Die Zukunft der Fachinformation liegt in der Kooperation


Trotz Abschied weiter in Verbindung: Peter Genth steht seiner Nachfolgerin Ursula Deriu über einen Beratervertrag weiterhin zur Verfügung.
Die neue Geschäftsführerin
von FIZ Technik: Ursula Deriu

An der Spitze des FIZ Technik steht seit 1. Juli 2007 eine Frau: Ursula Deriu, Mathematikerin und langjährige selbstständige Unternehmerin. Über ihre Firma pflegte die Schweizerin mit dem FIZ Technik im Bereich IT und Produktentwicklung ab 1998 engen Kontakt. 2004 übernahm sie die Verantwortung für den IT-Bereich des FIZ Technik. Ab 2006 war Deriu neben Genth Mitglied der Geschäftsführung des FIZ Technik und legte ein Hauptaugenmerk auf die Fertigstellung der neuen FIZ Technik Suchmaschine. Seit dem 1. Juli 2007 ist sie alleinige Geschäftsführerin des FIZ Technik.


Führte durch die Veranstaltung: Dr. Bertold Grützmacher, Vorstandsvorsitzender des FIZ Technik e.V.

Uwe Rosemann, Direktor der TIB Hannover

Dr. Ehrfried Büttner, Leiter des Corporate Information Research Center IRC der Siemens AG

Arnoud de Kemp, Sprecher Arbeitskreis elektronisches Publizieren im Verlegerausschuss des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels

"Fachinformation ist ein Thema, das zu wenig Achtung findet. Gerade, wenn in der Politik das Verständnis nicht da ist, sollten wir zusammenhalten", forderte Arnoud de Kemp in seinem Einführungsvortrag unter der (angekündigten) Überschrift: "Wie sieht die künftige Arbeitsteilung zwischen wissenschaftlichen Verlagen, Fachinformationseinrichtungen und Bibliotheken aus der Sicht der Verlage aus?". Bei der Veranstaltung korrigierte der Sprecher des Arbeitskreises elektronisches Publizieren (AKEP) im Verlegerausschuss des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels seinen Vortragstitel noch einmal auf das knappe, vielsagende Kürzel: "Too much". Damit meinte er nicht die Zusammenarbeit der Fachinformationsbranche, sondern die Publikationsflut, die unzähligen mit der Digitaltechnik neu aus dem Boden sprießenden Verlage und nicht zuletzt die Aufgabestellung des noch nicht gelungenen Transfers des Verlags- und Dokumentationswesens aus dem Print- ins Digitalzeitalter. Als de Kemp dann auf das Verhältnis Verlage, Publizisten, Bibliotheken, Fachinformationswirtschaft und Politik einging, sagte er nicht ohne kritischen Unterton: "Ich glaube, wir reden zu viel; viel zu viel - aber nicht miteinander", eben auch "too much". Und er setzte noch einen drauf: "Wir reden über elektronisches Publizieren, ohne zu wissen, was es ist."

Qualitätssicherung als gemeinsame Aufgabe der Branche

Nachdem de Kemp betont hatte, dass das, was er vortrage, nicht unbedingt die Meinung des Börsenvereins sei, erklärte er: "Verlage gibt es viel zu viele (...) Verleger kann jeder werden" und ging auf die Inflation bei den Publikationen ein. "Das Problem fängt bei den Autoren an. 1,4 Millionen Aufsätze erscheinen pro Jahr, das ist ebenfalls too much." Manuskripte würden immer schneller und zunehmend parallel angeboten, so dass Ablehnungsraten von 70 bis 80, bei manchen wissenschaftlichen Fachpublikationen sogar bis zu 90 Prozent zustande kämen. Die Schreibfreudigkeit der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hätte die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung kürzlich veranlasst, einen Artikel mit der Überschrift "Forscher, begrenzt Eure Emissionen" über das Zeitphänomen zu verfassen (Christian Dries/Hartmut Rosa, FAZ Sonntagszeitung, 8. Mai 2007).

Nun sei es eine wichtige gemeinsame Aufgabe der Branche, Qualitätssicherung und Filtermechanismen der Vergangenheit zu erhalten bzw. entsprechend der Digitaltechnologie neu zu schaffen. Im weiteren Verlauf sprach de Kemp eine Fülle von Fragen an, die sich aus den Entwicklungen ergeben und für die es keine oder nur sehr vorsichtige erste Antwortversuche, keine praktikablen Vorschriften und nicht einmal klare Definitionen gibt: Was ist eigentlich eine Publikation, fragte de Kemp rhetorisch. Vor zehn Jahren hätte jeder sofort unmissverständlich darauf antworten können. Heute ist es deutlich schwieriger. Was sind Netzpublikationen? Und die große Frage, die tief in der ersten Frage wurzelt: Was muss man eigentlich archivieren?

