„E-journals in der Praxis“, zum Zweiten

Bericht über einen Workshop in Bozen

von Birgit Dankert

In der Universität Bozen fand am 16. und17. April 2008 der erste gemeinsame Workshop der Zentralbibliothek des Forschungszentrums Jülich und der Universitätsbibliothek Bozen in Zusammenarbeit mit der Expertengruppe für Erwerbung und Bestandsentwicklung des DBV und Forum GeSIG zum Management von E-Journals in der bibliothekarischen Praxis statt. Mehr als 40 Teilnehmer/innen aus Deutschland, Italien (Südtirol), Österreich, der Schweiz und Liechtenstein waren der Einladung zu „E-Journals in der Praxis 2“ gefolgt. Die meisten von ihnen hatten in den Antworten auf einen vorab versandten Fragebogen ihre Voraussetzungen und Erwartungen formuliert.

So gut wie alle besaßen unterschiedlich lange, aber mehrjährige Erfahrungen mit der Zeitschriften-Bearbeitung und Lizenzierung von E-Journals. Ihre Bibliotheken gehörten zu mehr als Dreiviertel einem oder mehreren Konsortien an. Die Tatsache, dass trotzdem mehr als die Hälfte keine Statistik oder Monitoring-Systeme im Arbeitsbereich E-Journals einsetzen, bestimmte nicht unwesentlich die Erwartungen und Debatten der Teilnehmer. So gehörten denn auch Lizenzbedingungen, Monitoring, Erschließung und Freischaltung von E-Journals zu den erwünschten Themenkreisen.

Elisabeth Frasnelli, Direktorin der Universitätsbibliothek Bozen, und Rafael Ball, Direktor der Zentralbibliothek des Forschungszentrums Jülich, betonten in ihrer Begrüßung die Praxis-Orientierung dieses zweiten Workshops, der die Macher und internen User, nicht die Produzenten, Träger und Theoretiker ansprechen wollte.

Wie sehr sich E-Journals in den Geschäftsgang einer ständig im Wandel befindlichen wissenschaftlichen Universal-Bibliothek einfügen, demonstrierte Klaus Kempf mit dem „Organisatorischen Maßanzug für die digitale Bibliothek“ der Bayerischen Staatsbibliothek. Kempf argumentierte betriebswirtschaftlich und visionär zugleich, indem er die Einführung von E-Journals als Teil des Innovations- und Organisations-Managements definierte und Zuständigkeit wie Qualifizierung aller Mitarbeiter und Abteilungen einforderte.

Drei Wissenschaftler (Michael Bosnjak, Diego Calvanese, Michael Neugart) und eine Absolventin (Alba Troisi) der Universität Bozen berichteten aus der Sicht der Nutzer von ihren Erfahrungen und Wünschen bei der Verwendung von E-Journals. Dabei wurde deutlich, dass:

Bei der Schilderung der Suchwege fiel die Variationsbreite der jeweils gewählten Zugänge auf. Bibliotheksintern generierte Instrumente standen dabei nicht eindeutig im Vordergrund. Lehrende und Studienabsolventin waren der Meinung, dass die computergestützte gezielte Verwendung von Dokumenten aus E-Journals erst gegen Ende des Bachelor-Studiums, etwa bei der Erstellung der Examensarbeit, relevant wird. Diese Meinung führte zur Diskussion um aktuelle und in Zukunft wünschenswerte EDV-Kenntnisse der Studenten, um den pädagogischen Auftrag wissenschaftlicher Bibliotheken und die Integration von IT-Modulen in die neuen Bachelor-Studiengänge.

Ein weiterer Aspekt war die Bedeutung der E-Journals für den Wissenschaftler als Autor. Veröffentlichungen in renommierten Fach-Journalen, das Aufscheinen des Namens im Science Citation Index und digital zugängliche strukturierte Angaben der Publikationen und Projekte dienen der Profilbildung und Karriere. Der in Bibliotheken geschaffene Zugang zu E-Journal-Beiträgen unter dem Namen des Autors trägt bei zur „Maximierung des wissenschaftlichen Impacts“.

Wie sieht das Macht- und Entscheidungspotential der Bibliotheken aus? Wer übt die größte Wirkung auf die Verbreitung eines Artikels, eines Autors aus? Sind es die der Veröffentlichung vorgeschalteten Bewerter, sind es die Verlage oder die Bibliotheken und ihre Nutzer? Wie wird Selektion und Zugang zum Erfolgsmesser? Dazu gibt es bisher keine eindeutigen Befragungsinstrumente und keine übereinstimmende Meinung der Experten und Praktiker.

