in der Bundesrepublik gelebt hat, so fremd, dass er sie oft gar nicht versteht. Und, um das Auffälligste gleich vorweg zu nehmen, anders als in den früher besprochenen Jahrgängen kommt die Bundesrepublik Deutschland in dem Band kaum noch vor. Konnte man sich 1959 und 1969 sehr verlässlich und objektiv über aktuelle Ereignisse auch des westdeutschen Bibliothekswesens im Nachrichtenteil von ZfB informieren, sind es im Jahrgang 1979 insgesamt lediglich zwei Berichte und zwei Buchbesprechungen, die Bezug haben zum fernen Land jenseits der Elbe.

Und wie steht es mit der Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie, was stimmt den Glossisten hier retrospektiv miss? Er weiß es nicht so recht; ihn verdrießt wohl der wieder einmal so deutliche Hinweis auf die Vergänglichkeit allen irdischen Tuns. Das Deutsche Bibliotheksinstitut (DBI) wurde 1978 gegründet. Der Glossist erinnert sich an seine vergeblichen Versuche als DBV-Vorsitzender, dessen Abwicklung 20 Jahre später zu verhindern. Und über das andere ferne Land jenseits der Elbe erfährt man auch in dieser Zeitschrift nicht viel.

Ostelbisch oder westelbisch, etwas haben beide Jahrgänge gemeinsam: Sie berichten viel über RAK und so gut wie gar nichts über das Öffentliche Bibliothekswesen. Doch bevor wir uns den beiden Jahrgängen der beiden Bibliothekszeitschriften der beiden deutschen Staaten zuwenden, hier, wie immer, noch einige Hinweise darauf, was die Welt sonst noch bewegt hat:

Und nun zurück zum 600 Seiten umfassenden 23. Jahrgang (1979) vom

Zentralblatt für Bibliothekswesen, Leipzig: VEB Bibliographisches Institut
(Chefredakteur Wolfgang Korluß, verantwortlicher Redakteur Hans Joachim Funke).

Nahezu jedes der zwölf Hefte enthält Berichte und Absichtserklärungen der wissenschaftlichen Bibliotheken zu Ehren des 30. Jahrestages der DDR sowie Berichte über die Entwicklung des sozialistischen Bibliothekswesens. In Heft 3 wird es sogar außenpolitisch, und zwar über das Bibliothekarische hinausgehen:

Was gibt es in dem Jahrgangsband an nicht Zeitgebundenem? Noch 30 Jahre später möchte man Friedhilde Krause, der damaligen Generaldirektorin der Deutschen Staatsbibliothek, gratulieren, die für das Heft 10 verantwortlich zeichnete. Es ist ein Themenheft "zum 75. Jahrestag des Beginns der Arbeiten am Gesamtkatalog der Wiegendrucke" (S. 441-504) und enthält internationale Berichte von den Originalschauplätzen über den Stand der Inkunabelkatalogisierung vor Ort. Berichtet wird aus:

Belgien, Brasilien, der Bundesrepublik Deutschland, der ČSSR, Dänemark. der Deutschen Demokratischen Republik, Frankreich, Großbritannien, Italien, Jugoslawien, den Niederlanden, Österreich, Polen, Portugal, Rumänien, Schweden, der Schweiz, der Sowjetunion, Spanien, Ungarn und den Vereinigten Staaten von Amerika.

Alexander Greguletz erinnert aus sozialistischer Sicht an "Fritz Milkau (1859-1934) als Bibliotheksdirektor" (S. 5-13). Leonhard Hoffmann beantwortet detailliert und mit Illustrationen versehen die Frage "Ist Gutenberg der Drucker des Catholicon?" (S. 201-213). Klaus Walther gibt einen spannenden Einblick in seine Forschungen zu "Köln: Bei Peter Hammer. Befunde zu einem fingierten Impressum" (S. 302-307).

