B.I.T.online - Zeitschrift für Bibliothek, Information und Technologie

Multikulturelle Bibliotheksarbeit

Bericht über eine Tagung in den Niederlanden im November 20091

von Wolfgang Kaiser

1 Vorbemerkungen

Sicherlich ist das seit 2007 existierende Niederländische Integrationsgesetz eine Konsequenz aus den Attentaten auf Theo van Gogh und Pim Fortuyn2, wonach sich jede Person, die nicht aus den Niederlanden stammt (allochthone) und weniger als acht Jahre Schulbildung aufweist einem Feststellungstest unterziehen muss, in dem die Sprachkenntnisse und die Integrationsfähigkeit der Betroffenen geprüft werden. Der Test beinhaltet darüber hinaus, dass die Migranten Mitglieder der jeweiligen Bibliothek in ihrem Ort werden und in der Lage sind, diese auch zu nutzen. Die endgültige Feststellung, ob die Teilnehmer der Integrationskurse dazu fähig sind, obliegt Behördenvertretern. Das sind nur einige Konsequenzen, die durch das Gesetz neue Realitäten schufen. Werden dadurch das Interkulturelle und die Förderung des kulturellen Pluralismus negiert? Laut dem Migrationsforscher Jeroen Doomernik3 ist mit Integration in den Niederlanden die kulturelle Anpassung gemeint. Dem Soziologen Rogers Brubaker zufolge ist seit dem Jahr 2000 in vielen Ländern Europas einschließlich der Niederlande ein Return on Assimilation4 festzustellen.

Abb. 1: Vorderansicht der Stadtbibliothek Rotterdam

2 Study Visit „Multicultural Libraries:
practice makes perfect!”

Der Best Practice Austausch, der in der Zeit vom 02.-03.11.2009 stattfand, brachte Mitarbeiter aus Bibliotheken in Spanien, Schweden, Norwegen, Israel, Belgien, Deutschland und den Niederlanden zusammen. 14 Studentinnen der Hochschule der Medien (HdM) Stuttgart, die im Rahmen des Wahlmoduls Library Services for Multicultural Communities der schwedischen Gastprofessorin Frau Gullvor Elf an der „Exkursion Interkulturelle Bibliotheksarbeit in den Niederlanden“ teilnahmen, erhöhten am ersten Tag des Study Visit zusammen mit Frau Katrin Sauermann und Frau Prof. Dr. Krüger die Teilnehmerzahl auf 42. Die von der Netherlands Public Library Association (NPLA) initiierte und in Kooperation mit der Stadtbibliothek Rotterdam (Abb. 1) durchgeführte Fachtagung suchte nach erfolgreichen Beispielen, aus denen sich jeweils Erfolgsrezepte für die eigene Arbeit ergeben können. Der Study Visit wollte europäischen Bibliothekaren ein Forum zum Erfahrungsaustausch bieten. Rotterdam, die zweitgrößte Stadt der Niederlande, in der Einwohner aus 160 Nationen5 leben, gilt als die Stadt mit der multikulturellsten Bevölkerung der Niederlande. Dort hat der Begriff der so genannten Mehrheitsgesellschaft seine Gültigkeit verloren. Aufgrund ihrer Architektur, ihrer Geschichte, ihrer zahlreichen Museen, aber auch als weltweit zweitgrößte Hafenstadt nach Shanghai, kann Rotterdam als Weltstadt bezeichnet werden. Sie war 2001 Europäische Kulturhauptstadt und 2009 Europäische Hauptstadt der Jugend.6 Fast 50 % der etwa 600.000 Einwohner haben eine Zuwanderungsgeschichte. Die Stadt ist auch die erste in Europa, in der ein Bürgermeister muslimischen Glaubens tätig ist.

