Webbasierte Literaturverwaltung –
neue Kooperationsformen und Anwendungsszenarien1


Abstracts

Das „geschlossene“ System
„Halboffene“ und „offene“ Systeme
Anwendungsszenarien
Perspektiven
Fazit

von Thomas Stöber und Astrid Teichert

Der Bereich der Literaturverwaltung ist in den letzten Jahren stark in Bewegung geraten. Wurde der Markt über lange Jahre durch Anwendungen wie Endnote und Reference Manager dominiert, sind nun in kurzer Zeit neben diese etablierten Produkte zahlreiche neue Softwares und Tools getreten. So gibt es seit 2002 mit RefWorks2 ein Literaturverwaltungsprogramm, das vollkommen webbasiert arbeitet; im Bereich der Social Software sind Anwendungen wie BibSonomy, CiteULike und Connotea entstanden3; und das vielbeachtete Tool Zotero4 beschreitet gänzlich neue Wege, indem es sich als Add-On direkt in den Browser integriert.

Ein umfangreicher Vergleich wichtiger aktueller Literaturverwaltungsprogramme bzw. -dienste, der im Rahmen eines DFG-Projekts an der UB Augsburg entstanden ist5, hat dabei gezeigt, dass die verglichenen kommerziellen Programme (Citavi, Endnote mit Endnote Web, RefWorks) mittlerweile kaum mehr Unterschiede beim Leistungsumfang aufweisen6. Der zentrale Unterschied liegt vielmehr in der zugrundeliegenden Arbeitsphilosophie: während Anwendungen wie Citavi und Endnote als Einzelplatzlösungen konzipiert sind und eher auf einen individuellen Datenpool abzielen, arbeiten Endnote Web und RefWorks webbasiert und können dadurch auch eine Reihe zusätzlicher Kooperationsfunktionalitäten bereitstellen.

Ebenfalls webbasiert arbeiten Dienste wie BibSonomy und Connotea, die in den letzten Jahren neben diese kommerziellen Produkte getreten sind und das Prinzip der Social Software auf den Bereich der Literaturverwaltung übertragen. Auf diese Entwicklung haben bereits erste Bibliotheken reagiert und diese Dienste in ihre Angebote eingebunden. So kann beispielsweise im Kölner Universitäts-Gesamtkatalog aus der Trefferanzeige heraus über einen entsprechenden Button ein Treffer direkt an BibSonomy gesendet werden; die Metadaten der im Dokumentenserver der LMU München gespeicherten Dokumente werden automatisch in Connotea eingespeist7.

Diese Beispiele machen deutlich, dass wir es derzeit mit einer sehr dynamischen Entwicklung zu tun haben, die zugleich offenbar zu einem qualitativen Sprung im Bereich der Literaturverwaltungsprogramme bzw. -dienste geführt hat. Um diesen qualitativen Sprung etwas genauer zu beschreiben, möchten wir im Folgenden eine Typologie vorstellen mit dem Ziel, die einzelnen Entwicklungstendenzen besser sichtbar zu machen. Im Anschluss möchten wir auf die Frage eingehen, welche konkreten neuen Anwendungsszenarien des wissenschaftlichen Arbeitens sich aus diesen Entwicklungen ableiten lassen.

Wir unterscheiden in diesem Sinne drei Arten von Literaturverwaltungsprogrammen:

  1. die „traditionelle“ Literaturverwaltung, die wesentlich auf einen einzelnen Nutzer und seine Daten bezogen ist („geschlossenes System“)
  2. die webbasierte Literaturverwaltung I, die Online-Accounts bereitstellt mit der Möglichkeit von begrenzten Freigaben für andere Nutzer („halboffenes System“)
  3. die webbasierte Literaturverwaltung II, die – ganz im Sinne der Social Software – auf einen gemeinsamen Datenpool abzielt („offenes System“).

Das „geschlossene“ System

„Traditionelle“ Literaturverwaltungsprogramme wie Endnote (ohne Endnote Web) und Citavi sind wesentlich auf einen einzelnen Nutzer und seinen Bestand an Literaturnachweisen ausgerichtet. Ihre Arbeitsweise lässt sich als mehr oder weniger linearer Prozess Import > Verwaltung > Export beschreiben: vom Bezug bibliographischer Daten aus verschiedenen Datenquellen (oder der manuellen Eingabe) über die Verwaltung dieser Daten hin zur Generierung von fertig formatierten bibliographischen Angaben in wissenschaftlichen Texten (siehe Abb. 1).


