25. April 2024

 

Bewährt sich der Open Access Zugang zur Wissenschaftsliteratur auch wirtschaftlich?

Stephan Holländer

The Economics of Open Access: On the Future of Academic Publishing / Thomas Eger and Marc Scheufen. – Edward Elgar Publishing Limited, Cheltenham, 2018. – (New Horizons in Law and Economics series). – ISBN 978 1 78536 575 1 (auch als E-Book).

Nachdem die Verhandlungen zum Deal mit Elsevier unterbrochen wurden, erschienen in den Sozialen Medien kritische Stellungnahmen. Noch bevor die Open-Access-Tage in Graz vom 24.-26. September 2018 stattfinden, wurde bereits das letzte Stündchen der Open Access Bewegung herbeigeschrieben. Schafft dieses neu erschienene Buch Klarheit?

In der angeregten Diskussion zu Erfolg und Misserfolg der Open Access Bewegung in den Sozialen Medien wogte das Kräfteverhältnis zwischen Befürworten und Gegnern auch in der Saure-Gurken-Zeit des Sommers weiterhin unvermindert hin und her. Dagegen hebt sich wohltuend die fundierte wissenschaftliche Publikation von Thomas Eger und Marc Scheufen ab, die die ökonomischen Grundlagen von Open-Access-Zeitschriften untersucht. Das stringent konzipierte Werk zeichnet die Entwicklung der Open-Access-Bewegung nach und entwirft ein wesentlich differenzierteres Bild der Stärken und Schwächen dieser Geschäftsmodelle als manche Posts im Internet glauben machen. In einem einleitenden Kapitel werden die Zeitschriftenkrise, die Urheberrechtsfragen beim akademischen Publizieren und die Ursprünge des Open-Access-Gedankens im wissenschaftlichen Verlagswesen beschrieben und erläutert. In einem zweiten Kapitel untersuchen die Autoren die Eigenschaften des wissenschaftlichen Publikationsmarkts. Die Untersuchung der Rahmenbedingungen des Open-Access-Geschäftsmodells für wissenschaftliche Publikationen bildet dabei einen Schwerpunkt.

Goldene und grüne Wege

Die beiden wichtigsten Publikationswege des Open-Access-Modells, bekannt als „Goldener Weg“1 und „Grüner Weg“2, werden untersucht und analysiert. Sie werden in der Literatur manchmal als konkurrierende, meistens aber einander ergänzende Modelle angesehen: Die Autoren verstehen sie als sich ergänzende Modelle.

Sie führen aus, dass der „Goldene Weg“ mit den Open-Access-Zeitschriften, die wie die konventionellen Zeitschriften auf ein Peer-Review-Verfahren setzen, seit dem Jahr 2000 mit 8904 Open-Access-Zeitschriften in 20 Ländern und auf 16 verschiedenen Wissenschaftsgebieten ein großes Wachstum erfahren hat. In Brasilien erscheinen die meisten Open-Access-Zeitschriften, gefolgt von Großbritannien und den USA. Auf Platz vier folgt Ägypten. Die Artikel werden zu 85% in englischer Sprache, gefolgt von 15.5% in portugiesischer und 12.6% in spanischer Sprache veröffentlicht. 1.8% der Artikel erscheinen in deutscher Sprache. Die Anzahl der Open-Access-Zeitschriften ist je nach Wissenschaftsdisziplin unterschiedlich hoch. In den Gesundheitswissenschaften beispielsweise ist der OA-Anteil an den wissenschaftlichen Zeitschriften hoch, in den Kunstwissenschaften dagegen niedrig.

Der „Grüne Weg“ der Parallelveröffentlichung oder Selbstarchivierung erfolgt zunehmend mit Hilfe von institutionellen Repositorien. Die Autoren speichern eine Kopie ihres Aufsatzes oder ihrer Monographie, die sie beim Verlag eingereicht haben, auf öffentlich zugänglichen Servern ab. Neben Zeitschriftenveröffentlichungen werden hier auch Dissertationen und andere wissenschaftliche Werke sowie einzelne Buchbeiträge oder Buchkapitel als Preprints oder Postprints veröffentlicht. Das Land mit den meisten Repositorien sind die USA, gefolgt von Großbritannien und Japan. Deutschland befindet sich in diesem Ranking auf dem vierten Platz. 70% der Veröffentlichungen erscheinen in englischer Sprache, gefolgt von Spanisch und Deutsch. Nach Fachgebieten aufgeschlüsselt gibt es am meisten Repositorien in den Gesundheitswissenschaften, am wenigsten in den Kunstwissenschaften. Dies vermag aber noch nichts über die Wichtigkeit des grünen Weges in den jeweiligen Disziplinen auszusagen, wie die Verfasser zurecht bemerken.

