Bibliotheken Bauen. Tradition und Vision
Hrsg. Schweizerische Landesbibliothek


Susanne Bieri / Walter Fuchs
- Basel; Boston; Berlin: Birkhäuser 2001. 527 S., Text dt., frz., engl.
ISBN 3-7643-6429-7, 65,- Euro

Diese Festschrift ist anlässlich der Wiedereröffnung der Schweizerischen Landesbibliothek nach der Neu- und Umbauphase erschienen. Sie bietet auf 527 Seiten unter anderem einen Überblick über die Geschichte der SLB von der Gründung über die verschiedenen Planungen und Bauten auf unterschiedlichen Standorten bis zur heutigen baulichen Situation. Die acht zum Teil mit Abbildungen versehenen Textbeiträge werden in deutscher, französischer und englischer, nicht aber - wie der Rezensent kritisch anmerken muss - wenigstens auch in italienischer Kurzfassung dargeboten. Die meisten Texte sind mit reichhaltigen Fußnoten und Literaturhinweisen sowie biographischen Angaben zu den Autoren versehen. Von den Textbeiträgen liest man wohl am Besten zuerst den von Walter Fuchs zur Planungs- und Baugeschichte der Schweizerischen Landesbibliothek sowie die Beschreibung der gegenwärtigen baulichen Situation und der Bestandsentwicklung (S.519-522); die anderen stellen eher allgemeinere Reflexionen zum Thema Buch, Bibliothek und deren Benutzer dar; sind aber alle sehr lesenswert! In den 527 Seiten der Publikation sind auf 90 Seiten künstlerische Visionen von acht schweizerischen Architekten bzw. Architektengruppen zum Thema "Buch und Bibliothek" enthalten.

In seinem Vorwort, dem er den etwas provokanten Ausspruch des französischen Künstlers Marcel Duchamp "Es gibt keine Lösung weil es kein Problem gibt" voranstellt, skizziert Jean-Frédéric Jauslin, der Direktor der Schweizerischen Landesbibliothek, den Sachstand bei der Lösung der Probleme, denen sich die Bibliothek gegenüber sieht und die in der Weiterentwicklung der IT in allen Bereichen der Bibliothek, der Planung von baulichen Erweiterungen - hier vor allem der eines zweiten Tiefmagazins -, der Bestandserhaltung in Zusammenarbeit mit dem Bundesarchiv (zum Beispiel beim Einsatz eines Verfahrens zur Papierentsäuerung) sowie der Zusammenarbeit mit dem Dürrenmatt-Zentrum in Neuchâtel bestehen.