Abb. 2: Startfolie der zweitägigen Tagung in der Stadtbibliothek Rotterdam

In diesem Artikel gehe ich vor allem auf die Vorträge und Eindrücke ein, die mich nachhaltig durch diese Reise geprägt haben. Die Tagung begann mit einer Begrüßung durch Lourina de Voogd, Policy Officer des Life Long Learning Programms der Netherlands Public Library Association (NPLA) und einem langjährigen Mitglied der IFLA Sektion Bibliotheksdienste für multikulturelle Bevölkerungsgruppen und dem Leiter der Stadtbibliothek Rotterdam, Herrn Gerard Reussnik. Im Anschluss hielt Frau Joke Mos (unitmanager Division Innovation and Development) einen Vortrag, wie die Stadtbibliothek mithilfe von Alphabetisierungs- und Integrationsprogrammen dazu beiträgt, bessere Jobchancen auf dem Arbeitsmarkt zu erhalten. Zwei Drittel der 96.000 Einwohner mit geringem Alphabetisierungsgrad sind Migranten. Zwischen der Stadtverwaltung7, dem Sozialamt, Erwachsenbildungsinstitutionen und der Stadtbibliothek finden Kooperationen statt, die nach den Richtlinien der Participation Ladder umgesetzt werden. Die sogenannte „Partizipationsleiter“ geht auf Sherry Arnstein8 zurück. Hierbei werden unterschiedliche Grade des Wissenstransfers und Fähigkeiten erworben, die dabei helfen das soziale Kapital von Benachteiligten zu stärken, damit diese bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. Dies gelingt mit dem in der Stadtbibliothek vorhandenen E-Center, das einen kostenlosen Internetzugang bietet, sowie Lernprogrammen, um die niederländische Sprache zu erlernen. Zudem besteht die Möglichkeit, sich intensiv in der niederländischen Kultur, der Geschichte, der staatlichen Ordnung und Geografie fortzubilden, um den Test zur Erlangung der Staatsbürgerschaft zu bestehen. Außerdem sollen die Teilnehmer beim Auf- und Ausbau sozialer Netzwerke und der Teilnahme bei organisierten Aktivitäten unterstützt werden. Hauptanliegen ist es, die sozial Benachteiligten – insbesondere Migranten – stärker an der Gesellschaft partizipieren zu lassen, was durch den Erwerb guter Sprachkenntnisse und der niederländischen Staatsbürgerschaft erleichtert wird. In einer letzten Phase soll den Teilnehmer der Integrationskurse durch bezahlte bzw. ehrenamtliche Arbeit eine stärkere Teilhabe an der Gesellschaft ermöglicht werden. Dabei lädt die jeweilige Stadtteilbibliothek einen Coach ein, der den Arbeitssuchenden Workshops und Unterstützung beim Verfassen ihrer Bewerbungen anbietet.

Der zweite Vortrag des Tages handelte vom Netzwerk der Öffentlichen Bibliotheken der spanischen Stadt Gandia und deren Umgang mit der wachsenden kulturellen Vielfalt. Frau Gisela Sendra Pérez, die eigentlich keine Bibliothekarin ist, überzeugte ihre Stadtbibliothek davon, die ethnische Vielfalt in Gandia mit seinen 80.000 Einwohnern nicht länger zu ignorieren und legte ein Konzept vor, das auf breite Zustimmung stieß und bis heute einzigartig ist. Sie ist seit dem Jahr 2003 die Koordinatorin und Beauftragte für multikulturelle Fragen, Aktivitäten und für das Multicultural Committee verantwortlich. Seit dem Jahr 2003 ist das Gandia Public Library Network ein Best Practice Modell – nicht nur für spanische Bibliotheken. Die über 100 Nationen zählenden Stadt Gandia liegt an der Spanischen Ostküste in der Provinz Valencia. 25 % der Einwohner stammen nicht aus Spanien. Hier werden die Zuwanderer der Kommune insofern integriert, indem beispielsweise 2004 ein Multicultural Committee („Junta muticultural“) geschaffen wurde, in dem Bürger unterschiedlicher Nationalität vertreten sind, die beim Bestandsaufbau und bei kulturellen Veranstaltungen ein Mitsprache- und Vorschlagsrecht haben, sowie bei der Organisation mitarbeiten. Folgende Länder sind mit jeweils einem Mitglied im Komitee vertreten, das bei bestimmten Sprachen auch für mehrere Länder zuständig ist: Algerien, Armenien, Bolivien, Bulgarien, Cuba, Deutschland, Frankreich, Irland/Großbritannien, Litauen/Ukraine/Russland, Rumänien, Ecuador/Kolumbien, China, Marokko, Senegal und Uruguay/Argentinien. Sie stellen den Kontakt zwischen den unterschiedlichen Migranten her, um sie als Neukunden für die Bibliothek zu gewinnen. Vor kurzem wurde erreicht, dass der prozentuale Anteil der Kunden mit Zuwanderungsgeschichte sich auf 25 % erhöhte. Im Februar 2007 hatte die Stadtbibliothek Gandia ein Treffen der „Bibliotheken der Welt” organisiert, bei dem vor allem Bibliothekare aus den Herkunftsländern der Migranten angesprochen waren und aus folgenden Ländern kamen: Armenien, Bulgarien, Rumänien, dem Senegal und Marokko. Mit den Bibliotheken in Bulgarien und Rumänien wurden die Begegnungen intensiviert und es fanden Gegenbesuche der spanischen Kollegen in den Herkunftsländern der Migranten statt. Besonders erwähnenswert ist ein didaktisches Wörterbuch, das durch die Kooperationen mit den Bibliotheken der Herkunftsländer der Migranten entstand. Es wurde 2007 unter dem Titel „Europe. Guide of terminology for a multicultural society“ veröffentlicht und in sechs Sprachen (Englisch, Spanisch, Rumänisch, Italienisch, Französisch, Valencianisch) übersetzt. Die Verantwortlichen der Bibliothek stellten den Kontakt mit einigen der Bibliotheken der Herkunftsländer her, damit (potentielle) Zuwanderer sich vor ihrer Ankunft in Spanien über ihr neues Land informieren können und bereits frühzeitig die neue Sprache zu erlernen beginnen. Erklärtes Ziel der Bibliothek in Gandia ist die Schaffung eines europaweiten Netzwerkes zur Zusammenarbeit mit Bibliotheken, die mit multikulturellen Bevölkerungsgruppen arbeiten, um die Kommunikation und die Kundenorientierung für andere Nationalitäten zu verbessern.9