Noch gibt es keine Antwort darauf. Aber die Fragen sind an dieser Stelle bei weitem nicht zu Ende. Darf eine archivierende Nationalbibliothek eine geschützte Schrift zum Bespiel vom Anbieter Adobe in zehn Jahren noch verwenden - oder wird dafür eine neue Lizenz notwendig? zeigt eine Spitze des Eisbergs. Wie geht man mit Verwertungsrechten um? eine andere. Die Palette ungelöster Probleme ist groß.

"Publizieren", resümierte de Kemp, "sollte immer noch sein, was man zitieren kann; was Wert hat." Und das muss gezielt auffindbar sein und bleiben. An dieser Stelle sieht de Kemp eine Rolle des FIZ Technik in der Zukunft: Als so genannte Harvesting Agentur, die gemeinsam mit anderen Beteiligten der Informationswertschöpfungskette "das Zitieren möglich macht". Zitiert werden kann nur, was nachweislich original und dauerhaft wieder auffindbar dokumentiert ist.

TIB ruft zur Kooperation auf

Uwe Rosemann nahm den Ball kurz auf, um auf eines der schärfsten Wettbewerbsinstrumente der Fachinformationsbranche hinzuweisen, nämlich: "die hohe Kompetenz, bibliografische Metadaten zu erzeugen", die heute viel zu sehr unterschätzt werde. Außerdem ginge es bei den Fragen der Dokumentation und Archivierung bei weitem nicht nur um textuelle Materialien - was heute häufig übersehen werde - sondern zunehmend um Primärdaten, also jene Daten, die digital erzeugt und nie vollständig schriftlich publiziert werden, weil das Programm selbst die eigentliche "wissenschaftliche Publikation ist - der Algorithmus, die Simulation die wissenschaftliche Erkenntnis und Leistung. "Primärdaten sind ein Riesenthema", erklärte der Bibliotheksdirektor.

Die digitale Bibliothek führt laut Rosemann dazu, dass sich die klassischen Grenzen zwischen Verlagen, Fachinformationszentren und Bibliotheken verwischen und sich Geschäftsmodelle und Nutzungsmodelle veränderten. "Verlage liefern Bibliotheken Abstracts von Autoren, Verlage können aber auch Volltexte selbst anbieten und brauchen dafür keine Bibliotheken", erklärte Rosemann.

Zur Zukunft der Fachinformation zitierte Rosemann den Auftrag aus dem Abschlussbericht der Bund-Länder-Kommission (BLK) an die Informationseinrichtungen: "Die Informationseinrichtungen müssen ihre Kräfte noch stärker bündeln. Dazu sind fachlich-wissenschaftliche Kooperationen ebenso erforderlich wie service-basierte, thematische Partnerschaften zwischen den Informationseinrichtungen selbst und über diesen engeren Kreis hinaus. Transparenz und Qualität von Dienstleistungen aus der Sicht der Nutzerinnen und Nutzer müssen Leitprinzipien bei allen Entwicklungen sein." Die TIB vernetzt sich seit Jahren mit Partnern aus der Informationswirtschaft. Der Bibliotheksdirektor führte dazu die auf der CeBIT 2005 unterzeichnete Kooperationsvereinbarung mit dem FIZ Technik und das auf der Online Information 2006 in London mit dem FIZ CHEMIE Berlin besiegelte Kooperationsabkommen sowie die Zusammenarbeit mit dem FIZ Karlsruhe im Rahmen der Dokumentenzulieferung zu FIZ AutoDoc an. Die Kooperation mit dem FIZ Technik hat unter anderem die Fachsuche Technik in GetInfo gebracht; das Portal für Fachinformationen für Technik und Naturwissenschaften. An GetInfo sind als Kooperationspartner die TIB, FIZ CHEMIE Berlin, FIZ Karlsruhe und FIZ Technik beteiligt.

TIBORDER, MEDPILOT.DE und ECONIS münden in GOPORTIS

Dann enthüllte Rosemann GOPORTIS, die jüngste Kooperation, zu der sich die TIB mit der Zentralbibliothek für Medizin (ZB MED) und der Zentralbibliothek für Wirtschaftswissenschaften (ZBW) zusammengetan haben. Die Ziele sind ambitioniert: Noch in diesem Jahr soll unter dem Namen GOPORTIS ein neues Portal für die Bestellung wissenschaftlicher Dokumente online gehen - "ein viel geäußerter Wunsch der Kunden", wie in der Pressemitteilung steht. Nach der Ankündigung auf der Veranstaltung in Frankfurt soll die erste öffentliche Vorstellung auf der Online Information 2007 Anfang Dezember in London erfolgen. Ab diesem Zeitpunkt sollen dann über GOPORTIS die Fachgebiete Technik, Naturwissenschaften, Medizin, Ernährung, Umwelt, Agrarwissenschaften und Wirtschaft aus einer Hand bedient werden können. Jede der beteiligten Bibliotheken will nach der Presseinformation "ihre Stärken und Kompetenzen mit den vorhandenen Systemen wie TIBORDER, MEDPILOT.DE und ECONIS" in das Portal einbringen. Die Partner haben für das "hoch integrierte Kooperationsprojekt" laut Rosemann eine Strategie bis 2012 entwickelt und dort "ein bisschen forsch" auch das Thema Langzeitarchivierung hinein geschrieben.

