Bibliotheken und Bibliothekswesen in Frankreich
Rückschau auf ein Jahr als Student und Bibliothekar in Paris

Von Wolfgang Kaiser

1. Einführung: Die Rolle der Bibliotheken und ihre Nutzung

In der Frühjahrsausgabe 2008 der mittlerweile eingestellten Zeitschrift Label France fragte Florence Reynal ob Franzosen Bibliotheksratten seien und lieferte die Antwort gleich im nächsten Satz, dass Bibliotheken neben den Kinos zu den am zweitmeisten besuchten Kultureinrichtungen gehören.1 43% der Franzosen und Französinnen besuchen städtische Bibliotheken, wobei 17,4 % - das entspricht 5,6 Millionen Personen - eingeschrieben sind. Was mir gerade in der Region Paris auffiel war, dass vor allem die Pariser Stadtbibliotheken immer sehr gut besucht werden, insbesondere von Schülern und Studenten, die den Lernort Bibliothek täglich nutzen. Am Erstaunlichsten zu beobachten war, dass im Untergeschoss der Mc Donaldsfiliale in unmittelbarer Nähe des Hôtel de Ville regelmäßig eine große Anzahl von Schülern ihre Hausaufgaben erledigt, da die nächstgelegene Bibliothek am Centre Pompidou (BPI) regelmäßig überfüllt ist. Sehr oft kann es dort am Einlass durchaus 20-30 Minuten dauern und freie Plätze sind meist rar gesät, wenn die Nutzer oftmals erst nach einem Schul- oder Studientag diese Einrichtung aufsuchen. Die Mediatheken und Bibliotheken in und um Paris und im Rest Frankreichs sind, wie es das nationale Buchzentrum CNL ausdrückt „ein Ort der sozialen Integration und Schule für staatsbürgerliches Verhalten, der jedem Zugang zu Informationen, Kultur, Ausbildung und Freizeit bietet“. Der Bibliotheksbrand in Villiers-le-bel (Départment Val-d’Oise), einem Vorort von Paris, der während gewalttätiger Ausschreitungen Ende November 2007 gelegt wurde, hatte auch gezeigt, dass Bibliotheken als Orte der sozialen Integration in den sogenannten „Problemvierteln“ keine ausreichende Wertschätzung erfahren. An Orten an denen die Mehrheit der Bevölkerung trotz kulturellen Einrichtungen marginalisiert ist und von einer kulturellen und sozialen Spaltung betroffen ist, sind Bibliotheken mehr denn je in der Pflicht ihre Rolle als Orte der sozialen Integration gerecht zu werden. Dieses Ereignis sorgte auch im Seminar „Approches Sociologiques de quelques questions sociales“ an meiner damaligen Fakultät Métiers du livre in Saint-Cloud für reichlich Gesprächsstoff. Es war ja nicht zum ersten Mal, dass bei Ausschreitungen Bibliotheken (und andere kulturelle Einrichtungen) mutwillig zum Haß- und Zerstörungsobjekt geworden sind.2

Vorderansicht des Heinrich-Heines-Hauses; im linken Bildbereich befindet sich die Bibliothek

Je rends mes livres quand je veux = ich bringe meine Bücher zurück, wann ich will

Christophe Guilluy, ein Geograph, der mit der Thematik vertraut ist, erinnerte dieses Jahr daran, dass der Großraum Paris, die einzige und reichste Region Frankreichs ist, in der die Unter- und Mittelschicht in der Minderheit ist und die Einkommensungleichheiten in bestimmten Viertel sehr groß sind, was zu sehr starken Spannungen führt.3

Ausgehend von meinem einjährigen Aufenthalt in Frankreich will ich auf meine Zeit als Bibliothekar und Bewohner am Heinrich-Heine-Haus eingehen und meine Erfahrungen und Eindrücke im Studiengang Métiers du livre option bibliothéque beschreiben. Darüber hinaus soll hier die Bibliothek in Viroflay näher vorgestellt werden und ein Fazit aus aktuellem Anlass gezogen werden.

