„Ich persönlich möchte auch nicht in Facebook sein.
Aber ich bin es. Weil es erforderlich ist.“

Ein Interview mit Janice R. Lachance, CEO der Special Libraries Association (SLA)
über die aktuelle Situation von Bibliothekaren und Information Professionals auf der ganzen Welt
sowie über die Chancen und Risiken, welche die Zukunft für diese Berufsgruppe beinhaltet.

Janice R. Lachance – eine Frau mit großem Interesse an der Gestaltung der Zukunft

Janice Lachance' Leidenschaft gehört der strategischen Mitgestaltung der Zukunft der Gesellschaft. Ob in ihrer Tätigkeit für die „National Academy of Public Administration“, einem gemeinnützigen Zusammenschluss von Topmanagern und Führungskräften, der amerikanische Regierungseinheiten berät; ob als Mitglied der US-Delegation beim Weltgipfel der Vereinten Nationen zum Thema Informationsgesellschaft, oder in ihrer Funktion als Vorstand der „American Society of Association Executives – Center for Association Leadership“, einer Beratungsorganisation für Führungskräfte im Bereich Verbandsarbeit: immer geht es darum, Organisationen auf den Umgang mit den Herausforderungen der Zukunft an die Gesellschaft vorzubereiten. Ihre große Expertise in Führungsarbeit beruht nicht zuletzt auch auf den Erfahrungen, die sie im Kabinett von US-Präsident Bill Clinton machte. Von 1997 bis 2001 war sie Direktorin des U.S. Office of Personnel Management, der Personalagentur der US-Regierung mit 3.700 Mitarbeitern und einem Budget von 27 Billionen US Dollar für die 1,8 Millionen öffentlich Bediensteten.

Seit sechs Jahres ist Janice R. Lachance nun Direktorin (CEO, Chief Executive Officer) der amerikanischen Vereinigung der Spezialbibliotheken SLA (Special Libraries Association). Mission, Vision und Strategie der SLA neu zu definieren, geht auf die Initiative der promovierten Juristin zurück. Für Lachance, die an der Tulane University School of Law in New Orleans/USA promovierte und ihren Bachelor-Titel am Manhattanville College in Purchase/USA erwarb, ist lebenslanges Lernen unabdingbar, um die Aufgaben der Zukunft bewältigen zu können. Deshalb ist auch die Click University der SLA, ein online-Aus- und Weiterbildungsinstrument für Information Professionals, ihr Werk. Sie steht auch für die expansive Öffentlichkeitsarbeit der SLA: Janice Lachance entwarf und leitet eine langfristig angelegte, umfassende Untersuchung mit dem Ziel, eine allgemein gültige und evidenzbasierte Vision von der Zukunft des Berufsstandes Information Professional und Special Librarian zu entwickeln und die Aufgabenstellung der SLA in diesem Prozess zu definieren. Die selbstgestellten Aufgaben treibt sie mit zukunftsorientiertem Optimismus, schier unerschöpflichem Elan und einem prall gefüllten Kalender für Vorträge vor Fachpublikum und Organisationen in der ganzen Welt voran.


Die SLA auf einen Blick

SLA, die Vereinigung der Spezialbibliotheken (Special Libraries Association) ist nach eigener Darstellung „eine weltweit tätige, gemeinnützige Organisation für innovative Information Professionals und ihre strategischen Partner“. Von ihrem Sitz in Alexandria im US-Bundesstaat Virginia vertritt sie über 11.000 Bibliothekare und Information Professionals in 75 Ländern, die aus so unterschiedlichen Bereichen kommen wie Wirtschaftsunternehmen, Forschungsinstituten, Museen sowie aus weiteren öffentlichen und akademischen Organisationen. Für ihre Mitglieder führt sie Studien zum derzeitigen und zukünftigen Status durch, bietet Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten und stellt ein internationales Netzwerk für den Erfahrungs- und Informationsaustausch zur Verfügung. Ihr besonderes Interesse an Europa zeigt die SLA mit ihrer Tochterorganisation: SLA Europe bietet Information Professionals in Europa eine Plattform für persönlichen Austausch und Weiterbildung mittels regelmäßiger Treffen und Veranstaltungen. Um außerordentliche Leistungen ihrer Mitglieder zu würdigen, vergibt sie jedes Jahr den Titel Information Professional des Jahres.