Abb. 1: Schema der „traditionellen“ Literaturverwaltung

„Halboffene“ und „offene“ Systeme

Mit den neuen webbasierten Literaturverwaltungsprogrammen hat sich dieses Bild verändert. Im kommerziellen Bereich sind dies – wie bereits erwähnt – Endnote Web als Online-Erweiterung zu Endnote und RefWorks als eine Anwendung, die von Anfang als reiner Online-Dienst konzipiert war; im Bereich der Social Software sind hier vor allem BibSonomy, CiteULike und Connotea zu nennen. Diese Webbasiertheit ist Ausdruck eines generellen Trends: der zunehmenden Verlagerung klassischer Desktop-Anwendungen ins Netz, was ein (relativ) ortsunabhängiges sowie plattformunabhängiges Arbeiten möglich macht. Prominente Beispiele für solche Applikationen sind webbasierte Bookmarkverwaltungen wie delicious und Online-Office-Dienste wie Google Docs und Zoho8.

Die neuen Literaturverwaltungsprogramme bilden den genannten linearen Prozess natürlich ebenfalls ab, eröffnen jedoch in Forschung und Lehre zugleich ganz neue Kooperationsmöglichkeiten. Beispielsweise können nun eigene Bibliographien über das Netz anderen Wissenschaftlern oder Studierenden zugänglich gemacht werden; umgekehrt kann ein gemeinsamer Account von mehreren Wissenschaftlern im Rahmen einer Forschungskooperation genutzt werden. Was jeweils möglich ist, hängt dabei von den technischen Gegebenheiten ab; wir haben deshalb zwischen dem „halboffenen“ und dem „offenen“ System unterschieden. Webbasierte kommerzielle Systeme wie RefWorks (mit der Ergänzung RefShare) und Endnote Web (als Online-Erweiterung zu Endnote) sind „halboffene“ Systeme: sie machen – ausgehend von den einzelnen Accounts ihrer Nutzer – bestimmte Formen der Kooperation möglich. Dabei sind grundsätzlich zwei Arten der Kooperation denkbar:

„Offenen“ Systemen wie den Social Software-Diensten BibSonomy und Connotea liegt hingegen ein anderes Prinzip zugrunde. Kontext dieser Dienste ist das Social Bookmarking – die Verwaltung und Erschließung von Internetressourcen in einem digitalen Netzwerk. Bookmarks werden hier in der Datenbank eines Anbieters (beispielsweise delicious) gesammelt und von den Nutzern gemeinschaftlich über Tags erschlossen. Aus dieser Struktur heraus ergeben sich „soziale“ Effekte: durch die gemeinschaftliche Erschließung entstehen „folksonomies“, Nutzer mit verwandten Interessen lassen sich ermitteln und einiges mehr.

Es liegt nahe, dieses Social Bookmarking-Prinzip von Internetressourcen auf bibliographische Angaben zu übertragen. Dienste wie BibSonomy und Connotea leisten genau dies: die bibliographischen Angaben werden in einen gemeinsamen Datenpool der Nutzer eingespeist; über die gemeinschaftliche Erschließung dieser Literaturangaben mittels Tags entstehen „folksonomies“. Aus diesem Pool kann der einzelne Nutzer nun leicht bibliographische Angaben in seine Sammlung übernehmen; wie in den Social Bookmarking-Diensten lassen sich zudem Nutzer mit verwandten Interessensgebieten ermitteln und deren Bibliographien sichten und auswerten.

Im Unterschied zum begrenzten Nutzerkreis bei RefWorks und Endnote Web hat man es bei BibSonomy, Connotea & Co. also mit einem prinzipiell offenen Benutzerkreis zu tun. Die Datensammlungen dieser Systeme kann man insofern als „informelle Gemeinschaftsbibliographien“ bezeichnen, die zwischen den beiden traditionellen Instanzen der Kataloge und Bibliographien einerseits und der „privaten“ Literatursammlung andererseits stehen9. Der einzelne Account ist hier nur eine Teilmenge des bzw. eine bestimmte Sicht auf den gemeinsamen Datenpool.

