LIS-Studiengänge als Dienstleister
für Studierende und Informationseinrichtungen1


Ergebnis oder Prozess?
Kundenferne und -nahe Dienstleistungen
Die fünf Service-Levels
Schlussbemerkung

von Wolfgang Ratzek

Ergebnis oder Prozess?

Wir wollen hier nicht die Theorien zum Thema Dienstleistungen ausbreiten.2 Aber es überrascht doch, dass zwar (sehr) viele von einer Informations- und Wissensgesellschaft reden, aber kaum jemand von einer Dienstleistungsgesellschaft oder gar von einer Informationsdienstleistungsgesellschaft.

Möglicherweise liegt das daran: Während in einer irgendwie gearteten Informations- und Wissensgesellschaft die Ergebnisse irgendwie - hauptsächlich übers WWW - recherchiert und/oder vermarktet werden, was eine relativ einfache Angelegenheit ist, geht es in einer Dienstleistungsgesellschaft zusätzlich noch um den Prozess der (Dienst-)Leistungserbringung. Welchen Stellenwert besitzt ein Ergebnis, bei dem der Generierungsprozess für den Auftraggeber intransparent bleibt? Vielmehr bilden Prozesstransparenz und Zielerreichungsgrad die Grundlage für Qualität und Vertrauen. Die Qualität3 eines Ergebnisses ist somit abhängig von den dahinter liegenden Prozessen. Eine Stärke von LIS-Professionals, die das WWW an sich so nicht besitzt.

Kundenferne und -nahe Dienstleistungen

Für ein besseres Verständnis, was unter Dienstleistung zu verstehen ist, sei hier eine Formulierung von Ursula Georgy (FH Köln) angeführt, die "Dienstleistung" als etwas umschreibt, das "keinen Warenverkehr bedingt". Dienstleistungen sind damit immateriell, können aber mit einem Warenverkehr gekoppelt werden. Im ersten Fall träfe das auf eine mündliche Beratungsleistung zu. Im letzteren Fall wäre die Ausleihe eines physischen Mediums eine Dienstleistung mit Warenverkehr.

Für den LIS-Bereich ist jedoch auch wichtig, insbesondere jedoch für den bibliothekarischen Bereich, dass wir zwei Qualitätsniveaus von Dienstleistungen unterscheiden können: Aus meiner Sicht wäre eine Einteilung in kundenferne Dienstleistungen und kundennahe Dienstleistungen sinnvoll. Kundenferne Dienstleistungen wären zum Beispiel die Erwerbung und Bereitstellung von Medien. Kundennahe Dienstleistungen wären zum Beispiel die nicht automatisierte Benutzerschulung4 oder die Ausleihe über die Theke sowie die personalisierte Auskunft.

Es macht schon einen gewaltigen Unterschied, ob ich eine Datenbank für alle - kostenlos oder gegen ein Entgelt - zur Verfügung stelle, in der Benutzer mittels Retrievalsoftware browsen und im Prinzip machen können, was sie wollen, oder ob ich jemanden bei der Bewältigung eines Informationsproblems direkt unterstütze. Wie leicht nachzuvollziehen, liegt die Kompetenz bei der Bewältigung eines Informationsproblems im ersten Fall beim Kunden5, im zweiten Fall aber beim Information Professional (Stichwort: Coaching, vertrauensbildende Maßnahme).

Gerade vor dem Hintergrund des Bologna-Prozesses müssen die LIS-Studiengänge, aber auch andere Studiengänge, demonstrieren, dass die Absenkung beim Bachelor gegenüber dem Diplom keinen Qualitätsverlust bedeutet. Hier ist noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten6 In diesem Zusammenhang wäre der Studiengang "Information Services/Informationsdienstleistungen" richtungsweisend, der im WS 2005/06 an der Fakultät Information und Kommunikation der Hochschule der Medien Stuttgart an den Start geht, weil endlich betont wird, was ein LIS-USP7 ist und bleiben muss: kundennahe und kundenferne Dienstleistungen, Content sowie IT als Hilfsmittel zur Leistungserbringung und nicht: IT als Paradigma plus IT als Verstärker des Selbstbewusstseins ("Informatik-Mimikry"8) plus - wegen der starken IT-Orientierung - kundenferne Dienstleistungen (s.o.).

