19. April 2024

Wer zahlt, damit der Zugang zu wissenschaftlichen Publikationen gratis ist?

Open Access bringt viele Vorteile – nicht nur für die Wissenschaft. Doch wer freien Zugang zu Forschungsergebnissen fordert, muss sich auch unbequemen Fragen stellen. Dies zeigte eine Podiumsdiskussion der ETH-Bibliothek von Ende Oktober.

© Thomas Zenger, ETH-Bibliothek

Es braucht nur drei Worte, um die Podiumsdiskussion der ETH-Bibliothek in Kooperation mit PLOS und der Royal Society of Chemistry (RSC) vom vergangenen Donnerstag zusammenzufassen: Viele offene Fragen.

Forschende hatten mit Vertretenden von Verlagen und der Industrie über die Folgen von Open Access – also die freie Zugänglichkeit von Forschungsergebnissen – diskutiert. Am Ende erklärte Rafael Ball, Direktor der ETH-Bibliothek: „Wir sind inmitten eines Transformationsprozesses und haben die Möglichkeit, unterschiedliche Modelle auszuprobieren und auf ihre längerfristige Tragfähigheit hin zu prüfen.“

Zunächst müssen ohnehin die relevanten Fragen auf den Tisch gebracht werden. Und das gelang der siebenköpfigen Runde, die von Sven Fund vom Open-Access-Dienstleister Knowledge Unlatched moderiert wurde.

Doch wo liegt überhaupt das Problem, wenn Forschungsergebnisse allen kostenlos zugänglich gemacht werden? Auf den ersten Blick profitieren alle. Forschende auf der ganzen Welt können auf die Resultate ihrer Kolleginnen und Kollegen zurückgreifen, ausserdem wird ihre eigene Arbeit sichtbarer. Beides fördert Innovation und bringt die Gesellschaft als Ganzes voran.

Die Folgen einer neuen Finanzierung

Doch die Sache hat einen Haken: Finanzierten früher vor allem die Leserinnen und Leser oder die Institutionen, an denen sie angesiedelt sind, mittels Abo-Gebühren die wissenschaftlichen Publikationen, übernehmen heute vermehrt die Autorinnen und Autoren, deren Forschungsinstitutionen oder forschungsfördernde Einrichtungen die Kosten. Dies benachteiligt Forschende am Anfang ihrer Karriere oder solche in Entwicklungsländern. Im besten Fall frisst die Suche nach Geldern viel Zeit, im schlechtesten kommt es gar nicht zur Publikation. Dass diese Entwicklung bereits Tatsache ist, zeigte Sybille Geisenheyner vom Verlag RSC anhand konkreter Zahlen. So können Autorinnen und Autoren sowie Institutionen in Europa ihren Anteil an den Publikationskosten zu 96 Prozent decken, in Indien jedoch nur zu 83 Prozent.

Der Wechsel hin zur neuen Finanzierung wissenschaftlicher Publikationen durch Article Processing Charges (APC) hat eine weitere unbeabsichtigte Konsequenz: Die Industrie liest mit, zahlt aber nicht mehr dafür. Bis anhin beteiligten sich private Unternehmen über Abo-Gebühren schätzungsweise zu 30 Prozent an den Publikationskosten. Die Podiumsteilnehmenden waren sich einig, dass dieses Geld fehlen wird, falls der Wandel hin zu vollständigem Open Access einst Tatsache werden sollte. Daran ändert auch nichts, dass der Staat die Wissenschaft mit Millionenbeträgen fördert, wie Tobias Philipp, Open Access-Verantwortlicher beim Schweizerischen Nationalfonds (SNF), aufzeigte.

Die Industrie zur Kasse bitten

Dieser Aspekt ist bislang in der Open-Access-Debatte kaum beachtet. Dass er gemeinsam mit Industrievertretenden hier adressiert wurde, ist ein guter Anfang. Denn die Vertretenden der Pharmaindustrie betonten dezent ihren Willen, im neuen System einen Beitrag zu leisten. Sowohl Valerie Philippon von Takeda Pharmaceuticals als auch Santosh Mysore von GlaxoSmithKline wiesen aber auch darauf hin, dass sich ihre Unternehmen an den Bestrebungen hin zu Open Access bereits beteiligen. So seien heute mehr als 80 Prozent der Forschung von GSK frei zugänglich, wie Mysore ausführte. „Open Access ist uns deshalb so wichtig, weil Transparenz und Zugänglichkeit wichtige Werte unseres Unternehmens sind.“

© Thomas Zenger, ETH-Bibliothek

Die private Finanzierung von Forschung birgt auch die Gefahr von Abhängigkeiten. “Wie sorgt man für eine gesunde Beziehung zwischen Industrie und Forschung?”, wollte ein Zuhörer wissen. “Mit vollständiger Transparenz”, antwortete Mysore. Dem Vertreter der Forschenden auf der Bühne – Robert Finger, Professor für Agrarökonomie und Agrarpolitik an der ETH Zürich – genügte dies nicht. “Es bleibt immer ein Beigeschmack.” Das offene Peer-Review-Verfahren zur Bewertung wissenschaftlicher Arbeiten sei ein Teil, aber nicht die ganze Lösung. “Es besteht die Gefahr, dass Forschungsfelder vernachlässigt werden, die für uns zwar wichtig, für die Industrie aber nicht interessant sind.”

Auch wenn man sich auf dem Podium einig war, dass die Industrie wieder vermehrt zur Kasse gebeten werden soll, blieb offen, wie eine solche Beteiligung aussehen könnte. Zwar wurden keine Antworten präsentiert, zumindest aber waren am Ende der zweistündigen Diskussion die relevanten offenen Fragen auf dem Tisch: Wie könnte eine „Mixed Economy“ aussehen, in der sowohl der Staat, als auch private Firmen Forschung finanzieren? Ist die Unabhängigkeit der Forschung gefährdet, wenn sie durch die Industrie finanziert wird? Wie können Unternehmen die Wissenschaft finanzieren, ohne in Verdacht zu geraten, ihre eigenen ökonomischen Interessen über jene der Gesellschaft zu stellen? Und welche Rolle sollen Bibliotheken und Verlage im neuen System einnehmen?

Niamh O’Connor, Journals Publishing Director des Verlags PLOS, resümierte in pragmatischem Optimismus: „Das jetzige System ist nicht die Antwort auf alle Fragen, aber immerhin ein Schritt auf dem Weg.“

Andres Eberhard
Journalist.