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E-Books in Norwegen

von Wolfgang Ratzek

Die norwegische Ausgabe der Computerworld vom 22.01.2009 titelt „Endlich E-Books in Norwegen“. Die norwegische Verlagsbranche erwies sich bisher als sehr zurückhaltend, was das Thema E-Books angeht. Ebenso verhalten sich viele (öffentliche) Bibliotheken. Stellvertretend kann hier Hans Gjerlöw, der Leiter der Stadtbibliothek Sandefjord, genannt werden: „Wir haben uns hier in Sandefjord dafür entschieden, die Entwicklung noch etwas abzuwarten. Ausschlaggeben ist, dass vorläufig verschiedene Lösungen und Formate auf dem Markt existieren und sich bisher noch kein Standard etabliert hat. Die Rechtsproblematik ist dann auch noch ziemlich unklar. Darum warten wir noch ab.“ Die E-Book-Strategie der norwegischen Verlage, zu denen vor allem die Marktführer Aschehough, Cappelen Damm und Gyldendal gehören, lautete ebenfalls: Abwarten. Nun wurden sie von der Entwicklung überholt. Zum einen durch Portale1,2, zum anderen durch den E-Book-Reader „Kindle“.

Bibliothekar und Parlaments- abgeordneter Lars Egeland

Lars Egeland, Bibliothekar, Direktor des Lern- und Lehrzentrum an der Hochschule in Oslo und Storting3-Abgeordneter, beschreibt die Entwicklung so: „Die norwegischen Verlage sind durch Kindle auf dem falschen Fuß erfasst worden. Sie planen, wahrscheinlich noch in diesem Jahr, ein eigenes E-Bookportal, haben aber Angst, Geld in dieses Projekt zu investieren.“

Einen ersten Schritt auf bescheidenem Niveau unternahm im Januar 2009 Cappelen Damm. Mit rund 100 Belletristik- und Fachbuchtiteln norwegischer AutorInnen aus dem eigenen Verlagsprogramm ging der Großverlag an den Start. Es handelt sich dabei um die elektronische Version bereits preisreduzierter Printversionen, die nun über „digitalbok.no“ verfügbar sind. Für dieses Vorhaben wählte der Verlag den Internethändler „Elittera AS“ als Vertriebspartner. Weil der Verlag an einer Lösung für ein Branchenvertriebsportal interessiert ist, erwarb Cappelen Damm auch gleich ein Drittel der Elittera-Aktien. Die E-Books (Epub und PDF) kosten zwischen 59 Kronen (ca. 7,20 Euro) und 249 Kronen (ca. 30 Euro). Zum Downloaden ist Adobe Digital Edition und eine Adobe ID erforderlich. Wer jedoch nicht auf dem Handy oder PC lesen möchte, braucht einen Reader. Diese kosten bei „digitalbok.no“ zwischen 2499 Kronen (ca. 305 Euro für Cybook Opus) und 5799 Kronen (ca. 708 Euro) für iRex iLiad ER-0141, der übrigens im Januar 2010 ausverkauft war.

Hindernisse

Die Zurückhaltung norwegischer Verlage bei der Produktion von E-Books lassen sich nicht nur mit dem Kostenaspekt begründen, viel mehr spielen Raubkopien, Mehrwertsteuer und Buchpreisbindung eine wichtige Rolle. Die Verleger befürchten, dass sie durch Raubkopierer ausgeplündert werden. So berichtet die norwegischen Fachzeitschrift „Bok og bibliotek“ auf ihrer Homepage am 29. November 2009, dass nach der Einführung des E-Book-Readers Kindle in den USA der geschätzte Umsatzverlust durch Raubkopien für das Jahr 2008 auf mehr als 600 Millionen US-Dollar geschätzt wird. Das lässt die Branche aufhorchen. Ein weiterer triftiger Grund ist die Mehrwertsteuer (Moms), die im Allgemeinen bei 25 Prozent4 liegt. Für das gedruckte Buch ist jedoch kein Moms zu entrichten, für E-Books dagegen der volle Satz von 25 Prozent. Damit erhält die Printausgabe einen Wettbewerbsvorteil, und die Preisreduzierung bei E-Books von bis zu 25 Prozent fällt damit kaum ins Gewicht.