Entscheidungshilfen boten die einführenden Referate zu Nutzungsstatistiken von Adalbert Kirchgäßner (Universitätsbibliothek Konstanz), Sebastian Mundt (Hochschule der Medien Stuttgart) und Eveline Pipp (Universitätsbibliothek Innsbruck). Vor dem Hintergrund von Informationen zu COUNTER Code, SUSHI, ISO/FDIS 11620 und NESLi2-Studie wurden Zielvorstellungen der bisher nicht einheitlich erhobenen und verwandten Betriebs- und Leistungszahlen deutlich. Nutzungsstatistiken zu E-Journals sollen:

Welche Rolle kommerzielle Systeme für die Nutzungs-Statistik spielen können, zeigten die Berichte von Uta Kaminsky über das ERM-System VERDE im Friedrich-Althoff-Konsortium (FAK), von Margit Palzenberger über die Verwendung der Serial Solutions in der Max-Planck Digital Library (München) und von Wolfgang Mayer über Ulrich's Serial Analysis System (USAS) in der Universitätsbibliothek Wien. In allen Fällen können jeweils nur Teile des jeweiligen Systems für die individuell definierten Aufgaben der Institution genutzt werden. Immer sind zusätzliche Inhouse-Ergänzungen notwendig.

VERDE wird im FAK zur Dokumentation, zum strukturierten Zugang der Management-Daten gemeinschaftlich beschaffter E-Ressourcen der FAK-Mitglieder genutzt, aber auch zum gezielten Zugriff auf hier verwaltete Vertragsdaten. Im Electronic Ressource Management der Max-Planck Digital Library stellt die für Nutzungsstatistiken geeignete Komponente des Serial Solution Systems nur einen von vielen Faktoren der Verwaltung und Strukturierung der Daten im E-Journal-Bereich dar. Es wird zurzeit hauptsächlich als Back-Office-System eingesetzt und ist auch in Zukunft nicht für die Analyse der Endnutzung geplant. Als ERM-System besitzt es die Vorteile von Verständlichkeit, nachhaltiger Pflege durch den Produzenten, und einer Konsistenz, die auch wechselnde Mitarbeiter und heterogene Nutzerschaft verträgt. Der Daten-Analyse-Teil von Ulrich's Serial Analysis System (USAS) enthält fünf Module, die nach der Herkunft der in Relation zu setzenden Dokumenten-Listen des Systems organisiert sind (z.B. „Your Library Reports“, „Peer Group Reports“). Die Universitätsbibliothek Wien nutzt USAS als Teil ihres Collection Developments zur Angebotsanalyse, Qualitätskontrolle und Rentabilitäts-Überprüfung. Endnutzerdaten benötigen auch hier zusätzliche Tools kommerzieller Anbieter oder Inhouse-Lösungen.

Systeme auf dem Prüfstand

Drei erprobte Inhouse-Systeme wurden von den verantwortlichen Praktikern auf den Prüfstand gestellt. Ingrid Heinen und Cornelia Plott berichteten über das ERM-System der Zentralbibliothek des Forschungszentrums Jülich. Helmut Hartmann führte in die ERM-Praxis der Universitätsbibliothek Graz ein. Kathrin Behrens informierte über die statistische Arbeit im Referat „Zeitschriften und elektronische Medien“ der Bayerischen Staatsbibliothek.

Verwaltung und Monitoring sind die Hauptaufgaben des Jülicher Inhouse-Systems. Eine auf spezielle Fragen ausgerichtete Nutzungsstatistik und das Monitoring von Beschwerde-Management, E-Book-Verwaltung, Lizenzdetails und Artikel-Versand werden angestrebt. Vorteile liegen nach Meinung der Praktikerinnen in:

Der Anwender des auf der Fernzugriffs- und Statistiksoftware HAN basierenden ERM-Systems der Universitätsbibliothek Graz sieht ähnliche Vorteile. Bei Verteilungskämpfen einer Universität hilft das Monitoring zudem zur Klärung der Konstellationen Ressourcennutzung versus Kosten, Bestandsdifferenzierung Campus versus externe Depots. Präferierung und Differenzierung von Zugangswegen, Relevanz-Vergleiche, ressourcenspezifisches Benutzerverhalten, Export der Daten in EXCEL zur freien Weiterverarbeitung und Beweismittel bei Missbrauch stellen weitere Anwendungsfelder des HAN-gestützten Systems dar. Das Monitoring- und Statistik-System der Bayerischen Staatsbibliothek bedient sich mehrerer Quellen (u.a. EZB, Swetswise, Statistiken großer kommerzieller Anbieter), um mit internen Zusätzen je nach Aufgabenstellung und Zielsetzung Erwerbungs-, Lizenzierungs-, Erschließungs- und Vermittlungsentscheidungen vorzubereiten.

