Quantencomputer und andere Quanteninformationssysteme werden für Physiker und Informatiker zunehmend interessant. Diese Systeme könnten Aufgaben lösen, mit denen klassische Computer überfordert sind, vor allem wenn es um die Faktorisierung sehr großer Zahlen geht, was für die Verschlüsselung von Daten (Kryptographie) von großer Bedeutung ist. Während die Entwicklung von Algorithmen für Quantencomputer schon weit fortgeschritten ist, steckt die physikalische Realisierung der Bauelemente noch in den Anfangsstadien.
Ein Vorschlag des Instituts für Theoretische Festkörperphysik der Universität Karlsruhe könnte die Forschung hier einen deutlichen Schritt voranbringen: Das Team von Prof. Dr. Gerd Schön hat vorgeschlagen, nanoskalige Josephson-Kontakte, das sind supraleitende elektronische Strukturen, als Bauelemente zu verwenden. Die Ideen wurden jüngst in der internationalen Fachzeitschrift "Nature" veröffentlicht.
Das Institut für Theoretische Festkörperphysik beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit den elektronischen Transporteigenschaften von Festkörpern mit Abmessungen bis hinab zu wenigen Nanometern (1 Million Nanometer = ein Millimeter). Wegen der kleinen Kapazität dieser Systeme wird die Bewegung einzelner Elektronen sichtbar. Außerdem spielen quantenmechanische Effekte wie die Phasenkohärenz des Transports eine wichtige Rolle. In der Forschung haben "nanoelektronische" Systeme schon praktische Anwendungen gefunden, zum Beispiel stellen Einzel-Elektronen-Transistoren höchstempfindliche Spannungsmeßgeräte dar. Sie werden in Zukunft auch zunehmend technische Bedeutung erlangen. Es ist abzusehen, daß innerhalb der nächsten Jahre die Bauelemente moderner Computer zur weiteren Steigerung der Speicherkapazität und Rechenleistung bis in den Bereich von wenigen 10 Nanometern verkleinert werden. Sie stoßen so an die Grenzen der etablierten klassischen Beschreibung. Darunter spielen die erwähnten Einzel-Elektroneneffekte und quantenmechanische Konzepte eine Wesentliche Rolle.
Für die Entwicklung von Quanteninformationssystemen werden physikalische, quantenmechanische Systeme als Bauelemente benötigt. Die Bits des klassischen Computers werden hier durch Quantenbits (Qubits) ersetzt. Verschiedene Realisierungen, zum Beispiel Ionenfallen, Kernspinresonanz- und quantenoptische Systeme, wurden vorgeschlagen, und erste kontrollierte Quantenmanipulationen sind bereits demonstriert worden. Vom Gesichtspunkt möglicher Anwendungen sind aber nanoelektronische Realisierungen am interessantesten, da sie in elektronische Schaltkreise integriert werden können und die nötige Erweiterung auf vielkomponentige Systeme am ehesten erlauben.
Professor Dr. Gerd Schön und seine Mitarbeiter Yuriy Makhlin und Alexander Shnirman sind der Ansicht, daß nanoskalige Josephson-Kontakte (supraleitende Tunnelkontakte) mit sehr kleiner Kapazität geeignet für die Verwendung als Qubits wären. Die Wissenschaftler haben die physikalischen Grundlagen dieser Bauelemente und ein Design, das für die geplanten Anwendungen weitgehend ideal ist, beschrieben. Josephson-Qubits kombinieren die Kohärenz des supraleitenden Zustands mit den Kontrollmöglichkeiten von Einzel-Elektronen-Systemen. Die Phasenkohärenzzeit ist lang genug, um eine große Zahl der benötigten Einbit- und Zweibit-Operationen durchführen zu können. Anschließend an die Quantenmanipulationen muß der Endzustand ausgelesen werden. Dieser quantenmechanische Meßprozess kann durch Ankoppeln der Qubits an einen Einzel-Elektronen-Transistor bewerkstelligt werden.
Die benötigten Josephson-Qubits können mit verfügbaren Technologien hergestellt werden. In der Tat ist an derartigen Systemen in Experimenten in Saclay (Frankreich) schon demonstriert worden, daß die Eigenzustände Superpositionen von Ladungszuständen sind. Darüber hinaus hat eine Gruppe im Forschungslabor der Firma NEC in Japan Anfang dieses Jahres an einem Josephson-Qubit auch die sogenannten kohäherenten Oszillationen zeitaufgelöst beobachtet, die ein Quantensystem in einer Superposition von Eigenzuständen zeigen sollte.
Nach diesem Durchbruch kann man davon ausgehen, daß innerhalb der nächsten Jahre kontrollierte Quantenmanipulationen an Systemen von gekoppelten Josephson-Qubits durchführbar werden. Dies erlaubt fundamentale Experimente zum Nachweis der quantenmechanischen Gesetze, wie sie zum Teil schon in der Quantenoptik demonstriert wurden, nun auch mit kontrolliert hergestellten elektronischen Systemen. Der Bau eines Quantencomputers, bei dem eine sehr große Zahl von Qubits gekoppelt werden müssen und sehr viele Quantenrechenschritte nötig sind, liegt dagegen wohl noch in ferner Zukunft. Aber man kann erwarten, daß die Entwicklung quantenmechanischer Schalttechniken weitere, bislang noch nicht absehbare Anwendungsmöglichkeiten eröffnen wird.
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