B.I.T.online - Zeitschrift für Bibliothek, Information und Technologie

High Tech und Dritte Welt

Eindrücke von einer Vortrags- und Besichtigungsreise nach Indonesien und Singapur

von Ludger Syré und Jürgen Seefeldt

Die Friedliche Revolution in der DDR, der Fall der Berliner Mauer und das Ende der Deutschen Teilung gehören zu den epochalen Wendepunkten der deutschen Geschichte. Parallel dazu verliefen die tiefgreifenden Veränderungen in Osteuropa: der Zerfall der Sowjetunion, die Ablösung des Kommunismus, die Einführung kapitalistischer Produktionsprozesse, der Übergang zu demokratischen Regierungsformen. 20 Jahre später, im Herbst 2009, ist nicht nur in Deutschland, sondern in vielen weiteren Ländern der Ereignisse des Jahres 1989 im Rahmen von Festakten, Gedenkveranstaltungen, Ausstellungen und Publikationen gedacht worden. Kein anderes Motiv versinnbildlicht eindrucksvoller das dramatische Geschehen als der Fall der Mauer in Berlin.

Bibliotheks- und Informationszentrum des Goethe-Instituts Jakarta

Bibliotheken und Demokratisierung

Gedenkveranstaltungen gab es auch in Südostasien, zum Beispiel in Indonesien, wo das Goethe-Institut Jakarta unter dem Titel „1949 – 1989 – 2009: Einblicke in 60 Jahre deutsche Geschichte“ eine Ausstellung konzipierte. Sie wurde zunächst in der indonesischen Hauptstadt, dann in Bandung, wo das Goethe-Institut eine Außenstelle betreibt, und schließlich in der ostjavanischen Stadt Surabaya gezeigt.

Warum am Wandel von einer diktatorischen zu einer demokratischen Gesellschaft, wie er nach 1989 in der DDR stattfand, gerade in Indonesien lebhaftes Interesse besteht, erklärt sich aus der jüngsten Geschichte dieses Landes. Ein Jahr nach Ausbruch der großen Asienkrise, im Frühjahr 1998, wurde der indonesische Diktator General Suharto, der 1965 durch einen Putsch an die Macht gelangt war, in dessen Verlauf mindestens eine halbe Million Menschen ermordet wurden, gestürzt. Anders als in der DDR verliefen die das Ende der indonesischen Diktatur einleitenden Demonstrationen keineswegs gewaltfrei: über 1.000 Menschen starben, Tausende von Geschäften, Häusern, Wohnungen und Autos wurden geplündert, niedergebrannt oder zerstört. Seitdem befindet sich das weitverzweigte Land mit seinen zahllosen Inseln in einem Prozess der langsamen Demokratisierung. Nach mehreren Präsidentschaften wurde 2004 erstmals ein Präsident vom Volk direkt gewählt; dieser setzte den Reformkurs seiner Vorgänger, unter denen sich erstmals auch eine Frau befunden hatte, fort. 2008 starb Ex-Diktator Suharto, doch die unter ihm wuchernde Korruption ist bis in die Gegenwart ein schwer zu bekämpfendes Übel geblieben. Ihm selbst wird bis heute – unter Ausblendung seiner Greueltaten, darunter der Völkermord an rund 200.000 Menschen in Osttimor – als einem der größten Führer Asiens gehuldigt.

Welchen Beitrag zur Demokratisierung einer Gesellschaft können Bibliotheken leisten? Dieses Erkenntnisinteresse verfolgte Andrea Bach, die Leiterin der Informations- und Bibliotheksarbeit Südostasien-Australien-Neuseeland am Goethe-Institut Jakarta, als sie eine Reihe von Veranstaltungen konzipierte, die der Fragestellung ganz generell und bezogen auf die konkreten deutschen Erfahrungen nachgehen sollten. In diesem Kontext referierte etwa Professor Dr. Hermann Rösch vom Institut für Informationswissenschaft der Fachhochschule Köln am 18. Juni 2009 unter dem Titel „Libraries and Democracy: The Role of Libraries in a Democratic Society“; dabei erwähnte er auch die Aufmerksamkeit, die die IFLA durch ihr Komitee „Freedom of Access to Information and Freedom of Expression“ (FAIFE) der Problematik schenkt. Ein halbes Jahr später nahmen die Autoren dieses Berichts das Thema wieder auf und stellten es in ihren Vorträgen „Portals to the Past and to the Future: Libraries in Germany“ und „Libraries before and after the German Reunification“ vor dem Hintergrund der jüngeren deutschen Bibliotheksentwicklung dar.