Erfolg und Misserfolg differenziert betrachten

Die Popularität der beiden Publikationswege lässt sich durch den jeweiligen Einflussfaktor (Impact-Faktor) oder besser den Journal-Impact-Factor sowie durch die Bedingungen der staatlichen Forschungsförderungspolitik in den jeweiligen Ländern begründen. Auf das wissenschaftliche Publizieren haben die Digitalisierung und das Internet den größten Einfluss ausgeübt. Beide haben Closed- und Open-Access-Zeitschriften erst möglich gemacht. Die Autoren erwähnen nicht nur die Leuchtsterne am Open-Access-Himmel wie PLOS Biology oder arXiv, sondern zeigen auch auf, wie die fünf größten Verlage nach anfänglichem Boykott das Open-Access-Modell in ihre Geschäftsmodelle integriert haben. So wurden erfolgreiche Verlagshäuser wie Bio Med Central von Springer übernommen oder Mendely, das als Open-Acccess-Forschungsrepositiorium und Netzwerk begonnen hat, in der Folge von Elsevier aufgekauft.

In einem dritten Kapitel publizieren die Verfasser die Ergebnisse einer Umfrage unter der Academia aus 25 Ländern. Die Auswertung basiert auf 10.000 ausgefüllten Fragebogen. Bei den ausgewählten Ländern fällt auf, dass Afrika und Australien gänzlich fehlen. Aus Bulgarien, China und Irland kamen zu wenige Antworten zurück, sodass diese nicht in die Auswertung einfließen konnten. Die Umfrage ist dennoch repräsentativ. Es zeigt sich, dass der Gebrauch von Open-Access-Publikationen stark vom Wissenschaftsgebiet und weniger vom Herkunftsland der Wissenschaftler abhängt, wie etwa der hohe Gebrauch des „goldenen Weges“ in den Gesundheitswissenschaften und der niedrige Zuspruch zu diesem Publikationsweg in den Wirtschaftswissenschaften zu zeigen vermag. Aus der Umfrage wird auch deutlich, dass gerade in Schwellenländern ein erhöhter Gebrauch von Open-Access-Publikationen gemacht wird. Wissenschaftler aus den Benelux Staaten haben bereits große Erfahrung mit der Publikation auf dem „grünen Weg“. Auf den weiteren Rängen folgen Großbritannien, Portugal, Spanien und Frankreich. Dies lässt darauf schließen, dass die jeweiligen Publikationsbedingungen bei öffentlich geförderten Forschungsvorhaben einen großen Einfluss haben.

Was die empirische Analyse und die daraus gezogenen Aussagen betrifft, fällt es einem Laien schwer, die Analysen im Einzelnen nachzuvollziehen. Plausibel erscheint dem Rezensenten aber die Aussage, dass gerade die Kenntnisse und der Gebrauch von Open-Access-Publikationen in Schwellenländern sehr hoch sind. Am Beispiel Brasilien lässt sich gut aufzeigen, warum in einem Schwellenland wie diesem die meisten Open Access Zeitschriften erscheinen.3 Von Forschenden und Verlegern in Europa und Nordamerika relativ unbeachtet hat man vor 18 Jahren für Lateinamerika und die Karibik die wissenschaftliche Datenbank SciELO (Scientific Electronic Library Online)4 in Brasilien gegründet, die alle Volltexte Open Access anbietet. Die Datenbank  umfasste im September 2016 1.249 Zeitschriften mit 573.500 wissenschaftlichen Veröffentlichungen. Sie enthält nicht nur Veröffentlichungen aus Brasilien, sondern auch aus vielen anderen lateinamerikanischen Ländern, der Karibik und Südafrika.5 2017 kündigte SciELO die Schaffung eines Preprint-Servers unter dem Namen SciELO Preprints an.6 Die Chance eines breiten Zugangs zu wissenschaftlicher Literatur für einen kostengünstigen Know-how-Austausch wird dort von den Akteuren erkannt und genutzt, auch ohne entsprechende Lenkungsinstrumente durch die nationale Forschungspolitik.

