Biester, Björn:
Tagebuch der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg 1926-1929


annotiertes Sach-, Begriffs- und Ortsregister
- Erlangen: filos, 2005. 96 S.
ISBN 3-9808983-9-3

Nach wie vor gehört die Bibliothek des Kunsthistorikers und passionierten Büchersammlers Aby Warburg zu den großen Mythen des modernen Bibliothekswesens. Hans-Michael Schäfer hat in einer vielbeachteten Dissertation erstmals den Versuch unternommen, diese Bibliothek unter bibliothekswissenschaftlichen Gesichtspunkten zusammenhängend darzustellen.(1) Seine in B.I.T.online besprochene Arbeit ist eine große Bereicherung der bibliotheks- und wissenschaftshistorischen Literatur des 20. Jahrhunderts.(2)

Schäfer nimmt auch mehrfach auf das Tagebuch der Bibliothek Warburg Bezug. Dieses von Aby Warburg (1866-1929), Gertrud Bing (1892-1964) und Fritz Saxl (1890-1948) gemeinsam vom Einzug der Bibliothek in ein modernes Gebäude im Frühjahr 1926 bis zum Tod Warburgs im Oktober 1929 geführte Bibliothekstagebuch, wurde 2001 vollständig ediert(3) und damit erstmals einem größeren Publikum zugänglich gemacht. Das Tagebuch galt den Beteiligten Warburg, Bing und Saxl als Notizbuch, Chronik und Diskussionsgrundlage. Obwohl es weniger als vier Jahre umfasst, überrascht es durch seine große Themenvielfalt und spiegelt die hohe Wertschätzung und Bedeutung der Bibliothek im geistigen und kulturellen Leben Deutschlands wider. Allein die Liste der Personen, die die Bibliothek besuchten, Vorträge hielten oder mit denen Warburg korrespondierte, liest sich wie ein Who`s who der Gelehrsamkeit: Martin Breslauer, Martin Buber, Ernst Cassirer, Thomas Mann, Richard Salomon, Albert Schweitzer, Gustav Stresemann u.v.a.

Die Edition des Tagebuchs von 2001 verfügt leider nur über ein Personenregister. Das jetzt in dem neugegründeten Erlanger "Verlag für Kulturwissenschaften filos" erschienene Register will weitere in den Texten enthaltene Informationen erschließen, die sonst leicht verloren gehen würden. Erst ein annotiertes Sach-, Begriffs- und Ortsregister "ermöglicht einen erweiterten Zugang zu Themenkomplexen, die auch ein gutes, vollständiges Personenregister nicht oder nur unzureichend bieten könnte. Zugleich ist es ein Instrument zur Anbindung des Bibliothekstagebuchs an andere, sachlich parallele Quellenbestände." (S. 17-18) Neben der reinen Erschließungs- und Indexfunktion gibt das Register auch Anregungen zu weiterführenden Forschungen zu den im Tagebuch behandelten Themenkomplexen. So kamen bei der Registererstellung Zusammenhänge ans Tageslicht, "die in der Warburg-Forschung noch keine oder nur geringe Beachtung gefunden haben." (S. 7) Das betrifft auch die Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg und ihre Stellung im Bibliothekswesen (S. 52-55).

Björn Biester erläutert in der 31seitigen Einleitung minutiös seine Vorgehensweise und Fragen der Einordnung von Begriffen, Gegenständen und nennt zahlreiche Beispiele.

Teil A "verzeichnet Orte, Institutionen, Begriffe, biblische und mythologische Figuren etc." (S. 19), Teil B "versammelt Begriffe, die von Warburg geprägt wurden (z.B. Denkraum, Laufgewicht, Leidschaft…" oder die er zwischen 1926 und 1929 in auffälliger Weise benutzte (z.B. Ausdruck, Bewegung, Dynamik…)" (S. 26).

Freudvoll registrieren Bibliothekare die Vorbildrolle, die der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg in der Entwicklung des europäischen Bibliothekswesens zukommt, und sie nehmen dankbar ein vorzüglich erarbeitetes Register für ein außergewöhnliches Bibliothekstagebuch entgegen, das "eine erstrangige und in dieser ungewöhnlichen Form wahrscheinlich singuläre Quelle für die Wissenschaftsgeschichte der Weimarer Republik" (S. 7) ist.(4)


Anschrift des Rezensenten

Prof. em. Dr. Dieter Schmidmaier
Ostendorfstraße 50
D-12557 Berlin
E-Mail: dieter.schmidmaier@schmidma.de


Anmerkungen

1. Schäfer, Hans-Michael: Die Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg: Geschichte und Persönlichkeiten der Bibliothek Warburg mit Berücksichtigung der Bibliothekslandschaft und der Stadtsituation der Freien und Hansestadt Hamburg zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Berlin, 2003. XIV, 413 S.

2. Rez. von Dieter Schmidmaier in: B.I.T.online 7 (2004) 1, S. 79.

3. Warburg, Aby: Tagebuch der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg mit Einträgen von Gertrud Bing und Fritz Saxl. Berlin, 2001. XXXIX, 681 S.

4. Das Neueste zur Bibliothek Warburg sind neue Funde aus Archiven, abgedruckt und kommentiert in dem neuesten Heft der Zeitschrift des Zentrums für Literaturforschung Berlin: 1. Gertrud Bing an die Cassirers vom 1. Juni 1929. Mit einem intellektuellen Porträt von Gertrud Bing (von Thomas Meyer und Martin Treml). 2. Erich Auerbach in Fritz Saxl. 12.9. und 15.10.1935. Mit einem Beitrag über Erich Auerbach und die Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg (von Martin Treml). In: Trajekte 5 (2005) April, S. 17-28.