Seminarraum der Universitas Kristen Petra in Surabaya

Die beiden Vorträge wurden zunächst am 8. Dezember 2009 in der Universitas Kristen Petra in Surabaya, einer Dreimillionen-Stadt im Osten der Insel Java, gehalten. Die Universität ist eine von rund 30 christlichen, mehrheitlich protestantischen Hochschulen des Landes, in dessen Veranstaltungszentrum Petra Toga Mas das Goethe-Institut die oben genannte Ausstellung wenige Tage zuvor eröffnet hatte. Die Vorträge fanden im Rahmen des Seminars „Freedom for Unity“ statt und sahen auch ein Koreferat zur indonesisches Erfahrung unter dem Titel „Indonesian Libraries and Library Education in the Reform Era“ vor. In einer weiteren Begleitaktion setzten sich Studenten auf künstlerische Weise, nämlich mittels der landestypischen Batikkunst, mit dem Thema Freiheit und Einheit auseinander.

Das Grußwort sprach der Vizerektor der Petra Christian University. Als Vertreterin des Goethe-Instituts begrüßte Andrea Bach die rund 60 Teilnehmerinnen und Teilnehmern, darunter die Vertreter der christlichen Hochschulbibliotheken, die tags zuvor ihre Jahreskonferenz in Surabaya abgehalten hatten. Die Fragen im Anschluss an die Vorträge, die in englischer Sprache gehalten, in indonesischer Sprache zusammengefasst und von Bildern auf Power-Point-Folien sowie ausführlichen englischen Handouttexten begleitet waren, zeigten zum einen das Interesse am deutschen Bibliothekswesen, zum anderen den Wunsch nach grundlegender Informationsfreiheit, wie sie beispielsweise die deutsche Verfassung durch Artikel 5 Grundgesetz garantiert.

Am Nachmittag stand der Besuch der Universitätsbibliothek auf dem Programm, die von dem – IFLA-Aktivisten wohlbekannten – Aditya Nugraha geleitet wird. Die rund 8.000, meist sehr jungen Studierenden der Universitas Kristen Petra belegen Literatur, Kommunikationswissenschaft, Wirtschaft, Informatik, Technik oder Architektur. Da sie überwiegend auf dem Niveau von Undergraduates unterrichtet werden, steht entsprechende Literatur im Vordergrund des 150.000 Bände und AV-Medien umfassenden Bibliotheksbestandes. Doch nicht der Bestand zeichnet diese Bibliothek aus, sondern die umfassenden elektronischen Dienstleistungen, die bei Rankings mit Auszeichnungen bedacht wurden. Die Bibliothek, die außer sonntags täglich von 8 bis 18 Uhr geöffnet ist, bietet ihren Benutzern auch Arbeitsflächen und Ruhezonen an. Die dezent, aber permanent erklingende Hintergrundmusik, jahreszeitgemäß mit Weihnachtsmelodien, scheint landestypisch zu sein und wurde daher als ganz normal hingestellt.

Indonesisches Interesse an deutschen Erfahrungen

Zweites Reiseziel war die indonesische Hauptstadt Jakarta im Westen Javas. Hier wurden die Vorträge in einer der ältesten, renommiertesten und mit 30.000 Studenten auch größten Universitäten des Landes gehalten, der Universitas Indonesia (UI), deren Hauptstandort in Depok jenseits des südlichen Stadtrandes der Achtmillionenmetropole angesiedelt ist. Der weitläufige Campus liegt inmitten von Wald und Grünflächen und zeichnet sich zudem durch aufgelockerte Bauweise und architektonisch ansprechende Gebäudeensembles aus – was in einer durch Wolkenkratzer geprägten Urbanität wie Jakarta eher eine Ausnahmeerscheinung darstellt. Hier sind die Fakultäten für Mathematik, Naturwissenschaften, Technik, Wirtschaft, Recht und diverse weitere Disziplinen lokalisiert und hier befinden sich auch die Universitätsbibliothek, eine große Moschee, ein Festivalgelände, umfangreiche Sportanlagen, ein Theater und ein Gesundheitszentrum, dessen Dienste für alle Studierenden kostenlos sind.