Das Profil einer Nutzungs-Statistik muss dem Anforderungsprofil der Institution entsprechen – darüber herrschte im Plenum Einigkeit. Aber der Umsetzungsprozess fällt schwer und gelingt bisher fast nur in einer mutigen Mischung eingekaufter und individuell entwickelter Tools. Schwierig ist die Übersetzung von Qualität, Effizienz und Entscheidungshilfe in statistische Größen. Bedenkenswerte Warnung geben die „erschütternden Zahlen der Nicht- und Kaumbenutzung“ (Kirchgäßner) von E-Journalen. 80% der Nutzung geht in der Regel auf 20% der verfügbaren Dokumente zurück. So etwas wie ein Pflichtenheft der Leistungserhebung im E-Journal-Bereich existiert ebenso wenig wie internationale, bedenkenlos übernehmbare Best-Practice-Lösungen.

Auf den Punkt gebracht

Die obligatorische Frage der Abschluss-Diskussion nach der Entwicklung der E-Journals und ihrer bibliothekarischen Verwendung in den nächsten fünf Jahren brachte wesentliche Erkenntnisse des Workshops noch einmal auf den Punkt.

Kirchgäßner: Wie die gesamten IT-Medien werden auch E-Journals in Produktion, Distribution, Erschließung und Nutzung einem rasanten, aber schwer voraussehbaren Wandel unterliegen. Voraussehbar ist das Ende des konventionellen Zeitschriften-Abonnements. Aber auch die gegenwärtige Lizenzierung wird Änderungen erfahren, die von Bibliotheken nach ihren Zielvorstellungen mit gestaltet werden sollten. Gleichzeitig ist eine Öffnung der gegenwärtig noch restriktiv verschlossenen Fachdatenbanken absehbar.

Mundt: Monitoring-Systeme, Leistungsindikatoren und Statistik für E-Journals werden in den einzelnen Bibliotheken bei allen Forderungen nach national einheitlichen Regeln von Unterscheidungen abhängen, die das gesamte Bibliotheksmanagement zunehmend prägt. „Habende“ und „gebende“ Bibliotheken werden vornehmlich Informations- und Nutzungsflüsse, „nehmende“ Institutionen aber Einzelnutzung registrieren. Beide Typen werden auch innerhalb der Bibliotheksverwaltung Marktgesetze berücksichtigen müssen, um die Interessen der Endnutzer optimal erfassen und bedienen zu können.

Kempf: Für die „Habenden“ wie die großen wissenschaftlichen Universalbibliotheken mit riesigen Beständen des analog gespeicherten Kulturerbes ist die Konvergenz der Medien für das Content-Management der Zukunft eine conditio sine qua non. Absehbar erscheint eine starke Ausdifferenzierung des Nutzerinteresses, die zur Re-Typisierung oder Individualisierung des Nutzers führen könnte. Damit rückt erneut die Frage nach den Orientierungspunkten von Erwerb und Angebot in den Mittelpunkt. Sollen E-Journals enzyklopädisch breit oder in stringenter Konsequenz der Nachfrage eingekauft und zugänglich gemacht werden?

Wer diese Entscheidungsfelder der Zukunft anhand gegenwärtiger Praxis noch einmal genauer anschauen wollte, konnte nach dem offiziellen Abschluss des Workshops mit Hilfe einiger Referenten erneut die demonstrierten Systeme erproben.

Aber nicht nur als gut organisiertes Fach-Forum, auch als souveräner Gastgeber, zeigte sich die Universitätsbibliothek Bozen wieder einmal von der besten Seite. Ein festliches Essen im Traditionshotel „Luna“ gab Gelegenheit, nicht über die digitalen Wege der E-Journals, sondern auf menschlich-direkte Weise zu genießen.


Autorin

Prof. Birgit Dankert

Emerita der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW)

Dethleffsenweg 15 b
24960 Gluecksburg
www.birgitdankert.de