2. Ausgangssituation

Spätestens nach meinen ersten Auslandspraktika an den Goethe-Instituten Lyon und Rabat-Casablanca, wollte ich nochmals ins französischsprachige Ausland, um meine Sprachkenntnisse weiter zu vertiefen, das Bibliothekswesen besser kennen zu lernen und Kontakte mit Franzosen und Französinnen zu knüpfen.

Das Heinrich-Heine-Haus in Paris nimmt jährlich Praktikanten, sowohl für die Kulturarbeit, als auch für die Bibliotheksarbeit bei sich auf. Es ist kein gewöhnliches Studentenwohnheim, sondern ein vom DAAD finanziertes Kulturinstitut4, dessen einhundert Bewohner zur Hälfte Deutsche sind - der Rest stammt aus der ganzen Welt, wie es das meiner Ansicht nach antiquierte Konzept der Cité Internationale Universitaire (C.I.U.P.) für die Nationenhäuser vorsieht. Diese Fakten waren mir bereits zu Beginn meines Studiums bekannt. Obwohl für die Arbeit in der Bibliothek dort Absolventen bevorzugt eingestellt werden, bewarb ich mich bereits jährlich seit 2004. Glücklicherweise hatte ich unmittelbar vor der Beendigung meiner Diplomarbeit eine Zusage der dortigen Bibliothekarin erhalten, die es mir erlaubte für ein Jahr im Heinrich-Heine-Haus zu wohnen, halbtags in der Bibliothek zu arbeiten und gleichzeitig noch an einer der Pariser Hochschulen Vorlesungen zu besuchen. Nachdem ich während meines Studiums noch Bewerbungen an Hochschulen verschickte, die auch Bibliothekswesen bzw. Informationswissenschaften anbieten, erhielt ich schließlich eine Zusage an der Partnerhochschule der Fachhochschule Potsdam (meiner damaligen Hochschule), an der Universität ParisX. Zwei Hürden galt es zu bewältigen, bevor ich mich dann endgültig auf ein Studienjahr in Frankreich freuen konnte: als Nicht-Erasmusstudent den DALF (Diplôme approfondi de langue française) am Institut Français in Berlin zu bestehen und das Auswahlgespräch mit zwei Dozenten der dortigen Fakultät erfolgreich zu führen. Beides gelang mir schließlich, so dass ich bereits vor der Verteidigung meiner Diplomarbeit im Ende August 2007 ins Heinrich-Heine-Haus zog und am September offiziell meine Stelle in der Bibliothek antrat. Mit der Schließung und der Reduzierung der Bestände der Bibliotheken anderer deutscher Kulturinstitute in den letzten Jahren insbesondere an den Goethe-Instituten, ist die Bibliothek des Heinrich-Heine-Hauses mit „nur“ etwa 15.000-20.000 Bänden die größte deutschsprachige Bibliothek in Frankreich. Es wurde beispielsweise der Bestand der Bibliothek des Goethe-Instituts Paris von 35.000 auf etwa 5000 bis 8000 Titel verkleinert. Während meines Aufenthalts in Paris wurde das Institut nach zweijähriger Bauphase neu eröffnet und die „Büchersammlung“ konnte nur durch einen Aufschrei Intellektueller wie etwa dem ehemaligen EU-Kommissar Jacques Delors, Günter Grass und dem Politolgen Alfred Grosser gerettet werden.5 Im Übrigen heißt diese nun Informationszentrum. Die Bestände wurden größtenteils an die Stiftung Genshagen (Berlin-Brandenburgisches Institut für deutsch-französische Zusammenarbeit) und nach Ramallah abgegeben.

Die Öffnungszeiten der Bibliothek des Heinrich-Heine-Hauses wurden während meiner Tätigkeit dort auf Initiative des Studentenkomitees und dem Zugeständnis der Direktorin auf 23:30 Uhr verlängert und somit ist sie die Bibliothek mit den längsten Öffnungszeiten in Paris. Studentische Hilfskräfte aus dem Haus sind von Montag bis Sonntag für die Aufsicht der Bibliothek von 10 Uhr morgens bis zur Schließung verantwortlich. Vor allem wird die Bibliothek von Studenten aus dem Heinrich-Heine-Haus, Wissenschaftlern und Professoren genutzt. Es ist vor allem die deutschsprachige Literatur, die Philosophie und die Geschichte, die den Bestand dieser Einrichtung besonders auszeichnet. Für Leser der aktuellen deutsch- und französischsprachiger Tages- und Wochenpresse, von Belletristik und vor allem für französische Germanistikstudenten oder angehende Lehrer ist diese Bibliothek eine unverzichtbare Anlaufstelle geworden.