Lars Egeland beschreibt die Lage: „Wir befinden uns in einem Dilemma: Billige E-Books von ausländischen Lieferanten verleiten die Leser, englische Bücher zu wählen. Die sind faktisch mehrwertsteuerbefreit, E-Books dagegen nicht. Wir wenden 1,5 Milliarden Kronen (rund 182,6 Mio. Euro, W.R.) auf, um diese Befreiung zu bezahlen. Unter uns gesagt, das ist von Bedeutung, ich habe das in Angriff genommen, wo ich jetzt im Finanzkomitee des ‚Storting‘ bin. Wir sollten eine Gleichstellung zwischen E-Books, Hörbücher und dem gedruckten Buch erreichen.“

Das norwegische Verlags- und Buchhandelssystem basiert auf der „Buchabsprache“ („Bokavtale“) zwischen „Den norske Bokhandlerforening“ (DnB) und „Den norske Forleggerforening“ (DnF), das den Wettbewerb beim Vertrieb von Büchern regelt. Dazu war/ist die Aussetzung der entsprechenden Wettbewerbsgesetze erforderlich, die „Konkurransjetilsynet“ (Wettbewerbsbehörde) ausgesetzt hat. Lars Egelands geht davon aus, dass „die Branchenreglung sehr geschwächt ist. Sie reguliert gedruckte Bücher. In der Praxis ist es so, dass heute die Autoren die Mehrwertsteuer bezahlen, und zwar durch geringere Autorenhonorare (Royalty). Es wird befürchtet, dass das gleiche auch bei E-Books geschehen könnte.“ Anzumerken bleibt noch, dass die Verlage, so Egeland, große Teile des Buchhandels besitzen.

Buchpreisbindung

In Finnland und Schweden (bereits seit 1970) gibt es keine Buchpreisbindung. Dänemark und Norwegen haben eher schwammige Regelungen. Dänemark begann etwa um die Jahrtausendwende mit der Aufweichung der Buchpreisbindung. Im Prinzip darf jeder Verlag entscheiden, ob Neuerscheinungen zu einem festen Preis oder ohne Preisbindung auf den Markt kommen. Nur sehr wenige Verlage bieten jedoch zum Festpreis an. In Norwegen gibt es, was etwas paradox klingt, eine variantenreiche Buchpreisbindung (Bokavtale). Für Belletristik gilt die Buchpreisbindung nur für vier Monate nach Veröffentlichung. Für die verschiedenen Vertriebswege gilt außerdem, dass diese bis zu 12,5 Prozent auf den gebundenen Preis nachlassen können. Buchhändler müssen ein ganzes Jahr abwarten, bis sie eine Neuerscheinung als Paperback verkaufen können. Dagegen gibt es keine Buchpreisbindung für Schul-, Lehr- und Fachbücher. Der Buchhandel hatte hier eine Monopolstellung, die inzwischen verloren ging.

Auch der größte Internet-Buchhändler in Norden5 „bol.com“ erhält damit nicht die Möglichkeit, variable Preise anzubieten, wie es der Vorstandsvorsitzende Jerker Nilsson gerne täte. Er verweist darauf, dass die Internet-Buchhändler einen geringeren Aufwand haben bezüglich Verkaufsfläche, Lager und Verkaufspersonal. Der Test in Schweden, so Nilsson, zeigte, dass billigere Bücher einen erhöhten Absatz generieren. Er geht davon aus, dass der Preis für Bestseller im Durchschnitt um 25 Prozent fallen könnte.

Harald Haugen, Geschäftsführer beim größten norwegischen Internet-Buchhändler „haugenbok.no“ kann auf sensationelle Verkaufszahlen zurückblicken. Konnten 1998, so Haugen, 100.000 Bücher abgesetzt werden, so waren es 2009 schätzungsweise 1,5 Millionen, „die wir portofrei verschickt und dabei noch verdient haben“.

Nun wollen Konkurransjetilsynet (Wettbewerbsbehörde) und Forbrukerrådet (Verbraucherrat), die unabhängige, aber staatlich finanzierte Interessensorganisation, die Buchpreisbindung abschaffen.6

Der Direktor bei der Wettbewerbsbehörde Knut Eggum Johansen findet, dass die Buchpreisbindung eine „unglückliche Regelung“ sei. Das von den Verlagen vorgebrachte literaturpolitische Argument lässt der Wettbewerbsschützer nicht gelten. Stipendien findet er effektiver. Eine Umfrage unter norwegischen Verlagen hat ergeben, dass die Verlage selbst kaum erklären können, wie sich der Preis zusammensetzt. Das System ist unübersichtlich und es ist unklar, wie es eigentlich funktioniert. Mehr Wettbewerb würde zu Rationalisierungseffekten in der Logistik und bei den Buchhändlern führen. Die Preise würden wahrscheinlich auch sinken.

