Aktuelles Interview
"Wir brauchen ein qualitativ und quantitativ
hochwertiges Netz an Bibliotheken"
- MdB Philipp Mißfelder im Gespräch mit Ronald Kaiser und Wolfgang Ratzek

Philipp Mißfelder, Jahrgang 1979, studierte Geschichte. Seit 1999 ist er Mitglied im Bundesvorstand der CDU, seit 2002 Bundesvorsitzender der Jungen Union Deutschlands und seit 2005 Abgeordneter im Deutschen Bundestag, wo er Mitglied verschiedener Gremien ist: so im Unterausschuss "Neue Medien" (stellvertretender Vorsitzende), im Unterausschuss "Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik" und im "Ausschuss für Kultur und Medien".

Welche Politikfelder werden in Zukunft an Bedeutung gewinnen?

Klassische Politikbereiche wie die Familien- oder die Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik werden auch künftig sehr wichtig sein. Für ein rohstoffarmes, aber forschungs- und exportstarkes Land wie Deutschland wird es in den kommenden Jahren verstärkt darauf ankommen, innovative Produkte zu entwickeln und auch zu nutzen. Die Grundlage dafür wird in der frühkindlichen Bildung, den Schulen und den Hochschulen geschaffen. Deswegen müssen wir den Fokus noch mehr als bisher auf die Bildungspolitik legen.

Über welche Quellen halten Sie sich über die Entwicklung in der IT-Welt, aber auch über Bibliotheken, auf dem Laufenden?

Das ist verschieden, ich nutze viele Quellen, um mich zu informieren. Hauptsächlich durch die entsprechenden Portale im Internet, aber auch in den Wirtschaftsteilen der Tageszeitungen. Außerdem bin ich ständiger Nutzer der umfassenden und sehr modernen Bundestagsbibliothek und daher immer gut über Neuerungen im Bibliothekswesen im Bilde.

n Ihrer Rede zum Gesetz der Deutschen Nationalbibliothek vor dem Bundestag haben Sie gesagt, dass wir Wissen verfügbar halten müssen. Wie ist das aus Ihrer Sicht möglich?

Wir leben in der Wissensgesellschaft. Das bedeutet zum einen, dass wir uns ständig neue Kenntnisse aneignen müssen, zum anderen aber auch dafür sorgen, dass vorhandenes Wissen für die kommenden Generationen bewahrt bleibt. Dies ist ein Gebot der Nachhaltigkeit. Die Erweiterung des Sammelauftrages der Deutschen Bibliothek um die Erfassung der "nichtkörperlichen Medien", also derjenigen Medien, die in öffentlichen Netzen gespeichert sind, war daher ein richtiger und notwendiger Schritt. Denn der freie und individuelle Zugang zu Wissen und Bildung ist der Schlüssel für das notwendige lebenslange Lernen.

Ist eine stärkere Rolle der Nationalbibliothek für das Informationswesen in Deutschland sinnvoll?

Ja. Denn die Verbreitungsgeschwindigkeit hat sich in den letzten Jahren rasant erhöht. Aber zugleich nahm auch die Unübersichtlichkeit zu. Dass die Nationalbibliothek noch mehr als vorher die zentrale Anlaufstelle ist, um die zunehmend digitalisierten Informationen zu sammeln, zu ordnen und zu kategorisieren, halte ich für einen entscheidenden Fortschritt.

Ebenso sprachen Sie die Vermittlung von Medienkompetenz an. Wer sollte sich dafür verantwortlich zeigen?

Verantwortlich sind bereits die Eltern. Denn wenn Kinder nicht frühzeitig an Kulturtechniken - und der Umgang mit Medien aller Art gehört heute dazu - herangeführt werden, verringert das ihre Bildungschancen. In zweiter Linie sind dann die Kindergärten und Schulen gefragt. Der Computer und das Internet bieten hier viele Möglichkeiten, sofern die Schüler bereits über genügend Schreib- und Lesefertigkeit verfügen. Insgesamt gilt, dass wir das Interesse an Medien und ihrer sinnvollen Nutzung wecken müssen.