Michael Fanning, Geschäftsführer der Online Consultants International GmbH, ist seit 1. Oktober 2009 neuer Landesvertreter der SLA Europe für Deutschland. Er ist ein erfahrener Beobachter des deutschen Informationsmarktes und Spezialist auf dem Gebiet der Informationszugangsrechte. Große Fachkenntnis besitzt er in der Erforschung, Analyse und Interpretation der Informationsmärkte. Er ist Autor der SLA Studie von 2008 „Impulse for growth“, die den Status der Information Professionals in Deutschland untersuchte und einen Überblick über die Fachverbände gibt, die sie vertreten.

http://www.sla.org
http://www.sla-europe.org

Detailliertere Informationen zu Status, Kompetenzen und Zukunftsperspektiven des Information Professionals sind im Internet veröffentlicht unter:

http://www.sla.org/content/SLA
/alignment/portal/index.html

http://www.sla.org/content/learn
/members/competencies/index.cfm

http://www.sla.org/content/SLA
/annualcampaignPDC/index.cfm

Lachance: Sie fragen nach Problemen. Ich beginne lieber mit den Chancen, die Spezialbibliothekare und Information Professionals im digitalen Zeitalter haben. Die Berufsgruppe hat die Gelegenheit, sich eine anerkannte Position in der Organisation, in der sie arbeitet, zu sichern. Nur Informationsfachkräfte können das Überangebot an Information auf Relevanz, Aktualität und Glaubwürdigkeit prüfen. Die Organisationen sind daher auf die Kompetenz und Expertise von Information Professionals angewiesen.

Selbstverständlich gibt es auch Probleme. Das größte davon ist meiner Meinung nach die Auffassung, im digitalen Zeitalter könne jeder dank der Suchmaschinen im Internet alles finden, was er sucht. Diese – natürlich falsche – Auffassung führt leider auch dazu, dass Organisationen sich von ihren Informationsspezialisten trennen.

Lachance: Ja, die Problematik besteht in allen Ländern. Ich komme gerade von einer Konferenz akademischer Bibliothekare in Neu Delhi. Hätte ich meine Augen geschlossen, ich hätte genauso gut auf einer Tagung in Frankfurt, Tokio oder in New York gewesen sein können. Natürlich gibt es auch länderspezifische Fragen wie z. B. die Einkommenssituation der Bibliothekare, aber die Gemeinsamkeiten sind deutlich größer. Die Frage, wie kommt eine fundierte Entscheidung zustande, ist unabhängig von Geographie und Kultur. Mit dem World Wide Web hat sich eine allgemeine Einstellung breit gemacht, die ich gerne als „do-it-yourself“-Mentalität bezeichne: Jeder glaubt, alles selbst zu können. Ich bin fest davon überzeugt, dass diese Haltung die Effektivität der Entscheidungsfindung weltweit schmälert. Das klingt fast so, als sei die SLA ein Gegner des Web. Das ist sie nicht. Sie will daran teilhaben – aber in einer strukturierten Form, die zu einer Bereicherung der Informationsbeschaffung führt und nicht zu einem Informationschaos. In den Händen von Spezialbibliothekaren und Information Professionals ist das Netz ein unglaublich leistungsstarkes Werkzeug. Laien laufen Gefahr, die Suchmaschinen-Antworten, die auf der ersten Seite im oberen Drittel gesetzt sind, als wichtig, richtig und ausreichend zu betrachten, weil sie die werbegesteuerten Ranking-Verfahren nicht kennen und meist auch nicht gelernt haben, die Qualität von Informationsquellen zu beurteilen. In diesem Umfeld wird die Informations- und Medienkompetenz der Information Professionals wichtiger denn je.

Lachance: SLA unterstützt die Mitglieder dabei, sich stärker an den strategischen Zielen ihrer Organisationen auszurichten. Die Informationsspezialisten müssen Informationsbedürfnisse erkennen und erfüllen noch bevor die jeweiligen Arbeitgeber wissen, dass sie diese Informationen brauchen. SLA hat eine mehrjährige Untersuchung in Angriff genommen, in der sie die Situation der Bibliothekare von allen Seiten beleuchtet: Wie sehen sich die Bibliothekare und Information Professionals selbst? Wie werden sie von den Verantwortlichen in den Organisationen wahrgenommen? Und welche Anforderungen werden an sie gestellt? Ein erstes Teilergebnis der Studie zeigt überdeutlich: Spezialbibliothekare und Information Professionals müssen ihren Wert für die Organisation besser sichtbar machen. Das gelingt immer dann gut, wenn sie ihren Beitrag zum Erreichen der strategischen Ziele mit einfachen Worten kommunizieren. Sie müssen ihre Rolle als Mittler zwischen Information – Wissen – Aktion hervorheben, denn diese Schlüsselfunktion der Informationsspezialisten bringt der Organisation die Wettbewerbsvorteile, die ihr im globalen Markt den Vorsprung sichern.

Lachance: SLA hat sich auch dieser Problematik angenommen. Wir sind überzeugt: Der Bibliothekar selbst ist sein bester Anwalt. Wir geben ihm Argumente, die Wirkung erzielen, Worte und Ausdrucksweisen, die seinen Wert sichtbar machen. Die Informationsspezialisten müssen das Ergebnis ihrer Tätigkeit in den Vordergrund stellen, nicht die Arbeit, die sie ausführen. Insiderterminologie ist tabu. Managing and disseminating information versteht kein Manager. Aber jeder versteht, dass Information Professionals relevante, aktuelle und sichere Informationen für eine fundierte Entscheidungsfindung zur Verfügung stellen. Nur auf diesem Weg gelingt die Kommunikation mit dem oberen Management. Ein solches Vorgehen setzt eine Verhaltensänderung bei den Spezialbibliothekaren und Information Professionals voraus.

