B.I.T.online - Zeitschrift für Bibliothek, Information und Technologie

Visionen für Bibliotheken

Eine Zukunftswerkstatt an der Hochschule für angewandte Wissenschaften Hamburg1

von Stefanie Ritter und Balder Thomsen

Wie sieht die Zukunft öffentlicher Bibliotheken aus? Das wollten Prof. Dr. Ute Krauß-Leichert und die Studierenden im 1. Semester des Master-Studiengangs Informationswissenschaften und -management an der HAW Hamburg mit Hilfe einer eintägigen Zukunftswerkstatt herausfinden. Herr Bünemann führte als Moderator durch die Veranstaltung. Als Gast nahm auch Herr Wolfgang Tiedtke von den Bücherhallen Hamburg teil. Die Teilnehmer wollten einerseits Ergebnisse zum Thema erarbeiten, andererseits aber auch die Methode Zukunftswerkstatt kennen lernen. Um dies zu erreichen wechselte Herr Bünemann gelegentlich auf „die Metaebene“ und erläuterte das Wie und Warum seines Vorgehens.

Die Methode Zukunftswerkstatt

Foto: David Maus
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Zukunftswerkstatt

Zukunftswerkstatt – was ist das eigentlich? Ihre Anfänge hat die Entwicklung dieser Methode in den 60er Jahren und geht vor allem auf Robert Jungk zurück. Sein Ziel war es, den Menschen ihr Recht auf Selbstbestimmung bewusst zu machen. Mit einer Zukunftswerkstatt wird versucht, ein Problem in einer Gruppe gemeinsam zu analysieren, neue Ideen zu entwickeln und einen Lösungsweg abzubilden. Dabei geht es hauptsächlich darum, alle Beteiligten in die Planung mit einzubeziehen und jeden zu Wort kommen zu lassen. Entscheidungen sollen nicht von oben herab getroffen werden, stattdessen sollen gemeinsam neue Wege gegangen werden. Eine Zukunftswerkstatt besteht aus drei Phasen: der Kritikphase, der Utopiephase und der Umsetzungsphase.

In der Kritikphase wird zunächst analysiert, was falsch läuft, wo es Probleme gibt und wo Änderungsbedarf besteht. An dieser Stelle darf jeder Teilnehmer seinem Frust einmal so richtig Luft machen. Das tut nicht nur dem Einzelnen gut, sondern jeder bekommt einen Einblick in die Sorgen der anderen. So können Gemeinsamkeiten entdeckt, aber auch neue Erkenntnisse gewonnen und ein besonderes Gespür für Problemfelder entwickelt werden.

In der Utopiephase werden dann die Kritikpunkte ins Gegenteil gekehrt. Doch nicht nur das, sondern nach dem Motto „Nichts ist unmöglich“ geht es darum, der Fantasie freien Lauf zu lassen. Jeder darf äußern, was er sich wünscht und wie er sich die ideale Zukunft vorstellt. Der Bezug zur Realität und zu tatsächlichen Umsetzungsmöglichkeiten wird dabei bewusst außer Acht gelassen, denn in der Utopiephase geht es um Träume und Wünsche, ohne der Kreativität Grenzen zu setzen.

In der Umsetzungsphase kehrt man schließlich zur Realität zurück und wertet aus, welche Zukunftsvisionen eine Chance haben Wirklichkeit zu werden. Welche Möglichkeiten haben wir mit unseren Mitteln und wie können wir die Utopie real werden lassen? Dadurch, dass alle Beteiligten ihre Kritikpunkte, Wünsche und Ideen während des Entwicklungsprozesses mit einfließen lassen, soll eine besonders hohe Aktivierung auch in der Umsetzung erreicht werden, denn für eigene Ziele zu arbeiten, erhöht die Motivation. Die Umsetzungsphase innerhalb einer Zukunftswerkstatt stellt jedoch keinen abgeschlossenen Schritt dar. Es werden lediglich Ansatzpunkte entwickelt, um diese zukünftig in kleineren Arbeitsgruppen weiter zu entwickeln.