Als Diplom-Bibliothekar war ich an der Ausleihe tätig, für die Einarbeitung von Medien und für die Erteilung von Auskünften zuständig. Ich leistete Hilfe bei der Informationssuche und -vermittlung. Des Öfteren vertrat ich die Leiterin der Bibliothek, die neben der Bibliotheksarbeit auch für die Kulturarbeit des Hauses mitzuständig war.

Das 1956 erbaute Heinrich-Heine-Haus ist Teil der Cité Internationale Universitaire (C.I.U.P.) de Paris, die 1925 von französischen Großindustriellen finanziert wurde, um zukünftige Eliten zu beherbergen, aber vor allem um Völkerfreundschaft, den internationalen Austausch und Frieden zu schaffen. Das Kulturprogramm am Heinrich-Heine-Hause ist das vielfältigste und reichhaltigste an der C.I.U.P mit ihren 40 Häusern und 5500 Studierenden und Forscher aus aller Welt. Zumeist handelt es sich dabei um sogenannte Nationenhäuser, die oftmals von den Ländern nach denen sie benannt sind, finanziell unterstützt werden. Jeden Sonntag gibt es am Heinrich-Heine-Haus klassische Konzerte, an den Samstagen finden oftmals Literaturtagungen und Seminare statt. Während der Woche gab es regelmäßig Kulturveranstaltungen zur Integration, Religion, Geschichte, Politik und freitags wurden Filme (Ciné Club) gezeigt. Daneben gibt es noch Bibliotheken im Mexikohaus, das über den größten Bestand mexikanischer Literatur in Europa verfügt, eine spanischsprachige Bibliothek in der Maison d’Espagne“, sowie an der Maison Internationale, dem Haupthaus der C.I.U.P.

Ein Jahr mit gleichaltrigen Menschen am Heinrich-Heine-Haus zu leben, das täglich aufs Neue ein Studium Generale bietet und ein soziales Leben, das vom interkulturellen Austausch gekennzeichnet ist, kann ich nur jedem empfehlen, der noch Student ist. Dieser Ort kann ohne Umschweife als einer des umfassenden Wissens und der spannender Begegnungen bezeichnet werden6. Gäste unterschiedlichster Couleur wie etwa André Glucksmann, Hélène Cixous, Günter Grass, Volker Braun und viele andere bei Diskussionen und Veranstaltungen zu erleben, war durchaus bereichernd.