Die fünf Service-Levels

Um LIS-Einrichtungen fit für die Zukunft zu machen, bedarf es neben materieller Ressourcen auch entsprechender Human-Ressourcen9 für den Erfolg. Bleibt zu fragen: Welche Qualifikationsmerkmale besitzen diese Human Ressourcen? In unserem Zusammenhang sind das LIS-SpezialistInnen, die über eine Hochschulausbildung10 verfügen.

Vor diesem Hintergrund kommen die Bildungseinrichtungen ins Spiel. In diesem Zusammenhang müssen wir uns fragen:

Die folgende Grafik zeigt, welche fünf Service-Levels ein LIS-Studiengang zu erbringen hat.

Service-Level 1: Angebot und Auswahl

Noch bewerben sich Studierende in ausreichender Zahl für die bibliothekarischen Studiengänge an deutschen Hochschulen. Mit der Einführung von Studiengebühren und den geburtenschwächeren Jahrgängen werden für die Hochschulen eine entsprechende Werbestrategie oder besser Marketingstrategie immer wichtiger. Die Hochschulen müssen dann unter anderem folgende Fragen beantworten:

Damit ist ein Paket geschnürt, das eine Vielzahl von Problemen aufwirft. Zu nennen wäre hier insbesondere die Aktualität. Damit ist gemeint, dass nicht nur die technischen Ressourcen einen zeitgemäßen Stand aufweisen müssen, sondern auch das Lehrangebot den zukünftigen beruflichen Anforderungen entsprechen muss, oder noch besser: das Lehrangebot selbst als Impulsgeber für den fachlichen Fortschritt dient (Stichwort: Forschung und Entwicklung). Aus der Sicht der Hochschulen gilt aber auch: Nicht jede(r) AbiturientIn eignet sich zum Beispiel für einen LIS-Studiengang. Deshalb wäre eine Eignungsprüfung sinnvoll, was schon ein Beitrag zur Imagebildung der Hochschule wäre. Kurz: Wie bekommen die Hochschulen mit LIS-Studiengängen die Besten, Motiviertesten und Kreativsten eines Jahrganges? Ein Auswahlverfahren über Noten in Mathematik, Deutsch und Fremdsprachen reicht hier bei weitem nicht aus.

Service-Level 2: Attraktivität und Qualität

Wie bereits im vorangegangenen Abschnitt angedeutet, geht es mir um die Attraktivität der Studieninhalte. "Knackige" Überschriften sind leicht gefunden (auch das fällt einigen von uns noch schwer), aber was - so müssen wir uns fragen - wird tatsächlich und auf welchem Niveau angeboten. Hier wirkt das Beamtenrecht (Freiheit von Lehre und Forschung, fehlende Weisungsbefugnis) hinderlich.13 Das ist dann besonders der Fall, wenn "Hobbys", die kaum nachgefragt werden, kultiviert werden und Deputate binden, die für das Gesamtkonzept verloren gehen.

Aus meiner Sicht gehört zu einem ausgewogenen LIS-Studiengang eine Balance zwischen harten und weichen Schlüsselqualifikationen:

Die folgende Abbildung zeigt das aktuelle Studienangebot der Hochschule der Medien Stuttgart (HdM14).

Service-Level 3: Potenzialentwicklung

Dieses Niveau zielt darauf ab, dass ein LIS-Studiengang den Absolventen die "Sicherheit" vermitteln sollte, die sie brauchen, um einen eigenen Karriereweg zu beschreiten. Das mag überraschen (dazu mehr auf Service-Level 4). Zwar kann keine Garantie für eine spätere adäquate Anstellung gegeben werden. Dennoch gibt es einige Empfehlungen: Die Leistungen - das Engagement - während des Studiums, die geschickte Auswahl der Praktika, die aktive Teilnahme an Projekten, die Reputation von ProfessorInnen, die Themenwahl bei der Abschlussarbeit, aber auch eine gewisse Portion Glück sind einige Beispiele dafür, welche Faktoren mitwirken.