Die gemeinsam von der Universitas Indonesia und dem Goethe-Institut angekündigte Vortragsveranstaltung „Libraries before and after Reunification“ mit deutschen und indonesischen Referenten fand im Gebäude der wirtschaftswissenschaftlichen Zweigbibliothek statt. An ihr nahmen ca. 80 Wissenschaftler, Bibliothekare und Studierende der Bibliothekswissenschaft teil. Auch dieses Mal bildeten Fragen nach der Informationsfreiheit in demokratischen Gesellschaften und nach dem Beitrag der Bibliotheken zur Realisierung dieser Freiheiten einen Diskussionsschwerpunkt. Die aus Deutschland berichteten Möglichkeiten, zensurfrei publizieren, Zeitschriften und Zeitungen aller politischen Richtungen lesen, aus Bibliotheken Werke jenseits der herrschenden Ideologie ausleihen oder an einer Universität frei forschen und lehren zu können, sind nicht selbstverständlich und können auch in Staaten mit formal-demokratischer Regierungsform wohl nur schrittweise etabliert werden. So jedenfalls ließ sich die hinter mancher Frage verborgene Skepsis deuten.

Die Direktorin der Universitätsbibliothek, Luki Wijayanti, die auch im Fach Bibliothekswesen unterrichtet, zeigte den Referenten anschließend ihre Einrichtung. Das einschichtige Bibliothekssystem der UI zählt an mehreren Standorten rund eine Million Bände, unter denen, ähnlich wie an den anderen Hochschulen Indonesiens, die studentischen Abschlussarbeiten einschließlich Dissertationen einen hohen praktischen Stellenwert haben. Von Bedeutung ist zudem die Lehrbuchsammlung, die ihre Bücher nur zur Benutzung in der nächsten Unterrichtsstunde verleiht, was faktisch einer Leihfrist von einem Tag entspricht. Für den übrigen Ausleihbestand gilt eine Frist von einer Woche. Ca. 80 % des Buchbestandes ist in englischer Sprache, knapp 20 % in Bahasa Indonesia. Die traditionellen Zeitschriftenabonnements wurden von der Bibliothek komplett zugunsten der Online-Ausgaben abbestellt. Neben bibliotheksspezifischen Raumangeboten wie Lesesälen, Diskussionsräumen, Gruppenarbeitsräumen, Ruheräumen, Mediathek, PC-Pool usw. hat die Bibliothek zwei kleine Gebetsräume, getrennt nach Frauen und Männern, wie er in Indonesien für jedes öffentliche Gebäude gesetzlich vorgeschrieben ist.

Obwohl das ansprechende Bibliotheksgebäude erst 1982 eröffnet wurde, wird es im nächsten Jahr durch einen Neubau ersetzt, der einem Maulwurfshügel gleicht, aus dem schlanke Türme herausragen. Die Architektur folgt mit diesem spektakulären Entwurf einem ökologischen Ziel, denn das mit Gras bewachsene Dach und ein besonderes Bewässerungssystem sorgen für eine natürliche Klimatisierung ohne ozonschädliche Substanzen. Dieses Vorhaben mag ein Beleg für die hohe Meinung der Universität von ihrer Bibliothek als „heart of the university“ sein, was wiederum mit dem Selbstverständnis der Bibliothek als „Crystal of Knowledge“ korrespondiert. Nicht ganz leicht war es, aktuelle und verlässliche Informationen zum indonesischen Bibliothekswesen in seiner Gesamtheit zu erhalten, denn die Zahlenangaben divergieren je nach Quelle sehr stark; ebenso schwierig ist es, die gefundenen Angaben zu bewerten, zumal wenn man bedenkt, dass Indonesien mit 230 Millionen Einwohnern gemessen an der Bevölkerungszahl das viertgrößte Land der Erde ist. Trotzdem hier ein paar Größenordnungen. Nach einem Bericht des Direktors der indonesischen Nationalbibliothek gab es im Jahre 2005 rund 1.585 staatliche und private Hochschulbibliotheken, 1.200 Spezialbibliotheken und 2.155 Öffentliche Bibliotheken im allerweitesten Sinne. Die Zahl der Schulbibliotheken wird mit 12.600 angegeben. Die Angaben lassen erahnen, dass die meisten Einwohner, namentlich in den abgelegen Regionen, keinen Zugang zu einer Bibliothek haben. Nach einer anderen Quelle sind in den indonesischen Bibliotheken und Informationseinrichtungen etwa 113.000 Personen beschäftigt, von denen über 6.000 als bibliothekarisches Fachpersonal anzusehen sind; immerhin gibt es 17 akkreditierte staatliche und private Hochschulen, die ein Bibliotheksstudium bzw. eine bibliothekarische Ausbildung anbieten.

