Mittels Druckluft aufblasbare Bergungsrutsche zur Evakuierung
schützenswerter Kulturgüter in der Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek vorgestellt

Fotos: Maike Kandziora, G.W.Leibniz Bibliothek

Wie wichtig Notfallvorsorge beim Schutz kostbaren Kulturgutes ist, zeigte vor einigen Jahren der Brand der Anna Amalia Bibliothek in Weimar oder erst vor wenigen Monaten der Einsturz des Historischen Archivs der Stadt Köln. Daher beschäftigt sich in der Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek – Niedersächsische Landesbibliothek in Hannover schon seit Längerem eine Arbeitsgruppe mit der Erstellung eines Notfallkonzeptes. In diesem Rahmen konnte nun der Prototyp einer Bücherbergungsrutsche der Öffentlichkeit vorgestellt werden.

Die Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek beherbergt u. a. die seit 2007 zum UNESCO-Weltdokumentenerbe zählenden etwa 15.000 Briefe von Gottfried Wilhelm Leibniz, kostbare Handschriften und Inkunabeln. Dieses Bibliotheksgut in kürzester Zeit in einem definierten Gebäudebereich zu evakuieren, stellt aufgrund der verwinkelten Bauweise des Bibliotheksgebäudes aus den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts ein besonderes Problem dar: Mehrere Begehungen haben ergeben, dass das Treppenhaus nicht in den Bergungsablauf einbezogen werden kann, da der zeitliche und personelle Aufwand viel zu hoch wäre.

Diese Vorgaben führten zur Entwicklung des hier vorgestellten Prototyps einer Bücherbergungsrutsche. Zum Einsatz kann sie allerdings erst dann kommen, wenn die Feuerwehr das Gebäude nach einer Notfallbekämpfung ganz, teilweise oder auch nur zeitweise zur Bergung freigegeben hat.

Aufblasbare Notrutschen werden bisher vor allem zur Evakuierung von Personen angeboten und eingesetzt. Sie sind aufgrund ihrer Abmessungen und der fehlenden Möglichkeit, sie direkt am Einsatzort zu installieren, für den Einsatz zur Rettung wertvollen Kulturgutes nicht geeignet. Hinzu kommt, dass eine passende Auffangvorrichtung sowie eine durchgehende Abdeckung der Rutschfläche unentbehrlich ist, um eine sichere Evakuierung gewährleisten zu können. Eine Rutsche, die – wie nachfolgend beschrieben – zur Bergung schützenswerter Güter konzipiert wurde, konnte nach Recherche und Nachfrage bei einschlägigen Herstellern bzw. Anbietern nicht ausfindig gemacht werden. Ein solcher Prototyp wurde gemeinsam vom Autor dieses Beitrages mit Philipp Müller, Firma Planen Müller (Hannover), und Stefan Häufler entwickelt.

Im zusammengerollten Zustand ist die Rutsche in einer Tasche an der Gebäudefassade und somit direkt am Einsatzort fest angebracht – mit Hilfe eines Gestells, das speziell in Hinblick auf die Gebäudesituation der Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek konzipiert wurde. Im Notfall kann dieses Gestell ausgeklappt, mit einem Splint arretiert und die Tasche geöffnet werden. Nach dem Entrollen entfaltet sich die Bergungsrutsche mittels Druckluft. Die dafür benötigte Druckluftflasche befindet sich direkt am Gestell in einer integrierten Halterung. Um die erforderliche Stabilität zu erreichen, wird die Rutsche mit vier Gurten, die am Auffangtisch befestigt sind, an zwei Klappkrampen im Boden verspannt. Zusätzlich wurde die Möglichkeit geschaffen, einen Flaschenzug am Gestell einzuhängen, um besonders sperrige Güter, wie zum Beispiel das einzig erhaltene Exemplar der von Leibniz konstruierten Rechenmaschine, schnell und sicher bergen zu können.

Die eigentliche Rutschfläche (aus PVC Planenstoff hochglanzlackiert hergestellt) ist mit Spiralreißverschlüssen an den Tubes befestigt und kann somit bei Beschädigungen ausgetauscht werden. Zusätzlich ist sie in ihrer gesamten Länge mit einer Plane aus Acrylgewebe überspannt, um das zu rettende Gut vor Witterungseinflüssen zu schützen. Diese Überdachung ist ihrerseits mit Klettverschlüssen befestigt und kann gegebenenfalls abgenommen werden.

In nur wenigen Minuten ist die Rutsche mit Hilfe von drei Personen einsatzbereit. Der eigentliche Einsatz ist mit sechs Personen vorgesehen: Drei Personen bestücken die Bergungsrutsche am oberen Ende und drei weitere Personen befinden sich am Auffangtisch, um die geborgenen Objekte in Empfang zu nehmen. Diese werden anschließend in Listen registriert, in Kisten verpackt und auf Paletten abgestapelt – im Falle einer Durchfeuchtung in Frischhaltefolie eingeschlagen, in Gitterboxen verbracht und eingefroren. Ein zusätzlich aufgestelltes Pavillonzelt soll einen witterungsgeschützten Ablauf der Bergung gewährleisten.

Nach dem Einsatz wird die Rutsche am Gestell ausgehängt und zu Boden gelassen, um dann durch die beiden Ventile (am oberen und unteren Ende) entlüftet und schließlich zusammengerollt zu werden. Die Rolle wird mit Spanngurten verschlossen, zum Standort zurückgebracht und wieder im Gestell in der Tasche befestigt; die leere Druckluftflasche ist durch eine befüllte zu ersetzen.

Mit der Verwendung der Bergungsrutsche lässt sich einerseits der Personaleinsatz sowie das Risiko und die Belastung der Notfallhelfer wesentlich verringern als auch der Schutz für die zu evakuierenden Güter maßgeblich erhöhen. Somit ist sie ein wichtiger Baustein im Gesamtkonzept der Notfallplanung der Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek.

Martin Brederecke
Buchbindermeister und Restaurator an der Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek in Hannover