Bockenkamm, Detlef: Geraubt. Die Bücher der Berliner Juden


- Berlin: Zentral- und Landesbibliothek, 2008. 79 S.
- ISBN 978-3-925516-36-8 Euro 9.00

Die Berliner Zentral- und Landesbibliothek hat sich in den letzten Jahren zielstrebig mit ihren Buchbeständen aus jüdischem Besitz auseinandergesetzt und regelmäßig über Fortschritte berichtet. Das geschah u.a. 2005 auf dem Zweiten Hannoverschen Symposium "Jüdischer Buchbesitz als Raubgut"1 und 2006 auf einem Workshop des Regionalverbandes Berlin-Brandenburg des Vereins Deutscher Bibliothekare zum Thema "Raubgut in Berliner Bibliotheken"2.

Die neue Publikation geht einen Schritt weiter. Bockenkamm postuliert, dass die Berliner Stadtbibliothek als Gründungsmitglied der heutigen Zentral- und Landesbibliothek Berlin "seit den Jahren 1933-1945 und darüber hinaus in erheblichem Maße Bücher und Autographen in Besitz und Verwahrung genommen" hat, "welche zuvor ihren rechtmäßigen Eigentümern im Zuge von Verfolgungs- und Arisierungsmaßnahmen zu Verkauf oder Aufgabe des Besitzes gezwungen waren." (S. 11)

Um die Dimensionen zu zeigen, mit der sich die heutige Zentral- und Landesbibliothek Berlin zu beschäftigen hat, soll auf die komplizierte Bibliothekssituation nach der Zerschlagung des Faschismus hingewiesen werden: In den ersten Jahren kam es zu einer engen räumlichen, institutionellen und verwaltungstechnischen Zusammenarbeit von Stadtbibliothek (1905 gegründet), Ratsbibliothek (1815 gegründet und 1955 der Stadtbibliothek angeschlossen), Mehring-Bibliothek (1946 aus dem Bergungsgut verschiedenster Provenienz als Bibliothek zur Geschichte der Arbeiterbewegung gegründet und 1950 der Stadtbibliothek einverleibt) und Bergungsstelle für Bibliotheken (Juli 1945 gegründet zur Bergung und Verteilung von Bibliotheksgut und im Februar 1946 geschlossen).

Raubgutrelevante Zugänge sind Bestände aus der an der Preußischen Staatsbibliothek angesiedelten Reichstauschstelle, indexierte Bücher aus den Stadtbibliotheken, Angebote von Antiquariaten, Bestände von im Zuge der Gleichschaltung ab 1933 aufgelösten Vereinen sowie Teile des aus politischen Gründen geschlossenen Lessing-Museums im Berliner Nicolai-Haus. 1943 kaufte die Bibliothek 40 000 Bücher aus den Haushalten deportierter Juden, die in der Städtischen Pfandleihanstalt aufgestellt waren. Aus der Bergungsstelle kamen Teile von Bibliotheken wie der Bibliothek des Reichsinnenministeriums und Bibliotheken anderer Ministerien, Bibliotheken von Gewerkschaften und der SPD sowie Bibliotheken aktiver Parteimitglieder der NSDAP.

Diese Ausgangslage und die ersten Arbeitsergebnisse nimmt Bockenkamm zum Anlass, Zielvorstellungen zu formulieren, eine Auswertung von Provenienzerfassungen an ausgewählten Beständen wie dem Bestandssegment "Deutsche Literatur" der Hauptbibliothek, der Exlibris-Sammlung und der Mehring-Bibliothek) vorzustellen, Vorschläge zur Methodik des weiteren Ermittelns zu machen und Schlussfolgerungen zu ziehen. Mit einem Literaturverzeichnis sowie dem Abdruck der Checkliste Provenienzsuche der Koordinierungsstelle Provenienzsuche endet auf Seite 38 der Text. Es folgen nebst Vorbemerkung 40 Seiten Abbildungen. Dabei handelt es sich um jene 2 000 Bücher aus der von der Pfandleihanstalt angekauften 40 000 Bücher, die unter der Zugangsbezeichnung "J" bis zum Kriegsende eingetragen wurden - "ausgewählte Lebensspuren, sämtliche Besitzeinträge und andere Hinweise auf die rechtmäßigen Besitzer der gefundenen "J"-Bücher sind unkommentiert" (S. 39).

Diese kleine vorbildliche Studie zu den Bemühungen einer Bibliothek, sich dem Thema "Jüdischer Buchbesitz als Raubgut" zu stellen, verdient große Aufmerksamkeit.

Prof. em. Dr. Dieter Schmidmaier
Ostendorfstraße 50
D-12557 Berlin
dieter.schmidmaier@schmidma.com


Anmerkungen

1. Jüdischer Buchbesitz als Raubgut: Zweites Hannoversches Symposium. Frankfurt am Main, 2006. S. 305-320. Vgl. Rez. in: B.I.T.online 9 (2006) 3, S. 272-273.

2. Raubgut in Berliner Bibliotheken: Workshop des Regionalverbands Berlin-Brandenburg des Vereins Deutscher Bibliothekare am 12. Juni 2006. Berlin, 2007. S. 39-49.