Die 1980 gegründete, direkt dem Präsidenten unterstellte Nationalbibliothek „Perpustakaan“ in Jakarta besitzt knapp zwei Millionen Bände, darunter auch Altbestände und unikale (Hand-)Schriften in indigenen Sprachen. Sie veröffentlicht neben der Nationalbibliographie auch einen Verbundkatalog, der den (Teil-)Besitz von über 80 Bibliotheken nachweist. Die Bibliothek mit fast 700 Mitarbeitern teilt sich an ihren beiden Standorten in eine Wissenschaftliche und eine Öffentliche Bibliothek. Erwähnt sei schließlich, dass Indonesien 2007 ein Bibliotheksgesetz erlassen hat. Das Ansehen der Bibliothekare und insbesondere das der öffentlichen Bibliotheken innerhalb der Gesellschaft scheint sich jedoch in Grenzen zu halten, wie uns zu verstehen gegeben wurde.

Da die Vortragsreise auf Einladung des Goethe-Instituts stattfand, war ein Besuch dieser Einrichtung selbstverständlich. Das Institut in Jakarta mit seinen 65 Mitarbeitern, darunter zehn Deutsche, organisiert ein breites Spektrum von Veranstaltungen zur Präsentation der deutschen Kultur im Ausland und zum interkulturellen Austausch. Im Sprachbereich bietet es Deutschkurse, Workshops für Lehrer auf dem Gebiet „Deutsch als Fremdsprache“ sowie ein differenziertes Prüfungsprogramm an. Der citynah gelegene Gebäudekomplex umfasst neben dem Goethehaus, bestehend aus einem Vortragssaal mit 300 Plätzen und einer Galerie im Foyer, zahlreiche Unterrichtsräume, eine kleinen Cafeteria, eine Mediathek und natürlich auch eine Bibliothek, die insbesondere von den Sprachkursteilnehmern intensiv genutzt wird. Die Print- und AV-Medien sind in einem Online-Katalog nachgewiesen und in der Regel ausleihbar; die Präsenznutzung ist kostenlos, für die Ausleihe fällt eine geringe Jahresgebühr an. Gemäß der bibliothekarischen Konzeption der Goethe-Institute wird der Bestand laufend aktualisiert und durch Aussonderungen im Umfang konstant gehalten.

Während die Bibliothek des Goethe-Instituts eher den Charakter einer Public Library aufweist, besitzt die Bibliothek des Erasmus-Huis, des niederländischen Pendants zur deutschen Kultureinrichtung, auch einen größeren Bestand an wissenschaftlicher Literatur. Im Erasmus-Huis, innerhalb der niederländischen Botschaft gelegen, konnten die Referenten eine Ausstellung zum 200. Geburtstag des Javaforschers Franz Wilhelm Junghuhn (1809-1864) betrachten, die vom Goethe-Institut Jakarta konzipiert wurde und zu der ein deutschsprachiger und ein zweisprachig englisch-indonesischer Katalog erschienen ist. Die Ausstellung fand auch in den indonesischen Medien große Beachtung. Junghuhn wurde als Deutscher in Mansfeld (Harz) geboren und starb als Niederländer auf Java, wo er seit 1836 lebte. Wenngleich weitaus weniger bekannt als Alexander von Humboldt kann sich Junghuhns Leistung, namentlich auf dem Sektor der Vermessung und Kartographie, sehr wohl mit der des berühmteren Preußen messen.