Wohl als der wichtigste Beitrag des Bandes erscheint dem Rezensent der Aufsatz von Walther Fuchs: Die Modernität der Schweizerischen Landesbibliothek, 1798 - 2001. Die Idee zu einer Schweizerischen Nationalbibliothek entstand bereits während der Aufklärung. Nach der Französischen Revolution und der Ausrufung der Helvetischen Republik erfolgte auf Betreiben von Philippe Albert Stapfer, dem damaligen Minister für Kunst und Wissenschaft, die Gründung einer National- und Legislativ-Bibliothek als Vorläuferin der Nationalbibliothek. Die Bestände setzten sich aus nationalisierten Kloster- und Städtischen Bibliotheken, Pflichtexemplaren sowie durch Kauf oder Stiftung erworbenen Sammlungen zusammen. Die Legislativbibliothek folgte an die jeweiligen Sitzungsorte der Regierung, nach Aarau, Luzern und Bern. Nach der Auflösung der Helvetischen Republik im Jahre 1803 wurde auch die National- und Legislativbibliothek "abgewickelt", bevor sie als Parlamentsbibliothek neu konstituiert und dann bis 1848 wieder an die jeweiligen Sitzungsorte der Regierung in Bern, Zürich und Luzern gebracht wurde. Erst nach der Gründung des Bundesstaates wurde die Bibliothek als "Zentrale Bundesbibliothek" - zunächst provisorisch an unterschiedlichen Standorten - endgültig in Bern angesiedelt. 1893 folgte die Gründung der Nationalbibliothek. Zwanzig Jahre später, 1919, kam die Frage eines Neubaus auf die Tagesordnung. Nach langen Vorbereitungen wurde 1927 ein nationaler Architektenwettbewerb ausgeschrieben, den die Zürcher Architekten Alfred und Henri Oeschger gewannen. Das Gebäude wurde von 1927 bis 1931 errichtet und gilt als ein richtungweisendes Beispiel der modernen Bibliotheksarchitektur. Von 1995 bis 2001 wurde das Gebäude vollständig saniert und reorganisiert; 1997 wurde das neue Tiefmagazin Ost fertiggestellt, sodass die Kapazitätsreserve bis etwa 2010 reichen wird. Die Entwicklungsplanung sieht ein Tiefmagazin West vor. Die Bestände der SLB umfassen derzeit etwa 3,5 Millionen Einheiten. Der Text - wie auch die meisten anderen Texte - ist mit reichhaltigen Fußnoten und Literaturhinweisen sowie mit einer ganzen Anzahl von Schwarzweiß-Abbildungen versehen, bei denen man allerdings leider einige Erläuterungen beziehungsweise Legenden vermisst.

Sehr lesenswert sind auch andere Textbeiträge, die nicht unmittelbar mit der Schweizerischen Landesbibliothek zu tun haben; so führt der Ägyptologe Jan Assmann in seinem Essay Bibliotheken in der alten Welt, insbesondere im Alten Ägypten in Zweck und Handhabung von Schriftdokumenten im alten Ägypten und zum Vergleich in Mesopotamien ein. Der Autor weist darauf hin, dass die in Mesopotamien gebräuchlichen Tontafeln vorwiegend Aufzeichnungen über politische und Verwaltungsvorgänge in Archiven bewahrten, während die ägyptischen Papyri religiöse und auch literarische Texte überliefern sollten. Zu diesem Zweck wurden die Wände der Grabkammern mit solchen Texten versehen, um den Toten auch im Jenseits deren Studium zu ermöglichen. Papyrusrollen wurden in Bibliotheken aufbewahrt, um sie der Nachwelt zu erhalten, aber auch, um sie dem Publikum zugänglich zu machen.

Frauen und Schriftlichkeit in der Schweiz im Mittelalter ist der Titel eines weiteren interessanten Essays dieser Festschrift von Jeffrey F.Hamburger, Kunst- und Architekturhistoriker in Harvard. Bücher gehörten zum kostbarsten Besitz der Klöster, zumal in einer Kultur, in der die meisten Menschen Analphabeten waren. Bücher spielten eine zentrale Rolle in den Ritualen und dem Leben der Klöster. Schriftzeugnisse bilden eine hauptsächliche Quelle der Information über die Geschichte der klösterlichen Einrichtungen. Über die bauliche Situation der mittelalterlichen Bibliotheken gibt es erstaunlich wenige Informationen, dagegen ausführliche Beschreibungen der Bücherbestände, vor allem von denen der Frauenklöster in der Schweiz. Eine große Anzahl von Dokumenten - Kataloge, Bibliotheksregeln, Leichenpredigten, Briefe, Chroniken und Testamente - erlauben es, die Bestände und die Regeln unter anderem für die Herstellung, die Klassifizierung sowie für die Ausleihe zu rekonstruieren. In dem Essay wird eine Auswahl von zwanzig solcher Dokumente - eben vor allem aus Frauenklöstern - beschrieben.

Unter dem Titel Die Bibliothek und ihre Bücher - des Menschen Nahrung stellt Werner Oechslin, Architektur- und Kunsthistoriker an der ETH Zürich, Überlegungen zum Verhältnis zwischen Buch, Bibliothek, ihren Benutzern und der Kultur im Allgemeinen an.