So lässt sich die hohe Anzahl von Open-Access-Zeitschriften neben Brasilien auf Platz eins, auch für Ägypten auf Platz vier und Indien auf dem neunten Platz erklären.

Die Kehrseite der Medaille

Der indische Markt der Open-Access-Zeitschriften zeigt auch eine der Schattenseiten des Geschäftsmodells der Open-Access-Verlage auf, die leider keinen Eingang in das Buch gefunden hat. Auf die Problematik der Raubtier-Verlage wird im Buch nicht eingegangen. Den Verlagshäusern dieser Zeitschriften geht es einzig und allein um den Profit. In der Wissenschaftsszene heißen diese Profiteure «Raubtierverlage» («predatory publishers»). Bei «Predatory Journals» handelt es sich um Zeitschriften, die Forschende mit aggressiver Werbung und professionellem Auftreten zur Veröffentlichung von Beiträgen gegen Zahlung einer Publikationsgebühr auffordern, jedoch keinerlei oder völlig unzureichende Maßnahmen der Qualitätssicherung haben. Wenn jemand die verlangte Gebühr bezahlt, wird seine Arbeit publiziert, ohne dass eine wissenschaftliche Qualitätskontrolle mittels Peer Reviewing stattfindet. Es ist schwierig, den durch diese «Raubtierverlage» entstandenen Schaden zu beziffern, kommt doch zusätzlich auch ein immaterieller Imageschaden für den einzelnen Wissenschaftler und die Wissenschaft insgesamt dazu, der auch in Europa und Nordamerika spürbar ist. Die geschilderte Thematik wäre im Sinne der Ausgewogenheit, durch die sich die in dieser Rezension angezeigte wissenschaftliche Publikation auszeichnet, durchaus wünschenswert gewesen.

Open Access in den Schwellenländern

Die Ausführungen am Ende des Buches sind nachvollziehbar. Auf den großen Anstieg der Anzahl wissenschaftlicher Veröffentlichungen nach dem zweiten Weltkrieg folgte eine Entwicklung der Produktion wissenschaftlicher Publikationen weg von wissenschaftlichen Institutionen und Gesellschaften hin zu kommerziellen Verlagen. Dies führte zu einer Konzentration des wissenschaftlichen Verlagswesens auf die fünf großen Verlagshäuser Elsevier, Springer, Wiley, Taylor&Francis und SAGE. Mit der Digitalisierung und dem Internet kam es zu einem Umbruch im Markt für wissenschaftliche Zeitschriften, da die Academia sich nun andere Veröffentlichungs- und Verbreitungswege erschloss. Als Reaktion auf die ständig steigenden Preise wissenschaftlicher Zeitschriftenabonnemente wurde das Open-Access-Geschäftsmodell geschaffen. Teilweise hat dieses Geschäftsmodell auch Eingang in die heutigen Angebote der fünf großen wissenschaftlichen Verlagshäuser gefunden.

Den Aussagen der Autoren, dass der leichte Zugang zu wissenschaftlichen Informationen nicht nur eine Frage ist, die die akademische Welt betrifft, sondern auch für die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes oder eines Kontinents von großer Bedeutung ist, ist zuzustimmen. Gerade am Beispiel Brasiliens, dem Land mit den meisten Open-Access-Zeitschriften, zeigt sich, dass die Open-Access-Publikation ein Korrektiv zum traditionellen Publikationsmarkt darstellt, auf den Schwellenländer in ihrer Entwicklung angewiesen sind. Unkenrufe, dass das baldige Ableben der Open-Access-Bewegung bevorstehe, werden durch diese Publikation widerlegt.

Wie im Buch weiter dargestellt, hängt die Durchsetzungskraft des Open-Access-Modells wesentlich davon ab, welche Steuersignale der Publikationsmarkt erhält. Wie die Autoren ausführen, stehen den Ländern zwei Steuerinstrumente zur Verfügung: Das Urheberrecht und die Wissenschaftsförderungspolitik. Einige Länder haben in ihrer Urheberrechtsgesetzgebung bereits Artikel eingeführt, die den Zugang zu veröffentlichter wissenschaftlicher Information erleichtern. Das jeweilige Land bestimmt die Rahmenbedingungen für Publikationen bei wissenschaftlichen Forschungsvorhaben, die durch staatliche Mittel gefördert werden.