3. Als Student an der Universität-ParisX in Saint Cloud

Am Fachbereich Métiers du livre7 besuchte ich nach meiner täglichen Teilzeitarbeit in der Bibliothek des Heinrich-Heines-Hauses Vorlesungen und Seminare im Master 1 – Studiengang mit dem Schwerpunkt Bibliothekswesen. Bestimmte Lehrveranstaltungen zum Urheberrecht, zum Buchmarkt und zu Informations- und Kommunikationstheorien wurden sowohl für angehende Verlagskaufleute, als auch für Buchhändler und Bibliothekare angeboten. Auf drei Höhepunkte will ich in diesem Artikel eingehen. Zu Beginn war ich verwundert, denn ich erwartete ähnlich, wie es aus anderen Hochschulen in Deutschland kannte, einen Beamer und Lehrmaterialien, die auf einem Server abgelegt sind. Das Mitschriften anlegen, das einher ging mit dem gleichzeitigen Zuhören und Verstehen dessen, worüber gesprochen wurde, war die erste große Herausforderung, die ich nach etwa drei Monaten besser beherrschte. Durch diese Erfahrung war ich in der Lage mich besser hineinzufühlen, wie es damals anderen ehemaligen Mitstudenten an meiner Hochschule in Potsdam gegangen sein musste, deren Muttersprache nicht deutsch war. Die Hilfs- und Integrationsbereitschaft meiner Mitstudenten, als einziger ausländischer Student in meinem Studiengang, ermöglichten es mir, dass ich mich bereits nach kurzer Zeit dort sehr wohlfühlte und mich sozial integriert fühlte. Ein Seminar, das ich bereits zu Beginn des Artikels erwähnte, welches sich mit sozialen Fragen und soziologischen Annährerungen auseinandersetzte, sollte uns Studenten klarmachen, dass die klassischen „Buchberufe“ nicht unabhängig von ihrer sozialen Umwelt betrachtet werden können. Die Dozentin Mme. Leblanc-Besson verteilte regelmäßig Texte aus soziologischen Fachzeitschriften, deren inhaltliche Zusammenfassung wir als Studenten für die folgende Woche vorbereiten sollten. Es ging um Themen wie Familie / Generationen, Arbeit, soziale Mobilität und Urbanität. Wir diskutierten soziale Fragen und stellen Analogien her. Obwohl dieser Kurs nicht in direkter Beziehung mit der Bibliotheks- oder Bücherwelt stand, war dies dennoch eine Möglichkeit über den Tellerrand hinauszublicken und zu erkennen, dass Bibliotheken stets in Wechselwirkung mit ihrer sozialen Umwelt stehen und durch diese auch beeinflusst werden, wie die Eröffnung der neuen Bibliothek in Villiers-le-bel 2008 – ein Jahr nach der Brandkatastrophe - zeigte, die nach dem 2008 verstorbenen Aimé Césaire, dem Mitbegründer der Négritude und Antikolonialisten benannt ist.8 Des Weiteren ist in unmittelbarer Nähe, im Stadtteil Passerelles-Carreaux eine weitere neue Mediathek in Planung.9

Im Seminar Politiques documentaires, das von der Leiterin der Bibliothek in Chaville, Mme. Bourdet durchgeführt wurde, ging es unter anderem um den Bestandsaufbau, dessen Evaluierung und Conspectusverfahrens, das wir an ihrer Bibliothek in Viererteams in einem weiteren Gruppenprojekt durchführten.

Das sogenannte Projet Tutoré, ein Projektmanagementaufgabe, bei der innerhalb eines Semesters ein Konzept erstellt wurde bei dem es um bibliothekarische Lösungen zur Zusammenlegung der Bibliotheken in Le Croissy und Le Vésinet ging. Hierbei wurde als erstes eine Bestandsanalyse durchgeführt und mögliche Aussonderungsmaßnahmen vor Ort besprochen. In einem zweiten Schritt war es unsere Aufgabe, die Planung eines Bibliotheksneubaus in Le Vésinet zu begleiten. Anhand der architektonischen Pläne und der Gestaltung der Räume und Etagen durften wir unsere kundenorientierte und bibliothekarische Sichtweise in Schriftform darlegen. Dies war für uns angehende Bibliothekare eine große Herausforderung, da wir zwar einen Dozenten als Ansprechpartner hatten, aber dennoch im Team Aufgaben untereinander verteilten und aufeinander abstimmten, um den Zeitplan zur Erledigung dieser Schritte einzuhalten. Das Projekt wurde in mehrere Phasen eingeteilt und ein Tutor kümmerte sich speziell um das Fortkommen in der Gruppe. Hierzu evaluierten und entwickelten wir folgende Bereiche:

Am Ende des Semesters entstand in beiden Gruppen ein Dossier, das ungefähr 300 Seiten umfasste und als eine Art Environmental Scan bezeichnet werden kann, das auch Entwicklungspotentiale aufzeigt. Es enthielt unter anderem Informationen zur Zielgruppenorientierung, zur Budgetierung, zur Personalplanung, zu Investitionen und möglichen kulturellen Veranstaltungen. In Anwesenheit der Direktorin der Bibliothek und der Dozentin wurden die Ergebnisse präsentiert und durch Fragen weiter erörtert.

In dieser Zeit konnte ich einen umfassenden Überblick über das Studium Bibliothekswesen gewinnen und empfehle jedem angehenden Bibliothekar einen Fachaustausch im Ausland.