Vor diesem Hintergrund wandte sich im Sommer 2009 die Buchbranche mit einem Vorschlag an den Kulturminister Trond Giske (Arbeiterpartei). Er möge die zum 31. Dezember 2010 auslaufende „Bokavtale“ bis 2014 verlängern. Die Branche schlägt unter anderem vor, dass für E-Books und Hörbücher eine Preisbindung als Zusatz in eine revidierte Vereinbarung aufgenommen werden soll.

Hans Gjerløw: Abwarten und die Entwicklung beobachten

Bibliotheken

Die zentrale Frage für Öffentliche Bibliotheken in Norwegen scheint zu sein, wie Hans Gjerløw es formuliert: Lokale Kleineinkäufe bei den örtlichen Buchhändlern oder „Big Business“ auf nationaler und internationale Ebene? In den 1990er Jahren stand eher der Einkauf bei den lokalen Buchhändlern im Mittelpunkt. Um die Jahrtausendwende kamen die Landesbibliotheken mit Gemeinschaftsangeboten, die nun dazu führten, dass „Bibliotekssentralen“ als Hauptlieferant für norwegische Bücher steht. Mit dieser Entwicklung zeigt sich Gjerløw zufrieden. Mit einem Hauptlieferanten wird der Alltag einfacher, wenn es um Rechnungen und Zusatzdienstleistungen geht.

Bei den E-Books heißt die Devise bei den öffentlichen Bibliotheken, wie eingangs erwähnt: Abwarten. Obwohl es den einen oder anderen Versuch gibt. Das „Staatliche Zentrum für Archiv, Bibliothek und Museum“ (ABM utvikling) beispielsweise förderte 2008 mit 350.000 Kronen (ca. 45.000 Euro) ein Projekt zur Einführung von E-Books in der Provinz Buskerud, wo dann von drei Bibliotheken 200 norwegische Titel aus den Bereichen Sachliteratur und Belletristik angeboten wurden. Typisch für die norwegische Bibliothekspolitik ist, dass eine oder mehrere Bibliothek(en) die Initiative ergreifen und dann zu einem nationalen Angebot entwickeln; so auch für dieses Vorhaben.

Bei den wissenschaftlichen Bibliotheken schreitet die Entwicklung voran, insbesondere bei E-Journals. Als Leiter des Lern- und Lehrzentrums an der Hochschule in Oslo beobachtet Lars Egeland, dass mehr und mehr Nutzer die digitalen Ausgaben auf dem Portal Idunn lesen. Die Lizenzgebühren bei Idunn steigen im Takt mit den Abbestellungen der Printausgaben. Dabei sind es nicht die Bibliotheken, wie Egeland ausführt, sondern die Angestellten und Studierende an den Universitäten und Hochschulen, die diese Entwicklung vorantreiben. Gleichzeitigt kritisiert er, dass der Staat nichts unternimmt, um Konsortien zu finanzieren, die den Bibliotheken einen Zugang zu den digitalen Ressourcen ermöglichen.


Autor

Prof. Dr. Wolfgang Ratzek

Hochschule der Medien
FB Information und Kommunikation
Wolframstraße 32
70191 Stuttgart
ratzek@hdm-stuttgart.de


Anmerkungen

1. Größter Onlinebuchhändler im Norden ist bol.com.

2. Während Skandinavien im Prinzip nur die Länder Dänemark, Norwegen und Schweden umfassen, umfasst der Norden auch Finnland, Island, Färöer.

3. Das Storting ist das norwegische Parlament.

4. Reduzierter Satz für Lebensmittel (14%), für Kinotickets, Personentransporte und Hotelzimmer (8%). Für Zeitungen, Ausbildungsangebote und Bücher entfällt der Moms (Merverdiomsetningsavgift).

5. Während Skandinavien im Prinzip nur die Länder Dänemark, Norwegen und Schweden umfassen, gehört zum „Norden“ noch Finnland und Island.

6. Ob dieser Zustand für Deutschland erstrebenswert ist, sei dahingestellt. In einem Gespräch mit Ingrid Bussmann, Leiterin der Stadtbücherei Stuttgart und künftig auch der Bibliothek 21, verwies sie darauf, dass der Wegfall der Buchpreisbinding für Bibliotheken einen erheblichen Mehraufwand bedeuteten würde und im Prinzip die Bibliotheken veranlasse würde, jede Buchbestellung auszuschreiben.

 


 

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