Sie müssen lernen, über ihren Nutzen für die Organisation zu sprechen, nicht über ihr Tätigkeitsprofil und die Technik, die sie für ihre Arbeit benutzen.

Lachance: Ich denke, das sollte jeder für sich selbst entscheiden. Die Studie, die die SLA durchgeführt hat, bietet beiden Argumente, wenn der Bezug auf die individuelle Situation hergestellt wird. Gestern habe ich mich in Frankfurt mit Bibliothekaren getroffen, einige von ihnen bezeichnen sich als Information Professionals, weil sie die Aufgabe des Wissens- oder Berichtsmanagement übernommen haben. Eine Bibliothekarin sagte, sie sehe sich als Bibliothekarin, sie werde respektiert und ihre Arbeit geschätzt. Das ist gut so. Aber selbst diese idyllische Situation ist Veränderungen ausgesetzt. Die Bibliothekarin muss zum ersten Mal mit einem Budget auskommen. Ich will damit sagen, die Veränderungen wirken sich bei jedem Einzelnen anders aus. Auch die Geschwindigkeit, mit der die Bibliothekare in die Zukunft katapultiert werden, ist unterschiedlich.

Viele Bibliothekare werden von den Entwicklungen, die die digitale Welt hervorruft, überrascht, weil sie keine Ausbildung zu Informations-Managern erhalten haben. Dies ist ein weiteres Betätigungsfeld von SLA. Was wir in unserer Ausbildung gelernt haben, reicht nicht mehr für das ganze Berufsleben aus. Es ist heute unabdingbar, sich neue Fertigkeiten und Fähigkeiten anzueignen. Für Bibliothekare heißt das z. B., Managementqualitäten zu erwerben, mit Datenbanken umgehen zu können etc. SLA hat eigens dafür die Click University gegründet, eine online Aus- und Weiterbildungsinstitution. Hier können sich die Mitglieder das Wissen und die Qualitäten aneignen, die sie für eine erfolgreiche Zukunft brauchen.

Lachance: Spezialbibliothekare und Information Professionals werden in Zukunft eine sehr wichtige und geschätzte Position im Entscheidungsfindungsprozess ihrer Organisation innehaben. Sie werden zum inneren Kreis derjenigen gehören, die aus Daten und Informationen Wissen bereitstellen und das Wissen in Handlung einmünden lassen. Das ist ihre Rolle als Mittler zwischen Information, Wissen und Aktion. SLA bietet auch dabei Unterstützung; in Form eines internationalen Netzwerks, in dem Information, Wissen, Erfahrung über alle Grenzen hinweg geteilt wird. Eine globalisierte Welt braucht ein globales Netzwerk. Ein solches Angebot trifft den Nerv von Bibliothekarinnen und Bibliothekaren besonders, denn sie sind Menschen, die sich gerne gegenseitig helfen.

Lachance: Ständig die Qualifikation zu erweitern ist die erste Anforderung an Manager von Spezialbibliotheken. Viele Bibliotheksleiter haben in ihrer Ausbildung nicht gelernt, einen Haushalt zu beantragen, Personal oder Vertragsverhandlungen zu führen. Manager von Spezialbibliotheken müssen begreifen, dass neue Qualitäten erforderlich sind. Die zweite Anforderung ist dann, Verantwortung für die Ausbildung dieser Qualitäten zu übernehmen. SLA zum Beispiel bietet solche Qualifizierungs-Programme an.

Vielleicht ist es ein Trost für diejenigen, die die Veränderungen beklagen: Jeder von uns ist betroffen, ob es uns gefällt oder nicht. Ich persönlich möchte auch lieber nicht in Face-book sein, aber ich bin es, weil es erforderlich ist.

Lachance: Erfolgreiche Leiter von Bibliotheken machen schon lange nicht mehr die Arbeiten, für die sie ausgebildet wurden. Sie nehmen Management-Aufgaben wahr, sie haben gelernt, Führungskraft zu sein. Sie können ihre Mitarbeiter begeistern und mit Kunden kommunizieren. Sie brauchen Management-, Führungs- und kommunikative Qualitäten.

Lachance: Ja. das ist möglich. Wir haben beispielsweise mehrere Anleitungen auf unserer Website, wie man die Effektivität der Bibliothekarsarbeit messen kann. Unsere Mitglieder können von den Bibliothekaren, die diesen Weg schon beschritten haben, lernen. Der Wert ist tatsächlich in Zahlen darstellbar.

Ich stimme der Einschätzung zu, dass Spezialbibliotheken ihrer Position mehr Gewicht verleihen, ihren Wert besser darstellen und beweisen müssen, dass sie mit ihrer Arbeit einen wesentlichen Beitrag zum ROI leisten. Aber ich habe einen optimistischen Ansatz: Bibliothekare leisten einen sehr wertvollen Beitrag für die Wirtschaft, der global betrachtet Milliarden Dollar wert ist und ihre Qualifikation und ihr Wissen werden im Informationszeitalter dringender gebraucht denn je. Für Spezialbibliothekare und Information Professionals ist die Zukunft glänzend!