4. Die Bibliothek in Viroflay

Sie ist eine von vielen neuen Bibliotheken im Départment Yvelines im Südwesten von Paris, unweit von Versailles und Chaville entfernt. Im gesamten Départment gibt es sehr beeindruckenden Bibliotheken – insbesondere auf der Linie des RER A, die alle einen Besuch lohnen. Erwähnt seien hier vor allem die Mediatheken bzw. Bibliotheken in Saint Germain-en-Laye, Le Pecq, Chatou und Poissy. Die am 6. Dezember 2007 eingeweihte Bibliothek der 16.000 Einwohnergemeinde Viroflay, welche von Pierre Riboulet und Bruno Huerre errichtet wurden, befindet sich in unmittelbarer Nähe der avenue Général Leclerc und liegt im Herzen der Gemeinde. Sie verfügt über folgende Räumlichkeiten und Ausstattung:

Insgesamt beträgt die Fläche inklusive der Büros der Mitarbeiter 1802 m². Zehn Bibliothekare und zwei technische Mitarbeiter umfasst das Personal. Die Ausleihe von Medien beträgt 21 Tage. Sofern diese älter als fünf Jahre sind, kann der Nutzer über die Ausleihdauer selbst entscheiden.

Als ich die Leiterin, die gleichzeitig auch meine Dozentin am Fachbereich Métiers du livre war, besuchte, fand direkt vor der Bibliothek inmitten von Liegestühlen und Sonnenschirmen, ein Spielenachmittag für Kinder statt. Weiter innovative Veranstaltungen der Bibliothek sind das sogenannte Speedbooking, bei dem sich Kunden bzw. Bürger treffen und in einem siebenminütigen Gespräch von ihrem Lieblingsmedium erzählen. Diese Möglichkeit des Austauschs bringt Leser zusammen und ist an das sogenannte Speeddating angelehnt. Ein weiteres Ziel ist es der anderen Person das Buch, die CD oder den Film schmackhaft zu machen, dass diese Lust bekommt sich das Medium auszuleihen. In dieser Zeit besteht für Kinder, deren Eltern an der letztgenannten Veranstaltung teilnehmen, die Möglichkeit an einer Veranstaltung mit dem Geschichtenkoffer teilzunehmen, bei der den Kindern vorgelesen wird und sie selbst aktiv werden.

Beim sogenannten «Graines de critiques» handelt es sich um einen Leseklub für Kinder im Alter zwischen 10 und 15 Jahren, bei dem sie von zwei Bibliothekaren geleitet über Bücher, Filme, Musik und ihre Lieblingsmedien werden gesammelt und in einer Liste zusammengestellt. Die Bibliothekare, die daran teilnehmen sind niemals dieselben, wodurch stets neue Ideen und mehr Austausch möglich ist.

Außerdem verfügt die Bibliothek über eine monatlich erscheinende Zeitschrift, in der die Aktivitäten und Dienstleistungen dargestellt sind. Jeden Monat empfiehlt ein anderer Bibliothekar bestimmte Medien, was sich coups de coeur nennt. Diese Bibliothek hat mich aufgrund ihrer vielfältigen Räumlichkeiten, ihrer Veranstaltungen, deren besondere Betonung als Ort der Kommunikation und deren Offenheit neue innovative Ideen umzusetzen, sehr beeindruckt.

5. Fazit: Anmerkung aus aktuellem Anlass

Die Ergebnisse einer kürzlich erschienenen Studie über die "Kulturellen Praktiken der Franzosen im digitalen Zeitalter", die vom Soziologen Oliver Donnat erstellt wurde, kam zu dem ernüchternden Erkenntnis, dass die klassischen bildungsbürgerlichen Aktivitäten wie der Besuch von Theatern und Bibliotheken stark zurückgegangen sind.10 Besorgniserregend war dies vor allem für Mediatheken und Bibliotheken, die unter einem Besucherschwund leiden. Von den Bürgern ohne Ausweis kommen etwa 30% in eine Bibliothek, um Bücher und Zeitschriften vor Ort zu lesen. Bei den eingeschrieben Bibliothekskunden gingen die Nutzungszahlen eindeutig zurück.