Als nächstes fand eine Führung durch die Stadtbibliothek Rotterdam statt, welche den Teilnehmer die Dimension der 24.000 m² großen und sich auf sechs Stockwerke erstreckenden Einrichtung erst bewusst machte. Im Erdgeschoss befindet sich noch ein Theater und ein Bistro, sowie die Möglichkeit Schach zu spielen, wie auf Abbildung 3 zu sehen ist.

Abb. 3: Schachspieler in der Eingangshalle der Stadtbibliothek Rotterdam

Über Architektur und Konzept des soziokulturellen Zentrums berichteten Christiane Minter10 und andere Bibliothekare11. Die Bibliothek ist zweifelsohne das Wissenszentrum Rotterdams und ein Ort der Begegnung von Menschen verschiedener Kulturen. Auf dem Flyer, den jeder Kursteilnehmer erhielt, setzt sich die Abteilung Öffentlichkeitsarbeit der Bibliothek offen und direkt mit ihrer neuen Rolle auseinander, indem sie den Kunden nicht vorenthält, dass in ihrer Einrichtung die Ausleihzahlen jährlich rückläufig sind und die Kundenorientierung auch deshalb oberste Priorität hat. Es werden Beispiele angeführt, die verdeutlichen, dass die Bibliothek sich den Bedürfnissen ihrer Kundschaft anpasst und offen für Anregungen ist. Mit der Auszeichnung European Youth Capital 2009 erhielt die Bibliothek12 einen neu geschaffenen Jugendbereich und war bei der Schaffung des sozialen Netzwerks Jongerenvloer13 beteiligt, das viele Fans hat, in dem die Bibliothek mit Fotos und Videos als ein attraktiver Treffpunkt zum „Abhängen“ präsentiert wird. Ich erfuhr, dass die Mitarbeiter der Bibliothek gegen eine erhöhte Bezahlung gelegentlich auch sonntags arbeiten können.

Im Anschluss an die Besichtigung folgte der Vortrag „Reader seedlings – libraries in kindergartens“ („Die Leserjungpflänzchen – Bibliotheken in Kindergärten“) von Frau Grete Berg aus Norwegen (The Norwegian Archive, Library and Museum Authority).

Dabei erwähnte sie stets die positiven Effekte bei Kindern mit Migrationshintergrund. Bisher sind erst sieben Kindergärten in fünf Städten in zwei Projekten eingebunden, die vom Lese- und Bildungszentrum an der Universität in Stavanger koordiniert werden. Durch die Kooperation von Bibliotheken und Kindergärten ist jetzt bereits zu beobachten, dass die Ausleih- und Besuchszahlen stiegen, es eine bessere Verständigung zwischen den Familien gibt und vor allem die Wertschätzung und Aufmerksamkeit im Einzugsgebiet der Bibliotheken und Kindergärten stieg. Hinzu kommt, dass Eltern nun bewusster mit dem Lesen, Vorlesen und der Vermittlung von Lesekompetenz bei ihren Kindern umgehen.