Dass beispielsweise die Schweiz heute bei der Nutzung des „grünen Weges“ im Mittelfeld liegt (S. 71, Abbild 3.10), hat wesentlich mit der staatlichen Steuerung der Forschungspolitik zu tun. Der Nationalfonds als staatliches Förderorgan für Forschungsvorhaben und die Universitäten der Schweiz haben sich darauf geeinigt, dass die Forschungsergebnisse auch Open-Access auf dem „grünen Weg“ zu publizieren sind. Diese Formulierung der Einigung hat in der Folge auch Eingang in die Anstellungs- und Förderungsbedingungen gefunden.

Der Impact Factor

Der Impact-Faktor wird gerne als weiterer Hinderungsgrund gerade für junge Wissenschaftler angeführt, in Open-Access-Zeitschriften zu publizieren. Wie die Autoren nachweisen, ist je nach Fachrichtung der Ruf der Zeitschrift bei bereits etablierten Wissenschaftlern wichtiger als der direkte elektronische Zugang, wie das Beispiel PLOS Biology belegt. Hier trägt das Buch dazu bei, den Ruf nach dem Gesetzesregulator aus Social-Media-Kanälen in Sachen Impact Factor zu versachlichen. Die Akzeptanz von Open-Access-Zeitschriften variiert von Wissenschaftsdisziplin zu Wissenschaftsdisziplin. Die Anzahl an Publikationen und deren Nutzung ist gerade in den Naturwissenschaften höher als in den Geisteswissenschaften. Wie die Autoren in ihrem Buch mit ihrer Umfrage herausgearbeitet haben, variieren die Zahlen von Land zu Land.

Die besprochene englischsprachige Publikation ist für einen Nichtökonomen nicht ganz einfach zu lesen. Gerade der empirische Teil und das Nachvollziehen der Umfrageresultate und der von den Autoren daraus gezogenen Schlüsse ist äußerst anspruchsvoll. Aber die Mühe lohnt sich. Da die Aussagen der Autoren mit Umfrageergebnissen aus 25 Ländern untermauert sind, leistet das Buch einen Beitrag zur Versachlichung der gegenwärtigen im Internet stattfindenden Diskussionen. Außerdem leistet die Publikation auch einen wertvollen Beitrag im Vorfeld der Open-Access-Tage in Graz.

Wer sollte dieses Buch lesen?

Mitarbeiter wissenschaftlicher Verlage, Direktoren in wissenschaftlichen Bibliotheken, alle diejenigen, die sich in wissenschaftlichen Bibliotheken mit dem Beschaffungswesen befassen. Es räumt mit einigen Mythen auf, weist aber auch differenziert auf einige Aspekte hin, die in der breiten Diskussion in Bibliotheks- und Wissenschaftskreisen unterzugehen drohen.

 


Anmerkungen

1. Im so genannten „Goldenen Weg“ des Open Access wird nicht mehr der Vertrieb einer Zeitschrift finanziert, sondern die Dienstleistung, die ein Verlag oder eine Zeitschrift für den produzierenden Autor erbringt. Damit NutzerInnen kostenlos zugreifen können, müssen also in der Regel die AutorInnen sogenannte „Article Processing Charges“, also Publikationskosten, an den Verlag überweisen, welche je nach Verlag und nach Fachgebiet unterschiedlich hoch ausfallen können.

2. Der „Grüne Weg“ zielt auf die Bereitstellung bereits erschienener Verlagspublikationen ab. Egal, ob „golden“ oder „grün“, die Vorteile von Open Access liegen auf der Hand: Erhöhte Sichtbarkeit, freier und schneller Zugriff, gute Auffindbarkeit, beschleunigte Kommunikation von Forschungsergebnissen und die Förderung von wissenschaftlicher Zusammenarbeit.

3. Siehe The Economics of Open Access: On the Future of Academic Publishing / Thomas Eger and Marc Scheufen. S. 30

4. Abel L. Packer et al.; SciELO – 15 Anos de Acesso Aberto: um estudo analítico sobre Acesso Aberto e comunicação científica, UNESCO., 2014, DOI: http://dx.doi.org/10.7476/9789237012376

5. Richard Van Noorden, Brazil fêtes open-access site, Nature 502, 418, (24 October 2013): doi:10.1038/502418a

6. Abel L Packer, Solange Santos and Rogerio Meneghini; SciELO Preprints on the way, 2017, Link: https://blog.scielo.org/en/2017/02/22/scielo-preprints-on-the-way/#.W3mxy84zaUl, zuletzt aufgerufen am 20.08.2018