Singapur: Nationalbibliothek und Public Library unter einem Dach

Hauptgebäude der Nationalbibliothek Singapurs in der Victoria Street (oben), Eingang des Hauptgebäudes der Nationalbibliothek Singapurs (unten)
Level 11 der Nationalbibliothek Singapurs mit Southeast Asian Collection und e-Kiosk (oben), Veranstaltungszentrum am Singapore River mit Library Esplanade (unten)

Auf dem Rückweg von Indonesien hatten die Referenten Gelegenheit, einen kleinen Einblick in das Bibliothekswesen des Stadtstaates Singapur zu erhalten. Singapur, knapp oberhalb des Äquators an der Südspitze der Halbinsel Malaysia gelegen, ist eine gute Flugstunde von Jakarta entfernt. Zur Erinnerung: Als die Bertelsmann Stiftung und die Bundesvereinigung Deutscher Bibliotheksverbände eine Empfehlung für die zukünftige Gestaltung des Bibliothekswesens in Deutschland erarbeiteten, die 2004 unter dem Titel „Bibliothek 2007“ veröffentlicht worden ist, ging es in der ersten Projektphase um die Erstellung eines Strategiekonzepts, das u.a. auf einer internationalen Best-Practice-Recherche beruhte. Ziel dieser Recherche, die von einer Unternehmensberatung durchgeführt wurde, war es, von Ländern mit einer erfolgreichen nationalen Bibliotheksplanung und -entwicklung zu lernen. Zu den damals analysierten Ländern zählte Singapur. Sich daran erinnernd, waren die Referenten neugierig. Allerdings reichte die Zeit nur zu zwei Besichtigungen. Insgesamt besitzt der 4,8 Millionen Einwohner zählende Staat über 60 öffentliche Bibliotheken.

Zentrale bibliothekarische Instanz Singapurs ist das National Library Board (NLB), unter dessen Dach sich – und das macht das einzigartige dieser Konstruktion aus –einerseits die Nationalbibliothek und andererseits ein Netz von über 20 Öffentlichen Bibliotheken wiederfinden. Diese erzielen 20 Millionen Ausleihen und 30 Millionen Besuche pro Jahr. Das NLB beschäftigt insgesamt 800 Mitarbeiter, davon 60 im Hauptgebäude, und verfügt über acht Millionen Medieneinheiten. Für ihr Personal unterhält es eine eigene Fortbildungsakademie. In ihrer Eigenschaft als Nationalbibliothek erhält die Bibliothek von allen Publikationen zwei Pflichtexemplare, die in der Singapore National Bibliography verzeichnet werden. Die Bestände der Nationalbibliothek sind nicht für die Ausleihe bestimmt. Das 1995 geschaffene National Library Board ist zudem zentrale bibliothekarische Planungsinstanz; auf die grundlegende Studie „Library 2000“ folgte der Masterplan „Library 2010: Libraries for Life, Knowledge for Success“, der die Zielvorgaben des NLB für das laufende Jahrzehnt formuliert.

Im 2005 eröffneten hochmodernen, aus klimatischen Gründen mit 14 Dachgärten versehenen Hauptgebäude der Nationalbibliothek betreibt das NLB – sehr ungewöhnlich für deutsche Besucher – im Untergeschoss die zentrale Öffentliche Bibliothek mit ausleihbaren Medienbeständen und einer augenscheinlich stark frequentierten Kinder- und Jugendabteilung. In den übrigen Geschossen befindet sich die Reference Library mit rund einer halben Million Titeln, die nach der DDC aufgestellt sind. Aufgrund der Sprachenvielfalt unterhält die Reference Library eine eigene Abteilung mit Medien in Chinesisch, Malaiisch und Tamil im Umfang von 60.000 Einheiten. Besonders eindrucksvoll präsentiert sich die Singapore and Southeast Asian Collection, die neben Printmedien auch Mikroformen (verfilmte Zeitungen) und AV-Materialien enthält und mit über 250.000 Einheiten weltweit eine der größten Sammlungen zu Südostasien darstellt. Auf einer weiteren Etage gibt es eine andere Merkwürdigkeit zu entdecken, die „Donors' Gallery“. Sie präsentiert, geordnet nach bedeutenden Buchspenden bzw. Mäzenen, Geschenke an die Bibliothek in speziellen Glaskästen. Außerdem befindet sich hier die Ausstellungsfläche, die zum Zeitpunkt des Besuchs Bilder und Karten zur geographischen Expansion der Stadt mittels Landgewinnung zeigte. Und schließlich ist hier die 20.000 Stücke zählende Sammlung asiatischer Kinderbücher aufgestellt.