Wie sehen Sie die Rolle des Buches in der digitalen Gesellschaft?

Ebenso wie gedruckte Zeitungen wird das Buch immer eine wichtige Informations- und Wissensquelle sein. Gerade Literatur oder umfangreichere Werke lassen sich am besten in Buchform statt auf dem Bildschirm lesen. Zumal Bücher ja eine nicht zu unterschätzende Eigenschaft haben: Es ist ein beständiges Medium, das man gerne zur Hand nimmt - denn es macht Spaß, in Büchern zu blättern, sie zu sammeln und sich eine eigene Bibliothek anzulegen.

Wie können Bibliotheken einen Beitrag zur Demokratie leisten?

Öffentliche Büchereien bieten jedem Bürger die Möglichkeit, sich unabhängig zu informieren, zu recherchieren und sich eine eigene Meinung zu bilden. Unser Gemeinwesen ist auf gut informierte, interessierte und damit auch bisweilen kritische Bürger angewiesen. Deswegen brauchen wir ein qualitativ und quantitativ hochwertiges Netz an Bibliotheken.

Bei ca. 4 Mio. Analphabeten und schlechtem PISA-Ranking scheinen Bibliotheken in der Diskussion ausgeblendet zu sein. Können Sie sich das erklären?

Bibliotheken sind zum Glück noch immer für viele Menschen eine wichtige Informationsquelle und erfreuen sich in der Bevölkerung großer Beliebtheit. Die Nutzung der Büchereien ist nicht zurückgegangen. Leider gibt es das Defizit, dass gerade Menschen aus bildungsfernen Schichten die Angebote nicht wahrnehmen. Hier sind die Schulen, aber auch die Sozial- und Jugendämter gefragt, diese Menschen zu aktivieren und ihnen die Bedeutung von Bildung zu vermitteln. Insgesamt hat sich nach dem PISA-Schock jedoch vieles zum Positiven gewandelt. Insbesondere die unionsgeführten Bundesländer wie Bayern, Baden-Württemberg oder auch Sachsen sind hier die Vorreiter.

Wenn Bibliotheken durch den freien Zugang zu Informationen einen Beitrag zur Demokratie leisten, dann müssen auch Gelder zum Erwerb von Medien und Lizenzen zur Verfügung gestellt werden. Ist das nicht ein Widerspruch, wenn Kommunen sehr häufig beim Kulturetat sparen. Viele Bibliotheken stehen vor der Schließung mangels Finanzmitteln. Sind der Politik Bibliotheken nichts wert?

Die finanzielle Situation vieler Kommunen ist schlecht, doch den pauschalen Vorwurf, die Politik vernachlässige die Kultur, weise ich zurück. Die Kommunalpolitiker, die ich etwa aus meinem Wahlkreis Recklinghausen kenne, handeln verantwortungsbewusst und versuchen, die engen finanziellen Spielräume im Interesse der Bürger sinnvoll zu nutzen. Allerdings bietet sich hier durch bürgerschaftliches Engagement oftmals die Chance, gemeinsam mit der öffentlichen Hand kulturelle Einrichtungen vor der Schließung zu bewahren.

Zum Schluss noch die Frage: Wohin wird sich die Informations- und Wissensgesellschaft aus Ihrer Sicht entwickeln?

Wir haben in den letzten Jahrzehnten erlebt, welche überraschenden Entwicklungen möglich sind. Noch vor rund zehn Jahren war beispielsweise das Internet noch kein Massenmedium. Mittlerweile ist es wie der Computer aus dem Arbeitsleben nicht mehr wegzudenken. Klar ist: Die Vernetzung der globalen Wissensgesellschaft und der weltweite, sekundenschnelle Austausch von Informationen wird immer intensiver. Und immer mehr Menschen werden dadurch die Möglichkeit zur Kommunikation haben.

Vielen Dank für das Gespräch.