„Die Bibliothek neu erfinden“

Bericht über den 5. Deutschen Bibliotheksleitertag von BOND

von Erwin König

Unter dem Motto "Die Bibliothek neu erfinden" des 5. Bibliotheksleitertages 2009 gaben die Referenten den Teilnehmern einen Einblick in die Praxis: Die Referenten v.l.n.r.: Christine Brunner, Christoph Deeg, Michael König, Thorsten Dreyer, Judith St. John, Sven Instinske, Wolfgang Tiedtke, Lorenz Paasch

Die Teilnehmer des 5. Bibliothek- leitertages beteiligten sich rege an der Diskussion, im Bild Inge Hertlein von der Stadtbücherei Nürtingen

Die fünf Zukunftsthemen des 5. Deutschen Bibliotheksleitertages von BOND unter dem Motto „Die Bibliothek neu erfinden“ wurden den rund 80 Teilnehmern von sieben Referenten präsentiert und gaben Impulse für die Ausrichtung der zukünftigen Bibliotheksarbeit.

Christoph Deeg, Gründungsmitglied der Zukunftswerkstatt, präsentierte ein Szenario zur Zukunft der Bibliotheken und informierte über die Arbeit der Zukunftswerkstatt und ihre mögliche Bedeutung für die Bibliotheken. Ob Bibliotheken in der Zukunft wirklich das Internet gestalten können bzw. werden, dazu nahm Christoph Deeg eindeutig Stellung: „Die Vielzahl an im Internet vorhandener Daten darf uns nicht darüber hinwegtäuschen, dass Bibliotheken, Museen und Archive immer noch ‚schlafende Riesen‘ darstellen. Dabei geht es dem Nutzer heute und in der Zukunft um eine der Kernkompetenzen von Bibliothekaren: Erschließen, Zugänglichmachen und Vermitteln von Inhalten. Erst wenn Bibliotheken und Bibliothekare in der Masse das Internet aktiv gestalten, es kritisch hinterfragen und kundenorientiert weiterentwickeln, werden wir eine wirkliche Alternative zu Google haben.“

Die stellvertretende Bibliotheksdirektorin der Stadtbücherei Stuttgart Christine Brunner berichtete über die „Bibliothek 21“, die neue Zentralbibliothek, die im Sommer 2011 eröffnet wird und beschrieb an deren Beispiel, wie die Stadtbücherei Stuttgart die Bibliothek der Zukunft definiert. Als besonders wichtig hab sie hervor, dass die Bibliothek als Ort physisch existiert. Zahlreiche Lese- und Lernplätze, in denen die bibliothekseigenen Netbooks genutzt werden können, werden zum Lesen, Lernen und Arbeiten einladen. Gruppenräume werden als Treffpunkt für den Wissensaustausch zur Verfügung stehen. Die neue Stuttgarter Bibliothek wird mit verlängerten Öffnungszeiten (Montag bis Samstag von 9.00 Uhr bis 21.00 Uhr) und mit freundlichem Service von Menschen für Menschen für ein qualitativ hochwertiges Bildungs- und Kulturangebote stehen. Sie wird nicht nur Raum bieten, sondern Wissen, Entfaltung, Erkenntnis und Zuwendung.

Sven Instinske, Leiter Informationsdienste und Wolfgang Tiedtke, Leiter der Portal- und digitalen Dienste der Hamburger Öffentliche Bücherhallen berichteten über die Möglichkeiten und die Inhalte des jüngsten Projektes der Hamburger Bücherhallen, das neue eLearning-Portal. Sie gaben einen Einblick in die Buchung von Kursen, die von Bibliotheksnutzern mit Internetzugang getätigt werden können – unabhängig vom Wohnort. Die E-Bücherhalle ist neben der Zentralbibliothek und den Stadtteilbibliotheken eine eigene Angebotssäule der Bücherhallen. Mit den Angeboten der eBuecherhalle – eMedien, eLearning, eLinks, eDatenbanken, eZines und eAuskunft – bieten die Bücherhallen Hamburg ein Portfolio, um ihre Nutzer dort anzusprechen, wo sie sich gerade befinden.

Die Informationskompetenz gehört zu den Kernkompetenzen unserer Zeit. Lorenz Paasch, Projektkoordinator der MediaDG in Belgien, sieht es als vorrangige Aufgabe der Schule an, diese Informationskompetenz durch das Erlernen des richtigen Umgangs mit Medien zu vermitteln. Dieses wichtige Lernen ist allerdings nur dann möglich, wenn Lehrer und Schüler die verschiedenen Medien in ausreichender Auswahl und Anzahl in der Schule zur Verfügung haben. Denn erst so lernen Schüler, kritisch Informationen auszuwählen, zusammenzustellen und zu verarbeiten. Lorenz Paasch entwickelte das Konzept der Schulmediotheken für die Gymnasien und Sekundarschulen der deutschsprachigen Minderheit in Belgien und deren Vernetzung mit den Öffentlichen Bibliotheken im Verbund „MediaDG“. Das Ziel dabei war es, der deutschsprachigen Minderheit ein passendes Bibliotheksangebot zu geben. Um Synergien zu erreichen, sollten die eigenen Bestände und die Bestände anderer Bibliotheken im Verbund genutzt werden. Die Ergebnisse des Projektes zeigen, wie man Schulbibliotheken und öffentliche Bibliotheken sinnvoll und effizient – und darüber hinaus auch noch grenzüberschreitend – vernetzen kann.

Judith St John, die Leiterin der Idea Stores in London und Thorsten Dreyer, Projektleiter für Strategieentwicklung in der Kultur- und Umweltbehörde entführten die Zuhörer nach London. Ziel der Idea Stores war ein Angebot, das gezielt auch auf die Probleme großer sozial schwächerer Bevölkerungsschichten einging. „Idea Stores“ lehnen sich in Design und Kundendienst an erfolgreiche Einzelhandelskonzepte an und beinhalten neben Lehr- und Lernräumen auch zugriffsfördernde Aufsteller mit Themenplatzierungen und Cafes wie sie im Buchhandel zu finden sind. „Idea Stores“ sind in der Regel in Einkaufsstraßen platziert und wenden sich durch ihre Schaufenster an die Kunden, die Bibliotheksnutzer. Mit sehr gut zugänglichen Standorten und einem neuen Servicekonzept konnten die Idea Stores den Trend rückläufiger Nutzerzahlen erfolgreich ins Positive kehren. Die Mitarbeiter der Idea Stores werden durch professionelle Einzelhandelstrainer so ausgebildet, dass die Bibliotheken ohne festgeschriebenes Regelwerk funktionieren. Sollten bestimmte Verhaltensweisen von Nutzern für andere störend sein, sind die Mitarbeiter der Idea Stores geschult, durch höfliche Bitte und Aufforderung – wie z.B. das Telefonieren mit dem Handy einzustellen – die gewünschte Atmosphäre wieder herstellen, ganz ohne plakative Verbotsregeln. Seit Umsetzung des Konzeptes „Idea Stores“ hat sich die Zahl der Besucher in dem Problembezirk Hamlet Towers innerhalb von acht Jahren vervierfacht, die Anzahl der ausgeliehenen Bücher hat sich verdoppelt und „Idea Stores“ sind zu zentralen Elementen in der Stadtentwicklung und -erneuerung geworden.


Autor

Erwin König ist Objektleiter von B.I.T.online.

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