Von den vielen im Rahmen der offiziellen Führung vermittelten Einzelheiten verdienen folgende der Erwähnung. An mehreren Stellen im Gebäude können an einem e-Kiosk angefallene Gebühren per Benutzerausweis, der zugleich Geldkarte ist, beglichen werden; mit der gleichen Karte kann auch in Bussen, Geschäften usw. bezahlt werden. Selbstverständlich gibt es Selbstverbuchungsterminals; das Display ist viersprachig, da in Singapur neben Malaiisch u.a. auch Englisch, Chinesisch und Tamilisch gesprochen wird. Ein nahe des Haupteingangs gelegener 24-Stunden-Rückgabeautomat (book-drop) erlaubt die Abgabe auch jener Bücher, die in einer anderen NLB-Bibliothek entliehen wurden; sie werden von der Post (!) sortiert und an die besitzende Bibliothek zurücktransportiert. Ausgestattet sind die Bücher mit RFID-Etiketten, mit deren Hilfe Bücher (auch verstellte) geortet werden können. Ein Schwerpunkt der NLB-Aktivitäten ist die Digitalisierung, die in Indien stattfindet. Artikel aus digitalisierten singapurischen Zeitungen werden den Bestellern kostenlos per SMS auf das Mobiltelefon geschickt; der Download ist nur in den Bibliotheksräumen möglich, der Ausdruck nicht. Der Service schließt dank eines Abkommens mit den Verlegern auch aktuelle Ausgaben ein. Der Nutzer sieht jedoch nur den gewünschten, wie mit der Schere ausgeschnitten wirkenden Artikel. Abschließend sei erwähnt, dass die Nationalbibliothek einen Theatersaal mit rund 600 Plätzen beherbergt, der alleine vier Stockwerke des Gebäudes beansprucht.

Eine Einrichtung des NLB ist die Bibliothek Esplanade, die sich nach ihrer Ausgliederung aus der Reference Library in einem 2002 eröffneten, architektonisch einer Fruchtschale nachempfundenen Kultur- und Veranstaltungszentrum befindet. Ihrem Charakter nach handelt es sich um eine Spezialbibliothek für alle Medienarten rund um die Darstellenden Künste. Infolgedessen gliedert sich die Bibliothek in die Bereiche Film, Tanz, Musik und Theater, die als „Villages“ bezeichnet werden. Der Bestand zählt 90.000 Einheiten, darunter naturgemäß sehr viele Non-book-Medien, die mit Ausnahme der erst ab 16 Jahren aufwärts freigegebenen Filme im Freihandbereich aufgestellt sind. CDs, DVDs usw. werden in transparenten Plastikkästen aufbewahrt, deren Verschlussmechanismus in dem Moment entriegelt wird, wenn das Medium vom Benutzer am Selbstverbuchungsterminal auf sein Konto verbucht wird. Bei der Rückbuchung des Mediums wird die Kassette automatisch wieder verriegelt. Der aufgedruckte Code hilft bei der Sortierung nach Standorten. Neben dem Freihandbereich gibt es ein geschlossenes Magazin, in dem Materialien archiviert werden, die für Wissenschaftler oder Fachleute relevant sind. Das Asian Film Archive sammelt die Produktionen von Filmemachern aus Singapur und Asien. In der library@esplanade, wie sie sich offiziell schreibt, findet der Besucher wie in den meisten Bibliotheken Singapurs auch ein Café; nutzt er es entsprechend, wird ihn das Schild „No sleeping within the library“ kaum berühren. Die Bibliothek verzeichnete in 2008 rund 663.000 Besuche und 302.000 Ausleihen.

Der Aufenthalt in Singapur endete mit dem Besuch des Goethe-Instituts, das in einem der vielen Büro- und Geschäftshäuser nahe der Haupteinkaufsstraße Orchard Road eine Etage belegt, und mit der Besichtigung der von Cindy Goh geleiteten Bibliothek; diese bietet neben deutschsprachigen Medien auch viele deutsche Titel in englischer Übersetzungen an, eine Konzession an das Publikum.

Am Ende dieses kleinen Berichts steht der Dank der Referenten an das Goethe-Institut Jakarta und insbesondere an Andrea Bach für die Einladung zu den Vorträgen in Surabaya und Jakarta und die damit verbundene Gelegenheit, Einblick in das indonesische Bibliothekswesen zu erhalten.


Autoren

Dr. Ludger Syré

Badische Landesbibliothek
Postfach 1429
76003 Karlsruhe
syre@blb-karlsruhe.de

Jürgen Seefeldt

Landesbibliothekszentrum Rheinland-Pfalz
Büchereistelle Koblenz
Bahnhofplatz 14
56068 Koblenz
seefeldt@lbz-rlp.de

 


 

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