Herr Miguel Benito, der Gründer und Direktor des Immigrant Institute14, stellte danach seine Einrichtung vor, unter deren Dach sich ein Museum, eine Bibliothek, ein Archiv, eine Buchhandlung, eine Zeitschrift (Journal of Intercultural Communication) und eine Schriftstellervereinigung von Autoren mit Migrationshintergrund befindet. Ein derartiges Institut, dass selbst von einem ehemaligen Zuwanderer – Herr Benito stammt aus Spanien – gegründet wurde, hat zwar Gemeinsamkeiten mit dem Dokumentationszentrum und Museum über die Migration in Deutschland e.V. in Köln, aber es ist umfassender und landesweit etabliert – ähnlich wie es die 2007 in Paris eingeweihte Cité Nationale de l'Histoire de l'Immigration in Frankreich noch versucht. Als nächstes stellte er das Programm ESME – (European Strategy for multicultural Education) vor, an dem als einzige Einrichtung aus Deutschland die Stadtbibliothek Frankfurt teilnimmt. Ziel ist es, öffentlichen Bibliotheken in „Bibliotheken für alle“15 zu verwandeln, die insbesondere Migranten mehr kulturelles Kapital vermitteln sollen. Mit der Umsetzung europäischer Integrationsstrategien soll die Bibliothek zu einem Treff und Kontaktpunkt umgebaut werden. Schweden ist mit der Stadtteilbibliothek Biskopsgården in Göteborg, in deren Einzugsgebiet 38,2 % der 25 500 Einwohner nicht in Schweden geboren sind, an dem Pilotprojekt beteiligt. Das erste Treffen eines neu gegründeten Multilingual Advisory Board fand im Juni 2009 statt. Im Gegensatz zur Internationalen Bibliothek Frankfurt steht die Bibliothek Biskopsgården noch am Anfang ihrer interkulturellen Öffnung.

Am letzten Vortrag des ersten Tages informierte Herr Dennis Wacht über das Grundtvig Programm, das Teil des Lifelong Learning Programms der Europäischen Kommission ist und ganz im Zeichen des „Europäischen Jahres zur Bekämpfung von Armut und sozialer Exklusion“ stand, das 2010 anlief. Zum Tagungsausklang wurde die Zweigbibliothek im Stadtteil Delfshaven besichtigt und die Kinder- und Jugendarbeit mit Migranten und die Alphabetisierungskurse vorgestellt.

Abb. 4: Der Multitouchscreen der Stadtbibliothek Rotterdam. Bei dem Spiel handelt es sich um ein Wissensquiz, das auf Neugier und großes Interesse stieß.

Von den Vorträgen des zweiten Tages des Study Visit will ich nur auf das einzige Praxisbeispiel des Tages eingehen. Es war neben der Stadtbibliothek in Gandia das zweite Best Practice Beispiel, von dessen Gedanken der Interkulturellen Verständigung und Nachhaltigkeit ich besonders beeindruckt war. Bereits in Erfurt auf dem Bibliothekartag 2009 wurde im Rahmen eines Panels zur Interkulturellen Bibliotheksarbeit die Belfer Library in Ramla, Israel, vorgestellt. Ramla, eine Stadt, in der etwa 70.000 Menschen leben, gilt als eine der mixed cities im Kernland Israels, wo Menschen muslimischer, jüdischer und christlicher Religion zusammenleben. Deren Leiterin Frau Levkovits kehrte nach mehreren Jahren Abwesenheit – sie lebte unter anderem in Kanada – wieder in ihre Heimatstadt zurück und suchte kurze Zeit später, nachdem sie ihre Stelle in der Bibliothek antrat, den Kontakt mit den arabischen Einwohner der Stadt. Seitdem gibt es eine verstärkte interkulturelle Bibliotheksarbeit, die Kinder aus arabischen und jüdischen Kindergärten zusammenbringt, was bisher einzigartig in Israel ist. Der dadurch entstandene interkulturelle Austausch half Fremdheitserfahrungen und Berührungsängste abzubauen. Es ist die einzige Bibliothek in Israel, die Araber und Juden zusammenbringt. Sie zeigte – wie auch schon in Erfurt – einen etwa zehnminütigen Film, der die Emotionen, die menschliche Wärme, aber auch die Vorbehalte, welche anfangs unter den Kindern herrschten, eindrucksvoll deutlich machte. In einem gemeinsamen Projekt zwischen arabischen und jüdischen Kindergärten wurde die sogenannte Book Parade entwickelt, bei der die Kinder ein Buch in ihrer eigenen Muttersprache vor einem Publikum präsentierten.