Wieder näher am Bau ist Adolf Max Vogt mit seinem Essay Boullée sucht "kosmische Größe" für seine Bibliothek. Die französische Revolution hatte auch in der Architektur ihre Auswirkungen; die bekanntesten Protagonisten dieser "Revolutionsarchitektur" waren vor allem Boullée, Ledoux und Lequeu, die ihre Arbeit an philosophischen und sozialen Ideen orientierten. Insbesondere Boullée begeisterte sich für die Kosmogonie Newtons und entwickelte ausgesprochen megalomane - und utopische - architektonische Vorstellungen. Bekannt ist sein Entwurf für ein Denkmal für Isaac Newton, eine riesige Kugel, und sein Entwurf für die Bibliothèque Nationale in Paris, für den er sich von Raffaels Gemälde "Die Schule von Athen" inspirieren ließ. Boullées auch technisch utopische Megalomanie führte dazu, dass er bald in Vergessenheit geriet; sein Werk wurde erst 1930 wiederentdeckt.

Die Kunsthistorikerin Dorothée Bauerle-Willert erläutert in ihrem Essay Aby Warburgs Daimonium: Die Kulturwissenschaftliche Bibliothek das System der berühmten Bibliothek des Warburg-Instituts in London. Das Prinzip der Ordnung liegt in der Verknüpfung der verschiedenen geisteswissenschaftlichen Gebiete in den vier Geschossen des Hauses. Zugrunde liegt die Absicht, vermittels dieser Ordnung dem Leser eine Hilfestellung beim Erwerb eines zu den Wurzeln der Kultur führenden Wissens zu geben.

In seinem Text Les bibliothèques et leurs hommes macht sich Jean Roudaut Gedanken über die räumliche Wirkung von Büchern auf die Benutzer von Bibliotheken, auch über die Rolle von Büchern und Bibliotheken in der Literatur und in der Malerei.

Unter dem Titel Datascapes: Bibliotheken als Informationslandschaften erörtert Anna Klingmann die Rolle der Bibliotheken angesichts der sich verändernden Strukturen von Informationen und ihrer Verwandlung in Ware. Diese Entwicklung spielt sich in dem Spannungsfeld zwischen kultureller Produktion von Information und ihrer zunehmend kommerziellen Produktion ab. Die Folgen dieser Entwicklung versucht die Autorin am Beispiel der neuen Central Library von Seattle und der Hochschulbibliothek von Eberswalde zu zeigen.

Einen heiteren Abschluss des Bandes bilden die von acht Architekten bzw. Architektengruppen entworfenen visuellen Reflexionen zu den Themen "Buch" und "Bibliotheken". Es finden sich da Vorschläge für riesige, in der Landschaft oder auf städtischen Plätzen stehende Bücherregale, bei denen allerdings auch angemerkt wird, dass es leider keine entsprechend großen Bücher gebe. Andere Vorschläge sehen imaginäre Bibliotheken vor, deren Regale und Bestände auf Wände gemalt sind - wer denkt da nicht an einige Barockbibliotheken, in denen man zwar keine Bücher findet, wohl aber mit Darstellungen von Buchrücken bemalte Türen von ansonsten häufig leeren Bücherschränken. Auch zwei "Bauten" aus Büchern sieht man, der eine als Allusion an Stonehenge, der andere erinnert an das Stadttor von Babylon, als Metaphern der Ewigkeit und Unzerstörbarkeit von Wissen.

Auch wenn man in nur einigen Beiträgen Genaueres über die Schweizerische Landesbibliothek erfährt, so lohnt es sich auf jeden Fall, sich die Festschrift genauer anzusehen - ein Gewinn bleibt nicht aus!


Anschrift des Rezensenten

Robert Klaus Jopp
Fürstenstraße 6
D-14163 Berlin