Anwendungsszenarien

Welche konkreten neuen Anwendungsszenarien für Forschung und Lehre ergeben sich nun aus diesen technischen Neuerungen? Hierfür sind zwei Perspektiven wichtig: einerseits diejenige der Forschenden, Lehrenden und Lernenden, deren Anforderungen eine adäquate Umsetzung finden sollen; zum anderen diejenige der Bibliotheken, die als Anbieter von Dienstleistungen rund um das Thema Literaturverwaltung auftreten. Dabei sind drei konkrete Anwendungsszenarien denkbar, die im Folgenden beschrieben werden sollen.

Freigaben mit Lesezugriff

Hierbei werden Teile des eigenen Datenpools für externe Nutzer freigegeben, wobei diese lediglich einen Lesezugriff auf diese Daten haben. Klassisches Beispiel hierfür ist die Bereitstellung einer Literaturliste für eine Lehrveranstaltung in elektronischer Form. Dabei kann der Dozent die von ihm gesammelten Daten bequem in einen elektronischen Semesterapparat exportieren oder die Liste direkt über das Literaturverwaltungsprogramm veröffentlichen.

Realisiert wird dies beispielsweise mit dem webbasierten Literaturverwaltungsprogramm RefWorks. Voraussetzung ist der Erweb einer Fakultäts- oder Campuslizenz der RefWorks-Software. Der Dozent legt hier einen Account an, in dem er seine Literaturangaben sammelt und verwaltet. Teile dieser Datensammlung kann er innerhalb eines separaten Ordners mittels RefShare für einen interessierten Anwenderkreis freigeben. Die Literaturangaben in diesem Ordner werden nach der Freigabe mit einer eigenen URL versehen, die an die Teilnehmer einer Lehrveranstaltung per E-Mail versandt werden kann. Auch ohne selbst registrierter Nutzer von RefWorks zu sein, kann hier jeder, der diese URL kennt, auf die Daten zugreifen und den vollen Funktionsumfang von RefShare nutzen (siehe Abb. 2).


Abb. 2: Freigabe von Literaturangaben mittels RefShare

Die Teilnehmer der Lehrveranstaltung können die Literaturliste sichten, bibliographische Angaben in den eigenen RefWorks-Account übernehmen, aber auch in eine andere Literaturverwaltungssoftware exportieren. Des Weiteren erhält der Benutzer die Möglichkeit, die Literaturangaben mit Kommentaren zu versehen und so in einen Austausch mit dem Dozenten und den anderen Teilnehmern zu treten. Der Dozent kann seine Literaturliste während des Semesters problemlos aktuell halten, indem er die neuen Literaturangaben in den freigegebenen Ordner seines RefWorks-Accounts aufnimmt; die Teilnehmer können sich über einen RSS-Feed auf dem Laufenden halten.

Vorteil bei der Verwendung einer Literaturverwaltungssoftware wie RefWorks ist, dass im Vergleich zu einem elektronischen Semesterapparat kein zusätzlicher Pflegeaufwand anfällt. Die Daten werden in einem Konto gepflegt und ihre Aktualisierung bzw. Veränderung wirkt sich automatisch auf die freigegebenen Ordner aus. Damit muss der Dozent nur ein einziges Arbeitsinstrument verwenden, um die eigenen Angaben und die Freigaben zu verwalten.

Der zentrale Punkt ist also die dynamische Generierung der Literaturliste aus dem eigenen Account des Dozenten heraus. Es ist kein manueller Upload und auch keine separate Aktualisierung und Pflege der bibliographischen Angaben erforderlich. Auf diese Weise können beispielsweise auch thematische Bibliographien oder das eigene Schriftenverzeichnis im Netz publiziert werden.

Aus Sicht der Anbieter von Literaturangaben ist jedoch bei der Freigabe Vorsicht geboten. RefWorks bietet die Möglichkeit, neben den Metadaten auch die jeweiligen Volltexte zu archivieren, so dass die Gefahr besteht, mit den bibliographischen Daten auch die Volltexte zu veröffentlichen. Dies kann aus lizenzrechtlichen Gründen sehr problematisch sein.

Dem Vorteil der ohne zusätzlichen Pflegeaufwand laufend aktuell gehaltenen Liste in RefShare steht der Nachteil des fehlenden „Brandings“ gegenüber. In der beschriebenen Realisierung über RefShare steht das RefWorks-Layout deutlich im Vordergrund, Überschrift und Infotext sind relativ versteckt, während insbesondere Schriftenverzeichnisse in der Regel doch eher im Design der eigenen oder der hochschuleigenen Webseite erscheinen sollten.