Das Endergebnis war laut der Leiterin nicht vorhersehbar. Die Synergieeffekte, die dadurch entstanden, sorgten dafür, dass sich nicht nur zwischen den Kindern untereinander, sondern auch zwischen den arabischen und jüdischen Eltern Freundschaften entwickelten. Mittlerweile gibt es andere Bibliotheken in Israel, die ebenfalls Projekte wie das soeben geschilderte in ihren Einrichtungen umsetzen wollen. Das bloße (Vor-)Lesen bzw. Vortragen von Geschichten erreichte, was zwischen Erwachsenen mit festgefahrenen Meinungen und Vorurteilen schwerer möglich wäre. Es öffnete Türen, indem Sprachbarrieren und Vorurteile abgebaut wurden, wodurch neue Freundschaften entstanden.

3 Besichtigungen

In den restlichen eineinhalb Tagen meines Aufenthaltes in den Niederlanden besuchte ich noch die Stadtbibliothek und die Peace Palace Library in Den Haag. Die Stadtbibliothek in Den Haag erinnerte mich aufgrund ihrer Farben und der Innenarchitektur an die im Juni 2009 neu eröffnete Stadtbibliothek Augsburg. Vom DOK Library Concept Center16 in Delft, das ich im Anschluss an den Study Visit besuchte, will ich im Folgenden berichten. Am Nachmittag des 03.11. fuhr ich zusammen mit den beiden Kolleginnen aus Spanien nach Delft, einer Stadt mit 97.000 Einwohnern, die nur 20 Minuten von Rotterdam entfernt liegt. Während der Führung wurden uns die wichtigsten Fakten zum innovativen Konzept der Bibliothek erläutert, wobei der sogenannte Spaßfaktor betont wurde, der die Neugierde am Entdecken und am Verweilen wecken soll.

Abb. 5: Blick ins Bibliothekscafé. Oben links ist ein Bildschirm zu sehen, der als Wegweiser dient. Jede Farbe steht für einen ganz bestimmten Bereich in der Bibliothek. Anhand von Piktogrammen und Pfeilen wird dem Besucher die Orientierung erleichtert. In unmittelbarer Nähe befindet sich der Lesesaal,in den Kaffeetassen etc. mitgenommen werden können, rechts daneben ist die Kinder- und Jugendabteilung.

Insgesamt verfügt die Bibliothek über einen Bestand von etwa 167.000 ME und 4.000 Bildern. Sie erstreckt sich auf 4.300 m² und ist 48 Stunden in der Woche geöffnet. Bei den Designmöbeln handelt es sich oftmals um teure Markenmöbel wie z.B. Tische der Firma Flexwood und Stühle von Moroso. Besonders beeindruckt war ich von der Musikabteilung, in der es im Gegensatz zu allen anderen Bibliotheken, die ich seit der Ablösung der Schallplatte durch das Aufkommen der Compact Disc kenne, noch eine großen Bestand an Vinylplatten gibt. Ebenso wie die Stadtbibliothek verfügt die Bibliothek in Delft über einen Multitouch table (von Microsoft), über den die Besucher auf den sogenannten Lokal Heritage Browser zugreifen können, bei dem es um die Stadtgeschichte Delfts geht. Zudem gibt es verschiedene Storytelling Tools wie etwa das DOK Agora project17, die den Besucher der Bibliothek eine Plattform18 bietet ihre Geschichten zu erzählen.

Das Café (Abb. 5) befindet sich unmittelbar neben dem Lesesaal. Weitere Höhepunkte waren das Kunstzentrum (DOK), das im Vergleich zu anderen Arthoteken, die ich bisher kannte, mehr zeitgenössische Werke von Künstlern aus der regionalen Umgebung zu ihrem Bestand zählt. Die Mitarbeiter dort sind selbst Künstler. Das Library Concept Center hat den Anspruch, die modernste Bibliothek der Welt zu sein.