Gutes Lehrpersonal sieht sich hier eher in der Rolle eines individuellen Potenzialentwicklers mit Coaching-Funktion.

Service-Level 4: Projekte mit externen Partnern

Das vierte Dienstleistungsniveau betrifft auch die Service-Level 1 bis 3. Hier kommen unter anderem Projekte mit externen Partnern in Frage, die Studierende in Eigenverantwortung durchführen. Die/der ProfessorIn übt in erster Linie nur eine Coaching-Funktion aus (nach dem Motto der "unsichtbaren Hand").

Das Beispiel der Fakultät Information und Kommunikation der Hochschule der Medien Stuttgart zeigt hier die Richtung.15 Zu nennen wären:

Service-Level 5: "Fit for Future"

Wie aus den oben genannten Projekten (Dachmarke, Ladenburg, Bad Cannstatt) zu erkennen ist, stehen hier Projekte an, die LIS-Institutionen dabei helfen, ihre Dienstleistungen zu optimieren oder auch neue Dienstleistungen zu entwickeln. Damit ist ein Punkt angesprochen, der den LIS-Studiengängen ein neues Image gibt und dabei auch eine Abgrenzung zu den Fachangestellten beziehungsweise zu den Fachwirten für Medien- und Informationsdiensten ermöglicht: Weg vom Schulimage hin zu einer wissenschaftlichen Institution, die auch (angewandte) Forschung und Entwicklung betreibt; BAT V oder gar VI 19.

Schlussbemerkung

Die Aufgabe einer Hochschule besteht nicht nur darin, Studierende (wie am "Fließband") auszubilden, sondern in der Potenzial- und Perspektiventwicklung. Wer sich ausschließlich auf die Ausbildung im klassischen Sinne konzentriert, bekommt spätestens mit der Einführung von Gebühren einige Probleme. In diesem Zusammenhang müssen die Hochschulen mit bibliothekarischen Studiengängen dafür Sorge tragen, dass deren Studienangebote attraktiv bleiben. Verstärkte Projektarbeit (inkl. Drittmittelprojekte), Kooperationen mit externen Partner, Alumni-Netzwerke, Reputation des Lehrpersonals, Ausstattung. Wie in diesem Beitrag gezeigt, sind hier mindestens fünf Dienstleistungsniveaus zu erbringen.


Zum Autor

Prof. Dr. Wolfgang Ratzek

Hochschule der Medien
FB Information und Kommunikation
Wolframstraße 32
D-70191 Stuttgart

www.iuk.hdm-stuttgart.de
ratzek@iuk.hdm-stuttart.de
www.iuk.hdm-stuttgart.de/ratzek


Anmerkungen

1. Ausgearbeitete und erweiterte Fassung des Vortrages "Der bibliothekarische Studiengang als Dienstleister für Informationseinrichtungen" auf der Tagung "Bibliothekswesen 2005. Die Tätigkeit der Bibliotheken und die Entwicklung der Informationskultur der Gesellschaft" an der Moskauer Staatsuniversität für Kultur und Künste am 20.04.2005.

2. Eine umfassende Übersicht bietet Meffert, H.; Bruhn, M.: Dienstleistungsmarketing. 4. Aufl. Wiesbaden 2003.

3. Unter Qualität ist mit der Deutschen Gesellschaft für Qualität "… die Gesamtheit von Merkmalen einer Einheit bezüglich ihrer Eignung, festgelegte und vorausgesetzte Erfordernisse zu erfüllen" zu verstehen.

4. Das wäre dann eine kundenferne Dienstleistung, weil es auf den persönlichen Einsatz des Dienstleistungserbringers und des Dienstleistungsnehmers ankommt.

5. Die Kompetenz des Information Professionals liegt hier eher im Bereich der IT-Skills.

6. Bleibt zu fragen, wer diese Informationsarbeit leisten soll. Aus meiner Sicht gibt es mindestens drei Hauptverantwortliche: Die Wissenschaftsministerien, die Hochschulrektorenkonferenz und die Hochschulen. Leider kommt von diesen Institutionen wenig, was zur Positionierung, Profilierung, zur Imageverstärkung beiträgt.