Gemeinsamer Datenpool – geschlossen

Ein zweites Anwendungsszenario besteht in einem gemeinsamen Datenpool für einen begrenzten Teilnehmerkreis. Denkbar ist hier beispielweise eine Projektbibliographie, die sich eine Arbeitsgruppe mit Hilfe einer Literaturverwaltungssoftware gemeinsam erarbeitet. Dank der Webbasiertheit kann die Kooperation dabei sowohl institutionsübergreifend als auch über Ländergrenzen hinweg erfolgen.

Eine Umsetzungsmöglichkeit für diesen gemeinsamen geschlossenen Datenpool bietet Endnote in Kombination mit Endnote Web. Die Mitglieder einer Arbeitsgruppe arbeiten hierbei lokal auf ihren Rechnern mit der Desktop-Version von Endnote. Zum Austausch auf einer Internetplattform wird zusätzlich ein gemeinsames Konto bei Endnote Web eröffnet. Für alle ISI Web of Knowledge-Abonnenten bietet Thomson die Möglichkeit, dass sich Angehörige dieser Institutionen kostenlose Endnote Web-Accounts einrichten. Die Literaturangaben von gemeinsamem Interesse transferieren die Beteiligten dann aus der Desktop-Version in Endnote Web und bedienen sich umgekehrt aus diesem Datenpool. Ab Version X arbeitet Endnote Web mit Endnote zusammen, so dass ein Datenaustausch zwischen der Einzelplatz- und der Online-Version problemlos möglich ist (siehe Abb. 3).


Abb. 3: Datenaustausch zwischen EndNote und EndNote Web

Endnote Web alleine bietet darüber hinaus bereits die Möglichkeit, über sogenannte Share-Ordner Literaturangaben aus dem eigenen Account heraus mit Lese- und Schreibzugriff für andere Nutzer freizugeben. Damit können mehrere EndNote Web-Nutzer einen gemeinsamen Share-Ordner einrichten und dort bibliographische Angaben kooperativ sammeln und erschließen.

Das Szenario eines gemeinsamen Datenpools kann ebenso über das Bilden einer „Group“ in BibSonomy realisiert werden. Nach dem Einrichten einer Gruppe können alle Teilnehmer Literaturangaben einbringen. Diese bibliographischen Daten können für alle Interessenten freigegeben werden, aber auch dieser Gruppe von Nutzern vorbehalten bleiben. Damit kann BibSonomy ebenfalls als gemeinsames Arbeitsinstrument und Austauschplattform innerhalb einer Projektgruppe genutzt werden (siehe Abb. 4).


Abb. 4: Groups in BibSonomy

Gemeinsamer Datenpool – offen

Als drittes Anwendungsszenario ist schließlich ein gemeinsamer Datenpool für einen offenen Teilnehmerkreis denkbar. Ein solcher gemeinsamer Datenpool ist das Grundprinzip der Social Software-Dienste wie BibSonomy, CiteULike oder Connotea. Dabei kann man grundsätzlich zwischen einer aktiven und einer passiven Nutzung der Dienste unterscheiden. Die aktive Nutzung bedeutet das Einbringen von Literaturangaben in die Datenbank des Anbieters; damit kann beispielweise ein Wissenschaftler die eigenen Literaturnachweise einer größeren Wissenschafts-Community zugänglich machen. Die passive Nutzung dagegen beschränkt sich darauf, die Erschließungsarbeit von Anwendern mit verwandten Interessen zu nutzen. Statt in klassischen Bibliothekskatalogen und Bibliographien zu recherchieren, werden hier die Social Software-Dienste als Datenquellen genutzt – die Dienste fungieren wie oben beschrieben als „informelle Gemeinschaftsbibliographien“.

Perspektiven

Gerade weil die anfangs beschriebenen aktuellen Entwicklungen aber noch keinesfalls abgeschlossen sind, werfen diese Anwendungsszenarien jedoch auch eine Reihe von Fragen auf, auf die wir abschließend eingehen möchten.

Offene Wissenschaft?