Die Anzahl der Nichtleser ist stark angestiegen - vor allem bei Männern ist ein hoher Rückgang zu verzeichnen. Weiter schätzt Donnat das Lesen als eine von Frauen ausgeübte Tätigkeit betrachtet wird.11 In der Unter- und Mittelschicht beträgt der Anteil der männlichen Nichtleser mehr als 50%.12 Dennoch können laut den Autoren der Studie, Mediatheken einen Erfolg verzeichnen, da sie über verschiedene Kanäle Dienstleistungen und Service zur Verfügung stellen und durch ihre Unentgeltlichkeit vieler Dienste unterschiedlichen Kunden ermöglichen die Bibliothek auf vielfältige Weise zu nutzen.13

Anlässlich eines Symposiums, das zur Wiedererrichtung der 2007 in Brand gesetzten Bibliothek in Villiers-le-bel stattfand, stellte die Autorin Christin Rico in einem Artikel hierzu die Frage, wie dem Anstieg eines cultural divide - dem ungleichen Zugang innerhalb der Bevölkerung zu Kultur - entgegengesteuert werden kann, um wieder eine stärkere Bindung zwischen der Bevölkerung und den kulturellen Einrichtungen zu erreichen.14

Schließlich ist es weniger die digitale Spaltung, die Bibliothekaren und anderen Mitarbeitern - auch in Deutschland - kultureller Einrichtungen Sorgen machen sollte, sondern vielmehr die soziale und kulturelle Spaltung. Wie zukünftig diesen Entwicklungen entgegengesteuert werden kann, ist die Herausforderung, denen sich nicht nur Bibliothekare, sondern auch Politiker und Kulturschaffende stellen müssten. 15


Autor

Wolfgang Kaiser ist Diplom-Bibliothekar und zurzeit im Rahmen des Bund-Länder-Programms «Soziale Stadt» am Stadtteiltreff Augustinviertel in Ingolstadt beschäftigt. Daneben ist er an drei Instituten als Nachhilfelehrer tätig.

Altdorfer Str. 20
85053 Ingolstadt
wolfgang.kaiser111@googlemail.com


Anmerkungen

1. http://www.diplomatie.gouv.fr/de/frankreich_3/label-france_746/label-france_747/label-france-nr.69_1925/das-dossier-bucher-und-menschen_1939/das-cnl-das-starke-glied-der-bucherkette_4405.html (letzter Zugriff: 28.10.2009)

2. http://bbf.enssib.fr/blog/Dossiers-du-bbf?page=5 (letzter Zugriff: 28.10.2009)

3. http://bbf.enssib.fr/consulter/bbf-2009-03-0080-006 (letzter Zugriff: 28.10.2009)

4. http://www.daad-magazin.de/06531/index.html (letzter Zugriff: 28.10.2009)

5. http://www.faz.net/print/Feuilleton/Die-mickrigste-Bibliothek-von-Paris (letzter Zugriff: 28.10.2009)

6. http://www.daad-magazin.de/06531/index.html (letzter Zugriff: 28.10.2009)

7. http://www.u-paris10.fr/34243499/0/fiche___pagelibre/ (letzter Zugriff: 28.10.2009)

8. http://www.ville-villiers-le-bel.fr/actualites/culture/aime-cesaire-votre-nouvelle-bibliotheque-intercommunale/ (letzter Zugriff: 28.10.2009)

9. http://www.iledefrance.fr/lactualite/logement/ville/la-bibliotheque-de-villiers-le-bel-renait-de-ses-cendres/

10. http://www.welt.de/kultur/article4908398/Die-Kulturnation-Frankreich-geht-vor-die-Hunde.html (letzter Zugriff: 28.10.2009)

11. Olivier DONNAT, «La féminisation des pratiques culturelles», Développement culturel, no 147, 2005.

12. http://www.lemonde.fr/culture/article/2009/10/14/bibliotheques-cinemas-musees-television-internet-musique-theatre-livres-et-jeux-video-passes-au-crible-par-l-etude_1253839_3246.html (letzter Zugriff: 28.10.2009)

13. http://www2.culture.gouv.fr/culture/deps/2008/pdf/Cprospective09-1.pdf (letzter Zugriff: 28.10.2009)

14. http://bbf.enssib.fr/consulter/bbf-2009-03-0080-006 (letzter Zugriff: 28.10.2009)

15. http://www2.culture.gouv.fr/culture/deps/2008/pdf/Cprospective09-1.pdf (letzter Zugriff: 28.10.2009)