1989
Das Jahr, in dem der Dalai Lama den Friedensnobelpreis erhielt
und der Wissenschaftsrat die Konversion alter Kataloge empfahl

Erlesenes von Georg Ruppelt

Ja, es war ein aufregendes und es war ein glückliches Jahr, dieses vorletzte Endziffer-9-Jahr des 20. Jahrhunderts. Unsere Welt veränderte sich, wurde verändert – und wir können sagen, wir sind dabei gewesen.

Diese Veränderung betraf nicht nur ein Datum, z. B. nicht nur den 9. November. Doch ist dieser ein Tag gewesen, an den man sich auch im ganz persönlichen Bereich erinnert, an den kleinen Alltagskram, wie etwa damals bei der Mondladung. Was ich gemacht habe am Abend des 9. November 1989, als Günter Schabowski …? Ich lümmelte vor dem Fernseher – das damals aktuellste Medium – und wollte meinen Augen und Ohren nicht trauen.

Doch es hatte sich schon vorher manches verändert, was auch in kleinen, eher individuellen Erlebnissen erfahrbar war. Die Herzog August Bibliothek war im Oktober 1989 mit ihrem Betriebsausflug im Ostharz und in Halberstadt unterwegs. Nachdem uns der Stadt- und Landschaftsbilderklärer die Vorzüge einiger Plattenbausiedlungen erläutert hatte, ging es sehr gegen seinen Willen mit unserem Bus weiter nach Gernrode mit seiner berühmten romanischen Stiftskirche St. Cyriakus. Was, um Himmels willen, hatte der Mann gegen ein großartiges romanisches Bauwerk einzuwenden? Im Prinzip wohl nichts; jedoch war, wie sich dann herausstellte, in dieser Kirche eine sehr engagierte Ausstellung der örtlichen Friedens- und Umweltbewegung zu sehen, von der wir bis dahin nichts wussten. Veränderungen! Unterwegs nahmen wir Anhalter mit, die aus ihrem Herzen keine Mördergrube machten.

Von der Herzog August Bibliothek gingen damals wichtige Impulse für das Bibliothekswesen aus. Enge Kontakte zu den westeuropäischen Ländern und insbesondere zu den Niederlanden wurden gepflegt. Die Migration von PICA in die Bundesrepublik nahm in Wolfenbüttel ihren Anfang. Enge Kontakte gab es auch schon seit langem in die osteuropäischen Länder, vor allem Polen, und zu deutschen Bibliotheken jenseits der Elbe in Berlin, Halle, Gotha, Leipzig, Weimar. Man besuchte sich gegenseitig, hielt öffentliche Vorträge und sprach nicht-öffentlich über alles und jedes. Verbandsvertreter aus den bibliothekarischen Gremien tagten gern in der kleinen Residenzstadt am Harz mit ihrer großen Bibliothek, in der Leibniz und Lessing gewirkt hatten. Eine rege Kommunikation also.

Schaut man in das ZfB oder die ZfBB des Jahrgangs 1989, so ist dort von all diesem nichts zu finden. Einem außenstehenden Leser mögen Bibliothekare bei deren Lektüre als mit Scheuklappen ausgestattete Fachidioten erscheinen, die weder die aktuelle politische Lage, noch auch die Fachdiskussion im je anderen Deutschland wahrnahmen – einmal abgesehen von wenigen Rezensionen. – Das alles waren die Bibliothekarinnen und Bibliothekare natürlich nicht, oder die meisten waren es nicht – auf beiden Seiten. Natürlich las man hüben und drüben jeweils beide Zeitschriften und war auf diese Weise durchaus gut informiert. Und es gab gute Kontakte unterhalb der offiziellen Ebene, nicht nur auf internationalen Tagungen, kollegiale, ja freundschaftliche Kontakte. Der Riss der vier Jahrzehnte durch Deutschland ging, hatte die bibliothekarischen Fachkollegen nie ganz trennen können.

Was gibt es aus dem 103. Jahrgang des Zentralblattes für Bibliothekswesen aus dem Bibliographischen Institut Leipzig (Chefredakteur Hans Joachim Funke) mitzuteilen? Führen wir einfach einmal einige Beiträge auf:

Und hier Aufsätze aus dem Jahrgang 36 der im Klostermann Verlag Frankfurt erschienenen Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie, der herausgegeben wurde von K. D. Lehmann und Mitwirkung von H. Braun, H.-P. Geh, J. Hering, P. Kaegbein, F. G. Kaltwasser, W. Kehr, U. Ott:

Und zum Schluss wie bisher noch einige Nachrichten, die außer den eingangs erwähnten, die Menschen bewegten:

* * * * * *

Damit endet die Folge der Glossen über vier Endziffer-9-Jahrgänge zweier bedeutender deutscher Bibliothekszeitschriften, die später schließlich zu einer wurden. Es war eine völlig subjektive und durchaus nicht zitierfähige Berichterstattung. Wenn sie bei dem einen oder der anderen eigene Erinnerungen wachgerufen hätte, hielte sich der Glossist für erfolgreich.

Die letzte Nachricht in der ZfBB 1989 ist ein „Bericht über die Bibliotheca ´89 und die Jahrestagung des DBV“. Auf letzterer wurde Jürgen Hering zum DBV-Vorsitzenden und Eva Homringhausen, Rita Mücke, Martin Sonn, Bernhard Adams, Georg Ruppelt und Jobst Tehnzen wurden in den Vorstand gewählt. – Ja, es war eine glückliche Zeit.


Autor

Dr. Georg Ruppelt

Direktor der Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek -
Niedersächsische Landesbibliothek

Waterloostraße 8
30169 Hannover
Georg.Ruppelt@gwlb.de