So stellt sich beispielsweise die grundsätzliche Frage, ob das „offene System“ der Social Software-Dienste tatsächlich ein realistisches Modell für die Wissenschaft darstellt. Laura Cohen hat in einem Blog-Eintrag10 bereits von einem „social scholarship“ gesprochen und meint damit explizit auch die Nutzung von Connotea und CiteULike, um über diese Dienste Literaturangaben aus der eigenen Forschungstätigkeit zur Verfügung zu stellen. Gegen eine solche aktive Nutzung (vgl. oben) könnte man jedoch einwenden, dass gerade in Zeiten einer wachsenden Konkurrenz um Forschungsgelder sowie der Tendenz hin zur Einrichtung von Elitestudiengängen und -universitäten die Wissenschaft häufig vom Wissensvorsprung lebt. Der Einblick in die Literaturdatenbank eines Wissenschaftlers lässt immer auch Rückschlüsse auf seine aktuelle Forschungstätigkeit zu sowie eventuell auch über seine Ergebnisse, die er in Form von Publikationen, Patenten u. a. verwerten möchte. Wissenschaftler haben also häufig gar kein Interesse daran ihre Bibliographie öffentlich zugänglich zu machen. Gegen die passive Nutzung der Social Software-Literaturverwaltungsdienste spricht, dass für die meisten Wissenschaftsdisziplinen bereits einschlägige Bibliographien und Datenbanken vorliegen. Deren Qualität ist zum großen Teil höher als diejenige der Datenpools in den Social Software-Anwendungen und ihre Verwendung als Arbeitsinstrumente hat sich in den Fachdisziplinen seit langem etabliert. Der Vorteil der Social Software-Dienste könnte hier höchstens in der schnelleren Erschließung und in den genannten „sozialen“ Effekten liegen.

Echte Alternative?

Bei kritischer Betrachtung stellt sich die Frage, ob die neuen Social Software-Dienste tatsächlich eine echte Alternative zu den kommerziellen Anwendungen darstellen. Vom Leistungsumfang her haben die Social Software-Anwendungen deutliche Defizite gegenüber den kommerziellen Programmen11. So fehlen fast durchgängig kontrollierte Vokabulare und Vorschlagslisten für Inhalte, Personen oder Zeitschriften. Zum Teil bieten die Dienste keine Möglichkeiten einer Zuordnung von bibliographischen Angaben zu Ordnern bzw. hierarchischen Gruppen, die das Arbeiten mit großen Datenmengen wesentlich erleichtern. Vor allem im Bereich der Erstellung vollständig formatierter Literaturangaben und der Verknüpfung mit Textverarbeitungssystemen weisen sie zudem große Schwächen auf. Es gibt keine oder kaum vordefinierte Zitierstile und die Anbindung an Office-Programme ist häufig nicht gewährleistet. In Disziplinen, in welchen sich Latex und BibTex zur Erstellung von Dokumenten durchgesetzt haben, mag dies keine entscheidende Rolle spielen. In geisteswissenschaftlich geprägten Disziplinen stellen derartige Defizite aber eine entscheidende Hürde dar. Umgekehrt allerdings könnten diese Leistungsunterschiede aber bald ausgeglichen sein, da die Entwicklung der Social Software-Dienste zum Teil rasant fortschreitet.

Künftige Konvergenz?

Mit der obigen Typologie geschlossenes – halboffenes – offenes System haben wir auf die Differenzen zwischen den verschiedenen Anwendungen abgehoben. Gleichzeitig jedoch kann man zunehmend Konvergenzen zwischen den einzelnen Anwendungen feststellen. Endnote bildet hierfür ein prägnantes Beispiel: Die Software war ursprünglich eindeutig als Einzelplatzlösung konzipiert und auf individuelle Datenbestände ausgerichtet. Mit der Erweiterung Endnote Web bietet sie nun jedoch neben der Online-Verwaltung auch eine Kooperationsfunktion für Arbeitsgruppen. Eine ähnliche Entwicklung zeichnet sich auch bei Swiss Academic Software, dem Anbieter von Citavi, ab. Citavi Web soll 2009 zur Verfügung stehen und bietet Teams die Möglichkeit, gemeinsam lokal oder global an serverbasierten Citavi-Datenbanken zu arbeiten.