Nachhaltig interessant dürften auch die Diskussionsbeiträge über die "Informationskrise", also die steigende Zahl von Zeitschriften und Büchern, bleiben, über die schon Leibniz 1668 klagte: "Es ist zuvörderst männiglich unverborgen, welchergestalt alle Frankfurter Oster- und Herbstmesse eine große Menge neuer Bücher, so sich gemeiniglich auf etliche 100 belaufen, herauszukommen pflegen. Dadurch aber endlich alle Wissenschaften und Fakultäten dergestalt überhäuft werden, dass man schon allbereit nicht mehr weiß, was man in solcher Menge brauchen und wo man ein jedes suchen soll." (S.113)

Ein näheres Hinsehen verdient auch der Beitrag von Alexander Greguletz "Zum Berufsethos des Bibliothekars unter dem Blickwinkel der Erziehung und Ausbildung" (S. 394-403), zumal in der zeitgleich erschienenen, 525 redaktionelle Seiten starken

Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie. Hrsg. von C. Köttelwesch unter Mitwirkung von
H.-P. Geh, P. Kaegbein, F. G. Kaltwasser, W. Kehr, D. Oertel, G. Pflug, W. Totok, E. Vesper.
Frankfurt a. M.: Klostermann.

auch über inhaltliche Aspekte des bibliothekarischen Berufes diskutiert wurde, freilich mit sehr anderen Inhalten.

Hartwig Lohse schreibt darin einen von Polemik nicht freien "Beitrag zum Berufsbild des höheren Bibliotheksdienstes" "Der Bibliothekar und seine Fachwissenschaft", den er - was den Glossisten anrührt - seinem "Bruder und Kollegen Gerhart Lohse" widmet. Der Beitrag richtet sich gegen einen Aufsatz von Franz-Heinrich Philipp in der ZfBB vom Jahrgang 1978 und grundsätzlich gegen wissenschaftliche Betätigung von Bibliothekaren (S. 253-265).

Ohnehin ist viel von Kritik die Rede in diesem Jahrgang von ZfBB, etwa wenn es um die "Struktur der integrierten Hochschulbibliothek" geht (Peter Böhm, S. 461-473) oder Richard Landwehrmeyer über die Ergebnisse einer Umfrage der Alexander von Humboldt-Stiftung referiert: "Bibliotheken in der Kritik" (S. 267-279).

Was gibt es Neues? Nun, vor allem das neue Gebäude der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz in Berlin (West), das am 15. Dezember 1978 eröffnet wurde. Ab Seite 1 kann man sich bis zur Seite 12, wenn man will, über "Die Funktion der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz", die es so nicht mehr gibt, informieren. Auch das Deutsche Bibliotheksinstitut (DBI), das am 1. Oktober 1978 sein Arbeit aufgenommen hatte, ist nur noch von historischem Interesse (S. 141-142). Geblieben aber ist die Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg - und wie! Sie feierte in diesem Jahr 1979 ihr 500-jähriges Jubiläum. Horst Gronemeyer berichtet darüber (S. 371-382).

Auch die Universitätsbibliothek Freiburg erhielt am 2. Oktober 1978 einen Neubau. In Wolfenbüttel wird der "Wolfenbütteler Arbeitskreis für Bibliothekgeschichte" gegründet mit den Komitee-Mitgliedern Jürgen Eyssen, Ernst L. Hauswedell, Gerhard Liebers, Paul Raabe, Peter Vodosek und Karl-Heinz Weimann. In Darmstadt wird ein Modellprojekt des DBI installiert. "Öffentlichkeitsarbeit wissenschaftlicher Bibliotheken" - ein Thema, das schon seit Milkaus Zeiten immer mal wieder zur Sprache kam (damals nannte man das noch in aller Unschuld Propaganda), aber letztlich lange Zeit für unter der Würde wissenschaftlicher Bibliotheken gehalten wurde, wie der Glossist, der dem Projektbeirat angehörte, in einem Beitrag im ZfBB-Sonderheft von 1994 nachgewiesen hat.

Vom Berliner Bibliothekartag gäbe es einiges zu berichten, doch der Glossist weist (etwas neidisch) nur auf die damaligen sommerlichen Temperaturen hin und auf die Wahl von Jürgen Hering zum VDB-Vorsitzenden. 30 Jahre später, am 1. Juli 2009, wurde ihm das Bundesverdienstkreuz für seine Verdienste um das Bibliothekswesen ausgehändigt. Herzlichen Glückwunsch!

Der Bibliothekartag tagte und feierte u. a. in der Berliner Kongresshalle, der "Schwangeren Auster". Ein Jahr später, am 21. Mai 1980, stürzte deren Dachkonstruktion ein. Dem Glossisten gelang es nicht zu ermitteln, ob zwischen beiden Ereignissen ein ursächlicher Zusammenhang bestand.


Autor

Dr. Georg Ruppelt

Direktor der Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek -
Niedersächsische Landesbibliothek

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Georg.Ruppelt@gwlb.de