Die Zukunftswerkstatt der HAW

Kritikphase

Die praktische Umsetzung der Kritikphase begann damit, die Teilnehmer in kleinere Gruppen aufzuteilen. Diese führten Brainstormings zur Frage „Bibliotheken – was nervt?“ durch. Die Antworten wurden in Stichpunkten auf Metaplankarten notiert. Fast alle Anwesenden hatten zwei Perspektiven aus der sie die Frage betrachteten: die eines aktiven Bibliotheksnutzers und die eines „studierten Bibliothekars“. Trotzdem erfolgte die meiste Kritik aus der Kundenperspektive. Am häufigsten genannt wurden mangelnde Servicequalität wie z.B. Unfreundlichkeit und technische Rückständigkeit, speziell auf Webseiten und OPACs bezogen. Auch am Verbot von Speisen, Getränken und Taschen in Bibliotheken störten sich die Teilnehmer. Aus bibliothekarischer Perspektive wurden Vorurteile gegenüber dem Beruf und mangelnde Wertschätzung durch die Politik als störend empfunden.

Der nächste Schritt – für einige ein sehr großer – war es, als Team einen der notierten Kritikpunkte in Form eines nur kurz vorbereiteten Sketches darzustellen. Alle aufgeführten Sketche hatten den Umgang mit Kunden zum Thema (z.B. Unfreundlichkeit, Desinteresse, Uninformiertheit des Personals).

Utopiephase

In der zweiten Phase der Zukunftswerkstatt hatten die Teilnehmer die Aufgabe, sich „Die Welt in 25 Jahren“ vorzustellen, auch konkret auf Bibliotheken bezogen. Erneut wurden Kleingruppen gebildet, die ihre Ideen auf Plakaten visualisierten. Diese Plakate wurden dem Plenum vorgestellt und die Ergebnisse jeder Teilgruppe diskutiert. Natürlich entwickelten alle Gruppen unterschiedliche Ergebnisse, doch zeigten sich auch überraschende Parallelen.

Ideen, die von mehreren Kleingruppen geteilt wurden, waren z.B. ein universeller Nutzerausweis für alle Bibliotheken bzw. die Verwendung des Personalausweises als Bibliothekskarte. Auch die Idee den gesamten Bestand doppelt vorzuhalten, und zwar in physischer und digitaler Form, trat mehrfach auf. In der idealen Zukunft würde es auch gelingen, Nutzern sowohl Ruheräume zum Lesen und Arbeiten zur Verfügung zu stellen, als auch Räume um miteinander zu kommunizieren. Andere Vorschläge kreisten um Überlegungen, wie man Bibliotheken näher an den Menschen bringen und wie man sie mehr zum Ort öffentlichen Lebens machen könnte. Dabei geht es darum in Bibliotheken Cafés einzurichten, dezentrale Kleinstbibliotheken z.B. in Einkaufszentren einzurichten und Bibliotheken stärker mit anderen Kultureinrichtungen zu vernetzen. Alles Vorschläge, die schon in einigen Städten umgesetzt sind.

Umsetzungsphase

Neue Gruppen fanden sich zusammen um jeweils eine der Ideen aus der Utopiephase daraufhin zu untersuchen, ob und wie sie Realität werden könnten. Einige Vorschläge konnten tatsächlich sehr praxisbezogen bearbeitet werden, etwa IT-Themen wie Chatbots. Bei anderen, eher utopischen Verbesserungsvorschlägen, umfassten die Überlegungen auch Maßnahmen weit außerhalb des bibliothekarischen Einflussbereichs. Dazu gehörten z.B. eine Reform des Urheberrechts oder die Schaffung eines Systems, das Bibliotheken für die Teilnahme am „Globalausweis“ finanziell belohnen würde.

Fazit

Am Ende des Tages hatten die Teilnehmer eine neue Problemlösungsmethode kennen gelernt und dank der Fachgespräche zahlreiche Ideen und Hoffnungen für die Zukunft im Kopf. Da jedoch fast alle noch studieren, können die Teilnehmer dieser Zukunftswerkstatt frühestens nach Abschluss des Studiums im Jahr 2011 zur Umsetzung der Ideen beitragen. Einige werden in der Fachöffentlichkeit bereits diskutiert, andere sind möglicherweise sinnvolle Ergänzungen zur gemeinsamen Zukunftsvision des Berufsstands.


Autoren

Stefanie Ritter und Balder Thomsen

Hochschule für Angewandte Wissenschaften
Fakultät Design, Medien & Information
Department Information
Berliner Tor 5
20099 Hamburg
Balder.Thomsen@haw-hamburg.de


Anmerkung

1. Grundlage dieses Artikels sind die Dokumentationen der Zukunftswerkstatt von Inga Donaszewski, Nadine Feisst, Jana Raupach, Caterina Claus, Christin Weber und Beate Piesztal.

 


 

news