Bei RefWorks lässt sich die umgekehrte Tendenz beobachten: Die grundsätzlich webbasierte Software, die auf ausschließliche Onlinenutzung ausgerichtet war, wurde um ein Offline-Modul zur Kommunikation mit Word erweitert. Mit dem Instrument Write-N-Cite kann man die eigene Datenbank auf dem Desktop speichern und offline Literaturangaben in erstellte Texte und Manuskripte einfügen. RefWorks plant zudem seinerseits die Entwicklung von Social Software-Komponenten. Dies beinhaltet unter anderem Tagging-Möglichkeiten in RefShare, die Schaffung einer „RefCommunity“ sowie ein Recommendersystem. Damit verschmelzen die „klassischen“ Aufgaben einer Literaturverwaltungssoftware mit den innovativen Web 2.0-Anwendungen. Diese Konvergenzen haben zur Folge, dass die Arbeitsphilosophie (webbasiertes Arbeiten vs. Einzelplatzlösung; Teilen von Daten innerhalb einer Gruppe vs. Sammlung eines Einzelnen), die bislang ein wesentliches Kriterium bei der Entscheidung für eine Literaturverwaltungssoftware war, zunehmend unwichtiger wird. Entscheidend sind in dieser Konstellation eher Kriterien wie Benutzerfreundlichkeit, der gesamte Funktionsumfang, sowie das Preis-Leistungsverhältnis.

Fazit

Diese Beispiele zeigen, dass der Bereich der Literaturverwaltungsprogramme also auch weiterhin von einer starken Dynamik geprägt sein wird. Nicht zuletzt die angesprochene Konvergenz der Programme führt zu einem wachsenden Konkurrenzdruck zwischen den verschiedenen kommerziellen Anbietern. Die wissenschaftlichen Bibliotheken sind insofern vermutlich gut beraten, diese Entwicklung so aufmerksam wie möglich zu verfolgen.


Autoren

Dr. Thomas Stöber

Universitätsbibliothek Augsburg
Fachreferate Romanistik und Philosophie
DFG-Projekt „Aufbau eines IT-Servicezentrums“
thomas.stoeber@bibliothek.uni-augsburg.de

Astrid Teichert

Universitätsbibliothek Augsburg
Fachreferate Mathematik und Physik
DFG-Projekt „Aufbau eines IT-Servicezentrums“
astrid.teichert@bibliothek.uni-augsburg.de


Bibliographie

Cohen, Laura B.: Social Scholarship on the Rise. 2007. <http://liblogs.albany.edu/library20/2007/04/social_scholarship_on_the_rise.html>

Eberhardt, Joachim: Über Literaturverwaltungsprogramme, Dokumentenmanager und andere elektronische Helfer. 2006. <http://iasl.uni-muenchen.de/discuss/lisforen/Eberhardt_Softwaretest.html>

Heller, Lambert: „Bibliographie und Sacherschließung in der Hand vernetzter Informationsbenutzer“. In: Bibliothek: Forschung und Praxis 31, 2 (2007), S. 162-172

Heller, Lambert: RefWorks - kollaborative Netze per Campuslizenz? 2007. <http://log.netbib.de/archives/2007/11/12/refworks/>

Hobohm, Hans-Christoph: „Persönliche Literaturverwaltung im Umbruch – vom Bibliographie-Management zum Social Bookmarking. Anmerkungen zu Endnote, Reference Manager, RefWorks und Connotes. In: Information – Wissenschaft und Praxis 56, 7 (2005), S. 385-389

Waldrop, Mitchell: „Science 2.0 – Is Open Access Science the Future? Is posting raw results online, for all to see, a great tool or a great risk?”. In: Scientific American 298/5 (2008) <http://www.sciam.com/article.cfm?id=science-2-point-0>


Fußnoten

1. Der vorliegende Artikel basiert auf dem gleichnamigen Vortrag auf der 10. Inetbib-Tagung 2008 in Würzburg.

2. http://www.refworks.com

3. http://www.bibsonomy.org/; http://de.citeulike.org/; http://www.connotea.org/

4. http://www.zotero.org/

5. Das DFG-Projekt „Aufbau eines IT-Servicezentrums“ an der Universität Augsburg umfasst auch ein Servicepaket Literaturverwaltung; der Vergleich ist zugänglich unter http://www.bibliothek.uni-augsburg.de/de/service/literaturverwaltung/downloads/vergleich.pdf

6. Eine Ausnahme bildet hier lediglich Citavi, das mit seiner Wissensorganisation und Aufgabenverwaltung ein Alleinstellungsmerkmal besitzt.

7. http://kug.ub.uni-koeln.de/; http://epub.ub.uni-muenchen.de/

8. http://delicious.com/, http://docs.google.com; http://www.zoho.com/

9. Vgl. Heller „Bibliographie und Sacherschließung in der Hand vernetzter Informationsbenutzer“.

10. Vgl. Cohen: Social Scholarship on the Rise.

11. Dies ist ein Ergebnis der oben erwähnten Vergleichsstudie an der UB Augsburg.