Mit Sicherheit ist sie es zumindest in Europa und erreicht dies auch durch ihre Aufgeschlossenheit Neuem gegenüber und dem Pragmatismus, Ideen umzusetzen. Über den Webauftritt der Bibliothek im sozialen Online-Netzwerk Facebook ist es möglich, an 32 von 34 Mitarbeiter Anfragen, Wünsche und Anregungen zu richten. Der Diskussionsleiter der Gruppe ist der Chef der Kommunikations- und Marketingabteilung der Bibliothek. Es gibt noch weitere Webseiten sozialer Netzwerke, in denen die Bibliothek sehr gut vertreten ist wie unter anderem auf Twitter19 und Flickr mit etwa 7.000 Fotos.20 Meines Erachtens ist das neben dem finanziellen und personellen Spielraum einer der Erfolgsfaktoren der Bibliothek, welche die Strömungen des Zeitgeistes und der Jugendkulturen, sowie den kollaborativen Charakter des Web 2.0 nutzt, um so die Bibliothek auch in der virtuellen Welt sichtbar zu machen. Sie wurde am 18.12.2009 feierlich als Bibliothek des Jahres der Niederlande geehrt.21


Autoren

Dipl.-Bibl. Wolfgang Kaiser ist an drei Instituten als Nachhilfelehrer tätig, zudem arbeitet er ehrenamtlich im Rahmen des bundesweiten Projekts „Soziale Stadt“ am Stadtteiltreff Augustinviertel in Ingolstadt mit.

Wolfgang.Kaiser@lycos.com


Anmerkungen

1. http://www.debibliotheken.nl/content.jsp?objectid=25171 (letzter Zugriff: 09.01.2010)

2. http://www.ifa.de/pub/kulturaustausch/archiv/kulturaustausch-2006/die-zukunft-der-stadt/fortuyn-city/type/98/ (letzter Zugriff: 09.01.2010)

3. http://www.imes.uva.nl/staff/doomernik.html (letzter Zugriff: 09.01.2010)

4. http://www.sscnet.ucla.edu/soc/faculty/brubaker/Publications/21_Return_of_Assimilation.pdf (letzter Zugriff: 09.01.2010)

5. http://www.obr.rotterdam.nl/smartsite2086943.dws (letzter Zugriff: 09.01.2010)

6. http://your09.nl/home (letzter Zugriff: 09.01.2010)

7. http://www.rotterdam.nl/tekst:tackling_social_exclusion (letzter Zugriff: 09.01.2010)

8. http://www.anzrsai.org/system/files/f1/f54/o306//ProcMahjabeen_and_others.pdf (letzter Zugriff: 09.01.2010)

9. http://www.iflamed.unipa.it/index.php/iflamed/2009/paper/view/35 (letzter Zugriff: 09.01.2010)

10. http://www.reference-global.com/doi/abs/10.1515/bfup.1991.15.2.234 (letzter Zugriff: 09.01.2010)

11. http://www.bvs.bz.it/download/27dextQ8BkUW.pdf (letzter Zugriff: 09.01.2010)

12. http://www.yourbieb010.nl/ (letzter Zugriff: 09.01.2010)

13. http://jongerenvloer.hyves.nl/ (letzter Zugriff: 09.01.2010)

14. http://www.immi.se/insti/english.htm (letzter Zugriff: 09.01.2010)

15. http://www.librariesforall.eu/ (letzter Zugriff: 09.01.2010)

16. www.dok.info (letzter Zugriff: 09.10.2010)

17. http://library20.ning.com/video/dok-agora-storyboard-of-your (letzter Zugriff: 09.10.2010)

18. http://www.infotoday.com/MLS/mar08/Boekesteijn.shtml (letzter Zugriff: 09.10.2010)

19. http://twitter.com/DOKDelft (letzter Zugriff: 09.01.2010)

20. http://www.flickr.com/photos/39841872@N00/ (letzter Zugriff: 09.01.2010)

21. http://oud.debibliotheken.nl/content.jsp?objectid=25282 (letzter Zugriff: 09.01.2010)

 


 

news