Die Übermacht der wirtschaftlichen Ziele

Den Vortrag, den Ehrfried Büttner hielt, hätte er unverändert in einem Seminar für Wirtschaftswissenschaften oder moderne Betriebsführung an einer Universität halten könne. Der Leiter der zentralen Informationsvermittlungsstelle von Siemens (IRC) erklärte zunächst die wesentlichen methodischen Werkzeuge des Technologiebenchmarkings, erklärte ROCY, das verniedlichende Kürzel für Return of Capital Cash, und leitete dann über zur modernen Personalführung, bei der mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in regelmäßigen Abständen Zielvereinbarungen abgeschlossen werden. Darin wird nicht nur festgeschrieben, was sie in den nächsten Monaten für das Unternehmen in ihrem Arbeitsbereich tun wollen und sollen, sondern auch, wie viel Geld sie damit erwirtschaften müssen.

Mit dieser betriebswirtschaftliche Einführung erklärte Büttner, warum der Stellenwert von Fachinformation in Unternehmen aus seiner Sicht "so ist, wie er ist". "Was tut ein Mitarbeiter, wenn er sieht, dass er seine Ziele voraussichtlich nicht erreichen wird? Er senkt die Kosten - oft bei Information, weil das zunächst verzichtbar scheint", klärte der erfahrene Informationsvermittler auf. Es sei ihm sehr wichtig, auf die herrschende Dominanz der Wirtschaftsziele hinzuweisen, denen sich die anderen Dinge unterordnen müssen. "Ohne Bonitätsauskünfte würde heute keiner mehr ein Geschäft machen, aber sobald die direkte Zuordnung zum direkten wirtschaftlichen Nutzen nicht mehr gegeben ist, wird es schwierig. Der bittere Teil ist, dass die Bedeutung technisch-wissenschaftlicher Information nicht erkannt wird. Die Folgen sind erst langfristig sichtbar, deshalb ist kein Bewusstsein vorhanden." Das Corporate Information Research Center von Siemens finanziert sich durch den Verkauf seiner Produkte und Dienstleistungen selbst. "Wenn wir das nicht täten, würde es uns nicht mehr geben", so Büttner.

Im FIZ Technik hat die Zukunft vor drei Jahren begonnen

"Das Thema heute ist die Zukunft - und ich bin stolz, Ihnen einen Teil davon hier präsentieren zu können", leitete die neue Geschäftsführerin von FIZ Technik, Ursula Deriu, ihren Vortrag ein. "Diese Zukunft hat im FIZ Technik vor drei Jahren begonnen." In einer beeindruckenden Live-Präsentation stellte Deriu die neue Suchmaschine von FIZ Technik vor. Diese verbindet die intuitive Navigation eingeführter Browser mit den Stärken eines hoch modernen, professionellen Retrievalsystems, selektiert und verknüpft alle in den Datenbanken vorhandenen Informationen kreuz und quer nach Belieben und erschließt so die Inhalte für jeden erdenklichen Nutzungszweck. Dabei ist es völlig egal, von welchem Suchbegriff man ausgeht und auf welcher Ebene der Schritt für Schritt abgestuften Suche man sich befindet: Man kann den Suchbegriff auf jeder Stufe, also für jede Antwortmenge, per Mausklick oder auch als Begriff eingegeben, beliebig ändern, beispielsweise wenn sich beim Suchen herausstellt, dass es besser wäre, mit dem Autor weiterzusuchen anstatt mit einem Suchterm.

"Die Oberfläche ist so gestaltet, wie man sich das von einer Antwortmaschine erwartet. Aber es ist eine Suchmaschine", erklärte Deriu schmunzelnd. Diese Unterscheidung hatte zuvor auch schon de Kemp gemacht: Die verbreiteten Internet-Suchmaschinen seien keine Suchmaschinen. Sie seien Antwortmaschinen. Den Begriff Suchmaschinen, darin waren sich die Expertinnen und Experten einig, verdienen nur die Produkte der Informationsbranche. Doch wer schafft es, dies der Welt zu erklären?


Zu der Autorin

Vera Münch ist freie Journalistin und PR-Beraterin

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