7. USP = Unique Selling Proposition - das einzigartige Verkaufsargument, das nur ein Anbieter besitzt und kein anderer.

8. S. Ratzek, W.: Public Awareness: Gesicht zeigen - statt Fetisch und Informatik-Mimikry. In: Ratzek, W. (Hrsg.): "Spielball" Bibliotheken. Berlin 2005, S. 24-39.

9. In diesem Zusammenhang einen Mini-Exkurs über das Unwort des Jahres 2004 "Humankapital". Human-Ressourcen oder Humankapital signalisieren, dass der Unternehmensfokus nicht mehr nur auf das materielle Unternehmensvermögen gerichtet wird. Es wird erkannt, dass auch das Potenzial "Mitarbeiter" einen Erfolgsfaktor darstellt. Das Problem ist nur: soll das Potenzial ausgebeutet - im negativen Sinne - oder gefördert werden. Und das ist zurzeit nicht umstritten.

10. Wir konzentrieren uns hier auf die Diplom-, Bachelor- und Master-Studiengänge. Die Ausbildung zum Fachangestellten oder gar zum Fachwirt für Medien- und Informationsdienste bleibt hier unberücksichtigt, obwohl eine Herausarbeitung der Unterschiede sinnvoll wäre.

11. Dieser Punkt soll hier nicht weiter vertieft werden und wird daher nur angedeutet: Für LIS-AbsolventInnen bestehen aus meiner Sicht auch gute Chancen in Nachrichten- oder Werbeagenturen, in Unternehmens- und Personalberatungsunternehmen, in Marktforschungsunternehmen eine adäquate Anstellung zu finden.

12. Die Aussichten für Nanotechnologen, Gen-Ingenieure oder Wirtschaftsinformatiker können als günstig bezeichnet werden.

13. Welchen Sinn macht eine Evaluation der Lehre, wenn gute Lehrkräfte die Ergebnisse nutzen, um noch besser zu werden, und "weniger gute" Lehrkräfte entweder die Ergebnisse zurückweisen oder erst gar nicht wahrnehmen? Ein Kollege sagte einmal: An Hochschulen gebe es Führungskräfte ohne Weisungsbefugnis.

14. Siehe auch www.iuk.hdm-stuttgart.de

15. Damit soll nicht gesagt sein, dass andere Hochschulen keine nennenswerten Projekte durchführen, aber die eigenen Projekte sind immer die, die man am besten kennt. Ein positives Beispiel liefert die Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW, Hamburg). In Zusammenarbeit mit der Verbraucherzentrale NRW wurde das Verbraucherschutz-Projekt "lookeup4you", ein Nachschlagewerk für Jugendliche, durchgeführt. Näheres in: Spree, U.; Geeb, F.: lookedup4you - Mikrostruktur und Makrostruktur und all das. In: iwp 3/2005, S. 133-142.

16. Für eine ausführliche Darstellung des Projekt siehe Kietzmann, A.; Ratzek, W.: Die Stadtbibliothek Ladenburg. In: Ratzek, W. (Hrsg.): "Spielball" Bibliotheken. Berlin 2005, S. 82-91; Ludwig, A.; Ratzek, W.; Schmidt,K.; Weinberger, K.: Sinnstiftung durch Kooperation - "Trendy Auftritt" für die Stadtbibliothek Ladenburg. In: B.I.T.online 7/2004, S. 209-217 und Ratzek, W.: Erfolgreiche Projekte wecken internationales Interesse. In: Buch und Bibliothek 2/2005, S. 147-149.

17. Hechtner, J.: Erarbeitung eines Konzepts für mehr Anerkennung und Wertschätzung der Öffentlichen Bücherei im Stuttgarter Stadtteil Bad Cannstatt. Diplomarbeit im Studiengang Bibliotheks- und Medienmanagement. Stuttgart: HdM, 2005 (unveröffentlicht)

18. Urban, A.: Social Inclusion - Die Öffentliche Bibliothek Bad Cannstatt als aktive Partnerin im Stadtteilmanagement. Diplomarbeit im Studiengang Bibliotheks- und Medienmanagement. Stuttgart: HdM, 2005 (unveröffentlicht)

19. BAT = Bundesangestelltentarif.